Mexiko:24 Stunden bis ins Paradies

Ein Schwarm Hammerhaie schwimmt im Revillagigedo-Archipel vor Mexiko.

Die Hammerhaie kommen zur Fortpflanzung. Manchmal schwimmen sie von Mexiko bis nach Galápagos.

(Foto: picture alliance / dpa / Richard Salas/Handout)

Der Revillagigedo-Archipel in Mexiko gilt als eines der besten Tauchgebiete der Welt. Die Anreise ist ein Abenteuer. Doch wer erst einmal da ist, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Von Florian Sanktjohanser

Die Taucher schälen sich gerade aus den Neoprenanzügen, als ein Ruf übers Deck hallt: "Wale!" Schlagartig wuseln alle durcheinander, jeder greift sich Maske und Flossen, springt ins Beiboot, und schon jagen sie hinaus zu den Rückenflossen, die rhythmisch aus dem Meer stechen. Kleine Schwertwale, ein ganzer Schwarm. Ihre Schnauzen sind platt, ihre Körper gedrungen, doch sie schwimmen elegant. Die Kälber drängen sich an ihre Mütter, ganze Großfamilien ziehen vorüber. "Ihr habt riesiges Glück", sagt ein Guide mit breitem Grinsen am Ende. "Die sehen wir hier nur ein paar Mal pro Saison."

Wenn selbst die Crew begeistert ist, bedeutet das was auf der Solmar V. Seit 25 Jahren kreuzt das Safarischiff durch den Revillagigedo-Archipel, eines der exklusivsten Tauchgebiete der Welt. Dabei haben die Guides so ziemlich alles gesehen, was groß ist und im Meer schwimmt. Der eine erzählt von einer Prozession Tausender Seidenhaie, der andere zeigt Videos von Orcas, großen Schwertwalen, gefilmt in der Vorwoche. Das Euphorielevel stimmt also. Aber vor den Einzug ins Taucherparadies haben die Götter die Überfahrt gesetzt.

Fast 24 Stunden lang pflügt die Solmar V, einst ein Schiff der Küstenwache, von Cabo San Lucas durch den Pazifik. Viele Passagiere legen sich noch vor dem Abendessen in die winzige Koje und stehen bis zum nächsten Morgen nicht auf. Doch alle Übelkeit ist vergessen, als am Horizont kolossale Klippen erscheinen und darüber ein bleicher, geriffelter Krater, wie mit einem gigantischen Rechen geharkt. Die vier Inseln San Benedicto, Socorro, Roca Partida und Clarión sind die Gipfel einer Kette von Unterwasservulkanen. Fast 400 Kilometer liegen sie vor der Südspitze von Baja California, mitten im Pazifik. Lange kannten sie nur ein paar Tauchfanatiker. Aber seit 2016 ist der Archipel Weltnaturerbe. Und der größte Nationalpark Mexikos - auf dem Papier zumindest.

"Die Inseln sind Trittsteine für wandernde Arten", sagt Mauricio Hoyos, "sie sind enorm wichtig für die Fortpflanzung und zum Fressen." Der Meeresbiologe, 41, forscht seit vielen Jahren hier, mit einem U-Boot tauchte er zwei Mal 400 Meter in die Tiefe. Hoyos erzählt von Weichkorallengärten voller Fische, von den Skeletten mehrerer Buckelwale auf dem Meeresgrund und davon, wie er trächtige Walhaie mit Sonden markierte. Elf Arten von Haien leben im Archipel, Riffhaie, Tigerhaie, Hammerhaie. Mantas und Delfine sind Dauergäste. Denn an Putzerstationen knabbert ihnen der endemische Orange-Prachtkaiserfisch die Parasiten von der Haut. Besonders häufig findet man sie an einem unterseeischen Felsturm vor San Benedicto, der "The Boiler", der Kessel, genannt wird. "Das ist der beste Ort der Welt, um Mantas zu sehen", sagt Hoyos.

Große Worte, die weit gereiste Taucher freilich schon anderswo gehört haben. Fast alle Gäste an Bord sind erfahren, ein Spanier mit einem tätowierten Oktopus auf der Wade hat 9000 Tauchgänge im Logbuch. Trotzdem sind Anspannung und Vorfreude greifbar am ersten Tauchspot der einwöchigen Safari. Und dann ruft auch noch ein Matrose: "Delfine!"

Die Taucher sinken gerade im klaren Blau hinab, als sie schon herbeischwimmen: ein halbes Dutzend Exemplare. Sie tänzeln, drehen sich auf den Rücken, stellen sich aufrecht gegenüber wie zum Paartanz und schlagen mit den Brustflossen, als würden sie klatschen. Einige schwimmen so dicht vorbei, dass man ihnen in die Augen sieht. Die bunten Fische an der tausendfach geschichteten Felswand haben keine Chance auf Aufmerksamkeit, ebenso wie der Hummer und die Muräne, die sich neben ihm in ein Felsloch schlängelt. Zumal am Ende, am Sicherheitsstopp in fünf Metern Tiefe, auch noch ein Walhai vorbeigleitet. Und der erste von vielen Mantas.

769 Mantas haben die Forscher in 18 Jahren gezählt, anhand der schwarz-weißen Muster auf ihrem Bauch sind sie klar zu identifizieren. Fast bei jedem Tauchgang sind die riesigen Rochen zu sehen, die hier alles andere als scheu sind. Einer schwebt schon beim Abtauchen herbei, schlägt Salti, dreht wieder und wieder Kurven und segelt mitten durch die Taucher hindurch, die ihn anblitzen und anblubbern. Eine ganze Stunde bleibt er, jeder bekommt sein persönliches Rendezvous: synchron nebeneinander oder unter dem weißen Bauch schwimmend. "Sie lieben unsere Luftblasen", sagt ein Guide, "das ist für sie Manta-Jacuzzi."

Illegale Fischerboote bedrohen den Reichtum im Meer

So viel Reichtum im Meer bleibt natürlich nicht unbemerkt. "Vor zehn Jahren sahen wir noch regelmäßig Fischerboote hier", sagt Hoyos. Damals waren nur zehn Kilometer rings um die Inseln geschützt. Trawler unter den Flaggen Mexikos, Japans und der USA jagten die Thunfisch-Schwärme. Haie und Rochen landeten als Beifang in ihren Netzen. Seit 2017 erstreckt sich der neue Nationalpark nun über 148 000 Quadratkilometer. Der Status als Weltnaturerbe erhöhe den Druck auf die Regierung, den Archipel besser zu schützen, sagt Hoyos. Das ist auch notwendig. Denn es gibt zwar zwei Marinebasen auf den Inseln, deren Soldaten tapfer mit Sturmgewehr an Bord kommen, um die Pässe zu kontrollieren. Aber um das riesige Schutzgebiet zu überwachen, fehlen ihnen schlicht die Boote.

Dieser Missstand soll sich nun ändern. Angeblich sollen bald zwei neue Schiffe der Marine zu patrouillieren beginnen. Und es ist geplant, dass Drohnen das riesige Gebiet überfliegen. Bis dahin aber sind es vor allem die Tauchsafariboote, die Fischer fernhalten. "Manchmal sehen wir noch einen Helikopter der Trawler, der uns ausspäht", sagt Hoyos. Aber in die Nähe der Inseln wagen sich die Fischer nicht mehr. Denn mittlerweile kreuzt eine Flotte von elf schwimmenden Taucherhotels durch den Archipel. Als 2015 Taucher ein illegales Fischerboot filmten und den Behörden meldeten, verloren einige der Fischer ihren Job.

Der touristische Miniboom schafft allerdings auch neue Probleme. Die Anker der Schiffe reißen den Meeresgrund auf, Moorings zum Festmachen gibt es noch nicht. Und selbst erfahrene Taucher brechen manchmal eine der hier ohnehin kläglichen Korallen ab. Für manche Orte fordert Hoyos bereits eine Besucher-Obergrenze. Vor allem für Roca Partida. Der Doppelfels mitten im Meer sieht aus wie eine Stimmgabel, mit Vogelkot getüncht. Er ist der beste Tauchspot des Archipels, an manchen Tagen ankert ein halbes Dutzend Boote hier. Die Kapitäne sprechen sich dann ab, wessen Gäste morgens zuerst abtauchen. Aber nicht alle kooperieren.

Roca Partida ist berüchtigt für seine starke Strömung. Genau da, wo sie die Felsen trifft, gehen die Taucher ins Meer. "Dort ist die Action", sagt ein Guide. An diesem Tag ist die Strömung sanft, und trotzdem ist das Schauspiel unter Wasser beeindruckend. Ein Vorhang aus Stachelmakrelen hängt neben der Felswand, Wolken von Drückerfischen schwirren umher, Riffhaie liegen auf einem Vorsprung wie ein Knäuel Schlangen. Massige Thunfische schießen vorbei. Und im Blau zieht ein Schwarm von 20 Galapagoshaien vorüber.

Mithilfe seiner Sonden hat Hoyos bewiesen, dass sich die bis zu dreieinhalb Meter langen Räuber hier am Roca Partida paaren, aber nach San Benedicto und Socorro schwimmen, um zu gebären. Ein wichtiges Argument für den Schutz des gesamten Archipels. Nun verfolgt der Forscher einen weitaus größeren Plan. "Wir wollen beweisen, dass die Migrationsroute der Hammerhaie bis Galapagos reicht", sagt er. Die Signale eines Galagapagoshais konnten schon bis dorthin verfolgt werden. Das Ziel ist, einen Schutzkorridor von Revillagigedo bis Galapagos zu schaffen. Ein ambitioniertes Ziel, gibt Hoyos zu.

Allein die Hammerhaie zu markieren, ist knifflig. Manchmal ziehen sie in Schwärmen von 60 bis 70 Tieren an den Inseln vorbei. Aber meist bleiben sie in großer Tiefe. Aus diesem Grund ist Alejandro Lemus Nabwa an Bord. Obwohl er 39 ist, hat der Freitaucher den Körper eines Jünglings. Seit acht Jahren bricht er jedes Jahr den mexikanischen Rekord, zuletzt ist er mit angehaltenem Atem 104 Meter tief getaucht. "Das Markieren ist sehr schwierig", sagt Lemus. Er muss die Haie von der Wasseroberfläche aus sichten, dann schnell hinabtauchen und ihnen aus wenigen Metern Entfernung mit der Harpune eine Sonde in die Rückenflosse schießen. "Ich habe nur einen Schuss", sagt er, denn danach stieben die Haie davon.

In den folgenden Tagen taucht Lemus noch oft hinab. Aber all sein Können, all seine Beharrlichkeit bleiben vergebens. Am Ende hat Lemus zwei Hammerhaie markiert. Vor zwei Jahren waren es noch vier an einem Tag. "Ich hoffe, dass es nur die falsche Zeit war", sagt er. "Die Trawler fahren weiter durch den Nationalpark, irgendwo da draußen."

Reiseinformationen

Anreise: Über Mexiko-Stadt fliegt man nach Los Cabos. Die Überfahrt zu den Inseln dauert von dort rund 24 Stunden.

Reisezeit: Die Tauchsaison geht von November bis Juni. Buckelwale sind vor allem im Januar zu sehen, Walhaie besonders im Mai und November.

Tauchsafari: Auf der Solmar V sind Reisen zwischen neun und elf Tagen zu buchen. Pro Tag taucht man drei- bis viermal. Die Kabinen sind winzig. Wer oben im Stockbett schläft, muss sich beim Aufstehen verrenken. Dafür ist das Essen an Bord hervorragend. Preis in der Doppelkabine ab 3599 Dollar pro Person ohne Flüge, https://solmarv.com.

Weitere Auskünfte: Mexikanisches Fremdenverkehrsbüro, Klingelhöferstraße 3, 10785 Berlin, Telefon: 030 / 26 39 79 40, www.visitmexico.com. Allgemeine Informationen zum Archipel: https://whc.unesco.org/en/list/1510

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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