Mitfahrzentrale für Flugreisende:Abheben auf Zuruf

Mitfahrzentrale für Flugreisende: Wer mit einer Propellermaschine mitfliegt, bekommt gratis einen Hauch Abenteuer fürs Familienalbum dazu.

Wer mit einer Propellermaschine mitfliegt, bekommt gratis einen Hauch Abenteuer fürs Familienalbum dazu.

(Foto: Wingly)

Eine neue Internetseite bringt Privatpiloten mit Passagieren zusammen. So ein Flug hat mit einer Mitfahrgelegenheit im VW Golf erstaunlich viele Gemeinsamkeiten.

Von Juliane Liebert

Warum mitfahren, wenn man auch mitfliegen kann? Es klingt verführerisch: Von Berlin für einen Tagesausflug direkt nach Sylt fliegen, um sich schnell mal ins Meer zu stürzen. Kurz für ein paar Stunden von München nach Cannes hoppen und an der Croisette entlang flanieren. Mit solchen Angeboten lockt die Website Wingly potenzielle Nutzer.

Seit Februar dieses Jahres vermittelt Wingly in Deutschland Mitreisegelegenheiten in Privatflugzeugen. Das Angebot funktioniert im Grunde wie die bekannten Mitfahrzentralen für Autos, nur reist man hier gegen Beteiligung an den Fahrtkosten eben nicht in einem VW Golf oder Ford Fiesta mit, sondern in einer Cessna oder anderen Propellermaschinen.

Alles wird geteilt: Autos. Häuser. Boote. Warum dann nicht auch Flugzeuge?

Wingly wurde von dem Deutschen Lars Klein mit Bekannten in Paris gegründet, in Frankreich gibt es die Seite schon einige Monate länger. Die Idee ist nicht ganz neu, seit über 20 Jahren existiert etwa schon die spartanische Gratis-Website Mitflugzentrale.de, der man ihr Alter aber auch ansieht und deren Angebot an Flügen mehr als überschaubar ist. In Zeiten der viel beschworenen Share Economy, in der längst auch Häuser (Airbnb) und Boote (Boaterfly) geteilt werden, bekommt die Vorstellung, sich ein Kleinflugzeug zu teilen, wieder neuen, nun ja, Aufwind. "Heute legen die Nutzer großen Wert auf Bedienbarkeit", preist Klein den Vorteil seiner Plattform.

Höchste Zeit für einen Selbstversuch, um herauszufinden, wie es sich anfühlt, auf Zuruf statt ins Auto eines Unbekannten in das kleine Flugzeug von nebenan zu hüpfen.

Bevor man Wingly benutzt, sperrt man, wie vor jedem Flug, lieber erst einmal sein ökologisches Gewissen in den Kühlschrank, Energieklasse A+++. Fliegen ist schlecht für die Umwelt, andererseits ist das meiste, was dem Menschen Vergnügen bereitet, schlecht für die Umwelt, da kann man auch gleich zur Dauerbuße im Wald leben. Nach dem Ausräumen moralischer Bedenken geht's an die Anmeldung. Die ist einfach: E-Mail eintragen, Namen angeben, schon ist man Mitglied. Ein Pilot muss, wenn er Flüge anbieten möchte, seine Pilotenlizenz sowie sein fliegerärztliches Tauglichkeitszeugnis hochladen.

Ist das erledigt, wird es spannend. Auch wenn das Werbevideo etwas anderes suggeriert: Klassische Streckenflüge, etwa von München nach Berlin, gibt es auf Wingly nur wenige, die meisten Angebote sind Rundflüge. Eine typische Reise mit der Mitflugzentrale dauert eine Stunde und kostet circa fünfzig Euro pro Person. Abhängig ist das aber letztlich immer von den Kosten, "die der Pilot laut Gesetz teilen darf", erklärt Klein. In Frankreich bekam das Portal deswegen sogar schon juristischen Ärger. Der Vorwurf: kommerzielle Nutzung. Aus Kleins Perspektive stimmt das nicht: "Da wir lediglich die Kosten teilen, ist keine Kommerzialität gegeben." Noch kassiert Wingly keine Provision, aber das soll sich ändern, 10 bis 15 Prozent sind laut Klein anvisiert.

Auch Helikopterflüge und Ballonfahrten sind im Angebot

Im Flugplan der Website gibt es auch ein paar Perlen - Helikopterflüge und Ballonfahrten, eine sogar mit einem Ballonfahr-Weltmeister. Die Plattform hat aktuell mehr als 2000 Piloten in ihrer Kartei, die eine Hälfte in Deutschland, die andere in Frankreich. Sie bieten mehr als 2500 Flüge an und heben im Schnitt ein Mal in der Woche ab.

So, Berlin-Usedom ist gebucht. Nun folgt das vom Mitfahren im Auto vertraute Prozedere inklusive der ewigen großen Fragen der Menschheit: Geht's vielleicht eine Stunde später? Was passiert, wenn jemand aufs Klo muss? Werden alle Insassen am Ende sterben? Auch vertraut: der lange Weg zum Treffpunkt. Die Fahrt vom Berliner Stadtzentrum zum Flugplatz Strausberg dauert mehr als eine Stunde. Praktikabel ist das nicht, andererseits, in Berlin braucht man ja überallhin mindestens eine Stunde.

Am Flugplatz angekommen, wartet der Pilot schon. Friedlich breitet sich die Rollbahn aus, die Flugzeuge glänzen in der Sonne. Sie sind erstaunlich klein, zierliche Büchsen mit Flügeln. Mathias Schlenther, mit dem wir heute mitfliegen werden, erklärt die Maschine: Es ist eine Cirrus. Ein Viersitzer, mit 6-Zylindermotor und 310 PS, der Mercedes unter den Kleinflugzeugen. Wenn der Griff am Kabinendach gezogen wird, zündet eine Rakete und ein Fallschirm öffnet sich, der im Notfall das ganze Flugzeug samt Insassen mit einer Sinkgeschwindigkeit von etwa 30 Stundenkilometer zu Boden gleiten lässt. Aha, gut zu wissen - und rein ins geflügelte Taxi. Die Mitflieger kriegen Kopfhörer, man unterhält sich über Headsets.

Auch Schlenther chartert seine Maschine nur. Eine Cirrus zu mieten, kostet den Piloten mehr als 400 Euro die Flugstunde, die billigere, aber auch deutlich langsamere Cessna gibt es ab 180 Euro. Mathias Schlenther fliegt vier bis fünf Mal im Monat und nimmt, seit es Wingly gibt, öfter Leute mit. Er wirkt so souverän, dass die Fluggäste wohl noch entspannt blieben, wenn das Ding brennen würde. Und Start!

Der Mensch entkommt der Schwerkraft, aber nicht der Musik seines Chauffeurs

Kaum haben sich alle an die Sicht, das gelegentliche Rütteln und Schütteln und das Gemurmel des Funks gewöhnt, da beschließt der Pilot, Musik anzumachen. Im Flugzeug. Ein Flashback zur Mitfahrgelegenheit: Der schlimmste Moment ist immer, wenn man feststellt, dass der Fahrer auf Udo Jürgens steht; man steigt ein und weiß: Die nächsten vier Stunden werde ich Udo Jürgens hören. Es gibt kein Entkommen. Der Mensch kann die Schwerkraft überwinden, zum Mond fliegen, aber es ist unmöglich, dem Musikgeschmack seines Chauffeurs zu entkommen. Eric Clapton singt "Tears In Heaven", dann folgt "Conquest Of Paradise". Glücklicherweise geht Fliegen deutlich schneller als Autofahren.

Den Spaß am Fliegen teilen

Die Landung nach einer Dreiviertelstunde Flug ist bemerkenswert sanft, draußen duftet das Gras, die Rucksäcke werden geschultert, es geht weiter. Danke! Und gerne wieder! Hätte man für die gleiche Strecke die Bahn genommen, hätte man zehn Euro weniger ausgegeben und - mit An- und Abfahrt vom Flugplatz - genauso lange gebraucht.

Kann man mit Wingly zum Meeting am Donnerstagmorgen um zehn Uhr fliegen? Man kann es versuchen. Aber trotz zunehmender Popularität wird die Mitflugzentrale keine Alternative zu Bahn und Fluglinie werden. Die Streckenauswahl ist zufällig und Flüge können wegen schlechten Wetters oder Bedenken des Piloten kurzfristig abgesagt werden. Aber der Fokus liegt sowieso auf Rundflügen, Tages- oder Wochenendtrips.

Wingly will kein Ersatz für klassische Airlines sein, sondern Privatpiloten die Möglichkeit bieten, Flugkosten mit Passagieren zu teilen - und den Spaß am Fliegen.

Es gibt auch noch andere Mitflugzentralen in Deutschland wie Flyt.club oder Mitfliegen.eu. Aber Wingly ist nach Einschätzung seiner Gründer das erste Portal, das erfolgreich ist. "Nach drei Monaten in Deutschland und Frankreich konnten wir mehr Nutzer sammeln als alle Mitflugzentralen in Europa. 10 000 Nutzer haben über 800 Mal Flüge gebucht. Das lässt uns positiv in die Zukunft blicken", sagt Klein.

Sind Mitflugzentralen der Anfang vom Ende des Zeitalters der Exklusivität? Früher gab es mehr exklusive Sachen, das zeigt sich schon im Supermarkt: Einst war Spargel etwas Besonderes, jetzt, da er nicht mehr so viel kostet, ist es der neue Trend, ihn teuer bereits geschält auf Eis zu verkaufen. Ist Wingly der geschälte Spargel unter den Reisemöglichkeiten? Sagen wir, es gibt normalen Bürgern endlich die Möglichkeit, sich auch mal zünftig zu profilieren. Sätze wie "Ich kann heut leider nicht so lang, ich flieg morgen früh in einem Viersitzer an die Ostsee" werden auf einmal erschwinglich. Ist das so gut wie es klingt? Ja, eigentlich schon.

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