Missverständnisse beim Reisen:Wenn Touristen Freund und Helfer sein möchten

Serie: Wie wir Urlaub machen wollen

Illustration: Alper Özer

Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht: Reisende richten mitunter Schäden an, gerade wenn sie alles richtig angehen wollen.

Von Stefan Fischer

Schlechtes Wetter, schlechtes Essen und laute Zimmernachbarn sind deutschen Touristen ein Gräuel. Diese Trilogie des Schreckens wird jedoch deutlich in den Schatten gestellt von einer tiefsitzenden Furcht: davor, im Urlaub abgezockt zu werden. Dann lieber drei Tage Regen.

Das jedenfalls ist der Eindruck, wenn man im Internet ein wenig in Reiseforen und -blogs stöbert. Da finden sich wenige Stimmen, die auf die Frage, ob Gäste mehr bezahlen sollen als Einheimische, uneingeschränkt antworten: ja. Viel häufiger schallt es: nein. Oftmals zu vernehmen ist ein zähneknirschendes: ja, aber. Ja, es sei fair, ein bisschen mehr zu bezahlen als ein Inder oder Kenianer, aber eben nur ein bisschen - und auch nicht allenthalben.

Wir sind es gewohnt, dass alles einen fixen Preis hat, der gerne ein Schnäppchen-Preis sein darf. Zahlt ein anderer weniger, fühlen wir uns abgezockt, egal ob daheim oder auf Reisen. Und geben wir einmal freiwillig mehr als die Einheimischen, weil uns das angemessen erscheint, schwingt gerne etwas Gönnerhaftes mit. Es ist aber keine Frage von Barmherzigkeit, ob man als Europäer auf einem südostasiatischen Markt doppelt so viel für zwei Handvoll Obst bezahlt, drei Mal so viel für eine Taxifahrt in Namibia oder sogar 50 Mal so viel für den Eintritt ins Taj Mahal (nämlich ungefähr 15 Euro) wie die Einheimischen. Sondern, ob man im globalen Tourismus ein Wirtschaftssystem akzeptiert, in dem jeder nach seinen Möglichkeiten bezahlt. Ein Solidarmodell gewissermaßen, wie wir es übrigens bei den Sozialversicherungen seit langem praktizieren.

Sind Individualreisende wirklich die besseren Touristen?

Dass Touristen auf diese Weise nur die Preise verderben, ist ein Missverständnis. Das passiert nämlich nur dann, wenn die Einheimischen mitziehen müssen mit den durch die Touristen befeuerten Preise - und sich irgendwann das Leben in ihrer eigenen Stadt nicht mehr leisten können. Das gilt übrigens nicht nur in Schwellenländern, das gilt auch in Prag und Venedig. Das Gegenargument indessen wird schnell zynisch. Es lautet: Nur weil bei den Touristen kräftig hingelangt wird, kommt es überhaupt erst zu einer Preisspirale, deren Fliehkraft womöglich Einheimische aus der Kurve trägt. Deshalb sollen Urlauber nur die landesüblichen Preise bezahlen. Diese Argumentation verkennt, dass die landesüblichen niedrigen Preise - nicht in Venedig, aber sicherlich in Teilen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas - die Menschen in ihrer Armut gefangen halten. Weil die finanziellen Erträge eines Handels oder einer Dienstleistung üblicherweise so gering sind, dass sich darauf nicht einmal ein extrem bescheidener Wohlstand gründen lässt und kein ausreichender lokaler Geldkreislauf in Schwung kommt.

Gewiss, es gibt genügend Scharlatane, und es gibt Preise, die sind definitiv zu hoch angesetzt. Aber als europäischer Rucksackreisender, der mehrere hundert Euro für sein Flugticket bezahlt hat, in Ecuador beim Lebensmittelkauf um ein paar Cent zu feilschen und womöglich auch noch stolz zu sein auf den vermeintlich guten Preis, den man erzielt hat, das ist erbärmlich und ausbeuterisch.

SZ-Serie "Gute Reise"

Wie wir Urlaub machen wollen: Jedes Jahr sind etwa eine Milliarde Touristen unterwegs. Das bietet riesige Chancen für die besuchten Länder. Und einige Probleme.

Dabei haben Individualreisende den Ruf, die besseren Touristen zu sein im Vergleich zu Pauschalurlaubern - was durchaus anzweifelbar ist. So unternehmen Individualtouristen überdurchschnittlich viele Fernreisen, trotz längerer Aufenthaltsdauer und einer oftmals sanfteren Mobilität vor Ort ist ihre Ökobilanz also nicht zwingend besser als die der Massentourismus-Kundschaft. Die wiederum hat erheblich zur Zerstörung vieler Landschaften beigetragen durch die für sie errichtete massentouristische Infrastruktur. Dieser Raubbau wäre jedoch nur durch einen Verzicht auf Urlaubsreisen einzudämmen, nicht durch eine Individualisierung des Tourismus: Im Zweifelsfall ist es besser, die Urlauber auf Teneriffa zu konzentrieren und dafür La Gomera einigermaßen zu schonen, als sie gleichmäßig über beide kanarische Inseln zu verteilen.

In den immer gleichen Hostels, empfohlen von Tripadvisor

Aufgeschlossener und zudem besser informiert über ihr Reiseland sind Individualreisende im Schnitt zwar, das belegen etliche Studien. Sie suchen eher den Kontakt zu Einheimischen und lassen sich auf deren Lebensstil ein. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass die Menschen vor Ort stärker von ihnen profitieren: Wer trampt und zeltet, lässt kaum Geld im Land. Und: Es waren Individualtouristen, die das im konservativen, züchtigen Laos gelegene Dorf Vang Vieng in einen Partyort mit permanenten Alkohol- und Drogenexzessen verwandelt haben, ehe die Regierung eingeschritten ist und dem (vorläufig) ein Ende bereitet hat. Und es waren ebenfalls Individualtouristen, die in Malaysia für einen Eklat gesorgt haben, weil sie auf dem als heilig verehrten Berg Kinabalu für Nacktfotos posiert haben.

In Zeiten, in denen konkrete Reiseziele und die Neugier auf das Fremde zunehmend unwichtiger werden und statt dessen die Bedürfnisse des Reisenden immer wichtiger, ist es weniger eine Frage von Individual- oder Massentourismus, sondern von persönlichem Charakter, wie man sich fernab der Heimat bewegt. Zumal der Unterschied zwischen Pauschalurlaubern und Individualtouristen häufig nur noch ein formaler ist und kein tatsächlicher: Wer eine Studienreise nach Nepal bucht, ist zwar in der Gruppe unterwegs, seine Entdeckerlust ist unter Umständen jedoch größer als die der vielen Backpacker, die sich alle unentwegt in den immer gleichen Hostels wiedersehen, welche sie sich via Tripadvisor gegenseitig empfehlen. Individuell ist daran kaum noch etwas.

Aus dem Wunsch heraus, als Reisender die Welt zu einem besseren, gerechteren Ort zu machen, tun sich neben der Frage, wie viel Geld man wofür bezahlt und wie man seine Reise organisiert, noch weitere Fallgruben auf. Sich auf die Gepflogenheiten eines Landes einzulassen, ist grundsätzlich positiv. Nur kann die Sehnsucht nach dem Authentischen auch bedeuten, den Fremden zu nahe zu treten. Hierzulande kommt, da keine wirtschaftliche Notwendigkeit besteht, aus guten Gründen niemand auf die Idee, sein Familienleben mit chinesischen Reisegruppen zu teilen, damit die einmal sehen, wie ein schwäbischer Alltag aussieht. Selbst bestens gemeinte Begegnungsreisen können missglücken, weil es nicht zu einem wirklichen Austausch kommt. Stattdessen sind die Besucher mit ihren Teleobjektiven, teuren Armbanduhren und Markenjeans für ihre afrikanischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Gastgeber bloße Anschauungsobjekte westlicher Dekadenz.

Die Einheimischen mögen vielleicht gar nicht auf ewig Korbflechter bleiben

Zweifelhaft kann auch der Kauf angeblich landestypischer Erzeugnisse sein, die längst nicht mehr landestypisch sind: So bedienen Korbflechter im Grunde oft nurmehr eine Nostalgie; an Einheimische haben sie derweil schon seit Jahren keinen ihrer Körbe mehr verkauft. Zwar bewahren die Touristen ein altes Handwerk und sichern das Einkommen des Flechters. In letzter Konsequenz führt das Beharren auf einer (vermeintlichen) Ursprünglichkeit jedoch dazu, dass man Gemeinschaften speziell in Entwicklungs- und Schwellenländern das Recht auf Modernisierung abspricht. Kuba wird derzeit überrannt, nicht etwa, weil sich das Land in einem spannenden Aufbruch befindet, sondern weil scheinbar die letzte Gelegenheit besteht, das alte Kuba zu erleben. Ob die Touristen auch noch kommen, wenn die Straßenkreuzer ausgemustert und die verfallenden Häuser Havannas renoviert sind, wird man sehen müssen.

Gut gemeint, aber nicht gut gemacht: Das gilt daneben auch im Bereich des Voluntourismus. Der größte Nutznießer ist oft der Reisende, der ein Abenteuer erlebt und seinen Lebenslauf aufwerten kann. Hilfreich ist sein Arbeitseinsatz auf Reisen jedoch nicht immer - mitunter sogar kontraproduktiv. Das liegt an mangelnder Qualifikation, etwa bei einer Lehrtätigkeit. Und an mangelnder Nachhaltigkeit: Wechseln in einem Waisenhaus alle Monate die Bezugspersonen, ist das für die Entwicklung der Kinder nicht eben förderlich. Der kostenfreie Einsatz kann zudem Arbeitsplätze für Einheimische gefährden.

Also doch lieber zu Hause bleiben? Bloß nicht. Sondern hinaus in die Welt! Nur eben nicht glauben, dass man mit einem Rucksack, ein paar Münzen oder einer helfenden Hand automatisch ein touristischer Glücksfall für die Bereisten ist.

Alle bisherigen Folgen der Serie "Gute Reise" unter sz.de/gutereise

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