Mitten in Absurdistan:Die Macht der Schlüsselreize

Kleine Freude für Senioren in München, wirksame Abschreckung in Wien und Verlockungen für Souvenirjäger in London: SZ-Autoren berichten Kurioses.

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Graffiti-Sprayer 'OZ' muss erneut vor Gericht

Quelle: dpa

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Mitten in ... Hamburg

Amtsgericht Hamburg-Barmbek, erster Prozesstag gegen Graffiti-Sprayer Walter Josef F. alias "OZ". Schon geht der Verteidiger ins Grundsätzliche: Kunstfreiheit! Weshalb auch unbedingt Kunstprofessoren zu laden seien. Davor allerdings ergeht noch ein kleiner anwaltlicher Protest gegen die Kunst - der Gerichtszeichnerinnen. Die Frauen in der vordersten Reihe schauen verdutzt.

Sie mögen auf der Stelle den Stift zur Seite legen, sagt der Anwalt. Schließlich seien Fotos im Gerichtssaal verboten, und was unterscheide diese schon von einer Zeichnung? Ihr Arbeitgeber, eine Lokalzeitung, werde ihr Werk ohnehin später verpixeln, sagt eine Künstlerin.

"Was, eine Zeichnung verpixeln?" Ja, leider. "Ach so. Na dann." Später wird sie den Angeklagten vor der Tür leise fragen: Ob sie wohl eine Chance habe, ein Autogramm von ihm zu bekommen?

Ron Steinke, SZ vom 5./6.2.2011

Papst bei Vesper zum Jahresabschluss

Quelle: dpa

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Mitten in ... Rom

Was ist da los auf dem Petersplatz? Direkt an dem mächtigen Obelisk liegt ein Haufen zerbrochener Bretter mitten auf dem gewaltigen Rund. Dahinter ein scheußliches Eisengerüst. So ein Verhau direkt vor dem Petersdom, wo noch dazu der Papst aus seinen Fenstern darauf blicken kann. Was man in einer ersten Frühlingssonne sieht, sind nicht Vorbereitungen zu einer Ketzerverbrennung, sondern die traurigen Reste der großen Weihnachtskrippe.

Manche Touristen schauen etwas ratlos, und geben Obacht, dass die Ruine nicht mit aufs Erinnerungsfoto kommt. Am Mittwoch hat der Abbau begonnen. Und wer meint, das sei doch ziemlich spät, irrt. Der Vatikan hat sich exakt an Maria Lichtmess gehalten, 40 Tage nach dem Fest ist Weihnachten auch im Kirchenstaat beendet. Wer noch den Christbaum hat, sollte ihn nun wirklich entsorgen.

Andrea Bachstein, SZ vom 5./6.2.2011

CELL PHONE

Quelle: AP

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Mitten in ... Scharm el-Scheich

Ich stehe auf einem Bootssteg, als mein Handy aus der Hand rutscht - und sieben Meter unter mir auf einem Korallenriff landet. Es dämmert, und die Angst, von einem Hai gefressen zu werden, ist größer, als nicht erreichbar zu sein. Am nächsten Morgen um sechs Uhr bin ich wieder auf dem Bootssteg. Im glasklaren Wasser ist kein Handy zu sehen. Plötzlich kommt eine Frau angeschnorchelt, eine Russin. Ob sie wohl für mich mal tauchen könne?

Sie lacht. Holt Luft. Taucht. Nach einer Minute ist sie wieder oben. Mit dem Handy! Die SIM-Karte ist trocken geblieben, das Handy hat nach zwölf Stunden im Roten Meer Rost angelegt. Ein kettenrauchender Mann in einer Elektrowerkstatt sagt, ich solle morgen wiederkommen. Er hat eine gute Nachricht, eine Rarität in Ägypten in diesen Tagen: Das Handy funktioniert wieder.

Thorsten Schmitz, 5./6.2.2011

Star Wars

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Kayunga

Alles in diesem Dorf sieht aus wie auf dem Planeten Erde - nur die Garde des Präsidenten nicht. Die Männer schützen einen alten Mann mit Hut, der seit 25 Jahren den afrikanischen Staat Uganda regiert. Er heißt Yoweri Kaguta Museveni. Wie seine Männer mit den automatischen Waffen heißen, wissen wir nicht. Kommen sie vielleicht von einem anderen Stern?

Klobige Helme tragen sie, darunter riesige Brillen und einen breiten Mundschutz gegen den roten Staub. So sehen sie aus wie eine neue Generation von Star-Wars-Kriegern. Aber die Soldaten müssen doch nur irdische Aufgaben erfüllen. Der alte Mann mit dem Hut will nämlich auch die nächsten fünf Jahre noch Präsident von Uganda bleiben. Deshalb macht er Wahlkampf auf dem Planeten Erde. Seine terrestrische Garde ist gerüstet, ihn zu beschützen - nur die Laser-Schwerter fehlen noch.

Arne Perras, SZ vom 5./6.2.2011

Wanderrate

Quelle: dpa

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Mitten in ... London

Die erste hatte ihren Auftritt zur besten Sendezeit: Ein BBC-Reporter hatte sich vor Ten Downing Street postiert, als eine Ratte vor der Haustür des Premierministers vorbeihuschte - in Richtung Nummer elf, wo der Finanzminister residiert. Bald folgten ein zweiter und ein dritter Nager, die von der Öffentlichkeit Dave, Nick und George getauft wurden, nach Premier, Vizepremier und Schatzkanzler.

Immerhin schienen die Ratten das Gebäude nicht zu verlassen, was David Camerons Regierung Vergleiche mit einem sinkenden Schiff ersparte.

Schuld an der Plage hat indirekt Cherie Blair, die Ehefrau von Vorvorgänger Tony, die Kater Humphrey ausquartierte. Der war unter Margaret Thatcher in den Amtssitz spaziert und hatte für die Eiserne Lady und ihren Nachfolger Mäuse gefangen. Jetzt sucht Number Ten dringend nach einer neuen Katze.

Wolfgang Koydl, SZ vom 29./30.1.2011

Kontrollausschuss für Berliner S-Bahn gefordert

Quelle: dpa

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Mitten in ... Berlin

Warum redet der Mann jetzt nicht mehr mit mir? Nachdenklich sitzt er hinter seinem Schalter, im Menschengewirr des Alexanderplatzes, und betrachtet das Din-A-4-Blatt. Ein Antrag auf ein Nahverkehr-Ausbildungsticket für eine Auszubildende. Ihn interessiert vor allem der Briefkopf: Süddeutsche Zeitung. ""Aha, Journalistin", sagt er. "Nein, Sie bekommen kein ermäßigtes Ticket." Bitte? "Die Presse schreibt nur schlecht über unsere S-Bahn, da muss ich jetzt übergenau sein." In seinen Statuten stehe, dass eine Ausbildung Minimum sechs Monate dauert. Zwei Monate Ausbildungsstation in Berlin, was soll man da bitte lernen? Er genießt kurz die wundervolle Situation, flüstert dann: "Versuchen Sie's an einem anderen Schalter. Andere sind nicht so streng." Dort liegt das Ticket in zwei Minuten fertig vor mir. Willkommen in Berlin.

Karin Prummer, SZ vom 29./30.1.2011

Erster Weltkrieg Westfront  Waffenstillstand von Compiegne Frankreich

Quelle: dpa/dpaweb

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Mitten in ... Compiègne

Da liegt sie, die legendäre Lichtung, die zwei Mal zum Brennpunkt deutsch-französischer Feindschaft wurde. Hier, im Wald von Compiègne, bestellte Marschall Ferdinand Foch die Unterhändler des Deutschen Reichs ein. Am Tisch seines Eisenbahn-Salonwagens mussten sie am 11. November 1918 einen Waffenstillstand unterzeichnen, der einer Kapitulation gleichkam (im Bild).

Gut zwei Jahrzehnte später kehrte sich die Geschichte um. Aus Rache für 1918 ließ Adolf Hitler den Salonwagen an gleicher Stelle wieder aufstellen. Am 22. Juni 1940 kapitulierten darin die Franzosen. Der Waggon wurde nach Berlin gebracht und später im Krieg zerstört. Heute steht eine Nachbildung in einem Museum auf der Lichtung. Einige Kilometer weiter flattern vor dem Rathaus von Compiègne zwei Flaggen Seite an Seite im Winterwind: die französische und die deutsche.

Stefan Ulrich, SZ vom 29./30.1.2011

Las Vegas Home Foreclosures Continue

Quelle: AFP

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Mitten in ... Las Vegas

Wenn die Sonne vom Himmel sticht, gibt es in Las Vegas nicht viel zu sehen. Gut, man kann den Strip auf und ab fahren, den Las Vegas Boulevard, an dem all die großen Kasinos und Hotels liegen, das Flamingo und Cesar's Palace, das Bellagio und das Luxor. Aber ohne die grellen Lichter der Nacht sind sie ein reichlich ernüchternder Anblick.

Eine Attraktion, vor der die Leute Schlange stehen, bietet der Strip aber auch tagsüber: den Gold & Silver Pawn Shop, ein Pfandleihgeschäft. Es ist rund um die Uhr geöffnet und hat einfach alles: Diamanten, Harley-Davidsons, Münzen, Walzähne, Computer und Knarren. Die meisten Leute wollen hier nichts versetzen, sondern stehen aus Neugierde an.

Doch längst nicht alle: Nachbarn versichern, dass die Warteschlange in den letzten zwei Jahren deutlich länger und das Warenangebot ansehnlicher geworden ist.

Reymer Klüver, SZ vom 29./30.1.2011

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Quelle: AP

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Mitten in ... Marana

Neulich habe ich einen Flugzeugfriedhof besucht, jedenfalls versucht habe ich es. Es war ein surrealer Anblick, mitten in der Wüste: In nur zwei, drei Kilometern Entfernung von der Autobahn zwischen Tucson und Phoenix waren in der gleißenden Sonne Arizonas Jumbo Jets und mehrere Dutzend anderer großer Passagiermaschinen zu sehen. Sie sind dort abgestellt, weil Amerikas Airlines Kapazitäten reduziert haben, um ihre Preise wieder in die Höhe treiben zu können. Überzählige Maschinen motten sie auf Flugfeldern wie Pinal Airpark in der Nähe des Landstädtchens Marana ein.

Der wird übrigens von einer Gesellschaft mit dem schönen Namen Evergreen Aviation betrieben, die, so wird geraunt, hin und wieder auch für die CIA geflogen sein soll. Kein Wunder, dass die Wache mich das Flugfeld partout nicht betreten lassen wollte.

Reymer Klüver, SZ vom 22./23.1.2011

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Quelle: AP

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Mitten in ... Brüssel

Die japanische Botschaft in Brüssel hat eingeladen. "Der Orden der aufgehenden Sonne, Goldstrahlen mit Rosette" soll an einen verdienten EU-Beamten verliehen werden. Man ist spät dran, aber die Residenz des Botschafters ist nur sieben Kilometer entfernt. 30 Minuten dürften reichen. Mitten in Brüssel startet das Taxi. Der Fahrer biegt in einen riesigen Kreisverkehr und schimpft sofort los. Dieser Verkehr, schrecklich, er brauche mindestens 50 Minuten. Was? Nehmen Sie doch die Metro!, sagt er. Aber das dauert doch noch länger, kontert man. Er fährt stur im Kreisverkehr weiter, biegt nirgendwo ab. Die Runde ist fast rum, da sagt er: Steigen Sie aus! Ich fahr da nicht hin. Dauert zu lange.

Man steht wieder mitten in Brüssel. Der Orden der aufgehenden Sonne und die Goldstrahlen mit Rosette sind weit weg. Anruf bei den Japanern und die Bitte um Entschuldigung.

Dominik Stawski, SZ vom 22./23.1.2011

Mesut Ozil

Quelle: AP

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Mitten in ... Kabul

Das Mittagessen im Kabuler Park Palace wird später als sonst serviert. Dafür ist Mesut Özil verantwortlich. Im Restaurant läuft Real-Madrid-TV, eine Aufzeichnung ohne Kommentator. Der Nationalspieler schießt gerade ein Tor, wird dann ausgewechselt und von den Fans gefeiert. Die Kellner der Pension, die hinter gut bewachten Mauern einen Garten, aber nicht immer eine warme Heizung hat, schauen gebannt auf den Flachbildschirm. Der hängt über dem leeren Buffet. Vier Briten kommen herein: "Kein Lunch heute?", fragt einer. "Ja, Sir, eine Minute", sagt ein Kellner.

Er sieht sich den Zusammenschnitt von Özils besten Szenen an, so viel Zeit muss sein. Der Brite fragt: "Ist das jetzt in Zeitlupe oder echt?" Der Kellner blickt hoch, die Frage beendet offenbar seine Illusion, woanders zu sein. Kurz danach trägt er Lamm, Reis und Salat auf. Mesut Özil ist weit weg.

Tobias Matern, SZ vom 22./23.1.2011

Bayerische Staatsbibliothek, 2007

Quelle: Hess

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Mitten in ... München

Im Lesesaal der Staatsbibliothek sitzen auffallend viele verzweifelte junge Männer. Der Typ im schwarz-rot-karierten Hemd mit iPod-Ohrhörer zum Beispiel blättert seit Stunden in einer Cicero-Biografie, hackt zwischendurch isolierte Sätze zu Ciceros Reden gegen Catilina in den Laptop. Ein anderer drei Tische weiter googelt, wie das Hochtal von Cusco aussieht, wechselt zum German-Spanish-Dictionary "Dix", um das erworbene Wissen sogleich in seine Spanischarbeit über die Inka von Cusco zu übertragen. "So ein Scheiß, Mann!", flüstert er seinem Kumpel zu.

Sie müssen ihre erste wissenschaftliche Arbeit schreiben. Draußen in den Bäumen lärmen höhnisch die Krähen. Die Copy-and-Paste-Generation hat sich für die Textmontage eine alte Bibliothek ausgesucht. Anfang Februar gibt es die Noten. Bis dahin sind die jungen Männer sicher wieder entspannt.

Hubert Filser, SZ vom 22./23.1.2011

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Quelle: AP

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Mitten in ... Tel Aviv

Der Messias ist wieder da. Eine Zeitlang war er verschwunden - ein besoffener Schläger hatte auf ihn eingeprügelt und ihn vertrieben. Nun aber sitzt er wieder wie früher im Schneidersitz am Eingang zum Carmel-Markt, mit Bart und langen Haaren, gehüllt in grobes Linnen. Gern versammelt er ein paar Jünger um sich, noch lieber ein paar Jüngerinnen, und die Aufmerksamkeit ist ihm immer gewiss.

In Jerusalem schaut ja kaum noch jemand, wenn einer sein Kreuz auf sich nimmt und durch die Via Dolorosa wankt, der religiöse Wahn trägt sogar den Namen "Jerusalem Syndrom".

Das Tel-Aviv-Syndrom dagegen äußert sich gemeinhin darin, dass Menschen glauben, sich in viel zu knappen Badehosen und mit eingeöltem Oberkörper präsentieren zu müssen. Doch auch die unheilige Mittelmeer-Metropole hat nun wieder ihren Messias. Willkommen zu Hause!

Peter Münch, SZ vom 15./16.1.2011

Christliche Pilger posieren in der Altstadt von Jerusalem

U-Bahn-Züge in Rom zusammengestoßen - Eine Tote und 110 Verletzte

Quelle: picture-alliance/ dpa

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Mitten in ... Rom

Das hässlichste Bauwerk Italiens ist die U-Bahnstation Termini in Rom. Sie liegt unter dem Hauptbahnhof, wo sich die Metrolinien A und B kreuzen. Bei der Planung haben sich die Ingenieure offenbar an den Katakomben von San Sebastiano orientiert, wobei die U-Bahn-Station spärlicher beleuchtet ist. Wer hier umsteigen muss, der reiht sich ein in die Kolonne der Verdammten und irrt mit ihr durchs Labyrinth. Hinter Bauzäunen lauern schwarze Kavernen, in denen wahrscheinlich sehr grausige Dinge geschehen. Noch wahrscheinlicher geschieht darin aber seit Jahren überhaupt nichts mehr.

Der ganze U-Bahnhof sieht aus, als ob er noch vor der Fertigstellung wieder abgerissen würde. Als der Graffiti-Zug zum Kolosseum einrumpelt, steigt im Touristen aus Deutschland ein neues Gefühl auf. Es sagt: Danke, Münchner Verkehrsgesellschaft.

Sebastian Beck, SZ vom 15./16.1.2011

FRANCE-POLITICS-RELIGION-ISLAM-WOMEN-RIGHTS

Quelle: AFP

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Mitten in ... Langkawi

Der Mann feixt. "Der Saudi will fliegen", raunt er. Die Einheimischen am Strand der malaysischen Ferieninsel Langkawi überrascht nicht so sehr, dass ein arabischer Tourist sich zum Paragliding hoch übers Meer ziehen lässt. Das tun hier viele.

Aber wie sich seine Frau in das Geschirr des Fallschirms zwängen lässt, ist auch für die muslimischen Inselbewohner ein ungewohntes Spektakel: Die Touristin hat sich in den Niqab genannten Vollschleier gehüllt, den Augenschlitz verdeckt eine teuer anmutende Sonnenbrille. Schließlich ist sie eingespannt, der Gleitschirm hebt sich in den Himmel. Nur die Landung misslingt.

Die Frau rutscht bäuchlings ins seichte Wasser, Brille und Schleier schleudern in den Sand. Jetzt können alle ihr Gesicht sehen: Sie lacht und juchzt. Dann setzt sie sich auf einen Jetski - ohne Schleier, aber mit Sonnenbrille.

Jan Bielicki, SZ vom 15./16.1.2011

Bush meat sellers work at a market in Yopougon

Quelle: Reuters

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Mitten in ... Lomé

Wenn Togos Hauptstadt touristisch etwas zu bieten hat, dann ist es der Fetischmarkt. Besucher aus Europa oder Amerika kommen hierher, um sich inmitten von Gorillafüßen, mumifizierten Büffelköpfen und Elefantenknochen einmal anständig zu gruseln. Der Markt ist also ein guter Ort, um auf kaufwillige Fremde zu stoßen.

Ein Kleinbus fährt vor, amerikanische Touristen steigen aus, und sofort stürzen sich kleine Togolesen mit selbstgebastelten Souvenirs auf sie. Ein Amerikaner packt nun seinerseits kleine Spielzeugflugzeuge aus und verschenkt sie an die Kinder. Die reißen ihm die Mitbringsel aus der Hand. Nach einer halben Stunde fährt der Bus weiter, doch schon bald hält ein neuer.

Die Kinder sind sofort wieder da. Sie hängen sich an die Besucher, drücken ihnen die kleinen Spielzeugflugzeuge in die Rippen und kreischen: "Buy airplane, only one Dollar!"

 Viola Schenz, SZ vom 15./16.1.2011

US East Coast Begins To Dig Out After Large Blizzard

Quelle: AFP

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Mitten in ... New York

Geballte Fäuste. Im Zorn erhobene Schneeschaufeln. In New York klang das Jahr in Klassenkampfstimmung aus. Nein, es ging nicht um die traumhaften Steuerersparnisse für die Reichen, es ging um den Schnee, mit dem die Stadt einfach nicht fertig wird. Auch Tage nach der "Snowpocalypse", dem heftigen Blizzard, der New York an Weihnachten unter einem halben Meter weißem Pulver begrub, sieht es in vielen Straßen noch aus wie in einem Schweizer Bergdorf.

In den Außenbezirken weiß man warum: Weil die Schneepflüge alle in Manhattan sind! Bürgermeister und Milliardär Michael Bloomberg goss noch Öl ins Feuer: "Vieles in der Welt ist bedauernswert", meinte er achselzuckend. Wenig später sagte er mit der Ruhe eines Mannes, der sein Auto wohl noch nie aus Schneewehen hat schaufeln müssen: "Ich bin auch wütend."

 Jörg Häntzschel, SZ vom 31.12.2010/1.1./2.1.2011

Wetter beeinträchtigt Bahnverkehr

Quelle: dpa

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Mitten in ... Paderborn

Aus der Ursuppe wurde das Leben, und aus der Winterkrise der Bahn? Unterwegs im D-Zug: Draußen die flachen Schneelandschaften Ostwestfalens, drinnen dampfende Atemschwaden - Goethe hätte geschrieben: Brodem. Verdammt kalt im Abteil, sie aber klebt hitzig ein paar Fotos ins Album.

Fotos? Das klingt wie 70, aber das Gesicht unter der Mütze ist keine Oma. Die Leica in der eigenen Tasche brächte einen Anknüpfungspunkt - wer anknüpfen wollte. Aber wozu, wenn das Netz des eigenen Lebens schon viel zu fest (und eng) gespannt ist? Deshalb: wegschauen, rausschauen.

Plötzlich die Durchsage: "Weichenstörung, bitten zu entschuldigen: Zugwechsel." Wirklich lästig. Also, umsteigen. Und wie von Zauberhand ist die alte Nachbarin die neue: "Sara Blumenthal". Ein Name wie ein Anfang mitten in dieser Winterkrise.

Marc Hoch, SZ vom 31.12.2010/1.1./2.1.2011

Court reads the sentence against Mikhail Khodorkovsky

Quelle: dpa

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Mitten in ... Moskau

Russische Gerichtsprozesse sind mit das Unerfreulichste, was Korrespondenten passieren kann. Je wichtiger der Fall, desto kleiner der Saal. Vor dem Chamowniki-Gericht in Moskau wird seit Tagen das Urteil gegen den Yukos-Gründer Michail Chodorkowskij und seinen Geschäftspartner Platon Lebedjew verlesen, und die Journalisten drängeln sich vor der Tür ab morgens um acht.

Einige Ikonen der kritischen russischen Presse, die sonst gern Privilegien geißeln, lassen sich an allen vorbei auf Vorzugsplätze in den Saal bugsieren. Russische Journalisten haben deshalb die Gerichtsdiener kritisiert: Sie führten ein Willkürregime.

Das ist ungerecht. Einige Gerichtsdiener bemühen sich durchaus. Einer rang jüngst um eine saubere Reihe hinter dem Absperrgitter: "Herrschaften, machen Sie wenigstens die Straße frei. Es soll doch schön aussehen."

Sonja Zekri, SZ vom 31.12.2010/1.1./2.1.2011

Rauchen wird teurer

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

Ostbahnhof, am Morgen. Der Tabakladen. Der Verkäufer ist ein hagerer Mann, Mitte fünfzig, Hemd unterm Strickpulli, Brille mit Metallrahmen. "Guten Morgen. Bitte?" - "Hm, ich würde heute mal eine Packung Roth-Händle mit Filter nehmen." Der Tabakverkäufer senkt den Kopf. "Mein Vater hat die ja immer ohne Filter geraucht." Er macht zwei langsame Schritte und holt eine Packung Roth-Händle mit Filter aus dem Regal. "Wie alt ist er geworden, Ihr Vater?" - "Dreiundachtzig." - "Sehen Sie." - "Und im Krieg war er, von 1939 bis 1945." - "Soso." - "Er musste sogar nach Russland." Dann blickt der Mann auf die rote Packung, auf der etwas von Impotenz oder Tod steht, und hält inne. "Ich glaube, dass uns alles in die Wiege gelegt ist." Er hält wieder inne. "Vier Euro siebzig." Okay, dann kann ja nichts mehr schiefgehen.

 Rudolf Neumaier, 31.12.2010/1.1./2.1.2011

A pair of chihuahuas, dressed up as Santa Claus, take part in a fashion show in Antwerp

Quelle: Reuters

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Mitten in ... Quito

Auch ein Chihuahua kann sich grässlich erkälten. Die Mittel- und Oberschicht Quitos liebt Hunde, die maximal menschliche Kniehöhe erreichen - und sie weiß um die Gefahren, die dem vielgeknutschten Familienspielzeug drohen. Mit den winterlichen Regenfällen und Temperaturschwankungen zwischen acht und 21 Grad plus kämen die Tiere nicht klar, warnen ecuadorianische Zeitungen, weshalb man die Lieblinge unbedingt mit passender Kleidung schützen müsse und keinesfalls dem Regen aussetzen dürfe.

Und so sieht man allüberall Pinscher in bunten Shirts und Strampelanzügen; grün-rot gemustert werden sie in den Weihnachtstagen eine besonders gute Figur unter der Plastiktanne machen. Auch wenn nachts in Quitos Straßen Menschen unter Pappkartons frieren: Spitz und Pudel haben es schön warm.

Antje Weber, SZ vom 18./19.12.2010

Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg

Quelle: dapd

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Mitten in ... Berlin

Am U-Bahnhof Kottbusser Tor betritt ein Mann den Wagen. Sein Gesicht ist kaum zu sehen zwischen Vollbart, grauen zotteligen Haaren und einem Käppi mit einer aufgesteckten Plastikkirsche. "Wenn Sie einen Obolus, etwas zu essen oder Küsschen für mich hätten - ick hab' da noch die Eintagsfliege für Sie", sagt er. Seine Füße stecken in Socken und Flip Flops.

Langsam lehnt er sich an eine der Haltestangen und rezitiert: "Die Eintagsfliege, lieber Freund, hat ein kurzes Leben. Nur zwei mal zwölf Stunden sind ihr auf dieser Welt gegeben. Besonders tragisch ist es dann, wenn es an diesem Tag noch regnet." Mit einem Pappbecher in der Hand schlurft er geduckt durch die Menge. "Was ist mit dem Küsschen, meine Lieben?", fragt er. Kurz bevor die U-Bahn am Moritzplatz einfährt, fügt er hinzu: "Heiraten könnt ihr mich auch noch. Jawoll."

Inga Rahmsdorf, SZ vom 18./19.12.2010

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Peking

Der Schüler Zhang Hao, elf Jahre alt, hat den Pekingern die Lust auf Pilze verdorben. Mit einem Experiment hat er nachgewiesen, dass die Mehrheit der in der chinesischen Hauptstadt verkauften Speisepilze mit Chemikalien künstlich "geweißelt" sind. Der Junge hatte sich geärgert, als ihm seine Mutter sein Lieblingsgericht - gegrillte Pilze - nicht mehr zubereiten wollte. Sie hatte irgendwo gehört, dass diese künstlich behandelt sein könnten. Zhang Hao wollte das nicht einfach so glauben.

Zusammen mit seiner Mutter kaufte er 16 verschiedene Proben im Supermarkt, auf Gemüsemärkten und bei Großhändlern. Mit Hilfe eines Chemiestudenten konnte Zhang Hao im Labor nachweisen, dass neun von sechzehn seiner Pilzproben - mit einer fluoreszierenden Chemikalie geweißelt waren. Die Behörden hatten das zuvor noch abgestritten.

Henrik Bork, SZ vom 18./19.12.2010

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Bangkok

Große Freude im buddhistischen Kloster: Der Abt ist nach wochenlanger Abwesenheit zurückgekehrt und empfängt in seinem Meditationsraum Besuch. Ein gutes Dutzend Politiker und Industrielle machen ihm seine Aufwartung, auch ein Minister ist dabei.

Ein Gast nach dem anderen kniet sich vor dem Sitzkissen des Hausherrn auf den kühlen Marmorboden und verbeugt sich dreimal, dann überreicht jeder ein Geschenk oder einen dicken Umschlag. Zum Dank spricht der Mönch seinen Segen - und gibt eines der kurz zuvor erhaltenen Geschenke weiter. Der Besuch aus Deutschland bekommt ein Armband, die Übersetzerin ein Fläschchen Körperöl. Auch der Wildblütenhonig aus Oberbayern, eine Tüte Obst und ein Becher Eiskaffee finden so einen neuen Besitzer.

Es gilt das buddhistische Prinzip des Karma: Wer viel gibt, bekommt auch viel. Und umgekehrt.

Lilith Volkert, SZ vom 11./12.12.2010

VERKEHRSSTAU NACH TERRORANSCHLÄGEN IN WASHINGTON

Quelle: SZ

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Mitten in ... Washington

Geahnt hat man's. Immer, wenn zum Beispiel die blonde Soccer-Mom sich an der Ampel nebenan die Nägel rot lackierte. Und immer, wenn so ein bulliger Pickup-Truck erst nach links zog, um dann - Finger am Handy statt am Blinker - in weitem Bogen nach rechts abzubiegen.

Aber nun wissen wir's, nun ist es statistisch erwiesen: Washington, die Kapitale der Weltmacht, beheimatet die miserabelsten Autofahrer eines Volkes, das auch sonst nicht viel Geschick am Steuer beweist. Alle 5,1 Jahre, so errechnete die Allstate-Versicherung, wird der mittelwertige Washingtonian in einen Verkehrsunfall verwickelt.

Ein Schock. Seit September 2005 leben wir hier in DC, das macht fünf Jahre, drei Monate - wir sind längst überfällig. Noch fährt der Korrespondent Vespa im Hauptstadt-Dschungel. Bald könnte ihn die Statistik eingeholt haben.

Christian Wernicke, SZ vom 11./12.12.2010

Landwehrstraße bei Nacht, 2004

Quelle: Hess, Catherina

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Mitten in ... München

Eine Freude des Wiedersehens hat die Gruppe weit getragen, bis in die sechste Stunde des neuen Tages. Aber Giesing erwidert die Freude nicht, seine Straßen schweigen. Nur aus den Fenstern einer kleinen Kneipe fällt noch Licht, zu sehen sind drei Männer mit Rundrücken, sie sitzen an der Bar und rauchen. Wir klingeln, eine Frau öffnet - wir bitten um Einlass und einen Absacker, sie fällt ins Wort und ergreift es. Silbe für Silbe kraxelt ihre Botschaft über die schwere Zunge: "Per-ssoh-nahhhl-be-sprech-hung." Wie bitte? "Per-ssoh-nahhhl-be-sprech- hung!!!" Um diese Zeit?

Sie dreht ab, ihr Zeigefinger irrt auf der Tür umher, bald findet er das kleine Schild mit den Öffnungszeiten: bis 22 Uhr. Sie fragt, wie spät es sei - viertel nach fünf. Ihr Blick ist leer, das Lächeln überlegen: "Seht nur", sagt sie, "wir haben seit drei Stunden geschlossen."

Cornelius Pollmer, SZ vom 11./12.12.2010

© Süddeutsche Zeitung/dd/kaeb
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