Memphis, USA:Elvis Presley und sein Neuschwanstein

Graceland ist eine Pilgerstätte, zum 40. Todestag des Musikers wurde die Anlage neu gestaltet. Wer Elvis aber wirklich näherkommen will, muss woanders hinfahren.

Von Michael Zirnstein

Von außen ähnelt das neue Besucherzentrum einer schwedischen Möbelhauskette: blaues Haus mit gelber Schrift. Innen fühlt man sich wie bei der Einreise am Flughafen: Die Gäste werden am Sperrband entlanggeführt. Keine Spur von der Verspieltheit und Extravaganz, die Elvis Presley zu eigen war, der hier früher auf der anderen Straßenseite am Tor seiner Villa mit den Fans schäkerte, gerne im rosaroten Jackett. Den Job macht nun Alene Alexander, die offizielle Begrüßungsdame. Die 75-Jährige, die geschminkt ist wie ein in die Jahre gekommener Showstar, begrüßt die Gäste in der Tickethalle. Dabei heben sich ihre Ballerinas leuchtend rot vom grauen Teppichboden ab.

Im März gab es hier einen riesigen Auflauf, als Presleys Witwe Priscilla das Rote Band durchschnitt. Graceland in Memphis gilt mit mehr als einer halben Million Besuchern jährlich nach dem Weißen Haus als das berühmteste für Touristen zugängliche Privathaus der USA. Geboten wird dem Fan unter anderem: eine "Ultimate VIP Tour" für 150 Dollar, bei der man Elvis' goldenen Gürtel oder sein Mikrofon in der Hand halten darf. 62 Dollar kostet die beliebteste "Elvis-Experience" mit Besuch der berühmten Villa und den zwei Flugzeugen, mit denen er schon mal auf ein Sandwich nach Chicago flog. Dazu, im neuen Gebäudekomplex, seine 82 Anzüge und alle seine Platten.

Für diese Andenken ist nun Platz. Und auch für Zehntausende Gäste, die von 11. August an zehn Tage lang Presleys 40. Todestag hier feiern werden. Keiner kann sagen, warum, aber wahre Presley-Fans feiern wirklich den Todestag mehr als den Geburtstag ihres Idols. Vielleicht, um seine Unsterblichkeit zu demonstrieren.

Das Geburtshaus in Tupelo hat mehr Charme. Und man trifft Menschen, die Elvis nahestanden

Die größte Fan-Ansammlung wird es in Graceland geben: Weggefährten werden erzählen, Imitatoren werden singen, Original-Artefakte werden versteigert, ein Symphonie-Orchester spielt seine Hits. Rechtzeitig zum runden Todestag hat ein Konzern aus New York 125 Millionen Euro in die Anlage investiert. Es gibt nun ein Luxus-Hotel mit 450 Betten und einige Hallen, in denen Kino und Bühne, zwei nach Elvis' Eltern Gladys und Vernon benannte Restaurants, Andenkenläden und etliche Ausstellungsräume Platz gefunden haben. Vorher standen hier Apartments und Eichen, die noch Elvis Schatten gespendet hatten.

Aber vorher waren auch alle Überbleibsel des Sängers hineingestopft in die Villa und in ein paar niedrige Bungalows, Achtzigerjahre-Zweckbauten. Jetzt breitet sich unter Leinwänden mit zugehörigen Filmausschnitten der Fuhrpark mit dem berühmten rosa Cadillac aus - und all das andere Spielzeug, das sich das groß gewordene Königskind angeschafft hat, zu dem nie jemand Nein gesagt hat. In der Landschaft aus Vitrinen und Souvenirregalen können sich die Besucher verlaufen. Das war nötig, schön ist es nicht.

Wer Charme möchte, muss hundert Meilen weiter reisen, nach Tupelo. Dort wurde Elvis Aaron Presley am 8. Januar 1935 in einem Holzhütte geboren. Sie steht immer noch an derselben Stelle. Elvis hat sie selbst zurückgekauft und 1956 der Stadt geschenkt. Wer erfahren möchte, wie Elvis aufwuchs, muss das Städtchen besichtigen, es ist noch alles da: der Werkzeugladen, in dem ihm seine Mutter die erste Gitarre für zwölf Dollar kaufte, seine Grundschule, der Festplatz, auf dem er einige Male auftrat, und die Kirche, in dem seine Liebe zum Gospel erwachte.

Nur wurde die Holzkapelle auf einem Lastwagen zum Museumspark neben die Geburtshütte verfrachtet. So können die Gäste Elvis' erste Auftritt miterleben - in einer nachgestellten Multimediashow, in der sie selbst die Gemeinde spielen. Wenn 50 Besucher auf den Bänken Platz genommen haben, fahren an drei Seiten Leinwände herunter und man sitzt mitten drin in einem dieser Gottesdienste, in dem Gladys ihren dunkelhaarigen Buben stolz zum Altar schubst, wo er dann "Jesus loves me, this I know" trällert.

Das ist zwar nur ein Film, aber es ist recht stimmungsvoll. Authentischer ist Guy Harris, der bisweilen Besuchergruppen mit Anekdoten von früher unterhält. Er hat Zeit, ist pensionierter Polizist, und, wie er lachend sagt, ein "East-Tupelo-Boy". Wie Elvis. Guy Harris' Mutter holte am 8. Januar 1935 den Arzt zurück, der schon gegangen war, nachdem ihre beste Freundin Gladys Presley ein totes Baby zur Welt gebracht hatte. Erst danach kam Zwillingsbruder Elvis auf die Welt. "Sonst hättet ihr nie von EP gehört", sagt Guy.

Er erzählt, wie sie Flaschendrehen mit den Mädchen spielten, wie er mit dem vier Jahre älteren Elvis am Tümpel angelte und er Elvis lachend anschnauzte: "Wenn du immer singst, fangen wir keine Fische."

Genau das wollen die Gäste hören, auch wenn der weißhaarige Mann im Holzfäller-Hemd die Pointen vernuschelt oder vergisst. Das Erdnussbutter-Sandwich, das den Gästen als Elvis' Lieblingsspeise aufgetischt wird, würde er anders machen: "Du darfst die Banane nicht in Scheiben drauflegen, du muss sie mit der Gabel zerdrücken." Guy lässt es sich dennoch schmecken. Dann zieht er aus einer Mappe Fotos von sich mit Priscilla, die ihm immer noch schreibe, und: von sich mit Elvis. Das liefert den Beweis, dass all das echt ist - und führt zu einem nachdenklichen Moment: Elvis wäre heute wohl kein schneidiger Popstar, sondern ein Opa wie Harris.

Hinter ihm steht die Hütte. Darin sieht alles aus wie einst. Nur die Möbel - wie das Bett, in dem die Presleys zu dritt schliefen - wurden nachgekauft. Allerdings wollen viel weniger Fans das Geburtshaus sehen als jene Villa, in der Elvis starb. Ein bisschen ist das wie mit Jesus, von dem auch die meisten Geschichten aus jener Zeit überliefert sind, als er schon Wunder vollbrachte. Die Verehrung des Königs des Rock 'n' Roll hat ja religiöse Züge. Schon Paul Simon spricht in seinem Song-gewordenen Besuchsbericht von den Pilgern und den Armen: "Alle werden hier empfangen."

Doch, auch Graceland kann berühren

Das ist überhaupt der Geist von Memphis: ein Ort, an dem Schwarze und Weiße gemeinsam Musik machten, erst Blues bei Sun Records, später Soul bei Staxx. Man kann das alles zu Fuß erlaufen, auch das Motel, auf dessen Balkon der schwarze Prediger Martin Luther King erschossen wurde. Heute ist es Kern des wichtigsten Museums zur Bürgerrechtsbewegung der USA. Auch Presley wird von vielen Schwarzen verehrt - ganz selbstverständlich besuchte er zur Zeit der Rassentrennung Feste der Afroamerikaner. Der Sänger war und bleibt einer für alle.

Überall in Memphis kann man Elvis-Reliquien bestaunen: den ersten Vertrag mit dem Label RCA, den er im Peabody Hotel unterzeichnete, die Schere, mit der seine Schneider den Stoff für seine bunten Hemden geschnitten haben; die Nische im Arcade Restaurant, in die Elvis über den Hintereingang schlich, um mit dem Rücken zu den anderen Gästen seine Sandwiches zu essen. Memphis war seine Stadt, sein Zuhause. Das Wichtigste war für ihn, schreibt sein Biograf Peter Guralnick, dass die Leute daheim gut über ihn redeten.

Pflicht für Rock-Pilger ist auch das Sun Studio, wo der noch schüchterne Elvis seine erste Aufnahme, "My Happiness", eingesungen hat. In dem Eckhaus aus Backstein führen junge Musiker wie Ples Hampton - die sich Keepers of The Legend nennen - Gäste durch ein kleines Museum im ersten Stock und dann auf geweihten Boden: einen garagenartigen Raum hinter einer Glasscheibe, in dem noch die alten Bodenmarkierungen für die Band kleben. Auf dem "Plus" stand Elvis.

Da drückt der 34-Jährige Ples Hampton, der hier selbst schon mit seiner Band aufgenommen hat, nun einem Besucher ein altes silbernes Mikro in die Hand. Es ist das echte Shure 55, BB King hat es dem Studio geschenkt - unter der Bedingung, dass es nicht in eine Glasvitrine gesperrt wird. "Elvis lebt - und wahrscheinlich tun das auch noch einige seiner Bakterien, das sollt ihr wissen, wenn ihr es küssen wollt", sagt Hampton. Dann gibt er noch einen Tipp: "Singt in den kleinen Kreis auf dem Mikro hinein, damit ihr es auf dem Foto richtig herum haltet." Er macht eine gute Show.

In Graceland vermisst man Leute wie ihn. Dafür gibt es neuerdings iPads. Mit den nun auch schon nicht mehr ganz innovativen Geräten soll jene Generation erreicht werden, die nicht mit Elvis großgeworden ist. Im Shuttle-Bus vom Besucherzentrum an den beiden großen Flugzeugen vorbei auf die andere Straßenseite des Elvis Presley Boulevards fummeln die Passagiere an den Bildschirmen herum, einige verpassen die herrschaftliche Auffahrt vor das Hauptportal mit den vier korinthischen Säulen und zwei Löwenstatuen, die Fassade verkleidet mit Sandstein aus Mississippi.

Das macht was her, ganz im Sinne von Elvis, der das 1939 gebaute Haus 1957 für damals gewaltige 100 000 Dollar kaufte, es nach seinem Geschmack für noch einmal dieselbe Summe umbaute und einrichtete. Er bewohnte es 20 Jahre lang, zusammen mit seinen Eltern. Graceland war seine Heimat, auf Tournee ließ er sich Hotelzimmer mit Möbeln von zu Hause ausstatten, um sich wohlzufühlen. 1977 brach er in Graceland tot im Badezimmer zusammen, das seitdem nicht verändert wurde. Aus Respekt vor dem Toten und der Familie dürfe der erste Stock nicht betreten werden, erklärt ein Wächter an der Eingangstür. Dann übernimmt das iPad die Führung.

Elvis sagt über Kopfhörer "Willkommen in meiner Welt", dann reißt einen der Pilgerstrom durch "the world's best music attraction", oder eben das Neuschwanstein Amerikas: vom Musikzimmer mit dem Flügel, den Pfauen-Glascheiben und dem viereinhalb Meter langen weißen Sofa zum Elterschlafzimmer ("Seine Mutter hat am Design der Pudeltapete mitgewirkt", verrät das iPad) in die Küche, wo der mit dem Hochzeitsgeschirr eingedeckte Zwölf-Personen-Tisch steht, an dem Elvis immer hinten saß, um den Fernseher sehen zu können.

Reiseinformationen

Anreise: Delta Airlines fliegt ab 820 Euro hin und zurück von München mit einem Zwischenstopp nach Memphis, https://de.delta.com

Unterkunft: Memphis, Graceland Guest Haus, 3600 Elvis Presley Boulevard, Zimmer ab 169 Dollar, www.graceland.com/lodging/guesthouse

Weitere Auskünfte: zu Graceland, dem Wohnort von Elvis Presley, 3765 Elvis Presley Boulevard, www.graceland.com. Zum Geburtshaus von Elvis: 306 Elvis Presley Drive, Tupelo, Mississippi, www.elvispresleybirthplace.com

Allgemeine Informationen: Tourismus-Büro für Memphis und Tennessee, Telefon in Deutschland: 0521 / 986 04 20, www.memphis-mississippi.de

Weiter geht es durch die Küche mit der 629-Dollar-Mikrowelle (Rechnung hängt daneben) in den Keller zum gelb-blau gestrichenen Medienzimmer mit Bar und sechs Röhrenfernsehern durch den Billardraum wieder hinauf zum legendären Jungle-Room samt Zimmerwasserfall, wo Elvis mit seiner Freundesschar abhing und 1976 seine beiden letzten Alben aufnahm. Es ist ein wilder Stilmix aus Atomic-Design und Hawaii-Look, aber wenigstens hatte da einer einen Stil, im Gegensatz zu den Einrichtern der Mehrzweckhallen auf der anderen Straßenseite.

Dann entlang der einstigen Garage hinüber in Vernon Presleys Büro, wo 5000 Briefe täglich bearbeitet wurden, durch den Anbau mit Trophäen wie Priscillas Hochzeitskleid, zur Squashhalle mit dem Klavier, auf dem Elvis angeblich "Unchained Melodie" als letzten Song gespielt hat, hinaus zum Herz-Pool und dem privaten Friedhof - hier knien manche Besucher vor dem Grab des King nieder und beten.

Graceland kann wirklich berühren, wobei das iPad und seine Elvis-Filmchen am wenigsten helfen. Man wünscht sich echte Menschen, die einem ihre Geschichten erzählen. Wie Alene Alexander, die Lady mit den roten Schuhen. Die in einem ruhigen Moment von damals erzählt. "Bis er hierher kam, wussten wir nicht, wie unsere Freunde einmal aussehen müssten", schwärmt sie. Sie erzählt, wie sie als junge Lehrerin einfach durchs offene Tor auf Elvis zustürmte und er, der an dem Tag babyblaue Schuhe und eine weiße Hose trug, aus Spaß zurückwich und rief: "Tu mir nichts!"

Und Alene Alexander erzählt, wie sie das alles nicht losließ. Nach Presleys Tod, als Priscilla Graceland 1982 für zahlende Gäste öffnete, um die jährlichen Kosten dafür bezahlen zu können, kam sie zurück, wollte in der Nähe sein. Sie wurde Chefin des Gestüts. Und war die Einzige, die Ebony's Double, das letzte Pferd, das Elvis gekauft hatte, reiten durfte.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: