Mit dem Kanu nach Rom:Rücken am Fluss

Nach Rom fahren kann jeder. Nur mit dem Kanu auf dem Tiber ist diese Reise noch ein echtes Abenteuer. Es lohnt sich. Auch wenn die Strecke von der Quelle bis zur Engelsburg aufs Kreuz geht.

Helmut Luther

Zur Quelle führt eine Promenade. Von einem Parkplatz oberhalb des Dorfes Balze im Apennin schlängelt sich ein breiter Pfad durch einen Eichenwald. In Sichtweite plätschert ein Bächlein über bemooste Felsen. Gesäumt von einem Holzgeländer, schraubt sich der Weg mit moderater Steigung bergan, auch Rollstuhlfahrer kämen hier zurecht. "Italiener gehen ungern zu Fuß", sagt Carlo Bevicini.

Tiber Rom Italien

Die Kanufahrt auf dem Tiber verläuft vom Ursprung fast bis zur Mündung.

(Foto: SZ Grafik)

Der freundliche 49-Jährige mit muskulösem Oberkörper und blauen Augen geht voran zum Ursprung des Tibers. Er ist in Stein gefasst. Mussolini hat die Quelle als "heilig für die Geschicke Roms" bezeichnet. Der schwülstige Satz ist immer noch auf einer Travertin-Stele zu lesen. 1934 habe der Diktator die Grenzen neu gezogen, so Bevicini, damit die Quelle auf dem Gebiet seiner Heimatregion, der Romagna liegt.

Bevicini ist kein Historiker, sondern passionierter Kanusportler, und er hat schon unzählige Stunden auf diesem Fluss verbracht. Zusammen mit einigen anderen organisiert er jedes Jahr die "Discesa Internazionale del Tevere", eine einwöchige Paddeltour von Città di Castello bis ins Zentrum Roms. Bevor die diesjährige Tiber-Fahrt am 25. April losgeht, will er die geplante Strecke auf mögliche Gefahren wie umgestürzte Baumstämme überprüfen.

Am nächsten Morgen scheint die Sonne angenehm mild, als es am Kanu-Clubhaus in Città di Castello, wo Bevicini wohnt, losgeht. Der Fluss windet sich an den mittelalterlichen Festungsmauern der Stadt vorbei. In der Luft schwebt der süße Duft blühender Akazien. Carlo Bevicini kontrolliert noch einmal die Sicherheitsausrüstung: Helm, Schwimmweste, Wurfleine. "Als Erster fahre ich", sagt er bestimmt.

Der noch junge Tiber gibt sich erfreulich zahm. Getragen von einer sanften Strömung, dümpeln die Boote durch fruchtbares Bauernland, vorbei an Weizen- und Tabakfeldern, die von Pappelalleen eingefasst sind.

Auf den Hügeln ringsum thronen alte Gehöfte aus grauem Stein. Der Tiber zieht weite Schleifen, nimmt Seitenbäche auf, teilt sich in mehrere Arme und bildet Inseln, die von Gestrüpp überwuchert sind. Fischer, die mit braungebrannten Gesichtern auf Campingstühlen am Ufer hocken, passen gut ins Stillleben. Während alle wie die Enten hinter Bevicini her paddeln, fährt sein Freund Sandro, ein rundlicher Kerl mit dunklem Kinnbart, der Gruppe mit einem Kleinbus voraus, vollgepackt mit Lebensmitteln.

Der Mittsechziger ist ein wichtiger Mann bei der mehrtägigen Tiber-Fahrt: Er hilft, weniger attraktive Teilstrecken des Flusses mit Kleinbus und Kanuanhänger zu überbrücken. Und, noch wichtiger: An den Etappenzielen organisiert Sandro eine Übernachtungsmöglichkeit und kocht für die müden Paddler.

Der Tiber gelte als technisch einfach, sagt Carlo Bevicini. "Auch Anfänger können die Herausforderungen meistern." Das Abenteuer der mehrtägigen Tiber-Fahrt sei auch unter deutschsprachigen Kanuten beliebt. Geschlafen werde während der Discesa in Zelten oder öffentlichen Turnhallen, also recht spartanisch. "Aber wir legen Wert auf gute Verpflegung." Für einen bescheidenen Beitrag gebe es jeden Abend reichlich Wein und gute Pasta, so Bevicini. "Günstiger kannst du nicht nach Rom fahren."

Etwas mehr als 400 Kilometer lang wäre die Tour, wenn man dem Tiber von seiner Quelle bis zur Mündung ins Tyrrhenische Meer folgen würde. Er ist kein großer Fluss, sogar in der nationalen Konkurrenz nimmt der Tiber nach dem Po und der Etsch nur den dritten Rang ein.

Dafür überragt seine geschichtliche Bedeutung alle anderen italienischen Flüsse. Für die Italiener stellt der Tevere einen Mythos dar. An seinen Ufern wurde das römische Imperium gegründet, jahrhundertelang zogen Kaiser, Krieger, Pilger und Kaufleute über die Via Tiberina in die Stadt. "Einen im Himmel vorherbestimmten Fluss", nannte Vergil den Tiber in seiner "Aeneis". Seither wurde er unzählige Male besungen.

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