Kreuzfahrt:Groß, größer, Miami

Kreuzfahrtschiff Grandeur of the Seas im Hafen von Miami

Parade der Mega-Passagierdampfer: Die "Grandeur of the Seas" (vorne) ist noch eines der kleineren Schiffe, die täglich in den Hafen von Miami einlaufen.

(Foto: Lynne Sladky/AP)

Mehr als zehn Millionen Passagiere, Hunderttausende Arbeitsplätze: An Floridas Küste liegen die größten Kreuzfahrthäfen der Welt. Doch der Boom hat Schattenseiten.

Von Steve Przybilla

Wenn der Alkohol kommt, ist das ein sicheres Zeichen: Bald wird der Anker gelichtet. Bis dahin muss die Enchantment of the Seas nicht nur alle Passagiere und deren Gepäck an Bord haben, sondern auch den Treibstoff, der Karibik-Urlauber in Gang bringt: Budweiser, Corona, Jim Beam. Im Minutentakt schieben Gabelstapler neue Paletten in den Bauch des Kreuzfahrtschiffes. Dass man mit dieser Menge eine komplette Kleinstadt betrunken machen könnte, scheint hier niemanden zu wundern - der Koloss ist eine komplette Kleinstadt: 300 Meter lang, elf Decks, Platz für fast 2500 Passagiere.

Mit diesen Maßen ist das Schiff noch vergleichsweise klein. Am Port Miami, dem größten Kreuzfahrthafen der Welt, ist man andere Dimensionen gewohnt. Die schwimmenden Hotels, die dort anlegen, fassen deutlich mehr als 4000 Passagiere. Allein im vergangenen Jahr gingen mehr als 5,3 Millionen Personen in Miami an Bord, gefolgt von Port Canaveral mit 4,5 Millionen und Port Everglades mit 3,9 Millionen Passagieren. Selbst in der vom Erfolg verwöhnte Kreuzfahrtbranche stechen solche Zahlen heraus.

Kameras, Grenzpolizei und Spürhunde gibt es im Hafen, aber keine Kläranlage

In den Häfen selbst bedeutet der Boom vor allem eins: Arbeit. Hunderte Mitarbeiter verladen Gepäck, entleeren Container, putzen Bullaugen, kontrollieren Bordkarten. Jeden Morgen rückt in Miami eine ganze Lkw-Kolonne an, um Abfall und Fäkalien zu entsorgen - eine eigene Kläranlage, wie in Europa mancherorts schon üblich, gibt es am größten Kreuzfahrthafen der Welt bislang nicht. Dafür Kameras, Sprengstoffspürhunde und Beamte der amerikanischen Grenzpolizei, die Ausschau halten nach illegalen Einwanderern, Menschenhändlern, Drogenkurieren. Es piept und rattert und klappert in dieser seeluftgetränkten Umgebung. Die Lieferfahrzeuge übertönen die Möwen.

Von all dem Gewusel bekommen die Passagiere kaum etwas mit. Sie betreten die Schiffe über fahrbare Brücken, ihr Gepäck wird durchleuchtet, ungefähr so wie im Flugzeug. "Und doch gibt es einen Unterschied", sagt Richard de Villiers, ein langjähriger Hafenmitarbeiter. "Hier haben die Leute noch das Gefühl, in den Urlaub zu fahren. Im Flugzeug zieht heute keiner mehr einen Blazer an; aber bei Kreuzfahrten wird immer noch auf die Etikette geachtet." So ganz stimmt das zwar nicht; der Anteil an Hawaiihemden im Terminal ist beträchtlich, doch scheint es auf den Zugangsbrücken gemächlicher zuzugehen als am Flughafen. Ein Blick auf die Hochhäuser von Miami, ein Foto, bloß keine Hektik.

Richard de Villiers kennt diesen Mikrokosmos seit Jahrzehnten. Der 48-Jährige arbeitet heute im höheren Management des Hafens - 1986 fing er für 5,50 Dollar pro Stunde im Servicebereich an. "Ich habe Beschwerden über verloren gegangenes Gepäck entgegengenommen", erzählt de Villiers. Nicht gerade der dankbarste Job, aber ein lehrreicher Einstieg. Dass Miami heute auf Platz eins bei den Passagierzahlen steht, führt de Villiers auf drei Faktoren zurück: die Nähe zur Karibik, die Anbindung an den Flughafen und den Standortfaktor (mehrere große Kreuzfahrtlinien, darunter Royal Carribean und Carnival Cruise Line, haben ihren Sitz in Miami).

"Wenn wir ehrlich sind, gehört zum Erfolg auch Glück dazu", meint de Villiers. Noch in den Sechzigerjahren war Miami derart pleite, dass die Stadt den Hafen an den Landkreis verkaufte. Ihm gehört das Gelände bis heute, wobei längst die gesamte Region an einem Strang zieht, um den maritimen Wirtschaftsmotor in Gang zu halten. 2014 wurde ein neuer Autotunnel eröffnet, der den Hafen ans Highwaynetz anschließt und die staugeplagte Innenstadt entlastet. Kostenpunkt: eine Milliarde US-Dollar. Darüber hinaus sollen zu den bestehenden sieben Terminals nach und nach weitere hinzukommen. Der neueste wird gerade für 247 Millionen Dollar von Royal Carribean gebaut und soll noch in diesem Jahr das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, die Symphony of the Seas, beherbergen.

Ähnlich sieht es am Port Canaveral aus, 350 Kilometer nördlich von Miami. Auch dort laufen die Bauarbeiten auf Hochtouren, damit Ende 2020 ein siebter Terminal eröffnet werden kann. Der "Masterplan" für die nächsten 30 Jahre sieht sogar vier komplett neue Terminals vor. Geschätzte Kosten: 2,5 Milliarden Dollar.

Umweltschützer fürchten um die Korallenriffe

Dass die Baukosten so hoch sind, hängt mit der Wetterlage in Florida zusammen. Tropische Stürme gehören zum Alltag; in Miami gammeln gegenüber den Kreuzfahrtterminals noch immer unzählige Motorboote vor sich hin, die 2017 durch Hurrikan Irma zerstört wurden. "Vor so etwas müssen die Urlauber aber keine Angst haben", versichert Richard de Villiers. "Sobald hier ein Sturm aufzieht, sind die Kreuzfahrtschiffe die Ersten, die sich an einen sicheren Ort verabschieden. Niemand würde es riskieren, diese milliardenteuren Schiffe zu beschädigen. Die dürfen nicht mal einen Kratzer abbekommen."

Allein am Hafen von Miami sollen insgesamt 324 000 Arbeitsplätze hängen

Sorgen macht sich die Hafenverwaltung eher über andere Dinge. "Wir denken hier rund um die Uhr an die Sicherheit", sagt de Villiers und zeigt auf ein Polizeiboot, das neben den Kreuzfahrtschiffen patrouilliert. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 seien die Sicherheitsvorkehrungen extrem verschärft worden. "Das meiste merken die Urlauber gar nicht, weil wir ihnen keine Angst einjagen wollen", sagt de Villiers. Aber manchmal lasse es sich eben nicht vermeiden. Kürzlich etwa schlug ein Polizeihund bei einer Reisetasche Alarm. Zum Glück Fehlalarm: "Es stellte sich heraus, dass daran noch Spuren von Schwarzpulver hafteten, weil der Besitzer damit auf Jagd gewesen war", sagt de Villiers. Florida gehört zu den US-Bundesstaaten mit den laxesten Waffengesetzen. Kein Wunder also, dass die Sicherheitsbranche boomt. Doch nicht nur die: Nach dem Flughafen von Miami ist der Hafen der wichtigste Wirtschaftsfaktor der Region. In Cape Canaveral schätzt die Hafenverwaltung, dass fast 22 000 Arbeitsplätze am Kreuzfahrt- und Frachtgeschäft hängen; in ganz Florida schafft die Kreuzfahrtindustrie nach Angaben des Branchenverbands Clia knapp 150 000 Jobs. Je nach Rechenart sogar noch deutlich mehr. So nimmt allein der Hafen von Miami für sich in Anspruch, für den Erhalt von circa 324 000 Arbeitsplätzen verantwortlich zu sein, worunter aber auch Branchen gefasst werden, die indirekt am Hafen hängen.

Doch was für die Wirtschaft gut ist, macht der Natur noch lange keine Freude. 2014 kam es zu einem massiven Korallensterben vor der Küste Miamis. Eine Studie von Wissenschaftlern der US-Meeresschutzbehörde NOAA benannte den Hafen als Verursacher. Genauer gesagt: die Vertiefung des Zufahrtskanals, durch die der Meeresboden über zwei Jahre hinweg aufgewirbelt worden war. Auch die Reedereien agieren nicht immer so umweltbewusst, wie sie es in ihren Hochglanzbroschüren behaupten. 2016 wurde das Unternehmen Princess Cruise Lines von einem Gericht in Miami zu einer Strafe von 40 Millionen Dollar verurteilt. Die Schiffe hatten mit Öl verunreinigtes Wasser illegal im Meer entsorgt und Berichte gefälscht.

"Wir haben seit 1970 mehr als 80 Prozent unserer Korallen verloren", sagt Rachel Silverstein, Direktorin der Umweltorganisation Miami Waterkeeper. Der Schlamm und die kontaminierte Erde, die beim Hafenausbau entstanden seien, hätten viele Korallen regelrecht begraben. "Dabei ist dieses Riff nicht nur extrem wichtig für unser Ökosystem, sondern auch ein großer Wirtschaftsfaktor", betont Silverstein. Immerhin kämen viele Touristen nach Florida, um eine intakte Natur vorzufinden. "Die Leute wollen surfen, tauchen, schwimmen. Sie wollen und brauchen ein lebendes Ökosystem."

In den betreffenden Häfen wiegeln die Verantwortlichen ab. "Wir geben zehn Prozent unseres gesamten Baubudgets für Umweltschutz aus", sagt Richard de Villiers. Die "Sache mit den Korallen" sei traurig, aber vielleicht auch auf andere Faktoren zurückzuführen, zum Beispiel auf den Anstieg der Meerestemperatur. Auch im Port Canaveral spricht man lieber über andere Dinge. "Ab 2020 werden wir der erste Hafen in Florida sein, der Schiffe mit Flüssiggas betankt", sagt Bobby Giangrisostomi, der Direktor für den Kreuzfahrtsektor.

Auf den Umweltschutz angesprochen, fällt Giangrisostomi vor allem die "fantastische Landschaftsgestaltung" des Hafens ein: ein eigener Strand für Kreuzfahrtpassagiere, daneben eine Angelstelle und Restaurants mit Blick aufs Wasser. Ökologische Probleme? "Die Verschmutzung der Meere ist schlimm", seufzt Giangrisostomi. Die Reisenden könnten sich im Aussichtsturm des Hafens einige Delfin-Skulpturen ansehen, gefertigt aus am Strand gefundenem Plastikmüll.

Während Port Canaveral die Vertiefung seiner Zufahrtswege schon hinter sich hat, steht dies anderswo in Florida noch bevor. Längst haben auch die Wettbewerber angekündigt, nachziehen zu wollen: mehr Terminals, mehr Schiffe, mehr Passagiere. So plant Port Everglades ein eigenes Vertiefungsprojekt für 374 Millionen Dollar. Der Umweltschützerin Rachel Silverstein schwant nichts Gutes. "Wir müssen endlich aus unseren Fehlern lernen", sagt Silverstein. "Es kann nicht sein, dass sogar staatliche Behörden vor den Folgen solcher Bauarbeiten warnen und sie trotzdem einfach so durchgezogen werden." Wer am Ende Recht behält, ist offen. Fest steht nur: Die Kreuzfahrtbranche wächst weiter. 2018 rechnet sie mit einem neuen Passagierrekord.

Reiseinformationen

Anreise: Direktflüge nach Miami z. B. mit Swissair von Zürich aus, ab 650 Euro, www.swissair.com. Viele Reedereien unterhalten einen Shuttleservice zum Hafen. Taxen berechnen 27 Dollar (circa 23,50 Euro) für die Fahrt vom Flughafen zum Hafen (plus Trinkgeld).

Hotel: The Palms Hotel & Spa, 3025 Collins Avenue, Miami Beach, DZ ab 120 Euro, www.thepalmshotel.com; Riverside Hotel, 620 East Las Olas Blvd, Fort Lauderdale, DZ ab 120 Euro, www.riversidehotel.com.

Hafen: Der Hafen in Miami befindet sich in 1015 North America Way. Der Hafen in Cape Canaveral kann von einem Aussichtsturm aus überblickt werden, 670 Dave Nisbet Drive. Eintritt: 6,50 Dollar zzgl. Steuern, www.explorationtower.com.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Zur SZ-Startseite

Kreuzfahrt
:Im Gokart nach Alaska

Größer, bunter, lauter: Auf der "Norwegian Bliss" reisen 4000 Passagiere. Die werden mit Spektakeln unterhalten, damit sie nicht merken, wie viele Menschen hier aufeinander sitzen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: