Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:"Wir sind mitten in einem Aussterbeereignis"

Die Unterwasserwelt der Riffe ist bedroht. Warum Korallen bleichen und Fische verschwinden und was das alles mit dem Tourismus zu tun hat, erläutert Meeresforscher Gert Wörheide.

Interview von Eva Dignös

Bei der Klimakonferenz in Katowice ringt die Welt gerade darum, wie sich die globale Erwärmung begrenzen lässt - und wer dafür zu welchen Zugeständnissen bereit ist. Gleichzeitig steht der Höhepunkt der Fernreisesaison an: In den Weihnachtsferien raus aus dem nasskalten deutschen Winter und per Direktflug an den Sandstrand - doch dabei wird nicht nur die Anreise zum Umweltproblem. Gert Wörheide erforscht seit mehr als 30 Jahren Korallenriffe. Der Inhaber des Lehrstuhls für Paläontologie und Geobiologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ist in der Karibik, im Indischen Ozean, im Roten Meer und in der Südsee getaucht - und nach wie vor fasziniert von der Vielfalt und Komplexität der Unterwasserwelt. Doch die ist in Gefahr.

SZ: Herr Wörheide, viele Menschen werden in den kommenden Wochen ihre Koffer packen und in den Schnorchel- oder Tauchurlaub in tropische Länder fliegen. Der Pazifikstaat Palau will von 2020 an bestimmte Sonnenschutzmittel verbieten, um seine Korallenriffe zu schützen. Müssen die Urlauber jetzt ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie sich eincremen?

Gert Wörheide: Grundsätzlich ist alles zu begrüßen, was den Schadstoffeintrag in die Meere minimiert. Viele Sonnenschutzmittel enthalten chemische Wirkstoffe wie Oxybenzon, die biologisch nicht abbaubar sind. Studien deuten darauf hin, dass sie die Korallenbleiche fördern. Es gibt Alternativprodukte, die als korallenunschädlich gekennzeichnet sind und die man beim Tauchen und Schnorcheln dann auch verwenden sollte. Aber ein Sonnenmilchverbot wird die Korallenriffe nicht retten. Es gibt da weitaus wichtigere und größere Probleme.

Wovon geht denn die größte Gefahr für die Korallenriffe aus? Die Zukunftsprognosen sind ja tatsächlich sehr düster.

Global ist eines der größten Probleme derzeit der Anstieg der Meerestemperatur. Wenn das Oberflächenwasser nur ein, zwei Grad Celsius wärmer ist als der durchschnittliche Höchstwert in der Region, dann geraten die Algen, die in den Korallen die Photosynthese betreiben, unter Stress. Sie sondern freie Radikale ab und werden von der Koralle praktisch abgestoßen. Passiert das nur kurzfristig, dann können sich die Korallen davon wieder erholen. Halten die hohen Temperaturen mehrere Wochen an, dann gelingt das nicht mehr. Die Korallen sterben ab und bleichen, zum Teil sehr großflächig wie beispielsweise 2016 und 2017 am Great Barrier Reef in Australien.

Ein weiteres Problem ist die Überfischung, verbunden mit dem Eintrag von Nährstoffen ins Wasser, vor allem von Dünger. Stellen Sie sich ein Riff vor, das schon geschädigt ist, zum Beispiel durch Korallenbleiche, in das Nährstoffe eingetragen werden und in dem es keine oder nur noch wenige pflanzenfressende Fische gibt. Innerhalb weniger Wochen ist das ganze Riff mit Algen überwachsen. Dann haben die Korallenlarven keine Chance mehr, sich anzusiedeln. Ich habe das selber auf den Malediven erlebt. Wir wollten mit Studenten zum Schorcheln gehen und alle Korallen in den flachen Bereichen des Riffs waren tot. Das bricht einem das Herz.

Sind diese Schäden irreversibel?

Nicht unbedingt. Studien haben gezeigt, dass ein Korallenriff nach einer Massenbleiche mindestens zehn bis 15 Jahre braucht, um sich vollständig zu regenerieren. Es gab zum Beispiel auf den Malediven 1998 eine sehr große Korallenbleiche, und die Riffe haben sich danach wieder erholt. Das Problem ist, dass die Frequenz der Warmwasser-Anomalien zunimmt. Wir beobachten sie mittlerweile alle sechs bis acht Jahre, mit fallender Tendenz. Dadurch fehlt den Korallen die Zeit, sich zu erholen.

Viele Riffe liegen in beliebten Urlaubsregionen. Inwiefern stellt der Tourismus eine Belastung für dieses fragile Ökosystem dar?

Lokal kann das ziemlich dramatische Auswirkungen haben. Ich kenne ein früher wunderschönes Riffdach im Roten Meer, das durch die Touristen, die darüber zum Schnorcheln und Tauchen ins Wasser gingen, innerhalb von fünf Jahren abgestorben ist. Wenn man mit Flossen über Korallen läuft, brechen sie ab. Und wenn das am Tag 20 Mal passiert, hat das langfristig natürlich negative Auswirkungen.

Sollte man Strände beziehungsweise Riffe schließen, damit sich geschädigte Korallen erholen können?

Das könnte eine Maßnahme sein und wird beispielsweise am Great Barrier Reef auch gemacht. Es gibt dort einzelne Riffe, die für jegliche Nutzung geschlossen sind, da darf man auch als Wissenschaftler nicht rein. Wir müssen noch funktionierende Korallenriffe unter besonderen Schutz stellen. An Stränden mit Hotels ist das allerdings schwierig: Wird das Hausriff geschlossen, bleiben die Gäste weg. Auf den Malediven oder am Roten Meer ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle für die lokale Bevölkerung.

Den Zauber der Korallenwelt selbst erlebt zu haben, kann ja durchaus das Bewusstsein für dessen Schutzwürdigkeit schärfen. Aber können Touristen überhaupt einen sinnvollen Beitrag leisten?

Ja, sie können sogar einiges tun. Beispielsweise sich vorab darüber informieren, ob das Hotel oder Resort einen ökologischen Ansatz verfolgt. Was passiert mit den Abwässern? Werden sie direkt ins Riff geleitet? Was passiert mit den Abfällen? Werden sie einfach ins Wasser geworfen, was an vielen Orten leider immer noch passiert? Wird auf Einweg-Plastik verzichtet? Urlauber können dann auf Basis dieser Informationen auch nach ökologischen Aspekten entscheiden, was gebucht wird.

Einige Resorts beteiligen sich auch an Riffschutzmaßnahmen, an denen auch die Urlauber teilnehmen können, wie beispielsweise Reef Check. Solche Aktionen sind ebenfalls äußerst sinnvoll. Weltweit, auch in beliebten Tauchregionen wie Südostasien und in Ägypten, ist Plastik ein riesiges Problem. Ich kann auf den Plastikstrohhalm im Cocktail verzichten und Wasser aus einer eigenen Wasserflasche trinken, statt Einweg-Plastikflaschen zu kaufen; das ist ein Beitrag, den jeder leisten kann. Sich darauf herauszureden, dass es nur globale Lösungen gibt, ist zu einfach.

Inwiefern bedroht der Plastikmüll in den Meeren denn die Riffe?

Wenn sich eine Plastiktüte um eine Koralle wickelt, funktioniert die Photosynthese der Algen nicht mehr richtig und sie kann absterben, das ist einleuchtend. Welche Auswirkungen allerdings Mikroplastik hat, also Partikel, die kleiner sind als fünf Millimeter, wissen wir noch nicht in vollem Umfang, da beginnen die Forschungen erst. Aber wir beobachten schon jetzt, dass Seevögel verhungern, weil sie den Magen voller Plastik haben, das sie nicht verdauen können.

Sonderlich gut klingt das alles nicht. Wagen Sie eine Zukunftsprognose?

Fakt ist: Wir sind mitten in einem Aussterbeereignis, dem sechsten großen globalen Aussterbeereignis in der Erdgeschichte. Das betrifft nicht nur Riffe, sondern auch andere Organismen, man denke zum Beispiel an das Insektensterben. Solche Entwicklungen hat es in der Erdgeschichte immer schon gegeben: Beispielsweise verschwanden Riffe und entwickelten sich in anderer Form, angepasst an die veränderten Bedingungen, neu - aber das wird ein paar Millionen Jahre dauern. Unser Planet wird davon nicht zugrunde gehen, aber die sozioökonomischen Folgen werden gigantisch sein, insbesondere in Südostasien und im Pazifik. Ohne Riffe wären die Küstenregionen Wellen und Stürmen schutzlos ausgeliefert. Und von den Ressourcen dort aus den Riffen sind Hunderte Millionen Menschen wirtschaftlich abhängig.

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