Weltgeschichten:Der Winter hat Folgen

Verzweiflung in New York, Poesie bei Paderborn, juristische Eiseskälte in Moskau und Schicksalsglaube in München - kuriose Berichte von SZ-Autoren.

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AUTOFREIER SONNTAG IN ITALIEN

Quelle: DPA

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Mitten in ... Mailand

Alle Welt spricht ja von Energiesparlampen und wie man den Städten wieder den Sternenhimmel zurückgeben könnte. Nicht so in Mailand. Da werden die bemalten Glasfenster des Domes künftig - an den Wochenenden - mit künstlichem Licht von innen nach außen beleuchtet. Sah man die abgebildeten Bibelgeschichten bisher nur im Dom, wenn es draußen hell war, so sieht man sie künftig auch vor dem Dom, wenn es dunkel ist. "Wir haben die erste Kathedrale der Welt, deren Fenster strahlen", freut sich draußen ein erleuchteter Mailänder.

Und da! Haben Sie schon die Neoninstallation von Lucio Fontana direkt hinter der Glasfassade des Palazzo dell'Arengario gesehen? Schwungvolle Neonschleifen aus den 50er Jahren im neuen Museum der Moderne!

Ja, alles sehr schön. Aber jetzt muss ich mir erst einmal eine Sparlampe kaufen gehen.

 Henning Klüver, SZ vom 11./12.12.2010

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Quelle: AP

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Mitten auf ... Cat Ba

Cat Ba ist die beliebteste Ferieninsel Nordvietnams, und das Noble House gegenüber dem Fähranleger die beliebteste Bar der Insel. Entsprechend turbulent geht es in dem mehrgeschossigen Laden zu. Ausländer und Einheimische drängen sich an der Theke, rufen im Lärm der Discomusik nach kühlem Bier und mehr Schnaps in ihren dünnen Longdrinks. Aber die Bedienung lässt sie einfach stehen und verschwindet in der einzigen Toilette. Zehn Minuten später erscheint sie wieder.

Seelenruhig kämmt sie sich ihre langen, nassen Haare. Erst als sie sich zu Ende gepflegt hat, nimmt sie wieder Bestellungen entgegen. In der Toilette hängt ein Duschkopf aus der Wand. Der Boden ist eine schaumige Überschwemmung. Auf dem Spülkasten liegt noch die Shampooflasche. Ein bisschen was ist ausgelaufen. Es riecht nach süßem Apfel.

Jochen Temsch, SZ vom 4./5.12.2010

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Google

Man steht da jetzt also seit gut zwei Wochen vor der Freien Universität, gefangen in einem Bild. Es ist ein Schnappschuss aus der Vergangenheit, aber das Bild ist ein Teil der Gegenwart, an jedem Computer weltweit abrufbar. Eingefroren mitten im Sommer, über der Schulter eine Tasche, in Begleitung eines Freundes und einer Freundin, in der Hand ein Badehandtuch. Das Seminar ist vorbei, die Vorlesung auch. Man ist auf dem Weg zum Schlachtensee, die Hitze staut sich in der Hauptstadt, man wird sie später in der Kühle des Abends beim Feiern zurückerobern.

Hier draußen, in den von Botschaften und Villen gesäumten Straßen Berlin-Dahlems ist es angenehm warm. Der Wind rauscht durch die Bäume. Man ist der ideale Student an einem idealen Tag. Hier wird man immer glücklich sein, mindestens bis zum Update der Software. Danke, Google.

Johannes Boie, SZ vom 4./5.12.2010

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Quelle: AP

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Mitten in ... Halfeti

Unten auf dem breiten Bootsponton auf dem Euphrat sitzt Müslüm und surft im Internet. Das Datenkabel hinüber zur Straße hängt drei Meter über dem Wasser. Der 42-jährige Kurde besucht meist Seiten, auf denen er Frauen kennenlernen kann. Im Moment hat er Kontakt mit Tina aus Hamburg, die sich Tinamaus nennt. Müslüm hat den Traum, aus dem Südosten der Türkei wegzukommen und eine deutsche Frau zu heiraten, eine Österreicherin wäre auch okay.

Sein Plan: Im Internet unterhält man sich, lernt sich kennen, dann kommt die Frau ihn besuchen, am Euphrat in Halfeti. Wenn alles gut läuft, würde Müslüm die Heiratspapiere beantragen. "Alles kla?", schreibt Mülsüm in gebrochenem Deutsch an der Anlegestelle. "Wie geht's?" Wenn Tinamaus dann endlich wieder antwortet, schlägt er nach, was ihre Worte bedeuten.

Hubert Filser, SZ vom 4./5.12.2010

Uhhhh ist der hässlich.....

Quelle: dpa

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Mitten in ... Buenos Aires

Die Journale von Buenos Aires sind voller Reklame, gerne kleben auch Probepackungen Shampoo oder Handcreme daran, gewöhnlich für Menschen. Die Straßen von Argentiniens Hauptstadt wiederum sind außerdem voller Hunde, die gerne jeweils dutzendweise mit Hundeführern spazieren gehen und Tausende oft matschige Tretminen hinterlassen. Jetzt haben diese beiden Phänomene endlich zusammengefunden.

Im Sonntagsmagazin eines großen Blattes hing kürzlich eine Probierportion Hundefutter. Kongo Gold, "Super Premium Quality", 26 Prozent Proteine, für "erwachsene Hunde". Das Produkt, so die Werbung, enthalte "Rote Beete zugunsten der Darmflora", damit würde "der Stuhlgang fester und geruchloser". Das wäre auch im Sinne von Leuten wie uns, die keine Hunde haben, gerade in diesen heißen Frühsommertagen.

Peter Burghardt, SZ vom 4./5.12.2010

Schüler hinter Rechenschieber

Quelle: picture-alliance / dpa/dpaweb

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Mitten in ... Quito

Michelle wird kommen. Oder Estefania. Die Schülerinnen des "Colegio 24 de Mayo" haben Zettel in die Briefkästen unserer Straße geworfen: Sie werden uns am Sonntag zählen und 71 Fragen stellen.

Zählen oder gezählt werden, eine andere Möglichkeit gibt es nicht an diesem Tag. Das Leben erlahmt: Kein Bus fährt, kein Taxi, Geschäfte und Restaurants sind geschlossen, es herrscht Alkoholverbot. Auf den Straßen darf sich zwischen sieben und 17 Uhr niemand blicken lassen - außer den Schülern, die den "Censo" durchführen, die große Volkszählung. Touristen werden in ihren Hotels festsitzen, Migranten schwitzend ihren Aufenthaltsstatus erklären, und die Ecuadorianer selbst werden wie immer bei der umstrittensten Frage nach der Ethnie schummeln: weiß, gemischt, indigen oder schwarz? Was auch immer: Jetzt zählt jeder.

Antje Weber, SZ vom 27./28.11.2010

A dairy cow sticks out its tongue in a cowshed in Hergolding near Munich

Quelle: Reuters

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Weltgeschichten:Kuh

Mitten in ... Potsdam

Sanssouci, der Park im kalten Dunst des Herbstes. Kinder toben im Laub, spielen Verstecken, und Hunde fegen über die Wiesen. Ja, Hunde, denkt man, gehören hierher. Schließlich liebte Friedrich der Große, dessen Reich auch dieser Park war, Hunde und wollte sogar neben ihnen beerdigt werden. Aber liebte er auch Kühe?

Ein Mann führt zwei Rinder durch den Park, an Leinen, als wären sie Hunde. Shiri und Rupie heißen die Tiere. Indische Kühe seien das, sagt der Mann, und bisher habe sich niemand beklagt, dass er hier mit ihnen spazieren gehe. "Shiri ist eifersüchtig, wenn ich mit Menschen rede", sagt der Mann, denn die Kuh zieht heftig an der Leine. Vielleicht wirkt der Mann deshalb so still und schüchtern, weil die Kuh nicht erlaubt, dass er mit Menschen spricht. "Jeder soll nach seiner Fasson selig werden", hat der Alte Fritz gesagt.

 Renate Meinhof, SZ vom 27./28.11.2010

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Quelle: SZ

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Mitten in ... London

In der Grafschaft Surrey wird so viel Geld verdient, dass sich die wenigsten Menschen hier mit nur einem Auto begnügen müssen: Zum Range Rover für die Weekend-Trips in die Countryside gesellen sich das BMW-Cabrio für Shopping-Touren der Gattin in der Kings Road und der kleine Ford Ka als überdachter Fahrradersatz für Besorgungen in der Nachbarschaft.

Im Londoner Speckgürtel weiß man, dass der Kleinwagen nicht das einzige Fahrzeug im Haushalt ist; Angeber-Aufkleber mit der Behauptung, dass "mein anderes Auto ein Aston Martin" sei, braucht niemand. Auch die dröge Öko-Variante "My other car is a bus" sieht man selten.

Doch was tut ein gewöhnlicher Maserati-Fahrer, der sich abheben will von der Masse der Mercedes, Bentleys und Maybachs? Er behilft sich mit einem Sticker: "My other car is a Lamborghini".

 Wolfgang Koydl, SZ vom 27./28.11.2010

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Quelle: Titus Arnu

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Mitten in ... Basel

Was ist Kunst? "Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol", schrieb Oscar Wilde im Roman "Bildnis des Dorian Grey". Im Kunstmuseum Basel kann man das derzeit sehr schön sehen, und zwar nicht nur bei der grandiosen Warhol-Ausstellung, sondern schon vor dem Eingang.

Der Innenhof des Kunstmuseums ist zu einer Kunsteisbahn umfunktioniert worden. Liebespaare, Kinder, Opas und Omas kurven auf geliehenen Schlittschuhen im Kreis herum, manche von ihnen kunstvoll, andere weniger kunstvoll. "Die Bürger von Calais", Skulpturen von Rodin, verbringen den Winter über sicherheitshalber hinter kniehohen Absperrungen aus hellem Holz. Die kleinsten Kufen-Künstler halten sich an Plastik-Pinguinen fest, die sie übers Eis schieben. Soviel zur Oberfläche. Und das Symbolische?

Alles ist Kunst, wenn's Spaß macht.

Titus Arnu, SZ vom 27./28.11.2010

Trains of German railway operators Deutsche Bahn stand during strikes in Munich

Quelle: Reuters

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Mitten in ... München

Eine Pendler-S-Bahn zur Frühschicht. Drei Schwarzafrikaner diskutieren leidenschaftlich und in bestem Deutsch über die Rentenreform, das deutsche Bildungssystem und die Vorteile von Privatschulen in und außerhalb von München. Der ganze Waggon lauscht interessiert. Dann wird ein Mann unruhig, er zupft sich am Parka, an seiner Schultertasche und seiner Brille. Plötzlich sagt er: "Also, Sie sprechen wirklich sehr gutes Deutsch! Ich kann das beurteilen." Drinnen herrscht irritiertes Schweigen. Draußen rauscht die Nacht vorbei.

Die drei Männer bedanken sich freundlich für das Lob. Plötzlich meldet sich ein zweiter Mann zu Wort: "Ja wirklich", bekräftigt er eifrig das Kompliment. "In meiner Arbeit gibt es auch Ausländer. Aber die reden immer nur ausländisch miteinander." Die S-Bahn reist weiter. Durch die Nacht.

Lena Jakat, SZ vom 20./21.11.2010

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Quelle: APN

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Mitten in ... Kairo

Dass der dümmste Kater von Kairo irgendwann stiften geht, wenn der faulste Koch von Kairo sich die Fertigpizza liefern lässt: Damit war wohl zu rechnen. Die Suche im 66-Familien-Haus gestaltete sich mühsam. Ägyptische Wohnhäuser bestehen aus dem Treppenhaus und einem Gewirr eiserner Feuerleitern, bei denen die Zahl der unter Ramses II. eingebrochenen Stiegen die der tragfähigen deutlich übersteigt. Was im neunten Stock eine Tierliebe erfordert, die ans Suizidale grenzt.

Da der Ägypter den Müll aus dem Fenster wirft, eröffnete das Abseilen auf der Feuertreppe gehaltvolle Einblicke in die privaten Lebensverhältnisse seit dem Ende der Monarchie. Danach aufs Flachdach, auf dem nie gesehene Gestalten hausen und gegen welches das Labyrinth von Knossos ein kurzer Hohlweg ist. Der Kater saß dann im Erdgeschoss.

Tomas Avenarius, SZ vom 20./21.11.2010

Kinderdienst: Jeder fuenfte Handynutzer hat ein Smartphone

Quelle: dapd

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Mitten in ... Hamburg

Der Reisebus ruht am Rande der Straße, und seine Gäste verstehen durchaus, die Pause zu nutzen. Sie reden über das Wetter, die Politik und über das Für und Wider von Busreisen. Das Wider obsiegt, in allen drei Punkten der Anklage. Zwei junge Frauen entziehen sich dem Schnellgericht. Sie sitzen im Bus, nebeneinander, zunächst stumm, die Köpfe geneigt. Scheinbar unkontrolliert wischen sie auf den Bildschirmen ihrer Handys herum und zitieren dann aus den Nachrichten von "Tim". Der Mann ist schnell überführt, zu großzügig war er beim Adressieren seiner Schmeicheleien.

Die Frauen wischen Tim weg und weiter auf den Bildschirmen herum, bis eine fragt: "Hast du meine Nachricht schon gelesen?" Antwort: "Nee, eigentlich mache ich doch zwei Wochen Facebook-Fasten." Die Freundin hört auf zu wischen, sie blickt auf und sagt: "Hm."

Cornelius Pollmer, SZ vom 20./21.11.2010

OLY-2010-CANADA-VANCOUVER-VIEW

Quelle: AFP

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Mitten in ... Vancouver

Keiner will im olympischen Dorf wohnen. Die kanadische Stadt Vancouver hatte einen hochgelobten Gebäudekomplex für die olympischen Sportler im Zentrum erstellen lassen. Wer aber heute, neun Monate nach den Winterspielen, durch das olympische Viertel spaziert, fühlt sich wie in einer Geisterstadt. Keine Menschen gehen durch die Portale ein oder aus. Vergeblich sucht man schöne Läden und belebte Cafés. 480 Wohnungen sind immer noch nicht verkauft.

Die 252 subventionierten Sozialwohnungen stehen ebenfalls leer, genauso wie viele der Luxus-Apartments, die Millionen kosten. Nur die Radler freuen sich, dass sie hier nicht von Autoverkehr gestört werden. Jetzt haben die Stadtbehörden das olympische Dorf vom überforderten Bauherren übernehmen müssen. Vielleicht werden jetzt endlich Menschen einziehen.

Bernadette Calonego, SZ vom 20./21.11.2010

Kinderdienst: Staat wird vermutlich viel weniger Geld mit Steuern einnehmen

Quelle: ddp

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Mitten in ... Mannheim

Hotel und Restaurant Kurpfalzstuben: Das einzige Haus auf der Westseite des Kaiserrings, das die Bombenangriffe überstanden hat. Nur vier schmale Fenster breit, ist die klassizistische Fassade eingezwängt zwischen gesichtslosen 60er-Jahre-Neubauten.

Seit 35 Jahren führt Ursula Hochlenert das Haus. Früher gab es rechts einen Buchladen und links einen Blumenladen, heute gibt es rechts Döner und links Yam-Yam Thai Fast Food. Bei Frau Hochlenert gibt es Maultaschen, Bratwurst mit Wirsing und frische Kalbsleber.

Sie kocht und bedient selbst. Neulich bat sie darum, die Zeche genau zu bezahlen, sie habe kein Wechselgeld. Wie das? Irgendein junger Kerl hat ihr die Geldbörse gestohlen. Ging einfach um die Theke, während sie in der Küche war, und nahm sie aus der Schublade. 300 Euro weg. Frau Hochlenert seufzt.

Hans Holzhaider, SZ vom 13./14.11.2010

Filmtheater am Sendlinger Tor in München, 2009

Quelle: Stephan Rumpf

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Mitten in ... München

An der Kasse eines Münchner Traditionskinos. Nachmittag, die Schlange ist kurz, der Atem lang. Besucherin, um die 60, Goldrandbrille: "Ein Mal Parkett." Kassiererin, um die 60, zauberhaft: "Reihe 14, gell?" Besucherin: "Bitte?" Kassiererin: "Sie sitzen immer in Reihe 14." Besucherin: "Hm."

Kassiererin, redselig: "Das ist schön, Sie mal wieder zu sehen. Sie waren jetzt aber lange nicht mehr da." Besucherin: "Mja. Also dann Reihe 14, Mitte." Kassiererin: "Links." Besucherin, gnadenlos: "Wie bitte?" Kassiererin: "Sie sitzen immer links."

Inzwischen ist die Schlange länger geworden. Alle hoffen, diese störrische Person möge jetzt höflicherweise wenigstens so tun, als erinnere sie sich an ihren Stammplatz, Reihe 14, links. Den Teufel tut sie. Sie zahlt und geht rein, dann beginnt der Film. "Wall Street 2". Die Umgangsformen bleiben mies.

Tanja Rest, SZ vom 13./14.11.2010

Belarus v Slovakia - 2010 IIHF World Championship

Quelle: Bongarts/Getty Images

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Mitten in ... Minsk

Der Sportpalast. Die Tribüne ist leer, nur etwa zehn Menschen starren auf das Eishockeyfeld. Ist auch nur ein Trainingsspiel, Rot gegen Grün. Für Grün spielen: Viktor Lukaschenko, Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats von Weißrussland, Sohn des mächtigen Präsidenten; und Dmitrij Lukaschenko, Mitglied des Olympischen Komitees, zweiter Sohn des mächtigen Präsidenten. Bei den Roten spielt: Alexander Lukaschenko, der Herrscher selber. Er trägt die Nummer eins, natürlich.

Andere sind jünger, schneller, treffsicherer, und doch läuft das Spiel auffällig oft über ihn. Keiner würde es wagen, den Staatschef zu schneiden.

Andererseits, beim Eishockey zählt jede Zehntelsekunde. Kein Problem, ihn so schnell zu finden. Unter lauter Rothelmen trägt nur Lukaschenko Schwarz. In Weißrussland wird eben nichts dem Zufall überlassen.

Frank Nienhuysen, SZ vom 13./14.11.2010

Internationale Süßwarenmesse Köln - Mozartkugeln

Quelle: picture-alliance/ dpa/dpaweb

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Mitten in ... Salzburg

Unterm gotischen Gewölbe hängen Fotos, auf denen Anna Netrebko, Riccardo Muti oder Peter Simonischek von Konditormeister Erich Winkler eigens für die Künstler kreiertes Naschwerk in Empfang nehmen. In der mehr als 130 Jahre alten "Conditorei Carl Schatz"` in der Salzburger Altstadt wird indes nicht nur Festspiel-Prominenz charmant bedient.

Mozartkugeln, Dotterbusserl und die feine Sachertorte hat die freundliche Verkäuferin bereits wohlverpackt über den Tresen gereicht, ehe der Kunde sich ans Zahlen macht. Außer Kleingeld gibt sie einen 20-Euro-Schein zurück, den sie aber urplötzlich entschlossen wieder haben will. "Geb'ns wieder her, der is gar so schiech" (hässlich). Den zerfledderten Lappen steckt sie angewidert zurück in die Kasse. Ein beinahe druckfrischer Schein erscheint ihr für den Kunden angemessen.

Werner Schmidt, SZ vom 13./14.11.2010

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Bangkok

Bangkok, auf der pulsierenden Sukhumvit-Straße. Der junge Mann flüstert verschwörerisch auf mich ein. "Ich weiß den Namen deiner Mutter", sagt der selbst erklärte Wahrsager. Er holt ein abgewetztes Foto von seiner angeblichen Großfamilie heraus, erzählt mir meine bevorzugte Farbe und Lieblingszahl, steckt 100 Baht ein und kritzelt etwas auf seinen Zettel.

Feierlich sagt er: "Noch mal 100 Baht, dann sage ich dir wirklich den Namen deiner Mutter, beschreibe deine Vergangenheit und deine Zukunft." Ich kenne den Namen meiner Mutter, die Vergangenheit ist Vergangenheit, die Zukunft will ich nicht vorhergesagt bekommen - auch wenn es verlockend klingt.

Ich verabschiede mich, aber mein kurzes Zögern hat ihn angespornt. "100 Baht und ich sage dir, ob du älter als 79 Jahre wirst." Danke, ich gehe weiter. "Du wirst jung sterben", ruft er noch.

Tobias Matern, SZ vom 6./7.11.2010

Johann Wolfgang von Goethe

Quelle: AP

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Mitten in ... New York

Ein Türsteher eben: zwei Meter hoch, Oberarme wie Schwimmflügel. Im schwarzen Gesicht kräuselt sich wildes Mehrtages-Gestrüpp zu so etwas wie Koteletten, Blick und Mundwinkel ergänzen sich wie die Rechts-Links-Kombination eines K.o.-Boxers.

Aber man hatte ihn ja passiert, vor Stunden schon, um ein paar Bier zu trinken in der schummrigen Bar, die zu bewachen seine Aufgabe war. Er hatte, nicht ohne Freude, deutsche Wörter vernommen und gesagt, er beherrsche die Sprache, "ein bisschen". Jetzt aber war der Plan: schnell vorbei, zurück auf die Straßen, in die Nacht.

Beim Verlassen packt er zu, an der Schulter, und dreht das bisschen Mensch vor ihm - wie ein Schuljunge steht er jetzt da und setzt an: "Die Sonne tönt nach alter Weise, in Brudersphären Wettgesang..." Er rezitiert Faust, den Prolog im Himmel, komplett.

Cornelius Pollmer, SZ vom 6./7.11.2010

US-HAIGHT-ASHBURY-SUMMER OF LOVE-ANNIVERSARY

Quelle: AFP

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Mitten in ... San Francisco

Auch gut 40 Jahre nach dem Summer of Love müht sich San Francisco nach Kräften, sein Image als liberalste und freundlichste Stadt des Okzidents am Leben zu erhalten. Denn es lebt sich gut davon: Im einstigen Hippieviertel Haight Ashbury macht man seit Jahren jede Wasserpfeife und jeden Wickelrock zu Geld, und mitziehen müssen auch die Hilfsbedürftigen, die Kaliforniens Wirtschaftskrise zu Tausenden in die Stadt gespült hat.

"Bin in Not" würde hier kein Bettler auf seine Pappe schreiben. Es muss positiv klingen für den Erfolg bei Touristen. "I need a little help from my friends" steht auf ihren Bittschildern oder: "Selbst Dein Lächeln rettet meinen Tag."

Etwas weiter Richtung Finanzdistrikt ist Schluss mit dem Blumenkinderduktus. "Warum lügen? Ich will ein Bier", hat ein Obdachloser auf dem Zettel neben seiner Schale notiert. Ihm geben die Touristen am meisten.

Marten Rolff, SZ vom 6./7.11.2010

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Quelle: stockexchange

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Mitten in ... Kruszyniany

Über die einzige Straße von Kruszyniany weht ein eisiger Wind. Das polnische Dorf kurz vor der weißrussischen Grenze ist umgeben von Wald. 30 Familien leben hier: Katholiken, Orthodoxe und Tataren, eine muslimische Minderheit in Polen.

Mitten im Ort steht ein türkisgrünes Holzhaus. Auf dem Dach sind drei kleine Kuppeln, auf denen goldene Halbmonde leuchten. Es ist die Moschee. Dzemil Gembicke zieht seine Schuhe aus und führt in den mit Teppichen ausgelegten Gebetsraum. Der 37-Jährige ist Tatare. An der Wand hängt ein Bild von Mekka. Von der deutschen Debatte über die Integration von Muslimen hat er gehört. Ob es in Kruszyniany Konflikte gebe?

Gembicke zieht seine Augenbrauen zusammen. "Ja, wir haben auch Probleme", sagt er ernst. "Mit drei Religionen haben wir so viele Feiertage - da kommen wir kaum zum Arbeiten."

Inga Rahmsdorf, SZ vom 6./7.11.2010

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Quelle: AP

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Mitten in ... Delhi

Am Gulmohar Park rast wieder einer der berüchtigten Busse vorbei. Kurzer Stopp, eine Menschentraube springt raus, neue Pendler stürmen rein. Im Falle der "Blue-Liner" ist jeder Stau ein Segen: In den vergangenen zehn Jahren haben die Fahrer der Killerbusse mehr als 1000 Menschen in Delhi getötet. Sie überholen waghalsig, kennen keine Gnade bei Fußgängern. Sie werden privat betrieben und zum Festpreis an Subunternehmer vermietet.

Alle Beteiligten wollen ihre Rupien zusammenbekommen. Also muss es schneller gehen als erlaubt. "Das Leben der Menschen in Delhi darf nicht länger von der Gnade der Blue-Line-Busse abhängen", sagt der Transportminister nun. Mitte Dezember sollen sie von den Straßen verschwunden sein. Die neuen Busse haben während der Commonwealth Games die Sportler befördert - ohne Todesfall.

Tobias Matern, SZ vom 30./31.10.2010

Bundesweit Warnstreiks bei Bahn angekündigt

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

Im Tunnel vor Würzburg. Mehrere harte Schläge erschüttern den ICE. Die Passagiere im Wagen 26 fahren hoch, blicken einander entsetzt in die Augen. Einen Moment lang halten sie die Luft an. Warten. Doch der Zug entgleist nicht, er fährt einfach weiter. Das sei wahrscheinlich nur ein Ventil der Klimaanlage gewesen, versucht die Schaffnerin zu beschwichtigen.

In Nürnberg untersucht sie mit der Taschenlampe das Drehgestell. Der Sitznachbar sagt, er habe zwar keine Familie zu versorgen, aber Tempo 300 auf der Neubaustrecke nach München, das wäre ihm in diesem Waggon deutlich zu schnell. Er steigt aus und wünscht viel Glück. Der ICE rollt ruhig in den Hauptbahnhof ein. Da sei nichts gewesen, sagt der Lokführer und geht.

Was er nicht sieht: Die Frontschürze des Zugs ist auf der rechten Seite eingedellt. Der Schaden sieht frisch aus.

Sebastian Beck, SZ vom 30./31.10.2010

ORESUND BRIDGE

Quelle: AP

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Mitten in ... Schonen

Dänen und Schweden, das ist ein schwieriges Thema. Da ist man sich in vielem ähnlich - und versteht sich doch oft nicht. Über niemanden wird in den beiden Ländern so inbrünstig gelästert wie über den jeweiligen Nachbarn jenseits des Öresunds. Doch seit zehn Jahren quert nun eine Brücke diese Meerenge. Das neue Bauwerk scheint die alte Hassliebe zärtlich zu verändern: Dänen und Schweden schlafen jetzt öfter miteinander.

Das vermutet jedenfalls der schwedische Verband für Sexualaufklärung, der zugleich fürchtet, die Schweden könnten von ihren Lustausflügen ins freizügige Kopenhagen mit Geschlechtskrankheiten heimkehren. Mit der Studie "Sexa i Danmark" (Sex haben in Dänemark) will man sich nun Klarheit über das Liebesleben am Sund verschaffen. Ergebnisse sollen im März vorliegen, pünktlich zum Frühling also.

Gunnar Herrmann, SZ vom 30.31.10.2010

Das Ferne in die Nähe holen: Freizeit-Trend 'Natur' macht Ferngl

Quelle: obs

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Mitten in ... Bodega Bay

Das kleine Bodega Bay am Pazifik, 60 Meilen nördlich von San Francisco, zehrt bis heute davon, dass Hitchcock hier 1963 seinen Horrorklassiker "Die Vögel" drehte. Alle Reiseführer notieren es. Viel sieht man hier nicht mehr davon; was auch daran liegt, dass der Regisseur beim Dreh ein geschlossenes Ortsbild vorgaukelte. Kirche und Schule, die im Film von agressiven Vögeln belagert werden, stehen acht Kilometer landeinwärts. Die berühmte Pier liegt weit vor dem Ort, das Lokal dazu wurde renoviert.

"Eine Schande, dass nichts mehr originalgetreu ist", seufzt eine Barfrau. Bodega Bay selbst - menschenleer. Überlaufen ist nur der Strand, er kostet zehn Dollar Eintritt. Trotzdem reiht sich hier Auto an Auto. Man sieht Menschen mit Ferngläsern. Sie interessieren sich nicht für Hitchcock. Der Strand vor Bodega Bay ist heute ein sehr populärer Ort für Vogelbeobachtung.

Marten Rolff, SZ vom 23./24.10.2010

INDIA-ECONOMY-MONKEY

Quelle: AFP

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Mitten in ... Dehli

Der Innenhof eines Instituts, an dem Inder ihr Englisch aufbessern können. Aufgeregt kommt ein Junge vorbei. "Sir, ich muss mit Ihnen reden", sagt er zu mir in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet. "Ich bin 14 Jahre alt und schreibe Songs. Nicht nur in Hindi, auch in Englisch. Was machen Sie?"

Ich antworte, dass ich Journalist sei. "Wunderbar, Sir. Ich arbeite für Sie. Ich schreibe ja auch." Seine Ambitionen sind ungebrochen, obwohl ich ihm antworte, dass es sich um eine deutsche Zeitung handelt und ich gut ohne Assistenten auskomme. "Kein Problem, Sir. Ich fange an, Deutsch zu lernen. Was wird mein erster Job sein?"

Ein Mann kommt vorbei. Er führt einen Affen an einer Leine. Der Junge nimmt von dem Duo keine Notiz. So etwas ist ja ganz normal, in Delhi. "Über die Bezahlung können wir später reden", sagt der Junge.

Tobias Matern, SZ vom 23./24.10.2010

Israeli Grand Master Aims To Beat World Record For Simultaneous Chess Games

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Tel Aviv

Die Schlacht ist geschlagen, der Gegner schachmatt: Israel hat den Iran besiegt! Es war ein Handstreich - ein Tag und eine Nacht nur hat es gedauert -, und zu verdanken ist der Triumph einem klugen Kopf und einer kühnen Strategie. Die ganze Nation atmet nun erleichtert auf, weil es dem israelischen General, pardon: Großmeister Alik Gerschon gelungen ist, beim Simultan-Schach gegen 525 Gegner zu bestehen. Bislang hatte das Guinness-Buch einen Iraner mit 500 Gegnern als Rekordhalter geführt.

Am Rabin-Platz, wo sonst die großen Friedensdemonstrationen stattfinden, wurde nun an langen Spieltischen der Sieg errungen. Die Freude in Israel ist noch größer als vor Jahresfrist, als der Libanon niedergekocht worden war im Kampf um den weltgrößten Humus.

Es gibt so viele Fronten, an denen es sich zu kämpfen lohnen würde.

Peter Münch, SZ vom 23./24.10.2010

Langsames Ende der Glühbirne

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

Eine kleine Überraschung - ausgerechnet beim Heimflug vom Logistik-Kongress in Berlin. Im aufgegebenen Koffer informiert nach der Landung das Protokoll Nummer 54 eine Notiz über die Entnahme und Vernichtung eines Gegenstandes durch zwei Sicherheitsleute - nach dem Vier-Augen-Prinzip, zwei Unterschriften: Es geht um eine Energiespar-Glühlampe.

Die als Werbepräsente ebenso wie Muffins, solarbetriebene Schrittzähler und Gummi-Enten unter die Leute verbreiteten Teile könnten auf den Flughäfen einige Arbeit verursacht haben. Immerhin wurde die Veranstaltung von 3400 Menschen aus 40 Ländern besucht. Da die Verpackung ebenfalls konfisziert worden ist, weiß man auch nicht mehr so recht, von wem das wirkungsvolle Werbegeschenk stammt - welch ein Glück für die Logistik-"Experten", die so etwas verteilen ließen.

Michael Kuntz, SZ vom 23./24.10.2010

Klaus Kinski, 1987

Quelle: Klaus Kinski während der Dreharbeiten zu "Kinski Paganini". AP

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Mitten in ... München

München ist eine Stadt der Filmkunst. Dietl, Petersen, Achternbusch. Das gibt es doch nicht umsonst! Da fährt man abends gerne noch einmal um den Block, um einen Parkplatz zu finden. Gerade haben sie einen neuen "Tatort" abgedreht. Überall riesige Lastwagen mit Kabeln, Stativen und Scheinwerfern. Daneben ein zweistöckiger Schmink-Container.

Jetzt wird eine Ecke weiter abgeschleppt. Um Platz für neue Garderoben-Wagen und Catering-Buden zu schaffen. "Im Auftrag des Ersten Deutschen Fernsehens entsteht hier eine neue Folge der Fernsehreihe ,Utta Danella'", steht auf dem Zettel im Treppenhaus. "Unter der Regie von Marco Serafini agieren Peter Weck und Gerlinde Locker."

Locker. Genau. Immer schön locker bleiben. Auch für gebührenfinanzierten Fernsehmist kann man sich ruhig mal abschleppen lassen.

Martin Zips, SZ vom 16./17.10.2010

Gedenken an den Holocaust vor 67 Jahren

Quelle: dpa/dpaweb

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Mitten in ... Tel Aviv

Nein, man sollte fremde Männer im Café nicht zu lange anstarren. Das ist nicht cool. Weder in Hamburg noch in Tel Aviv. Aber wie hält bloß diese Kippa auf dem Kopf da?

Schließlich ist es ein Glatzkopf. Frisch rasiert glänzt er in der Sonne. Das Bier kommt, die Glatze wippt, die Kippa bleibt. Schräg hängt sie am Hinterkopf, physikalisch unmöglich. Kein Haar, das die übliche kleine Spange hält. Die Antwort liefert Tage später Eitan.

Der ist Öko-Aktivist, Jude und aus Baden-Württemberg. Jetzt lebt er in Israel - und trägt Kippa. Auch Eitan schert sich manchmal eine Glatze. Damit die Kippa hält, verwendet er Aufkleber. Einfach Papier abziehen, Seiten umklappen, in die Kippa pappen und auf den Kopf damit. Es sind übrigens Aufkleber der Partei Meretz. Die ist ihm inzwischen zwar zu links, aber als schwäbischer Öko trägt er die Kleber gerne auf.

Kristina Läsker, SZ vom 16./17.10.2010

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Quelle: AP

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Mitten in ... New York

Als man noch jung und arm war und die Musikindustrie noch florierte, gab man leider viel zu viel Geld für CDs aus. Die schlechten verstauben seitdem im Regal. Und die guten ebenfalls, seit man sie auf dem iPod hören kann. Was also tun mit der CD-Sammlung? Das fragte sich auch Kris Schrey, der es satt hatte, von Second-Hand-Ganoven für seinen Musikgeschmack ausgelacht zu werden.

Bis er eines Tages herausfand, dass in vielen Teilen der Welt ein schier unstillbarer Hunger nach gebrauchten CDs herrscht. In Long Island City, am anderen Ufer des East River, hat er nun ein gut gehendes Geschäft damit gestartet.

Die Kunden bringen Schrey ihre CDs, Schrey gibt ihnen dafür einen iPod. Die Musik wird dann umgehend ins Ausland verschifft: "Der Pop geht in die Karibik. Rock nach Osteuropa. Und Klassik und Jazz nach Korea und Taiwan."

Jörg Häntzschel, SZ vom 16./17.10.2010

A general view of Machu Picchu ruins

Quelle: Reuters

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Mitten in ... Machu Picchu

Es ist halb fünf Uhr morgens und es ist stockdunkel. Es sind acht Kilometer vom kleinen Ort Aguas Calientes aus, und es sind sehr, sehr viele Steinstufen bis zum Eingang von Machu Picchu. Aber die Plackerei soll sich lohnen: Die alte Stadt der Inkas öffnet ihre Tore um sechs. Erst später, wenn auch Busse fahren, kommen die Pauschaltouristen. Täglich besuchen 2500 Menschen das Unesco-Weltkulturerbe in Peru. Kurz vor sechs warten nur ungefähr 100 Rucksack-Reisende auf Einlass. Die Sonne geht langsam auf, die Wolken hängen tief in den Bergen, die Ruinen wirken mystisch. Hat sich das frühe Aufstehen also wirklich ausgezahlt. Dachten wir.

Um 6.15 Uhr marschieren zwei Männer an, mit Warnwesten, Ohrenschützern und Rasenmähern. Sie arbeiten bis halb neun, dann ist der Lärm vorüber - nur sind jetzt schon über 1000 Touristen da.

Florian Fuchs, SZ vom 9./10.10.2010

© Süddeutsche Zeitung/dd/kaeb
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