Surfen in Marokko:Auf der Welle in die Freiheit

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Meryem El Gardoum

Ihr Weg zum Glück: Meryem el Gardoum stand schon mit elf Jahren auf dem Brett. Heute ist sie Marokkos beste Surferin - und bringt den Sport auch Urlaubern bei.

(Foto: Samuel Stamper)

Gesurft wird in Marokko schon seit Jahrzehnten. Aber erst jetzt steigen auch die Frauen aufs Board - und das ist für sie mehr als nur Sport.

Von Nadine Regel

Die Jungs nannten sie Mohammed. Und Meryem el Gardoum empfand es als Kompliment, damals vor zehn Jahren, als sie noch das erste Mädchen im Surfverein von Taghazout war. Elf war sie, lief täglich zum Strand, passte Surfer ab, die aus dem Wasser kamen, und fragte, ob sie ihr Board leihen dürfe. An manchen Tagen bekam sie keines und weinte. An anderen stürzte sie sich über Stunden in das tosende Weißwasser. "First love", ihre erste Liebe, so nennt sie ihren Sport.

Wenn Meryem el Gardoum ihre Geschichte erzählt, tut sie das mit Beharrlichkeit in der Stimme, als wolle sie mit jedem Wort überzeugen. Die 21-Jährige trinkt ihren Mokka in einem Café in Taghazout, dem beliebtesten Surferort an der Küste, gut 25 Kilometer nördlich von Agadir. Der Ort besteht aus zwei Häuserreihen, vereinzelt stehen Sonnenschirme schief im Wind. Zum Meer hin liegt zuerst ein Band aus dunkelbraunen Steinen, das nach wenigen Metern in feinen, ockerfarbenen Sandstrand übergeht. In der zweiten Häuserreihe findet das soziale Leben statt - Cafés, Surfshops, Bars. Das ist Meryem el Gardoums Welt.

Die Sportlerin ist Vorreiterin in ihrem Land: für das selbstbestimmte Leben

Aufgewachsen ist sie in einem Berberdorf wenige Kilometer südlich von Taghazout, ihre Eltern sind einfache Leute. Heute arbeitet sie in einem Surfcamp, gibt Surfunterricht und surft selbst. Denn sie ist gerade die beste Wellenreiterin Marokkos: fünfmalige Landesmeisterin. Neben der 38-jährigen Bodyboarderin Fatima Zahra Berrada ist sie die erste Frau ihres Landes, die an internationalen Surfwettkämpfen in Frankreich und Portugal teilgenommen hat. Dass Meryem el Gardoum wie selbstverständlich auf dem Surfbrett steht, sagt viel über Marokko aus, aber noch mehr über die junge Frau selbst. Sie ist Vorreiterin dafür, dass Frauen in ihrem Land selbstbestimmt leben sollten. Obwohl sie sich selbst so nicht sieht - für sie ist Surfen einfach ihr Weg zum Glück. "Heute surfen schon viel mehr Frauen in Marokko als vor zehn Jahren", sagt El Gardoum. Auf Profiniveau seien es 16. Die Imouran Surf Association, bei der El Gardoum damals das Surfen lernte, kümmert sich um den Nachwuchs im Süden des Landes. Aktuell sind 200 Kinder registriert, davon 40 Mädchen, die El Gardoum zum Vorbild haben.

Seit zehn Jahren entstehen immer mehr Surfcamps in Marokko, besonders im Süden des Landes. An dem knapp 100 Kilometer langen Küstenabschnitt zwischen Agadir und Imsouane gibt es bereits rund 80 Camps und mindestens genauso viele Surfschulen. Die Küste wirkt eher karg, dafür sind die Wellen hier beeindruckend. Während der Hauptsaison zwischen November und März sind die Bedingungen besonders gut. Gesurft wird hier seit Jahrzehnten - allerdings war das lange ein Sport nur für Ausländer. Die Hippies kamen in den Sechziger- und Siebzigerjahren ins Land. Jimi Hendrix, The Doors und die Rolling Stones spielten auf Musikfestivals und rauchten Marihuana. Touristen fuhren mit ihren Bullis die Küste ab auf der Suche nach den Stränden mit den besten Wellen.

Erst in den Achtzigerjahren standen die ersten Marokkaner auf dem Brett. Richard Thurnes war einer von ihnen. Gemeinsam mit einem Schulfreund kaufte er sich ein Surfboard und brachte sich selbst das Surfen bei. Der Sohn eines Österreichers und einer Marokkanerin pendelte Jahrzehnte zwischen Innsbruck und Agadir. 2014 entschied sich der heute 48-Jährige ganz für Marokko. Thurnes eröffnete ein Surfcamp in Awrir. Das kleine Dorf liegt zwischen Agadir und Taghazout. "Authentisch" nennt Thurnes es, weil der Ort noch nicht von Surfern eingenommen ist. Richard Thurnes' Camp thront etwas außerhalb auf einer Anhöhe mit Blick auf K 11, Kilometer elf, einen Surfspot mit weitläufigem Strand und guten Bedingungen für Anfänger. Sein Surflehrerteam besteht aus lokalen Surfern, aber auch aus Europäern, die über den Winter zum Arbeiten nach Marokko kommen.

Mereyem hat einen Surfanzug, der rosa ist. Ihre Schülerin trägt einen Sport-Hidschab

Was fehlt, sind Surflehrerinnen. "Die lassen sich an einer Hand abzählen", sagt Richard Thurnes. Um das zu ändern, bildet er in seinem Surfcamp auch Frauen aus. Da ist zum Beispiel Nisrine Amaadour, 23, die wegen ihrer blonden Lockenmähne von allen nur Shakira genannt wird. Sie arbeitet als Assistenz-Surflehrerin für Thurnes. "Nisrine hat den nötigen Biss und kann sich durchsetzen", sagt er. Die Jungs freuten sich auch, dass eine Frau im Team ist. Das sei aber nur der Anfang.

Surfen ist besser als Alkohol, sagen die Eltern

Muslimische Frauen, die surfen, sind noch keine Selbstverständlichkeit in der arabischen Welt. Schon der enge Neoprenanzug ist schwierig für sie, weil er ihre weiblichen Rundungen betont, anstatt sie zu verhüllen. El Gardoum nimmt ihr Telefon in die Hand und zeigt ein Foto. Darauf zu sehen ist eine junge Frau, die mit einem speziellen Hidschab-Kopftuch surft, das für Wassersport geeignet ist. Sie ist eine ihrer Surfschülerinnen. El Gardoum sagt, sie selbst trage den Hidschab nur beim Beten. Sie trägt gern einen rosafarbenen Neoprenanzug, am liebsten surft sie am Devil's Rock, dem Teufelsfelsen. Das sei der Surfspot ihrer Jugend.

Der Sport ist nicht ungefährlich. Das wussten auch die Menschen in El Gardoums Berberdorf Tamraght. "Halte sie zurück", sagten sie zu ihrer Mutter. "Sie wird sonst sterben." Mädchen gehörten ins Haus, ihre Bestimmung sei die Ehe. Ihre Mutter gab nichts darauf. Surfen, so sagte sie, sei immerhin besser als Alkohol und Zigaretten. Abstinenz - das ist bis heute ein unausgesprochener Kompromiss zwischen El Gardoum und ihren Eltern. "Ich bin sehr froh, dass sie so aufgeschlossen sind", sagt die junge Frau. In Marokko glauben viele Menschen, dass Wellenreiten haram ist, also nach islamischem Glauben verboten. El Gardoum hat ihre eigene Interpretation. Der Prophet Mohammed, so sagt sie, habe gewollt, dass sich die Menschen körperlich ertüchtigen, um ihre Gesundheit zu erhalten. Zur Auswahl gab er ihnen Reiten, Bogenschießen und Schwimmen. "Ich habe mich für das Schwimmen entschieden, also Surfen", sagt Meryem el Gardoum mit einem Lächeln.

Ob sie noch einmal zu internationalen Wettkämpfen fahren wird, weiß sie nicht. Schon die 300 Euro Anmeldegebühr kann sich die Surflehrerin oft nicht leisten. Marokkanische Unternehmen, sagt El Gardoum, interessierten sich nicht fürs Surfen, sondern für Tennis, Golf und Fußball. Obwohl entlang der Küste viele Hotels und Wohnanlagen entstehen - auch wegen der Surfer. "Aber wenn du kein Model bist, hast du es als Frau schwer, im Surfsport gesponsert zu werden." Wieder holt sie ihr Handy hervor und zeigt Bilder. Diesmal von einer jungen Frau in knappem Bikini. Der Fokus der Bilder liegt auf dem Po. Für sie komme es nicht infrage, sich auf diese Weise in den sozialen Netzwerken zu zeigen, sagt El Gardoum. Auf die negativen Kommentare unter ihren Posts kann sie gut verzichten. Außerdem möchte sie nicht auf ihren Körper reduziert werden.

Marokko ist bei Touristen nach wie vor beliebt. 2018 reisten laut marokkanischem Fremdenverkehrsamt insgesamt rund zwölf Millionen Gäste ins Land, 762 000 davon aus Deutschland, das sind zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Das Land gilt als sicher - obwohl im Dezember zwei Frauen aus Skandinavien beim Campen im Atlasgebirge ermordet wurden, mutmaßlich von Islamisten. Das Auswärtige Amt rät dazu, Trekkingtouren in die Berge und Wüstenregionen nur mit lokalem Guide zu unternehmen. Die politische Situation wirkt zwar stabil, Marokkaner sind aber vielen Repressionen ausgesetzt wie etwa Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit; Homosexualität ist strafbar.

"Dieses Jahr hatten wir noch keine Zeit zum Durchatmen", sagt Richard Thurnes im Restaurant seines Beachclubs. Im Hintergrund läuft Loungemusik. Das Camp sei das ganze Jahr über gut besucht gewesen und nicht, wie sonst, nur im Winter. Auch im Sommer kamen Surftouristen nach Marokko. Die Wellen sind dann niedriger und eignen sich für Anfänger. "Surfen bietet dieses Freiheitsgefühl", sagt Thurnes. Zu Hause drehe sich das Leben seiner Gäste nur um Arbeit. Hier können sie am Abend entspannt bei einem Bier zusammensitzen. Täglich stehen die Urlauber zweimal auf dem Brett, morgens beginnt der Tag mit Yoga auf der Dachterrasse. Nach drei Tagen nimmt sich fast jeder eine Auszeit, weil die Muskeln schmerzen und das Gesicht brennt. Die Tage enden mit einem üppigen Büffet, das aus lokalen, frisch zubereiteten Gerichten besteht - Tajine, Fisch, Salate, Hummus; die unterschiedlichsten Menschen aus aller Welt finden bei Thurnes zusammen.

"Das Surfen lehrt dich, geduldig zu sein, auf deine Chance zu warten, auf die perfekte Welle. Und irgendwann kommt sie und trägt dich davon", sagt Meryem el Gardoum. Manchmal muss man dem Glück aber auch ein wenig nachhelfen. Sie will zwei Nachwuchssurferinnen aus dem Norden des Landes helfen, Sponsoren zu finden. "Die Mädchen sollen der Welt zeigen, dass wir Marokkanerinnen surfen können", sagt sie. Für sich selbst wünscht sie sich mehr finanzielle Unabhängigkeit. Sie will Surftaschen entwerfen. Das Logo entsteht gerade erst. Aber den Namen hat sie schon: Kahina, wie die unerschrockene Berberkönigin, die für ihr Volk kämpfte. Kahina, auch kein schlechter Spitzname für eine, die auf dem Wasser eigentlich nur die Freiheit sucht.

Reiseinformationen

Anreise: Direkt von München nach Agadir mit Lufthansa oder Condor, hin und zurück ab ca. 260 Euro, www.condor.com; vom Flughafen nach Awrir mit dem Mietwagen oder Abholservice vom Surfcamp.

Unterkunft: Deepcurl-Surfcamp in Awrir, eine Woche Übernachtung mit Vollverpflegung ab 189 Euro; Surfkurs, fünf Tage, vier Stunden pro Tag inkl. Material 199 Euro; Yoga, fünf Tage, zwei Stunden pro Tag, 99 Euro, www.puresurfcamps.com

Surfunterricht: Privat-Surfunterricht bei Meryem el Gardoum: Zwei Stunden für maximal zwei Personen kosten 50 Euro inklusive Ausrüstung; Kontakt via E-Mail MerySurfcoach@gmail.com oder Tel.: 002 12 / 606 86 49 05

Weitere Auskünfte: www.visitmorocco.com

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