Mittelmeer:Die ungewöhnlichste Kreuzfahrt der Saison

Die Wiener Philharmoniker proben auf einem Schiff und sitzen mit Fans in der Sauna. Und das ist kein Sketch von Monty Python.

Von Christian Krügel

Schwülstige Liebe und Erotik, um nichts anderes geht es in dieser Musik. Also geben die Streicher der Wiener Philharmoniker alles, steigern sich voll Inbrunst in die Tonkaskaden Arnold Schönbergs, kommen leidenschaftlich zum Gipfel von dessen vertontem Liebesgedicht "Verklärte Nacht" - und da passiert es. Der Boden des Konzertsaals beginnt zu vibrieren, binnen Kurzem bebt alles: die Sitze in den Zuschauerreihen, das diamantgeschmückte Dekolleté manch Wiener Witwe, die Goldketten mexikanischer Señoras, das schüttere Haupthaar ihrer männlichen Begleiter. Der Bühnenvorhang weht, Podium und Publikum zittern kurz, und dann geht, noch ehe die Philharmoniker zum versöhnlichen Ende von Schönbergs Musik kommen, alles in ein gleichmäßiges, sanftes Schaukeln über. Die Mein Schiff 3 und ihr schwimmender Konzertsaal haben den Hafen von La Seyne verlassen und fahren friedlich vor der Küste Südfrankreichs Barcelona entgegen.

Die Wiener Philharmoniker proben auf einem Kreuzfahrtschiff Arnold Schönbergs "Verklärte Nacht": Das klingt so bizarr, dass es sich um einen Sketch aus dem Repertoire von Monty Python handeln könnte. Doch das, was Konzertmeister Rainer Honeck und seine Kollegen da im Theatersaal von Mein Schiff 3 erarbeiten, ist durchaus ernst gemeint. Es ist die Generalprobe für das Konzert im Palau de la Música in Barcelona am nächsten Abend, Höhepunkt der vielleicht ungewöhnlichsten Kreuzfahrt dieser Saison: Die Wiener Philharmoniker schippern an Bord eines Tui-Luxusliners zehn Tage lang über das westliche Mittelmeer, begleitet von 830 Fans.

Das Orchester gilt nicht nur als eines der besten Ensembles weltweit, sondern ist dank Neujahrskonzert, Wiener-Walzer- und Staatsopern-Seligkeit längst eine der besten Marken auf dem globalen Klassikmarkt. Entsprechend multinational ist sein Publikum auf dieser Reise. Der Großteil der Mitreisenden kommt natürlich aus Österreich und Deutschland, darunter echte Klassik-Pilger, die ihren Jahreslauf an den Festspielkalendern von Luzern, Salzburg, Bayreuth ausrichten, aber auch viel Wiener Geld- und alter Adel, für den es einfach zum guten Ton gehört, mit den Philharmonikern zu verreisen. Die zweite große Gruppe kommt aus Fernost, aus Japan, Korea, Taiwan, China - nirgendwo sonst sind Liebhaber fanatischer und mehr bereit, viel Geld für die Stars des Betriebs auszugeben. An Leidenschaft überboten werden sie an Bord nur noch von 190 Mexikanern, bei denen die prächtig dekorierten und restaurierten Ehefrauen für leidenschaftliche Tenöre mindestens so sehr entflammen wie für das Geld des Gatten. Geradezu unauffällig sind dagegen die Philharmoniker-Fans aus den USA und Australien, die die Pilgerschaft vervollständigen.

Musik-Entertainment ist ein ein prima Hebel, um sich neue Zielgruppen zu erschließen

"Musik ist eben etwas Völkerverbindendes", sagt Michael Springer. Der Klagenfurter mit der weißen Haartolle weiß freilich, dass die Fans noch mehr verbindet: ein Durchschnittsalter wohl knapp über 70 und ein ordentlich gefülltes Bankkonto. Es war deshalb wohl kaum nur der musikalische Idealismus, der Springer 2008 auf die Idee brachte, die Philharmoniker und ihre Anhänger gemeinsam zu verschiffen - noch ehe die gesamte Kreuzfahrtbranche auf die Idee kam, mit reinen Musikreisen neue Kundschaft zu locken.

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SZ-Karte

Das Potenzial an Kreuzfahrt-Reisenden allein in Deutschland sei noch lange nicht erschöpft, heißt es bei Tui Cruises. Doch trotzdem muss sich die Branche neues Publikum erarbeiten, und da ist besonderes Musik-Entertainment ein prima Hebel. Mit seiner "Heavy Metal Cruise" hat der Touristikkonzern das vorgemacht: Mit Hardrock-Bands und aufwendigen Konzerten lockte er Kunden an Bord der Luxus-Schiffe, die sonst beim Wacken-Festival im Schlamm campen. Anfang Mai gab es auf der Mein Schiff 3 eine Udo-Lindenberg-Tour von Malaga nach Palma, gefolgt nun von den Wiener Philharmonikern.

Deren Reise ist trotzdem ein bemerkenswerter Deal - zumal für Michael Springer, der in Familienregie den kleinen Kärntner Tourismusbetrieb "MS 6" leitet. Offenbar verfügt der Klagenfurter über beste Beziehungen in das dicht verwobene Wiener Musikernetzwerk. Das half ihm auch, die anfangs skeptischen Philharmoniker zu überzeugen. "Die Philharmoniker werden zur Schiffskombo", witzelte die Wiener Presse bei der ersten Reise vor acht Jahren. Inzwischen schwärmt Orchestervorstand und Violinist Andreas Großbauer von der "einmaligen Gelegenheit", mit den Kollegen unter völlig anderen Umständen zu arbeiten und "in der lockeren Atmosphäre eines Kreuzfahrtschiffes mit unseren Fans und Freunden aus aller Welt a bisserl auf Tuchfühlung gehen zu können".

Objekte der Begierde für Wiener Hofratswitwen

Um den Nimbus des Orchesters nicht zu gefährden, braucht es aber schon exquisite Namen, die sich dem globalen Fan-Publikum gut verkaufen lassen. Nach vier Jahren Pause ist Springers Label "Musik & Meer" das in diesem Jahr nahezu perfekt gelungen: Für die mexikanischen Señoras kommt Tenor Ramón Vargas an Bord, für die Fernost-Fraktion die Chinesin Ma Xiaohui, ein Star an einem seltsamen Lauteninstrument namens Erhu; für die deutschsprachigen Freunde des gepflegten Liedguts die Mezzosopranistin Bernarda Fink. Globale Stars sind ohnehin Dirigent Zubin Mehta und Bariton Thomas Hampson.

Ersterer stößt für ein Konzert in Livorno dazu, Letzterer für eines in Barcelona und einen Liederabend an Bord, irgendwo zwischen Ibiza und Palma. Und obendrein haben die Philharmoniker Dominique Meyer mitgebracht. Der ist Direktor der Wiener Staatsoper, was bei österreichischen Musikliebhabern mehr gilt als der Bundespräsident und was den armen Meyer während der Reise zum Objekt der Begierde für Wiener Hofratswitwen macht.

Die bekommen außer Meyer hautnah: mehrere Liederabende und Generalproben an Bord, ein paar Vorträge und Autogrammstunden, zudem zwei Konzerte an Land - im Stadttheater von Livorno mit Mehta, in Barcelona mit Hampson und Honeck. Dafür zahlen sie allerdings auch einen stolzen Preis: Ab 5000 Euro gibt es das volle Philharmoniker-Fanpaket inklusive Balkonkabine und aller Vorzüge der Mein Schiff 3. Auch dieses Schiff, seit 2014 in Dienst, ist exquisit, zumal für alle der bis zu 2500 Passagiere der Slogan von Tui Cruises gilt: "Premium inklusive".

Und das ist dann auch das Problem der Philharmoniker-Reise. Denn "normale" Tui-Gäste zahlen für dieselbe Reise ohne Konzert-Programm dramatisch weniger: Ab knapp 2000 Euro ist die Balkonkabine in diesem Sommer auf dieser Route zu haben. Und genießen kann man dafür alles, was auch den Klassik-Junkies geboten wird: elf Restaurants, zwölf Bars, einen 25 Meter langen Außen- und einen schnuckligen Innenpool, Fitnessstudio und Relax Lounges, Kinderbetreuung, Open-Air-Kino und Spa. Fast alles ist im Preis inkludiert, vom Cocktail an der Bar bis zum Menü mit Service am Tisch in einem der sehr feinen Restaurants. Extra bezahlt werden muss nur für Spezialitäten-Gastronomie (etwa im hervorragenden japanischen Lokal), in der luxuriösen Café Lounge oder den Champagner- und Diamantbars. Tui Cruises will sich vom Party- und Rummel-Image der Aida-Schiffe abheben, ohne deshalb gleich Luxusklasse und -preise wie auf der Europa anzubieten. Das Konzept geht auf, für vergleichsweise wenig Geld wird Service und Qualität geboten. Aber wo bleibt dann der teuer bezahlte exklusive Charakter der Philharmoniker-Tour?

Alle Konzerte sind extrem hörenswert

Michael Springer weiß um das Problem. Seine deutlich höheren Preise rechtfertigt er mit hohen Kosten: 20 Mitarbeiter, die er zur Betreuung der Kunden anheuern muss; die ausgeklügelte Logistik, die es allein schon für die Verschiffung der Instrumente braucht; nicht zuletzt die Gagen für die Künstler - "auf dem Niveau fährt da keiner umsonst mit". Sein Traum wäre, ein Schiff nur für Philharmoniker und Fans zu haben, volle Exklusivität also. Doch ein kleineres Schiff mit demselben Equipment, wie es Mein Schiff 3 bietet, sei eben nicht zu finden. Tatsächlich ist der Tui-Cruiser prädestiniert für eine solche Musiktour: Es gibt einen formidablen Kammermusiksaal für 200 Zuhörer und einen Theatersaal für 1000 Gäste. Der hat zwar die Akustik und die Luftfeuchtigkeit eines Teppichlagers, was Hampson und Co. bei ihren Auftritten förmlich den Atem raubt. Aber er ist ideal groß für die täglichen musikalischen Events, die für die Philharmoniker-Gemeinde organisiert werden.

Und natürlich kommen die Klassik-Pilger auf ihre Kosten. Alle Konzerte sind extrem hörenswert, die Künstler ihre Gagen allemal wert, schon allein der Besuch des überbordend dekorierten Konzertsaals von Barcelona lohnt sich. Für den wahren Philharmonikerfreund sind es aber wohl diese raren Momente, für die er gerne eine solche Reise bezahlt: Zum Beispiel, wenn Thomas Hampson mehr als eine Stunde lang seinen verklärten weiblichen Fans persönliche Widmungen ins Programmheft schreibt. Oder wenn es einer Verehrerin von Zubin Mehta bei ähnlicher Gelegenheit gelingt, dem vergötterten Maestro mit einer Pinzette ein irdisches Haar auszuzupfen. Oder wenn der Orchestervorstand Clemens Hellsberg bei der Hafeneinfahrt mit Philharmoniker-Abonnenten über Christian Thielemanns Beethoven-Interpretationen diskutiert. "Wir haben keine Berührungsängste", sagt Thomas Hampson, "wir leben doch nicht in einer Blase."

Doch manchmal dürften sich die Musiker das auf dieser Reise durchaus gewünscht haben. Etwa Violinist Andreas Großbauer. Der erzählt reichlich indigniert von einer Begegnung in der Sauna: Eine Wiener Dame sei an ihn herangerutscht und habe ihm zugeflüstert: "Geh, könnten's mir ned den Schönberg und seine Verklärte Nacht noch a mal erklären?" Ein unbezahlbarer Moment, fürwahr.

Klassikkreuzfahrt

Die nächste Kreuzfahrt mit den Wiener Philharmonikern plant Tui Cruises für den September 2018 auf der Mein Schiff 6. Tui Cruises bietet die zehntägige Tour durch das westliche Mittelmeer in diesem Sommer auf der Mein Schiff 3 regelmäßig an. Ab 2017 mit der Mein Schiff 5, die noch heuer in Dienst gestellt werden soll. Die Balkonkabine gibt es in diesem Jahr ab knapp 2000 Euro pro Person. Informationen: www.tuicruises.com, www.ms6.at

Christian Krügel

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