Mitten in Absurdistan:Alpenglut in Palermo

Eine sizilianische Wirtin ist gebannt von stürmischer Leidenschaft aus Bayern und in Tel Aviv hadert ein Taxifahrer mit Jungs in pinken Federn.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt

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Kiffen, Joint, Marihuana, Gericht, Führerschein

Quelle: Pablo Porciuncula/AFP

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Mitten in ... Würzburg

Am Hauptbahnhof. Ein Polizist zieht Passanten aus dem Menschenstrom, er kontrolliert Ausweise und Taschen. Ich möchte nicht kontrolliert werden und versuche, möglichst unverdächtig zu wirken. Deshalb lächle ich ihn an, nicke, sage höflich "Guten Tag!" und mache mich damit sofort verdächtig. "Drogen dabei?", fragt er. "Nein." "Schon mal gekifft?" Wieder nein, jede andere Antwort wäre ja auch dumm. "Da gehören Sie aber zu einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung." Er gibt mir meinen Ausweis wieder. "Wenn das so ist", frage ich ihn, "haben Sie schon mal . . .?" Er lacht, dreht sich weg und antwortet: "Ja. Ist aber schon Jahre her!" Das hätte ich jetzt auch gesagt. Ich frage: "Und war's gut?" "Ja, nicht schlecht. Macht uns auch weniger Probleme als Alkohol." Dieses Mal lächelt der Polizist, auf ganz unverdächtige Weise.

Tarek J. Schakib-Ekbatan

SZ vom 19. Juni 2015

Italy Sicily Palermo Old town Church of the Gesu right PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY AMF00

Quelle: Westend61/imago

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Mitten in ... Palermo

Eine urige Trattoria mitten in Kalsa, dem Hafenviertel der Hauptstadt Siziliens. Weiß gekachelte Wände, Tischdecken aus Papier, dazu ein appetitliches Vorspeisenbuffet und frisch gegrillter Fisch. Die Wirtin bedient, ihre Mama sitzt mit im Gastraum, gebannt von dem Fernseher, der wie in einem Wohnzimmer in der Ecke wummert. Es läuft eine Serie, irgendwas Schnulziges über stürmische Leidenschaft. Alpenkulisse und Autokennzeichen verraten, dass die Serie in Bayern spielt. So entspinnt sich mit Mama und Wirtin ein Gespräch. Wo ist das? In Deutschland? Ach, da kommt ihr her? Interessiert fragt die Wirtin die Gäste am Nachbartisch, ob sie ebenfalls aus Bayern stammen. Aber nein, erwidert die Familie indigniert, man komme aus Bologna. "Ach was", winkt die Sizilianerin ab, "das ist doch ungefähr das Gleiche . . ."

Patrick Illinger

SZ vom 19. Juni 2015

Fernsehkamera

Quelle: dpa

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Mitten in ... Wien

Erstmals zu Gast im Publikum der mitunter saukomischen ORF-Late-Night-Show Willkommen Österreich. Leider sieht man kaum etwas, hinter all den Kameras. Man hört aber genug. Die Moderatoren Stermann und Grissemann begrüßen Sarah Connor und den Ex-Cheflektor des "Österreichischen Wörterbuchs". Die Dialoge, die sich nun über Selfie-Sticks, Erdbeeren und Tätowierungen entspinnen, sind derart grotesk, dass es einem - was soll denn das? - unverhofft Lachtränen in die Augen treibt. Ein Typ mit Handkamera sieht das und hält völlig unverfroren drauf. Gefühlte zehn Minuten. So ein Mist. Läuft die Träne jetzt über den Sender? Sehen sie die Kollegen? Darf man, wenn einem das passiert, sich die Träne einfach wegwischen oder ist das medial total unprofessionell? Alles furchtbar peinlich. Und nächstes Mal wird wieder daheim geschaut.

Martin Zips

SZ vom 19. Juni 2015

Tel Aviv Gay Pride Parade 2015, Israel

Quelle: Ariel Schalit/AP

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Mitten in ... Tel Aviv

Elend langsam bahnt sich das Taxi seinen Weg durch Tel Aviv. Es ist der Abend nach der "Gay Pride Parade", die Stadt ist mit Regenbogen-Fahnen tapeziert. Der Umzug ist vorbei, aber die 100 000 Teilnehmer sind mit Feiern lange nicht fertig. Viele stehen mit ihrem Bier auf der Fahrbahn, das nervt den Taxifahrer gewaltig. Seine Toleranz ist auch sonst nicht ganz so gut entwickelt. Als sich vor seiner Motorhaube zwei Männer küssen, ruft er wütend: "This is not Israel!" Jetzt ziehen ein paar Jungs vorbei, die ihren Schambereich notdürftig mit pinken Federn verdeckt haben. Das sei nicht Israel, versichert der Fahrer sofort. An einer Kreuzung erspäht er von hinten eine zarte Frauengestalt, enges schwarzes Kleid, hohe Schuhe. "This is Israel", sagt er stolz. Dann dreht sich die Frauengestalt um und lächelt fröhlich aus ihrem bärtigen Männergesicht.

Roman Deininger

SZ vom 19. Juni 2015

Daily Life in Bangalore

Quelle: dpa

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Mitten in ... Honolulu

Die Hawaiianer haben es gut. Immer super Wetter, immer tolle Wellen, und ein so fruchtbares Land, dass man nur eine Handvoll Samen irgendwohin werfen muss, schon hat man einen Palmenhain oder eine Ananasplantage. Gerade ist Mango-Zeit. Die Früchte hängen groß wie Rugbybälle von den Bäumen. Zum Beispiel vor einem Haus an der Monsarrat Avenue in Honolulu. Viele Touristen spazieren hier vorbei, weil die Straße vom Waikiki-Strand hoch zum Vulkankegel Diamond Head führt. Und weil Touristen alles Sehenswürdige auch gerne angrapschen, interessieren sie sich natürlich auch für die Mangos. Der Besitzer des Mangobaums - total entspannt - hat einen Plastikkanister mit Schlitz als Kasse an einen Zweig gehängt. Dazu die Service-Information: "Bitte noch etwas warten, die Früchte sind noch nicht ganz reif!"

Jochen Temsch

SZ vom 12. Juni 2015

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Berlin

Vor dem eng beschrifteten Plakat sind ein paar Menschen stehen geblieben und lesen. Auf der linken Seite jedenfalls, auf der rechten steht derselbe Text in Russisch. "Hä", sagt einer, "is dit Satire?" Die Frau neben dem Plakat verneint es. "Aufruf an das russische Volk! Helft den Deutschen!", steht da. Und dass der "verehrte Präsident Herr Wladimir Putin" die BRD von Faschismus und Nazismus befreien und die "illegale Weiterführung des 3. Nazireiches" beenden soll. Ansonsten sei man "auf dem Weg zum 4. Reich". Gezeichnet: Nationale Befreiungsbewegung Deutschland. Nun denn: Sehr geehrter Präsident Herr Wladimir Putin! Während Sie es für nötig halten, die Meinungsfreiheit in Ihrem Land immer weiter einzuschränken, darf man in unserem Land ungestraft Unsinn verzapfen, und zwar direkt vorm Reichstag. Das heißt übrigens Demokratie.

Tanja Rest

SZ vom 12. Juni 2015

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Völs

In Südtirol ist das noch so: Am Sonntag sitzen in der Dorfkirche links die Frauen, rechts die Männer. Alle tragen Tracht, die Frauen Blusen, die Männer Jacken. Der Kirchenchor singt, das Orchester spielt. Viele Bauern sind für die Messe von sehr, sehr abgelegenen Höfen angereist. Nur dem Pfarrer ist wenig fröhlich zumute. Man habe ihm zu wenig Blumenschmuck auf den Altar gestellt, schimpft er, das sei hier alles nicht feierlich genug. Hundert Gläubige und 13 Ministranten machen lange Gesichter. Draußen, auf dem Friedhof, da gibt's ja die reich geschmückte Grabstätte für "die Pfarrgeistigkeit". Wahrscheinlich sollte man die sich floristisch mal zum Vorbild nehmen. Nun zieht der Pfarrer eine Mütze auf, steigt auf die Kanzel und predigt kurz und kryptisch. Ein Landwirt stöhnt in Reihe zwölf: "Das hat sich heut' aber wirklich ned rentiert!"

Martin Zips

SZ vom 12. Juni 2015

Beating the Retrat - 200 anniversary of the Battle of Waterloo

Quelle: dpa

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Mitten in ... Waterloo

Briten erinnern sich gerne an französische Niederlagen. Bei der Beating-Retreat-Parade in Whitehall wird deshalb dieses Jahr der Schlacht von Waterloo gedacht. Das Musikkorps der Bundeswehr darf auch mitmachen, stellvertretend für die Preußen. Neben Blaskapellen-Choreografien sind viel Kanonendonner und Highland-Tänze geboten. Ein Zuschauer mit Regimentskrawatte pfeift dazu und trommelt alle Märsche auf den Schenkeln. Als die Kapelle der Household Cavalry unter der Leitung von Major Craig Hallatt angekündigt wird, gibt es kein Halten mehr: "Wow!", schreit der Marsch-Fan. "Craig Hallatt! Der ist der Beste!" Jedes musikalische Universum hat Superstars, denkt man da: Die einen rasten aus, wenn Kanye West oder AC/DC auftreten, die anderen, wenn Major Hallatt hoch zu Ross "Vivat Regina" dirigiert.

Alexander Menden

SZ vom 12. Juni 2015

Bischöfin Käßmann betrunken am Steuer

Quelle: Peter Steffen/dpa

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Mitten in ... Herrnhut

Die Kleinstadt Herrnhut liegt in Randsachsen, eingekeilt im Niemandswinkel zwischen Polen und Tschechien. Dass sie sich dort gehalten hat, und das durchaus wacker, liegt an zwei sogenannten Standortfaktoren. Es gibt die Herrnhuter Sterne, die als großgezoomte Leuchtmoleküle in vielen Wohnzimmern der Welt von Tokio bis Torgau hängen. Und es gibt die Brüdergemeinde, vor deren Kirchensaal an einem Frühlingssamstag eine Gruppe Busrentner ausgeladen wird. Einer von ihnen fragt bei der Führung: Bekommen Sie den Saal denn noch gefüllt? Gewiss, sagt die Vorsteherin, und sie berichtet sogleich von den zwei höchsten Feiertagen in diesem Jahr. Am Ostersonntag, zur Auferstehung, da seien die Bänke stets voll bis zum Rand. "Und wir hoffen, dass der Saal auch am Montag voll wird." Am Montag? "Ja, da kommt Margot Käßmann."

Cornelius Pollmer

SZ vom 5. Juni 2015

ASEM 9 meeting in Vientiane, Laos

Quelle: Rungroj Yongrit/dpa

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Mitten in ... Thakhek

An diesem Mann kommt keiner vorbei. Er entscheidet, wer von Laos nach Thailand ausreisen darf und er entscheidet, wer bleiben muss. Ich zum Beispiel. Halb Bürokrat, halb Machtmensch bringt er die Situation knapp auf den Punkt: "problem, big problem". Immer wieder zieht er den Pass durch das Lesegerät, immer wieder verhöhnt mich ein penetranter Piepton. Während die Schlange vor dem Schalter immer länger wird, versammeln sich in dem winzigen Grenzposten immer mehr Beamte. Habe ich mein Visum überzogen? Oder hat der Hostel-Besitzer mich als Drogenschmuggler missbraucht? Jedenfalls: big problem. Nach einer halben Stunde Warteschleife und Beratungen lacht der Bürokrat plötzlich laut auf, er hat den Schuldigen gefunden. Er zeigt auf das Lesegerät und ruft: "Made in Germany". Dann bin ich frei.

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 5. Juni 2015

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Quelle: Alessandra Schellnegger

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Mitten in ... Berlin

Oft wird beklagt, wie egoistisch die Menschheit geworden ist, dass alle nur auf sich schauen. Nicht so in Berlin, besser gesagt: in einem Berliner Fahrradladen. Da schiebt man eines Tages das Rad hin, zerschnittene Bremsseile, zertrümmerte Schaltung. Die Reparatur ist dringend, da die Bahn streikt, man morgens zur Arbeit will und das Kind zur Kita. Der Mann im Laden hört sich das alles unbeeindruckt an, dann sagt er, dass die Reparatur eine Weile dauern werde. Eine Woche, wegen der vielen Arbeit, die er hat. Ob das gegen einen Aufpreis vielleicht schneller gehe, fragt man, egoistisch, wie der Mensch nun mal ist. "Nee, du", sagt der Mann. "Ditt würde nur den Bonzen helfen." Man verlässt den Laden mit dem Wissen, erst einmal sehr oft zu spät zu kommen. Aber auch mit dem Gefühl, es den Bonzen wieder mal so richtig gezeigt zu haben.

Verena Mayer

SZ vom 5. Juni 2015

Restoration of victims of eruption's molds

Quelle: Cesare Abbate/dpa

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Mitten in ... Pompeji

Im Amphitheater von Pompeji steht seit Kurzem eine Pyramide aus Sperrholz, in der zwanzig Sterbende in Gips ausgestellt sind, gegossen aus den Hohlformen, die ihre Körper in der Asche des Vulkanausbruchs zurückließen. Zweitausend Jahre nach dem Tod jener Menschen bieten ihre Körper noch immer einen schrecklichen Anblick. Jetzt werden Schulklassen vorbeigeführt, eine große Gruppe von Neunjährigen zum Beispiel. Sie tragen alle die gleichen grünen Baseball-Kappen und haben den Raum noch nicht betreten, als sie die Handys vor das Gesicht reißen, um die verkrümmten Gestalten auf dem Boden zu fotografieren. Damit hören sie erst auf, als sie wieder draußen sind. Keiner von ihnen hat etwas mit bloßem Auge gesehen. Die Sache selbst ist nichts, lässt sich daraus lernen, ihre Repräsentation alles. Das gilt von Kindesbeinen an.

Thomas Steinfeld

SZ vom 5. Juni 2015

Mad Max, Charlize Theron als Furiosa

Quelle: Still aus dem Film "Mad Max: Fury Road", Warner, 2015

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Mitten in ... Köln

Nach der zweiten Ansicht von "Mad Max: Fury Road". Diesmal lieber nicht selber Auto fahren. Die Erinnerung an die Fahrt mit durchgedrücktem Gaspedal nach dem ersten Kinobesuch ist noch zu frisch. Stattdessen fährt die Ehefrau, sie bremst widerwillig, während sie vom atemlosen Tempo des Films schwärmt, von den irren Stunts, den kaum kaputtbaren Autos und der umwerfenden Charlize Theron, die als Imperator Furiosa hoch oben in ihrem Tanklastwagen thront. Als endlich freie Autobahn ist, ertönt ein Signal, mit dem rechten Hinterreifen stimme etwas nicht. Tatsächlich: Er ist platt - ein einziger Nagel hat gereicht, um die Luft rauszulassen. Nach einer Stunde kommt der Abschleppdienst. Der Fahrer lädt das Auto auf, bittet uns in seine Kabine, hoch oben, es fühlt sich so imperial an wie auf dem Wagen von Furiosa. Na ja, fast.

Milan Pavlovic

SZ vom 29. Mai 2015

Inside The Auto Shanghai 2015 Motor Show

Quelle: Bloomberg

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Mitten in ... Hangzhou

Ferien. Klingt gut, das Wort? Wahrscheinlich, weil Sie nicht in einem Land leben, in dem 1,3 Milliarden Menschen gleichzeitig in Ferien geschickt werden, sich gegenseitig von der Großen Mauer schubsen und um das gleiche Hotelzimmer kloppen. Hangzhou, eine Pension am Stadtrand. Ein kleines Idyll: Frühstück im Hof unter Bäumen, Vögel zwitschern. Am Nebentisch eine Architektin aus Tianjin, auf Dienstreise genau wie ich. Ein Hahn kräht. "Ach", seufze ich gedankenverloren: "Fast wie Ferien hier." Sie verschluckt sich fast an ihrem Reisbrei. "Nein!", ruft sie, und noch mal: "NEIN!" Die Augen sind mit einem Mal schreckensgeweitet, als sehe sie sie vor sich: lärmende Urlauberhorden, die durchs Land wälzen und Ruhe und Frieden unter sich begraben. Sie fasst sich wieder, lächelt, dann korrigiert sie: "Wie Ferien in Europa."

Kai Strittmatter

SZ vom 29. Mai 2015

Wie europäisch ist Europas Kultur?

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Neapel

Die Wirtin heißt Maria. Sie betreibt eine kleine Trattoria am ehemaligen Fischmarkt von Neapel, am Rande des "centro storico". Die Altstadt von Neapel soll seit Jahrzehnten saniert werden, daraus ist nicht viel geworden. Maria schlägt sich mit der alten Kundschaft durch, und mit marinierten Sardinen, Spaghetti mit Miesmuscheln und gegrillten Doraden. Im Lokal wird geraucht. Die meisten Gäste kommen und gehen schnell, sie essen nur eine Portion Nudeln. Am Eingang hängt die stark vergrößerte und vergilbte Kopie einer Empfehlung, die in einer ADAC-Mitgliederzeitschrift stand, ohne Datum. Wie sie dahin kam? Auf verschlungenen Wegen, über ein Kamerateam, das vor Jahren das authentische Neapel suchte. Seitdem hofft Maria, dass das Team wiederkommt - und mit ihm alle Zuschauer des deutschen Fernsehens.

Thomas Steinfeld

SZ vom 29. Mai 2015

Hippie-Hochzeit in Berlin

Quelle: SZ Photo

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Mitten in ... Berlin

Es gibt einen Teil der Hauptstadt, der nicht jung und wild ist, sondern nur "altes Westberlin" genannt wird. Wohin man schaut: ältere bis sehr alte Leute. Sie spazieren über den Ku'damm, kaufen im KaDeWe ein oder sitzen in der Sonne vor dem Café Lentz . Wie die beiden weißhaarigen Männer, die sich schon seit Stunden darüber unterhalten, wie das Leben früher war. Der eine: "Erinnerst du dich an die Institutsbesetzung, 1968, großer Hörsaal?" Der andere nickt, und der erste zeigt auf einen jungen Mann, der am Café vorbeigeht. Dichter Vollbart, Stoffbeutel, der typische Berliner Hipster. "Genauso haben wir damals ausgesehen." Die beiden Greise gucken dem vollbärtigen jungen Mann nach, nicken. Seufzen. Und dann liegt da plötzlich was in der Luft, eine wehmütige Erinnerung an das Gestern: Sogar das alte Westberlin war mal jung und wild.

Verena Mayer

SZ vom 29. Mai 2015

File pictures shows thousands of padlocks clipped by lovers on the fence of the Pont des Arts over the River Seine in Pari

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Paris

Am Himmel über der Seine treiben graue Wolken, eine Böe fegt über die Fußgängerbrücke zwischen Quai d'Orsay und Tuilerien-Garten. Der Straßenhändler friert, als er dem Pärchen aus Amerika ein Vorhängeschloss reicht. Er hebt fünf Finger: "Five Euros." Dafür macht der Mann aus Indien dann auch das Foto vom Liebesakt der US-Touristen: "Klick", nun hängt ein "Love Lock" mehr am Geländer der Brücke. Selig blicken seine Kunden gen Louvre, als Zeichen der Treue werfen sie den Schlüssel in den Fluss. Als die Kunden weg sind, erzählt der Inder, wie sehr er den Job hasst: Zwölf Stunden Maloche für 60, mal 90 Euro, dazu die Razzien der Polizei. "In den USA wär's für mich leichter", sagt er, "aber ihre blöden Schlösser hängen die Amerikaner nun mal hier auf." Er nimmt Paris in Kauf, mit Achselzucken: "Das ist der Preis der Globalisierung."

Christian Wernicke

SZ vom 22. Mai 2015

Schwimmbecken

Quelle: dpa

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Mitten in ... Bad Bertrich

Zum ersten Mal im Leben besucht man eine Therme, und gleich eine mit Tradition. In Bad Bertrich in der Eifel pflegten schon die Römer heilzubaden. Heute sieht man auf den Liegestühlen vor allem Pensionisten, die Erholung suchen, Ruhe - und Ordnung. Eine betagte Dame im grünen Einteiler weist die Neue knapp und bestimmt an, die Gummischuhe nicht direkt neben die Stufen zum Becken zu stellen: "Geht gaaar nicht." Man will sich nicht zanken in der stillen Halle und stellt die Schlappen einen Meter weiter weg. Vielleicht, denkt man sich versöhnlich, hatte die Seniorin nur Sorge, dass andere über das Schuhwerk stolpern könnten. Von wegen. Flugs schlüpft die Dame selbst aus ihren Schuhen und stellt sie genau dort ab, wo es nach ihren Worten gaaar nicht geht. Dann steigt sie leise lächelnd ins Wasser. Die Dame in Grün muss Stammgast sein.

Susanne Höll

SZ vom 22. Mai 2015

Taschendiebstahl

Quelle: dpa

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Mitten in ... Athen

Der Taschendieb, einer von Hunderten, die in der Metro ihr Unwesen treiben, macht einen Fehler: Er lässt sich erwischen. Sein Opfer ist eine junge Chinesin, Teil einer Gruppe junger Chinesinnen, die am Syntagma-Platz aus der U-Bahn steigen. Sie kreischen los. Der Dieb murmelt etwas, vermutlich leugnet er. Die Mädchen hängen sich an seine Arme. Der Dieb, ein kräftiger junger Mann, versucht sich freizumachen, brüllt, hebt die Arme - die resoluten Chinesinnen baumeln in der Luft, lassen sich aber nicht abschütteln. Immer mehr Athener strömen jetzt auf den Bahnsteig, sie sind sich einig: Der Dieb soll das Portemonnaie herausrücken. Schimpfend bilden sie einen Ring, vierzig Leute, alle schreien. Wie eine Amöbe schiebt sich das Knäuel über den Bahnsteig. Mittendrin der Dieb, kaum mehr zu sehen. Fast tut er einem ein bisschen leid.

Luisa Seeling

SZ vom 22. Mai 2015

kabylie comm moration

Quelle: AFP

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Mitten in ... Agadir

Freundlichkeit ist auf der Welt nicht gleich verteilt. Oder, vorsichtiger ausgedrückt: In unterschiedlichen Kulturen wird sie Fremden gegenüber mehr oder weniger offen zum Ausdruck gebracht. Wenn man aus dem Moskauer Winter kommt, wo sich die Menschen gern in ihre Wohnungshöhlen zurückziehen, die Straße nur verhüllt betreten und Blickkontakt mit Unbekannten meiden, wirkt es daher geradezu beglückend, im Urlaub überall auf der Straße von Fremden heiter begrüßt zu werden. Fernfahrer winken, runzlige Alte zeigen grinsend ihre verbliebenen drei Zähne, kleine Kinder wünschen Bonjour und fragen: Ça va? Aber dass der Klo-Mann, während man vor dem Pissoir der Flughafentoilette steht, vorbeikommt und ermunternd den Daumen hoch hält, das wirkt auf den gehemmten Europäer dann doch leicht irritierend.

Julian Hans

SZ vom 22. Mai 2015

An Oscar statue is seen at the nominations announcement for the 87th Academy Awards in Beverly Hills, California

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Amsterdam

Die Treppe, die hinaufführt in das Zimmer, in dem sich das jüdische Mädchen Anne vor den Nazis versteckte, knirscht und knarzt. Altes Holz hat eine Melodie, sie begleitet den Besucher durch die Prinsen-gracht 263. Das Anne-Frank-Haus ist voll, viele Menschen machen Lärm, so ist das eigentlich. Aber hier ist es anders: Man schweigt an dem Ort, der für Anne Frank Zuflucht war und am Ende Verhängnis. Sogar die deutschen Zehntklässler dort drüben reden nicht, sie flüstern nur. Da ist kaum mehr als Knirschen und Knarzen. Dann steht in einer Vitrine der Oscar, den die Schauspielerin Shelley Winters 1959 für "Das Tagebuch der Anne Frank" erhielt. Winters hat ihn einst dem Museum überlassen. An der Vitrine endet die Stille. Eine Schülerin quiekt entgeistert: "Wie krass ist die Alte? Ich schenk' doch meinen Oscar nicht her!"

Roman Deininger

SZ vom 15. Mai 2015

Images Of Vending Machines As Japan Sales Tax Increase Looms

Quelle: Bloomberg

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Mitten in ... Nikko

Hotelsuche in der japanischen Provinz. Die Herberge versteckt sich irgendwo im Nirgendwo, der Hotelsuchende kann die Straßenschilder nicht entziffern, die Getränkevorräte sind aufgebraucht. Durst! Die Rettung: Getränkeautomaten. Es ist freilich ein Klischee, dass diese Automaten in Japan an jeder Straßenecke stehen. Tatsächlich stößt man alle zehn Meter auf einen, in Supermärkten, neben Tempeln, an Kreuzungen, sogar auf dem Vulkan Fuji. Das ist äußerst praktisch. Der Hotelsuchende benötigt etwas länger, bis er am Ziel ist, kann aber unter keinen Umständen verdursten. Die Auswahl am Automaten reicht von Orangensaft über Grüntee und Pflaumensaft bis hin zu Joghurt-Drinks und heißem Kaffee - aus der Dose. Nicht immer zahlt sich Experimentierfreude beim Kauf aus. Macht nichts. In zehn Metern wartet der nächste Automat.

Johannes Knuth

SZ vom 15. Mai 2015

Historische Karte von Jamaika

Quelle: George F. Cram/Gemeinfrei

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Mitten in ... Kingston

Postkarten gibt es noch in Jamaikas Hauptstadt, aber Landkarten sind aus. Im ersten Buchladen hatten sie keine, im zweiten auch nicht, im dritten sagt die Dame an der Kasse: "Hier gibt's nirgends welche." Gibt's ja nicht, dass es in einer ganzen jamaikanischen Hauptstadt keine einzige Landkarte gibt, auf der man sich mal in Ruhe anschauen kann, wie weit zum Beispiel Nine Mile von Kingston entfernt liegt. Sei aber so, sagt die Dame an der Kasse, "seit zwei Jahren schon". Seit zwei Jahren? "Ja, da haben sie irgendwie die Straßen umgebaut, die alten Landkarten haben nicht mehr gestimmt. Und die neuen sind noch nicht da." Mit großer Gemütlichkeit rechnet die Kassen-Dame die Postkarten ab. Immerhin hat sie eine Erklärung dafür, dass die neuen Jamaika-Karten noch nicht da sind. "Ich habe gehört, die sollen aus China kommen."

Thomas Hahn

SZ vom 15. Mai 2015

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Quelle: Stephan Rumpf

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Mitten in ... München

Endlich Fahrradwetter, besser gesagt: keine Ausreden mehr, warum man die sechs Kilometer in die Stadt lieber luschig in der S-Bahn zurücklegt. Weitere gute Vorsätze: regelgerecht und in angemessenem Tempo radeln, um am Ende nicht wieder verschwitzt im kühlen Kino zu sitzen. Nach wenigen Metern schneidet mich brutal ein Lkw. Bei der Vollbremsung höre ich im Hinterkopf eine schöne, blonde Frau, die mich mahnt, doch bitte einen Helm zu tragen. 300 Meter weiter zwingt mich ein Scherbenmeer abzusteigen und das Rad zu tragen. Fünf Minuten später schert eine Radlerin urplötzlich zur Seite aus, sodass ich sie voll ramme. Noch im Fallen entschuldigt sich die Dame, immerhin. Nach vier weiteren Fast-Kollisionen mit Kindern, Passanten und nachlässigen Autofahrern erreiche ich mein Ziel. Das T-Shirt ist völlig durchnässt.

Milan Pavlovic

SZ vom 15. Mai 2015

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Quelle: Grasshoff

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Mitten in ... Bagan

Endlich raus, runter von der Ich-Bühne, rein ins analoge Leben: In dieser Erwartung waren die zwei Europäerinnen nach Myanmar aufgebrochen - und schon am dritten Urlaubstag ist der Touristenkitsch perfekt; die Sonne thront über den goldenen Pagoden der historischen Königsstadt Bagan, die zwei Frauen erklimmen einen Tempel, ziehen ehrfürchtig an den Mönchen vorbei, setzen sich auf den warmen Steinboden, feixen über Chinesen mit Selfie-Stangen. Dann steht der erste Mönch mit Smartphone vor ihnen: "Picture" - das ist ein Befehl. Sie gehorchen. Dann kommt der zweite, der dritte, der zwanzigste. Die Frauen werden hin- und hergeschoben, in die Mitte, vor das Tablet, auf die Mauer, bitte etwas mehr lächeln - ja so ist gut. Okay, denken sich die Europäerinnen, das mit der Ruhe war ja auch irgendwie eine uncoole Idee.

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 8. Mai 2015

Heather Wood

Quelle: ASSOCIATED PRESS

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Mitten in ... Hamburg

So nett, dieses Hamburg. Auf dem Weg zum Joggen an einem der zahlreichen Schönheitssalons vorbeigekommen, darin Frauen hinter dem Schaufenster auf einer Art gynäkologischem Stuhl sitzen gesehen. Sie hatten die Füße in bequemer Haltung nach oben gelegt und ließen sich die Fußnägel lackieren. Manche tranken Champagner und blätterten behaglich in Zeitschriften. Weiter gelaufen, zur Außenalster. Dort: Eine Hochzeitsgesellschaft mit mehreren Sportwagen (gehört sich in dieser Gegend) und einer blütenweißen Riesenlimousine schießt launige Fotos und versperrt dabei recht selbstverständlich die Straße; sehr wahrscheinlich geht es danach dann zum Hubschrauber und nach Sylt. Weiter gelaufen, dabei kommt dieser Gedanke: So nett, dass die Hamburger uns Durchschnittsmenschen bei sich wohnen lassen.

Peter Burghardt

SZ vom 8. Mai 2015

Kampf um Münchner Weißwurst

Quelle: dpa

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Mitten in ... New York

Die Neue Galerie an der Fifth Avenue: in ihr mal wieder die ganze Welt. Im Erdgeschoss hat der New Yorker Milliardär Ronald Lauder seinem verstorbenen Freund Serge Sabarsky, einem heimwehgeplagten Exil-Wiener, ein Kaffeehaus namensgewidmet. Stilecht ist die Fin-de-siècle-Einrichtung mit Möbeln des Tschechen Adolf Loos und Bösendorfer-Flügel. Auf der Karte stehen Kandinsky und Mozart als Sahnetortenkunstwerke, Erdäpfelgröstl mit Speck, kleine und große Braune; alles, was die österreichische Kaffeehauskultur hergibt. Ein Paar aus Indien bestellt Weißwürste, die auch an der Upper Eastside mit warmen Brezen und original Händlmaier-Senf aus Regensburg serviert werden. Zu trinken? Die Inder beraten, dann: doch kein Hefeweizen aus Aying, sondern Assam Black Tea. Der Ober, ein Mexikaner, verzieht keine Miene.

Jutta Czeguhn

SZ vom 8. Mai 2015

Visitor looks at a corpse in a coffin in the crypt under Mchaelerkirche in the centre of Vienna

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Wien

Die Michaelerkirche gegenüber der Hofburg. Eine resolute Seniorin, frisch frisiert und hübsch geschminkt, sperrt eine Seitentür auf. Es geht steil hinunter, in die Gruft. "Ich liebe diesen Ort", sagt sie. "Wie ein zweites Wohnzimmer." Hunderte Särge, Tausende Knochen. "Schauen Sie, wie schön die Oberschenkel geordnet sind!" Tatsächlich. "Sie stehen gerade auf 2,50 Meter hohem Knochenstaub von Tausenden Leichen." Keuch. "Alle Schädel sind echt. Sehen Sie mal diese schöne Mumie hier." Früher war die Seniorin medizinisch-technische Assistentin. Hämatologie, Immunologie, Mikrobiologie. Jetzt kümmert sie sich um die Toten. Ihr größter Wunsch? Dass die Nebengrüfte endlich auch geöffnet werden. Noch mehr Särge, noch mehr Knochen. "Wenn ich das nur noch erleben dürfte!" Den Tod erleben - in Wien war das noch nie ein Widerspruch.

Martin Zips

SZ vom 8. Mai 2015

Zeitumstellung

Quelle: dpa

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Mitten in ... Kairo

Nahezu das Erste, was Ägypten nach der Revolution 2011 abgeschafft hat, war die Sommerzeit. Vergangenes Jahr, nach offizieller Lesart eine Revolution weiter, stellte die Regierung die Uhren wieder vor, um sie wenig später für den Fastenmonat Ramadan zurückzudrehen. Das Chaos war perfekt. Dieses Jahr sollte am 24. April die Sommerzeit beginnen - doch als Premier Mehleb Volkes Stimme per Umfrage vernommen hatte, sah man davon kurzfristig ab. Zu kurzfristig für Apple, Google und andere. Deren Smartphones und elektronische Kalender sind seither der Zeit stets eine Stunde voraus. Im Improvisieren sind Ägypter groß, doch lässt sich das Terminmanagement nicht übertölpeln. Stellt man die Zeitzone um, transferiert das automatisch alle Verabredungen. Jetzt bimmelt es also immer zu früh - was aber keinesfalls zu mehr Pünktlichkeit führt.

Paul-Anton Krüger

SZ vom 30.4.2015

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Quelle: privat

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Mitten in ... Tama

Gewöhnliche Schriftsteller spazieren nicht mit einer Privatarmee in ein Militärgebäude, nehmen einen General gefangen, halten eine Ansprache und begehen dann Seppuku, rituellen Selbstmord. Yukio Mishima war in diesem Sinne kein gewöhnlicher Schriftsteller. "Wir dürfen nicht verraten, wo das Grab ist", sagt der Friedhofsverwalter, ein älterer, sehr freundliche Herr, in Tama, dem größten Friedhof Japans, der keine Stunde, aber Welten weit weg von Tokio liegt. Vögel zwitschern, Bäume rascheln. In der Ferne der Fuji. Kaum sind seine Kollegen beschäftigt, flüstert er die Wegbeschreibung. Am Grab steht bereits ein junges Paar. Das Mädchen holt Räucherstäbchen aus ihrem Rucksack, der wie ein Teddy aussieht, holt, beide verbeugen sich vor dem Grab. Auf dem Rückweg trifft man bereits auf die nächsten Fans. Der Verwalter ist offenbar ein Fan.

Johannes Boie

SZ vom 30.4.2015

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Quelle: AFP/HO

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Mitten in ... Mailand

Mailand im Expo-Fieber, am Autobahnring weist eine Phalanx bunter Schilder den Weg. Nach Stadera wird es da kaum Besucher verschlagen. Wohnsilos, schäbige Seitenstraßen: Der Bezirk gilt als quartiere problematico. An einem lauen Aprilabend ist davon nichts zu spüren. Vor einem vollgestopften Lebensmittellädchen zupft ein Afrikaner an seiner Gitarre, eine Gruppe arabischer Jungs debattiert mit drei Carabinieri. Und der Clou im Motel Autosole: Wandhohe Fototapete "Rio by Night", das Kopfteil am Bett bekränzt von einer Lämpchen-Girlande. Ob sich das brasilianische Gefunkel abschalten lasse für die Nacht? "Certo, signora", der Portier eilt aufs Zimmer. Und am Morgen gibt es flaumigste Hörnchen, cornetti, beim marokkanischen Bäcker um die Ecke. Die halbe Welt in einem Viertel - wer braucht da eine Weltausstellung?

Anne Goebel

SZ vom 30.4.2015

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Quelle: AFP

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Mitten in ... München

Reisen mit der Bahn kann kompliziert sein. Dauernd muss man irgendwo umsteigen, das richtige Gleis ist selten in der Nähe, und dann gibt es noch Züge, deren Vorderteil in die eine Stadt fährt und das Hinterteil in eine andere. Mit Flugzeugen dagegen: kein Problem. Oder? Steht eine Dame aus Tschechien an den Bushaltestellen vor dem Münchner Flughafen: Wo der Bus mit der Nummer drei sei, der Richtung Morzinplatz? Ein Blick auf den Ausdruck in ihrer Hand: Vienna Airport Lines. Bedeutet Vienna nicht Wien? Es wird ein Gespräch ohne deutsche oder englische Sprache, da die Dame beides nicht versteht. Irgendwann steht fest: Hier ist nicht Wien. Hier ist München. Man kümmert sich, bucht einen Flug nach Wien für den nächsten Morgen und reicht der Gestrandeten ein Kopfkissen. Am Ende die Feststellung: München ist auch ganz nett.

Elena Adam

SZ vom 30.4.2015

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Rio

Samstags um 10.30 Uhr ist in Rios Sportkneipen Bundesliga-Zeit. Ein brasilianischer Sender überträgt jede Woche eine ausgewählte Partie. Die Wahl fällt eigentlich immer auf Bayern. Wer Abwechslung mag, kann sich damit trösten, dass Bayern jede Woche gegen einen anderen Gegner spielt. Zuletzt war Hoffenheim dran, der Klub von "Dschietma Hoppi", wie der Kommentator zu berichten wusste. Er informierte sein Publikum auch darüber, dass einer der Hoffenheimer Spieler wie eine beliebte deutsche Nachspeise heiße. Es ging um Tobias Strobl. Bei der Nachspeise handelte es sich um "O Apfelstrobl". Der Co-Kommentator ergänzte, in Dortmund gäbe es auch einen Spieler, der nach einem Dessert benannt sei. Er meinte Schmelzer. "So etwas", rief der Chefreporter mit aufrichtiger Bewunderung, "gibt es wirklich nur in Deutschland!"

Boris Herrmann

SZ vom 24. April 2015

Stadtansicht Baden-Baden

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Baden-Baden

Ein Mann steht im Park, in der Sonne, die mild durch Kastanienzweige fällt, er hält einer schönen blonden Frau die Hand. "Ach, Berlin, ich werd' noch depressiv hier", sagt er. Nicht zu der blonden Frau an seiner linken Hand. Sondern in das Handy in seiner rechten. "Ach, Schatz, alles grau in grau. Wenn bei uns Frühling ist, ist hier noch Winter." Er schließt die Augen. "Wind? Ja, furchtbar, Wind ist auch." Der Mann ist Anfang fünfzig, die Frau vielleicht dreißig, sie trägt Sonnenbrille. "Zwei Tage noch Scheiß-Berlino, dann geht's heim, dann holen wir schön den Grill raus." Ein süßer Vogel landet zu seinen Füßen. "Kuss, Schatz, Kuss", sagt der Mann. Nicht zu der blonden Frau. In sein Handy. Er steht im Park, in der Sonne, die mild durch Kastanienzweige fällt, er hält dieser schönen blonden Frau die Hand. Nicht in Berlin. Sondern in Baden-Baden.

Roman Deininger

SZ vom 24. April 2015

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Kapstadt

Von der Fußball-WM 2010 hat Kapstadt eine für afrikanische Städte herausragende Errungenschaft behalten: ein öffentliches Bus-System. Es gibt Fahrpläne und sogar eine Hotline, die man anrufen kann, wenn wochenlang die Fahrer streiken. Die Menschen dort erklären einem ausgesucht freundlich, dass sie leider auch nicht wissen, wie groß die Verspätungen sein werden. Inzwischen läuft der Betrieb wieder. Diese Woche, an einem der Umsteige-Terminals: Der Fahrer macht den Motor aus, und ehe er aussteigt, sagt er etwas zu den zwei an der Tür sitzenden Damen, höflich und sehr leise, erst beim dritten Mal verstehen ihn die Damen: "I'm going to pee". Der Fahrer muss pinkeln, die Weiterfahrt verzögert sich um wenige Minuten. Soll keiner sagen, die Busgesellschaft ignoriere die Forderungen nach einer transparenteren Informationspolitik.

Tobias Zick

SZ vom 24. April 2015

PANORAMA
Mitten in

Quelle: Christian Mayer

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Mitten in ... München

Samstagnachmittag. Ein Volleyballspiel in einer Schule in Obergiesing, die elfjährige Tochter ist mäßig interessiert. Sie trinkt eine Apfelschorle, dann muss sie aufs Klo. Und kehrt lange nicht zurück. Hat sie den Weg durch den dunklen Gang nicht mehr gefunden? Schließlich steht sie aufgeregt am Spielfeldrand: "Ich brauch' mal dein Handy." Nach einer Viertelstunde ist sie wieder da, mit einer Reportage des Grauens. Auf dem Display ist die gesamte Misere des Münchner Schulwesens dokumentiert: verschmutzte und baulich desolate Toiletten, in denen die Seifenspender fehlen; seltsame Löcher im Mauerwerk; zertrümmerte Leuchtkörper; Türen mit obszönen Graffiti; ein Feuerlöscher, der aus Sicherheitsgründen in einer Plastikfolie steckt. Meine Tochter hat nur noch eine Frage: "Sag mal Papa, wurde hier ,Fack ju Göhte' gedreht?"

Christian Mayer

SZ vom 24. April 2015

Beijing Encounters Sand And Dust

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Peking

Gestern war mal wieder Ende der Welt. Ende der Welt kommt in Peking in zwei Farbspektren: Milchiggrau bis Höllenschwarz, das ist die gruselige Variante, wegen des Gifts in der Luft. Dann lieber Orange bis Wüstengelb, so wie gestern. Da ist dann zwar von vornherein nix mit Luftholen (oder mit Riechen, Hören, Sehen), weil der Sand Nase, Rachen, Ohren und Augen verstopft. Und doch ist mir das, was Weltuntergänge angeht, der liebere. Wenn sich nämlich die Wüste Gobi über Peking entleert, dann heißt das immer auch: Winter ade! Es ist jedes Jahr das Gleiche. Die Magnolien knospen, die fliegenden Händler verkaufen mit einem Mal Ananas von der Insel Hainan, die Nachbarn im Hutong wechseln für den Spaziergang in den unwattierten Pyjama - aber erst wenn der erste Sandsturm Peking verschluckt, weiß man: Der Frühling ist da!

Kai Strittmatter

SZ vom 17. April 2015

Sieg für Elefanten - kein Elfenbeinverkauf

Quelle: dpa

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Mitten in ... Savuti

Späte Regenzeit in Botswana, im Okavango-Delta sind die Pisten jetzt Flüsse. Wir waten testweise durch hüfttiefe Pfützen, das Wasser steigt bald bis zum Türgriff des Jeeps, lässt den Motor gurgeln, schwappt über die Windschutzscheibe, immer und immer wieder. Sechs Stunden für 70 Kilometer. Dann ist das Savuti-Camp in Reichweite, und davor steht mit monströsem Beharrungsvermögen: eine Herde Elefanten. Nur ruhig, fahren wir halt langsam weiter, werden schon weglaufen. Sehr richtig, der Leitbulle stellt die Ohren auf und läuft - auf uns zu. Eine missliche Situation, da wir gerade zwei Holländer abschleppen, deren Motor im Schlamm ersoffen ist. Rückwärtsgang also keine Option. Aussetzender Herzschlag. Dann stoppt er. Als Einflugschneise ins Savuti nutzen wir am Ende die Landebahn, auf der eine einzelne Giraffe die Abendsonne genießt.

Tanja Rest

SZ vom 17. April 2015

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Quelle: AFP

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Mitten in ... New York

Oft und eindringlich warnen die New Yorker Behörden auf Plakaten vor den schweren Unfällen, die dadurch zustande kommen, dass die Leute beim Laufen pausenlos in ihre Smartphones starren, statt auf den Verkehr zu achten. Vielleicht hätten die Behörden ja mehr Erfolg, wenn sie einem die Warnungen demnächst mal aufs Telefon schicken würden. Vielleicht wäre sogar eine App profitabel, die einem den Verkehr unmittelbar um einen herum anzeigt . . . Und während man beim Gehen so darüber nachdenkt und kurz aufblickt, natürlich mit Dollarzeichen in den Augen, sieht man: zu spät, Digitalität ist leider von gestern. Denn wohinein ist dieses modelmäßig gut aussehende Hipster-Mädchen da vertieft, mitten im Greenwich Village, dem alten Avantgardistenviertel, beim strammen Marsch über die Sixth Avenue? Ins Stricken.

Peter Richter

SZ vom 17. April 2015

Unwetter - Sturm an der Nordsee

Quelle: dpa

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Mitten in ... Rügen

Irgendwann ist dieses Gefühl da, dass sich einem jeden Augenblick der Magen umdrehen könnte. Der Kutter schaukelt nur sanft bei dieser nächtlichen Ostsee-Ausfahrt mit den Heringsfischern von Sassnitz. Aber als herkömmliches Stadt-Ei ist man halt empfindlich, wenn der Boden schwankt. Bloß nichts sagen, dann fliegt die Übelkeit sicher schnell vorbei und keiner merkt was. Wobei es bestimmt keine Schande ist, seekrank zu sein. Ein Wissenschaftler sagt, er habe schon Fische kotzen gesehen, wenn sie nach dem Fang in kleinen Boxen an Bord schwammen. Der Kapitän erklärt, bei der ersten Fahrt nach längeren Phasen an Land werde ihm auch schon mal schlecht. Alles ganz normal. Und jeder reagiere eben anders auf den Seegang, fügt der Matrose hinzu. Wie reagiert denn er? "Wenn es zu doll wird, krieg ich Hunger."

Thomas Hahn

SZ vom 17. April 2015

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Quelle: Kai Strittmatter

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Mitten in ... Taipeh

Ich weiß nicht, wie Sie die letzte Woche verbracht haben. Ich wollte mein Parkticket bezahlen, einen Jeton eigentlich. Dann stand da dieser Automat. Ich habe Erfahrung mit Automaten. Ich habe es sogar einmal geschafft, im Hotel in Taipeh auf die Toilette zu gehen, ohne mir vom blinkenden Klodeckel den Unterleib massieren, föhnen und vorgaren zu lassen. Aber dieser Parkautomat, puh. In der Hand hielt ich den Plastikjeton, der Automat hatte allerdings drei Schlitze und drei Münder und ein Keyboard und sage und schreibe 16 angeklebte Hinweiszettel in allen Farben, lose verbunden durch einen Wald roter Pfeile. So stelle ich mir den Schaltplan meines iPhones vor, bloß mit weniger Rostflecken. Ich hob also die Rechte mit dem Jeton und versuchte, den Pfeilen zu folgen, systematisch. Ich tue das bis heute, diesen Text hier schreibt meine Linke.

Kai Strittmatter

SZ vom 10. April 2015

Lokführerstreik - München S-Bahn

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

In der S-Bahn zum Flughafen, kurz vor Englschalking, man hat also noch ein paar Stationen vor sich und die Zeit bis zum Abflug ist knapp kalkuliert. Da knarzt der Lautsprecher. Oh nein! Vorangegangener Notarzteinsatz, Signalstörung, man kennt das ja, jetzt wird es dauern. Aber der Fahrer hat anderes im Sinn: "Meine Damen und Herren, unsere Verspätung beträgt derzeit vier Minuten. Wenn sich die Fahrgäste, die aussteigen möchten, bitte dabei etwas beeilen würden, dann können wir vielleicht wieder etwas Zeit aufholen." Da horcht selbst die Rollkofferfraktion auf, im Waggon tauscht man nun Blicke. Der Zug hält an der Station, fährt wieder an. Kurz vor der Einfahrt in den nächsten Bahnhof dann erneut die Stimme aus dem Lautsprecher, diesmal ist es ein Triumph: "Meine Damen und Herren, unsere Verspätung beträgt drei Minuten."

Alexandra Borchardt

SZ vom 10. April 2015

Bier

Quelle: SZ

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Mitten in ... Chiang Mai

Es ist verdammt heiß. Selbst am Abend hat es hier in Nordthailand knapp 30 Grad. Ein richtig kaltes Bier käme jetzt gerade recht. Ein paar Straßen weiter findet sich endlich eine nette Bar. Doch als wir bei der Kellnerin bestellen, winkt sie freundlich ab: Leider sei heute ein buddhistischer Feiertag, wegen Neumond, Alkohol dürfe heute nicht ausgeschenkt werden, strenge Gesetze, sie bitte um Verständnis. Ein Blick auf die anderen Tische bestätigt: Die Gäste sitzen alle vor Limonadegläsern oder großen Kaffeebechern. Doch die Enttäuschung hält nicht lange an. Schließlich, erklärt die Kellnerin fröhlich, sei es ja möglich, Alkohol unsichtbar zu konsumieren. Unsichtbar? Sie zeigt auf die Kaffeebecher am Nebentisch: "Überall Bier drin." Die Tricks aus der amerikanischen Prohibition finden auch ein knappes Jahrhundert später ihre Nachahmer.

Viola Schenz

SZ vom 10. April 2015

Germany Hamburg Man driving classic cabriolet car model released PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxON

Quelle: imago/Westend61

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Mitten in ... Hamburg

Wenn zum Beispiel in Buenos Aires die Temperatur auf 15 Grad abstürzt, dann passiert Folgendes: Die Menschen kramen ihre Daunenjacken und Fleecepullis hervor. Wenn in Hamburg das Thermometer, sagen wir, neun Grad meldet, dann geschieht dieses Phänomen: Die beachtlich zahlreichen Besitzer von Cabrios klappen reflexartig ihre Autodächer zurück und fahren offen durch die Hansestadt, mit Sitzheizung. Andere Bewohner bevölkern in erstaunlichen Mengen die eilig geöffneten Straßencafés und tun so, als sei es mollig warm - man weiß ja nie, wann das nächste Tief aus Grönland eintrifft. Für Freitag sind unfassbare 19 Grad gemeldet, wahrscheinlich ziehen die Hamburger dann ihre Flipflops an und liegen im Freibad. Nicht auszudenken, wie freizügig das Reich an Alster und Elbe wird, wenn eines Tages der Sommer ausbricht.

Peter Burghardt

SZ vom 10. April 2015

Orchester spielen mehr für die Jugend

Quelle: dpa

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Mitten in...London

An der Trompete des ältesten Sohnes ist ein Ventil verbogen. Weil ein großer Auftritt - mit 2000 anderen Kindern - in der Royal Albert Hall ansteht, bringen wir sie zur Reparatur. Aber Phil Parker in Marylebone, zu dem wir bisher immer gegangen sind, hat zu. Umgezogen, verrät ein Zettel im Schaufenster. Schade, das Lädchen, vollgestopft mit Blechblasinstrumenten und exzentrischen Blechblas-Experten, war ein traditionelles Stück London. Nun residiert man in einem Neubau an der Hampstead Road. Beeindruckend ist es dort, mit langen Reihen gleißender Hörner und Trompeten. Trotzdem: "Warum seid ihr bloß umgezogen?", fragen wir. Der Techniker zeigt ins Schaufenster. Da steht ein zwei Meter hohes Kontrabass-Saxofon für 20 000 Pfund. "Das", sagt er, "haben wir im alten Laden nicht durch die Tür bekommen.

Alexander Menden

SZ vom 04. April 2015

Workers label bananas at a banana farm outside Guayaquil

Quelle: Reuters

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Mitten in...Guayaquil

Die Busreise von Guayaquil nach Machala ist durchaus komfortabel - wenn man zu den Fahrgästen mit Sitzplatz gehört. Reisende mit Stehplatz können sich damit trösten, dass es ja nur 170 Kilometer sind und die Straße meist gerade verläuft, entlang der schönsten ecuadorianischen Bananen-Monokulturen. Verhungern muss auch keiner. Alle paar Kilometer steigt ein mobiler Bratwurstspießverkäufer zu. Auf halber Strecke erscheint dann plötzlich ein Wanderprediger, der vor Fettleibigkeit warnt. Er hat auch ein Gegengift dabei: Uña de Gato, Katzenkralle. Hilft angeblich auch gegen Lungenkrebs. Ferner hat der Mann Chia-Samen im Angebot, ein Dollar pro Päckchen. Er ruft: "Wer das nimmt, hat nach zwei Tagen keine Lust mehr, zu masturbieren." Die Bratwürste gehen am besten, die Katzenkralle am schlechtesten.

Boris Herrmann

SZ vom 04. April 2015

Nikosia - Ledrastraße

Quelle: dpa

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Mitten in...Nikosia

Spätabends am Checkpoint auf der Ledra-Straße, griechisch-zyprische Seite. Die Grenzbeamten trinken Tee. Wenig los heute. Hinter dem Passkontrollhäuschen liegt die Pufferzone, die seit 1974 Norden und Süden trennt. Der heiße Konflikt ist längst erkaltet, die letzten Grenztoten gab es in den Neunzigern. Doch plötzlich springen die Beamten auf, alarmbereit. Ein alter Mann und seine Frau nähern sich von der türkischen Seite. Er pöbelt, sie zetert. Ratlos sehen sich die Grenzer an: Randale? Im Geschrei der beiden fällt das türkische Wort "ambulans". Ein medizinischer Notfall? Irgendwann wird es der alten Frau zu bunt. Wütend haut sie ihrem Mann eine runter. Dann erklärt sie den Grenzbeamten, immerhin Vertretern des politischen Feindes, dass der Kerl mal wieder total besoffen sei. Man möge ihr doch bitte helfen, ihn heimzuschaffen.

Luisa Seeling

SZ vom 04. Aprl 2015

Seifenblasenkunst

Quelle: dpa

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Mitten in...Zürich

Ein sonniger Samstag, einige Hundert Menschen sitzen auf dem Zürcher Sechseläutenplatz. Vor zwei Jahren wurde hier Quarzit verlegt, die Steine sind auf fast alle Eventualitäten getestet worden: Elefantendung, Cola, Öl. Jetzt zeigt sich, wie viel Lauge sie vertragen. Punkt 15 Uhr beginnen die Leute, Seifenblasen in die Luft zu pusten. In Zürich versteht man in diesen Fragen eigentlich keinen Spaß. Gunnar Jauch, ein 70-jähriger Architekt und Straßenkünstler, wurde vom Ordnungsamt mit einer Buße von 250 Euro gestraft, weil er hier auf dem Platz "Seifenblasenkunst machte", unangemeldet. Die Regeln für Straßenkunst sind streng: exakt eingegrenzte Gebiete, Bewilligungsanträge. An diesem Tag steigen aus Solidarität mit Jauch Hunderte unangemeldete Seifenblasenkunstwerke in die Luft. Vom Ordnungsamt: keine Spur.

Charlotte Theile

SZ vom 04. April 2015

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