Mitten in Absurdistan:Dürndl für Mutige

SZ-Autoren berichten von kuriosen Erlebnissen.

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Mitten in ... München, dpa

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Mitten in ... München

Münchner S-Bahnhöfe haben bisweilen den Charme von Straßentunnels in Ankara. In einer dieser Untertagewelten ist jüngst ein ranziger Imbiss verschwunden und hat sich, Simsalabim, in einen Dirndl-Laden verwandelt. Heraus aus dem Geschäft tritt Herr Cavet und flötet: "Schöne Dirndl, musst du probieren." Das bayerische "Du" geht dem Schnauzbärtigen flüssig von der Zunge. "Oder hast du keinen Mut?"

Von wegen! Das letzte Dirndl habe ich mit 13 abgelegt, mit dem Schwur: nie mehr! 1000 Dirndl habe er in der Türkei schneidern lassen, supergünstig, gehen weg wie Sesamkringel, ärgern sich die anderen Läden. So sagt Herr Cavet und grinst.

Tja. Drei Dürndl probiert, eines gekauft. Grün. Die Farbe des Propheten. Gibt auch Rosa und Hellblau. Im nächsten Jahr bringt er Lederhosen. Herr Cavet hat München verstanden.

Christiane Schlötzer, SZ vom 25./26.9.2010

Mitten in ... São Paulo, AFP

Quelle: AFP

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Mitten in ... São Paulo

Fast alles kann man machen in São Paulo, dem New York Lateinamerikas. Nur eines darf man nicht: Man darf es nicht eilig haben. Jedenfalls nicht, wenn man gerade keinen Hubschrauber besitzt, deshalb gibt es in kaum einer anderen Stadt so viele Helikopter.

Brasiliens Boomtown produziert Staus von Weltklasse, denn der brasilianische Fortschritt hat unter anderem dazu geführt, dass immer noch mehr Fahrzeuge geboren werden.

An guten Tagen sind die Blechschlangen im Dunstkreis der Metropole schon mal 250 Kilometer lang. Manche Radiosender beschäftigen sich völlig zu Recht ausschließlich mit dem Verkehr.

Aber es gibt Lösungen. Kürzlich steckten wir anderthalb Stunden fest und fluchten. Auf der Nebenfahrbahn dagegen saß einer seelenruhig im Auto, rauchte und las. Ein Buch. Das ist es. Entspannen und das Buch lesen, für das man sonst nie Zeit hat.

Peter Burghardt,  SZ vom 25./26.9.2010

Mitten in ... Hannover, obs

Quelle: obs

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Mitten in ... Hannover

Der zwischen Niedersachsens Landeshauptstadt und Lüneburger Heide gelegene Flughafen Hannover zählt zu den etwas besonderen Airports. Jahrelang gab seine gewisse Tristesse Anlass zu der Vermutung, dass außerhalb von Messezeiten wenig bis nichts los ist. Das stimmt nicht mehr.

Heute liegt hier die Heimatbasis von TuiFly, es schauen eine S-Bahn vorbei und sogar die Aeroflot. Doch Merkwürdigkeiten gibt es noch: Die gewöhnlich verspätete Abendmaschine nach München startet heute überpünktlich. Auch trägt nicht jeder Flughafen einen großen Schriftzug "Mayday!" am Tower. Eine Werbung, manche merken es.

Heute ist Mayday: Kleine Feuer und viel Blaulicht zucken im Dunkeln auf dem Vorfeld, Passagiere an den Gates. Es üben Feuerwehren, so ist der Alltag in Hannover. Über den Follow-Me-Porsche wundert sich niemand mehr.

Michael Kuntz, SZ vom 25./26.9.2010

Mitten in Absurdistan Paris, dpa

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Mitten in ... Paris

In der Métro-Linie 1 vom Hochhausviertel La Défense Richtung Place de la Concorde drängen sich die Menschen. Ein schwarzer Musiker mit Rastalocken baut im Waggon einen Lautsprecher und ein Mikro auf. Dann fängt er an zu singen, erst in gutem Französisch, dann in holprigem Englisch. Eric Clapton und so.

Seine Stimme klingt stumpf, manche Töne kommen falsch. "Schade, dass er überhaupt nicht singen kann", sagt meine Frau ziemlich laut auf Deutsch - er versteht sie ja nicht. Dann nimmt der Musiker seine Mütze und macht die Runde. Niemand gibt etwas. Er tut uns leid, doch ich habe kein Kleingeld. Zum Beweis öffne ich meinen Geldbeutel, der nur zwei Scheine enthält.

Da sagt der Mann in flüssigem Bayrisch: "I ko fei wechsln." Später erzählt er uns, er komme von der Elfenbeinküste und habe mal einige Wochen in der Münchner U-Bahn gesungen.

Stefan Ulrich, SZ vom 25./26.9.2010

Mitten in ... Berlin, dapd

Quelle: dapd

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Mitten in ... Berlin

An der Tramstation am Hackeschen Markt fährt eine Bahn ein. Eine Gruppe asiatischer Touristen steigt aus. Mit kleinen Schritten eilen sie den Bahnsteig entlang bis zum vorderen Teil der Tram. Vor der Fahrerkabine gestikulieren sie aufgeregt, einer von ihnen wedelt mit einem Geldschein in der Hand.

Schließlich öffnet der Fahrer das Fenster. "Wat wollnse denn?", knurrt er genervt. Lächelnd hält der Tourist ihm das Geld hin, um die Fahrtkosten zu begleichen. Der Fahrer schüttelt ungläubig den Kopf, winkt mürrisch ab und schließt das Fenster wieder. Die Gruppe hält einen Moment inne, dann wird ihr Lächeln noch breiter.

Während die Tram schon wieder anfährt, stehen die Touristen noch mit zusammengelegten Handflächen vor der Brust auf dem Bahnsteig und nicken mit kleinen Verbeugungen der Tram hinterher, dankbar für die Freifahrt.

Inga Rahmsdorf, SZ vom 18./19.9.2010

Mitten in ... Frankfurt, picture-alliance/dpa

Quelle: picture-alliance/ dpa

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Mitten in ... Frankfurt

Der alte Mann liegt mitten auf der Straße, seine Krücken neben ihm. Sein Mantel ist verkrustet vor Dreck, den grauen Bart haben Zigaretten gelb gefärbt über dem Mund. "Bitte", ächzt der Alte in brüchigem Deutsch, "btte helfen!"Man greift ihm unter die Arme, stützt seinen zitternden Gang, führt ihn zurück an den Straßenrand zu seinen Habseligkeiten, wo er wieder fällt.

Der Bettler küsst die Hand. "Ver Jahre" sagt er, vier Jahre habe sein Vater für die Deutschen im Krieg gekämpft. Längst sei er gestorben, auch die Ehefrau. Der Russe hat Tränen in den Augen. "lkohol" sagt er, und dann immer wieder ein Wort: "Katastrophe!"

Die Sanitäter fahren vor. "Hallo Alex", rufen sie. Man kennt sich. "Nicht wieder auf die Straße legen, sonst müssen wir heute noch fünf Mal kommen." Der Alte verspricht es. Zum Abschied küsst er noch einmal die Hand.

Marc Widmann, SZ vom 18./19.9.2010

Mitten in ... New York, AFP

Quelle: AFP

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Mitten in ... New York

Der kleine Kieselstrand zwischen Manhattan Bridge und Brooklyn Bridge. Hochzeitspaare kommen gerne hierher, um die Schönheit ihres besonderen Tages in einem entsprechenden Foto festzuhalten. Doch dieses Paar hier hat gleich die gesamte Hochzeitszeremonie auf den Strand verlegt.

Auf den Steinstufen sitzt die Hochzeitsgesellschaft, man erwartet die Braut. Ein paar Meter weiter fliehen kreischende Kinder im Sekunden-Rhythmus vor den Wellen, Hubschrauber lärmen durch die Luft, die alte Metro rattert über die Brücke, vom East River tönt der pubertäre Sound einiger Jet-Ski-Fahrer herüber. Die Worte des Priesters gehen im New Yorker Lärm unter, auch die großartige Hochzeits-Cellistin müht sich ab - und scheitert gegen die Musik der Großstadt.

Da kommt die Braut. Sie lächelt tapfer. Und schweigt. Noch wenige Minuten, dann ist alles vorbei.

Thomas Becker, SZ vom 18./19.9.2010

Mitten in ... Modena, dpa

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Mitten in ... Modena

Die "Gruppo Sarni" betreibt 40 Autobahnraststätten in Italien, und weil sie darauf offensichtlich stolz ist, hängt an der Eingangstüre einer jeden eine Landkarte, auf der die Raststätten verzeichnet sind. Und auf jeder Landkarte ist exakt jener Autobahnabschnitt abgerubbelt, auf dem sich die Raststätte befindet: zwischen Verona und Modena genau das Stück zwischen Verona und Modena, zwischen Modena und Bologna das zwischen Modena und Bologna.

Ob es daran liegt, dass der Mensch sich so gerne mit einem stempelartigen Fingerabdruck seiner selbst vergewissert? Wer bin ich? Wohin gehe ich? Woher komm ich? Oder ist es so wie mit den Löwen vor der Münchner Residenz - denen an die Nase zu fassen, soll Glück bringen.

Wenn das Autobahn-Orakel denn existiert, so funktioniert es hervorragend: kein einziger Unfall auf der ganzen Strecke.

Stephan Handel, SZ vom 18./19.9.2010

HITLER

Quelle: AP

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Mitten auf dem ... Obersalzberg

So machen es Wirte überall im Land: Auf Speisekarten oder mit Fotos an der Wand ein bisschen prahlen, wer alles bei ihnen eingekehrt ist. Der Wirt mit Tony Marshall, der Wirt mit Franz Josef Strauß, der Dankesgruß von Arnold Schwarzenegger. Auf der Scharitzkehlalm, in 1100 Metern Höhe auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden, macht der Wirt es so: Auf Seite eins der Speisekarte gibt er an, wie lange seine Alm schon besteht, seit 1865. "Unzählige Erholungssuchende aus allen Klassen der Gesellschaft sind hier eingekehrt", schreibt er, man ahnt, jetzt folgt ein Beispiel, man denkt, er wird nun aber nicht . . . hier, auf diesem Berg . . .

Doch: Er wird.

Der folgende Satz lautet tatsächlich: "Auch der damalige Herrscher des 1000jährigen Reiches, Adolf Hitler, hat hier des öfteren seinen Windbeutel und sein Glas Alpenmilch verzehrt."

Detlef Esslinger, SZ vom 4./5.9.2010

Sommerfest des Bundespräsidenten - Köhler beim Memory

Quelle: dpa

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Mitten in ... Berlin

Samstags gehen die Hauptstädter und ihre Touristen gerne ins Stilwerk, Möbel anschauen, die sie sich nicht leisten können. Letzten Samstag im Maison-Schaufenster eine Gratis-Vorstellung: Horst und Eva Köhler kaufen die Ruhestands-Sitzlandschaft in Depressiv-Sandgrau. Der Ex-Bundespräsident lässt sich immer wieder in das Sofa plumpsen und lächelt sein Horst-Köhler-Lächeln. Eva Köhler im farbabgestimmt passenden Sessel ruckelt und wackelt fröhlich zur Probe.

Und weil die Zuschauer vor der Schaufensterscheibe nicht verstehen können, was gesprochen wird, übernimmt ein älterer Herr aus dem Rheinland freundlicherweise die Synchronisation: "Meine Frau hopst, wo sie will", sagt Köhler also.

Und der Verkäufer: "Außerdem sind die Federmuffen einzeln aufgehängt und kreuzweise verspannt." Szenenapplaus.

Evelyn Roll, SZ vom 4./5.9.2010

Heidi Kabel, 1998

Quelle: Heidi Kabel in "Mein ehrlicher Tag". AP

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Mitten in ... Echteler

Die schweren Wolken drücken auf das ohnehin schon platte, norddeutsche Land. Am Straßenrand liegen Kartoffeln wie anderswo das Laub. Zwischen den Äckern steht ein Bauernhof. Das alte Ehepaar werkelt im Vorgarten. Man kommt ins Gespräch, findet über zehn Ecken Bekannte und schon lädt er ein, den Schweinestall anzusehen und sie lädt zum Tee. Es ist früher Abend, drei Tassen stehen auf dem Wachstuch und man klönt über Kartoffelpreise und die neue Biogasanlage des Nachbarn. Nach einer Weile steht der Bauer auf und verlässt den Raum.

Seine Frau erzählt von ihrem Rheuma und dem Brand im Dorf. Dann steht auch sie auf und geht aus der Küche. Zur Toilette oder etwas holen, denkt sich der Gast und wartet. Eine halbe Stunde vergeht, doch niemand kommt. Irgendwann begreift der Besucher: die Gastgeber sind schlafen gegangen.

Inga Rahmsdorf, SZ vom 4./5.9.2010

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Quelle: AP

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Mitten in ... Kronach

Vor dem Gefängnis von Kronach steht eine Familie. Die Tochter - vier Jahre und generell sehr an den Berufsgruppen Einbrecher und Räuber interessiert - lässt sich die Gitter vor den Fenstern erklären. Ob da echte Einbrecher und Räuber drin sind, fragt sie. Ja, sagt der Vater. Ob man da reinschauen könne? Nein, erklärt der Vater, "wenn wir da reingehen, ist ja die Tür offen, und dann können die Einbrecher und Räuber rauslaufen." Das leuchtet ein. Genau in diesem Moment öffnet sich das Gefängnistor. Ein Mann in Anstaltsklamotten tritt heraus, in Handschellen. Sekunden vergehen, der Mann steht da, die Tochter schaut mit großen Augen, der Vater eher irritiert. Bis ein Polizist erscheint und beide zur Stadt hinunter laufen. Es sieht aus wie ein Spaziergang. Als ob es das Normalste der Welt wäre, sagt die Tochter: "Das war sicher ein echter Einbrecher oder ein Räuber, Papa."

Kassian Stroh, SZ vom 28./29.8.2010

Salzburger Festspiele 2010 mit Rekordauslastung

Quelle: dpa

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Mitten in ... Salzburg

Des Todes Ruf nach Jedermann auf dem Salzburger Domplatz ist verhallt, man bedarf einer Stärkung. Im Triangel, dem Stammlokal des Festspiel-Personals, eine Überraschung: Jedermann ist flugs zerlegt, in Scheiben geschnitten und kulinarisch verarbeitet worden. Carpaccio vom Biorind Nicolas Ofczarek steht da, mit Parmesan. Der Buhlschaft Birgit Minichmayr ist Zander auf Gazpacho gewidmet. Anna Netrebko brilliert mit Rucola-Salat. Bescheiden daneben das "Flimm-Brot". Der scheidende Intendant Jürgen Flimm ist stolz: Alle anderen Künstlerspeisen wechseln je nach Saison, hat ihm Wirt "Franzi" Gensbichler verraten. Das Flimm-Brot zu sieben Euro siebzig aber wird ewig sein. Das ist wie ein Orden, sagen die Leute. "Du hast Einfluss auf die Essgepflogenheiten der Stadt. Das hat noch niemand geschafft," feixt ein Fan. Welche Huldigung.

Michael Frank, SZ vom 28./29.8.2010

Kind mit Lolli

Quelle: istockphoto

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Mitten in ... München

U-Bahnstation Schwanthalerhöhe, ein Vater steigt mit seinen zwei Söhnen ein. Die Jungen unterhalten sich ausführlich über das Fußballspiel vom Vortag. Bis zur Theresienwiese bleibt alles friedlich. Als die U-Bahn am Stachus einfährt, streiten sie sich, welcher Spieler nun das Tor geschossen hat. "Sollen wir wetten?", fragt der etwa Zehnjährige. "Worum?", fragt sein jüngerer Bruder. "Um Geld", sagt der Ältere. "Pfff, Geld", sagt der Jüngere und blickt gelangweilt aus dem Fenster. Glück ist im Gesicht des Vaters zu lesen. Anerkennend nickt er seinem Jüngsten zu, als wollte er sagen: So ist es richtig - genau, immer nur um die Ehre! Die Jungen beachten den Vater gar nicht. Der Ältere blickt abschätzig auf seinen Bruder und erklärt dann großzügig: "Okay. Um Bonbons." Der Jüngere schüttelt den Kopf: "Nee, um Zigaretten."

Inga Rahmsdorf, SZ vom 28./29.8.2010

© sueddeutsche.de/dd/kaeb
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