Matala auf Kreta:Love and Peace auf Griechisch

Griechenland, Matala

Die europäische und die griechische Flagge am Strand von Matala.

(Foto: Michael Kuntz)

"Today is Life, Tomorrow never comes", lautete der Slogan, unter dem Hippies in Matala auf der griechischen Insel Kreta zusammenkamen. Ein Besuch im ehemaligen Blumenkinder-Dorf - direkt vor dem Referendum.

Von Michael Kuntz, Matala

Im kräftigen Meereswind flattern fest zwei Fahnen, die griechische und die europäische. Die Fahnenmasten stehen hier im Süden von Kreta auf dem Strand von Matala, dem einstigen Hippiedorf. Es ist der Ort, aus dem die Träume waren und für viele noch immer sind. Auf einer Mauer unterhalb von einem der vielen Cafés direkt am Meeresufer prangt bis heute der Spruch in großen Buchstaben: Today is Life, Tomorrow never comes! Geschrieben wurde er vor Jahrzehnten von Giorgios Germanakis, dem Fischer, der zum Hippie wurde. Das Leben ist heute, ein Morgen wird es nicht geben. Heute, das ist eine Spurensuche in Matala am Tag vor dem Referendum in Griechenland.

Giorgios kann nicht mehr zur Volksabstimmung gehen, er ist nicht besonders alt geworden. Zu viele Drogen, zu viel Alkohol, sagt die Frau in der Buchhandlung am Strand vor dem Referendum, das die Griechen Umfragen zufolge in zwei etwa gleich große Lager teilt: "Ich mache mir große Sorgen, wie es wohl weitergeht."

Nackte und Bekleidete

Auf der Fahrt nach Matala hängen in einigen Orten Transparente über der Straße oder an Hauswänden: "Ochi" steht da drauf, ein Nein zu Europa. Im Hippiedorf selbst herrscht der ganz gewöhnliche sommerliche Badebetrieb. Matala ist übersichtlich. Es liegt zwischen zwei Bergen in einem länglichen Tal, das sich zum Meer hin öffnet. Eine Straße, zwei Strände. An der Kreuzung hinter dem Hotel Zafiria teilt sich die Menschenmenge in jene, die nackt baden und jene, die sich dafür etwas anziehen wollen. Nach links zweigt die Gasse voller Pensionen und Parkplätze ab, durch die es nach 20 Minuten Fußmarsch an den Roten Strand geht.

Dieser Kokkini Amos war damals etwas Neues im Griechenland der 60er Jahre, als Schülerinnen und Schüler an den Stränden separiert badeten. Geradeaus und nach rechts geht es in die Bucht mit den legendären Sandsteinfelsen, in deren Wohnhöhlen junge Menschen aus aller Welt als Hippies ein Gegenmodell zur bürgerlichen Gesellschaft lebten: Fern der Zivilisation, nah der Natur. Mit Meditation, Musik und Drogen. Als erste zogen junge amerikanische Wehrdienstverweigerer ins Nichts von Matala, statt in den Vietnamkrieg.

Die Wohnhöhlen der Generation Liebe sind heute eingezäunt, man kann sie besichtigen von 10 bis 19 Uhr, wenn man drei Euro Eintritt bezahlt. Der ist frei für alle unter 18 Jahren. Für die ist der ausgeträumte Traum der Blumenkinder ein Stück Geschichte. Gitarre und Selbersingen. Kein Strom, keine Musikanlagen, kein iPhone, keine Selfies - lang, lang ist es her. Es gab nur Reiseschecks und Bargeld, noch keine Kreditkarten - kaum vorstellbar für heutige Studenten. Nach Matala zieht es dann auch eher ihre Eltern oder die Großeltern. Wer 1969 im Studentenalter war, kommt gerade ins Rentenalter. Diese Generation fährt noch mal nach Matala.

Die jungen Alten reisen zurück in die Zeit der "orgasmischen Rockmusik", ziehen sich noch einmal die Songs rein von Joni Mitchell, Cat Stevens und Georg Danzer, die in Matala waren. Sie hören andächtig die Protestlieder von Bob Dylan, Joan Baez und Donovan. Love and Peace.

Von den vielen Alt-Hippies auf ihrem Campingplatz erzählt die junge Irin Joy. Sie studiert Kunst und Grafikdesign ("Ich will ja auch Geld verdienen"). Ihre Ferien verbringt sie am Infostand von Archelon, einer griechischen Organisation für den Schutz von Meeresschildkröten mit Tierhospital in Athen. Joy erklärt geduldig, wie sie und die anderen Aktivistinnen Gelege der bis zu 80 Zentimeter großen Schildkröten markieren, dafür sorgen, dass die Strandliegen drum herum aufgestellt werden. Schließlich Laternen und Lichter in den Strandhotels so abgedunkelt werden, dass die jungen Tiere nicht auf sie zustreben, sondern den Weg ins Meer finden.

Joy wirkt nicht so, als wenn sie sich bekiffen würde und für einen Besuch am Kokkini Amos ist angesichts dieses Ferienprogramms kaum Zeit.

Tourismus als Schwerindustrie Griechenlands

Alte und junge Touristen tauchen nach dem Besuch bei Joy am Info-Stand in das Durcheinander aus Tavernen und Gassen voller Verkaufsstände, die all jene Dinge anbieten, die ein gereifter Traveller längst einsortiert hat in seine globale Souvenir-Sammlung. Gehalten haben sich in Matala inzwischen nicht mehr ganz junge Schmuckverkäuferinen, von denen einige angeblich neuere Höhlen am Gegenhang bewohnen. Von den vielen Menschen in Matala wirken sie am hippiehaftesten.

Sie leben wie alle hier von den Busladungen der Touristen, die noch immer nach Matala gekarrt werden oder selbst im Mietwagen kommen und für die es längst eine perfekte Infrastruktur gibt. Am Hippiestrand stehen ein hölzerner Wachturm für Rettungsschwimmer und ein Container mit Rollstuhl-Toilette. Mehrere Supermärkte sichern die Versorgung mit allem.

Die Anziehungskraft des Blumenkinder-Dorfes auf Kreta ist nach wie vor groß, obwohl die damalige griechische Militärjunta dem bunten Treiben bereits 1969 ein Ende bereitete und die Hippies von Polizisten aus ihren Höhlen vertreiben ließ. Später kamen die Rucksacktouristen, heute hat jeder Reiseveranstalter Matala im Angebot.

Der Fischer Giorgios ist tot, in Matala findet die von Musik, Sex und Drogen begleitete Suche nach Erleuchtung und innerem Frieden nur noch am Rande statt. Das Geschäft läuft anders: Der Tourismus ist heute die Schwerindustrie Griechenlands. Neben Landwirtschaft und Schifffahrt gibt es keinen Wirtschaftszweig, der für neues Wachstum sorgen könnte. Seit der Finanzkrise reisten weniger Gäste ins Land, im vergangenen Jahr sah es so aus, als sei Griechenland wieder das gefragte Reiseziel wie früher. Und nun?

Der Hotelbesitzer und Schiffsingenieur Dimitris Fasulakis, 46, hatte während der Krise 2010 im Spiegel bereut, in den Familienbetrieb des Bungalow-Hotels "Valley Village" in Matala umgestiegen zu sein. Was passierte seitdem? Zusammen mit zwei Brüdern betreibt er das "Valley Village" weiter, große Reiseveranstalter befüllen es. Gleich FTI, Schauinsland und Phoenix bieten es an. Während das Hotel Orion ein paar hundert Meter weiter bankrott ging und als Ruine verfällt, erweiterten die Brüder Fasulakis ihre Anlage um neue Bungalows. Sie werden bei Booking & Co. hoch gelobt.

Das Zimmer 121 im alten Haupthaus ist zwar nicht gerade toll, aber am nächsten Morgen stellt sich heraus: Das Abendessen war mit im Preis, obwohl es am Tag zuvor noch zehn Euro extra kosten sollte. So sind sie eben, die Griechen. Immer gut für Überraschungen.

So jedenfalls geschah es an diesem Wochenende in Matala vor dem Referendum. Man wird sehen. Vielleicht ist auch heute noch etwas dran am Hippie-Spruch aus den Sechzigern: Today is Life, Tomorrow never comes.

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