Maori-Kultur:Die Stammesältesten

Bäume gelten den Maori als ihre Vorfahren. Sie verehren sie, ein Nebelwald gilt sogar als juristische Person. Neuseeland besinnt sich auf das Erbe der Ureinwohner.

Von Anja Martin

Waitangi Treaty Grounds Museum

Ein Maori bei einem Begrüßungsritual auf den Waitangi Treaty Grounds. Die Ureinwohner begreifen sich als Teil der Natur, Bäume als ihre Ahnen.

(Foto: Anja Martin)

Wer Tane Mahuta besuchen will, muss sich erst die Füße abtreten. Und zwar gründlich: Schuhe abbürsten und desinfizieren ist Pflicht. Dafür hat das Department of Conservation extra eine Station aufgebaut, durch die jeder muss, wenn er den Wald betritt. Tane Mahuta bekommt viel Besuch, denn er ist prominent, rund 2000 Jahre alt und der größte Kauri-Baum Neuseelands mit fast 15 Meter Stammumfang und 18 Meter Höhe bis zum ersten Ast. Über dieses Volumen wird die Größe errechnet. Und er ist gefährdet, weil ihn andere Bäume anstecken könnten, die bereits Kauri Dieback haben, eine Wurzelfäule, die sich über Pilzsporen ausbreitet und Tausende Artgenossen befallen hat. Die können im Profil der Wanderstiefel hängen oder in den Hufen von Wildschweinen. Und keiner will Tane Mahuta sterben sehen.

Man klopft an, bevor man das Reich des Waldgottes betritt, so will es die Etikette

Ganz unvermittelt taucht er auf, wenn man auf einem Holzbohlensteg, ein paar Minuten nur von der Straße weg, auf den Giganten zuschlendert. Ein hellgrauer Stamm inmitten des vielen Grüns. Eine glatte Borke, die sich ein bisschen schuppt wie leicht trockene Haut. Der Blick rutscht an ihm hinauf übers Blätterdach, das der Baum mit seinen rund fünfzig Metern locker überragt. Die Pflanzen halten Abstand, als würden sie ihm Respekt zollen. Und das stimmt vielleicht sogar, denn Tane Mahuta bedeutet: Gott des Waldes.

Für Joe Wynyard, Maori, Jäger, Angler und Guide, ist die Natur voller Sagen und Legenden. Die Bäume sind seine Vorfahren. Auch er sieht ein bisschen wettergegerbt aus, verwurzelt und unaufgeregt. Die leicht ergrauten Locken stecken unter einem Basecap mit Camouflagemuster. Jetzt macht er den Waldgott mit den Touristen bekannt, die er heute hierher mitgebracht hat, murmelt hinter seinem dicken Schnauzer respektvolle Begrüßungs- und Dankesworte auf Maori, singt ein traditionelles Lied. Er will Besuchern die Perspektive der Indigenen näherbringen, ihr Wissen über die Natur, ihren Respekt vor dem Wald.

Maori-Kultur: Tane Mahuta, Neuseelands größter Kauri-Baum.

Tane Mahuta, Neuseelands größter Kauri-Baum.

(Foto: mauritius)

Der Waipoua Forest, weit im Norden der Nordinsel, wo der State Highway 12 einfach nicht mehr aufhört sich zu schlängeln, ist mit 9000 Hektar Neuseelands größter Kauri-Wald. Drei Viertel der Kauris des Landes wachsen hier, darunter viele Giganten und einige Berühmtheiten. Jeder der alten Bäume ist selbst ein Lebensraum für Hunderte Moose, Pflanzen und Tiere. Zu den bekanntesten führen Pfade, wobei einige Zugänge mit Bauzaungittern versperrt wurden: Besuchsverbot wegen ansteckender Krankheit. In der Vergangenheit wurde viel Wald abgeholzt, seit James Cook mit der Endeavour vor 250 Jahren auf der Insel anlegte. Aus den starken, geraden Kauri-Bäumen machte man Masten für Segelschiffe, aber auch Brücken, Möbel und Häuser auf der ganzen Welt. Nicht nur Auckland und Wellington wurden aus Kauri-Holz erbaut, sondern auch San Francisco. Heute werden die vier verbleibenden Prozent dieser Bäume geschützt, was zwar die Holzwirtschaft, nicht aber eine Pilzspore kümmert.

Joe erzählt die Maori-Geschichte über den Kauri und seinen Bruder Tohora, den Wal. Tohora fragt, ob der Baum nicht ins Wasser kommen und mit ihm schwimmen wolle, schenkt ihm sogar eine Fischhaut als Rinde. "Siehst du, was ich meine?", fragt Joe und streicht über den Stamm. Doch der Kauri hat eine Aufgabe. Er muss den Wald hüten und den Himmel stützen. Also bleibt er an Land. Die beiden stehen trotzdem weiter im Austausch - die Mineralien aus den Flüssen gelangen ins Meer, die Seevögel brüten im Wald. "Zumindest haben sie das früher getan", meint Joe und gibt zu bedenken, dass das System gestört sei. Und dass die Kauri-Bäume genau deswegen krank werden. Er ist stolz, dass die Wissenschaftler die Legenden der Maori inzwischen hören wollen. "Wir haben die Dinge nicht grundlos benannt", meint Joe. Er geht davon aus, dass die Legenden nicht nur schöne Geschichten sind, sondern Sinn machen.

Zurzeit injiziere man Phosphorsäure. Ein Versuch. Für Joe ist das einleuchtend, schließlich kommen Phosphate auch im Meer vor. Die Brüder wollen ihre Verbindung stärken. Er hofft, dass die Kauri überleben und auch den Nachkommen erhalten bleiben: "Sie sind Teil unserer Kultur." Die Maori würden sagen, sie sind Taonga. Was zu diesem materiellen und ideellen Kulturschatz gehört, wird in Neuseeland heiß diskutiert. Denn das hat Konsequenzen, weil der Vertrag von Waitangi, das Gründungsdokument der Nation, den Maori Eigentum und Nutzung ihrer Taonga zusichert. Dazu gehören die Sprache, aber auch wichtige Orte, mal ein Fluss, mal ein Stück Land.

650 Straßenkilometer weiter südlich existiert ein ganzer Wald, der nicht nur Taonga ist, sondern das erste Stück Natur in Neuseeland, das offiziell zu einer juristischen Person erklärt wurde, also quasi zu einem Lebewesen. Die Hüter des Nebelwalds Te Urewera sind die Nga i Tuhoe, die Kinder des Nebels. Vor fünf Jahren wurde das unrechtmäßig von der britischen Krone konfiszierte Land den Maori zurückgegeben. Dafür hatten sie seit Ende der Neunzigerjahre gekämpft. Auch Hinewai McManus, 43, T-Shirt, Gummistiefel, Oberlippenpiercing, Undercut, ist eine Tuhoe. Sie hat gerade für ihre Gäste gekocht, stellt eine große Pfanne mit Lammkoteletts und eine Schale mit dampfenden Kumara auf einen kleinen Tisch. Die Lämmer sind europäisches Erbe, die Kumara genannten Süßkartoffeln polynesisches. Die einen kamen vor rund 200 Jahren mit Segelschiffen aus dem Westen, die anderen schon vor 800 Jahren in Kanus aus dem Osten.

Vor dem "Greift zu" gibt es aber erst spirituelle Worte auf Maori. Um das Essen zu segnen, hat Hinewai ihre Strickmütze abgenommen. Die Worte können ausländische Touristen nicht verstehen, aber die andächtige Stimmung kommt rüber, hier mitten in der Natur. Denn Hinewai bewirtet in einem Bushcamp im Nebelwald Te Urewera, in dem sie eigentlich alles ist: Köchin, Gründerin, Managerin und Guide. Das Land gehört ihrer Familie, sie lebt einen Kilometer weiter oben im Haus ihrer Großmutter, bei der sie auch einen Teil ihrer Kindheit verbrachte. Alles im Camp ist so gebaut, dass sie es jederzeit umziehen könnte.

Unter einer grünen Plane, die sich weit über eine Lichtung spannt, stehen eine kleine Küche, ein Esstisch, Loungemöbel, ein Regal und ein offener Kamin. Gemütlich fühlt sich das an, trotz des Regens und der Feuchtigkeit, die von allen Seiten unter das Segel kriechen will. Rundherum die Natur. Der Wald ein grüner, vollgesogener Schwamm. Alles darin ist weich und gepolstert. Te Urewera kennt sämtliche Schattierungen von Grün, ist voller Leben, von den Kronen bis auf den Boden. Da sind Moose, bewachsene Stämme, niedrige und baumhohe Farne. Kuckuck und Tui singen trotz Regens. Vor dem Spiegel im Duschhäuschen hängt ein schwarzes Handtuch. Eine Maori-Art, um jemanden zu betrauern? Nein, nein. Es geht um den kleinen Miromiro. Der würde sonst die ganze Zeit sein Spiegelbild attackieren.

Hier respektiert man die Natur. Und man klopft an. "Wenn wir in das Haus von jemand gehen, dann klopfen wir doch auch vorher", meint Hinewai, als sie am nächsten Tag einen Wald weiter am Start eines Wanderwegs innehält und ihre Gäste wie auch sich selbst mit vielen Worten vorstellt. Es ist die Maori-Art, sich höflich beim Gott des Waldes anzumelden, bevor sie sein Territorium betreten. Und prompt kommen ein paar Vögel angeflogen, für Hinewai ein Empfangskomitee. Sich respektvoll unterzuordnen ist ihr eine Selbstverständlichkeit: "Tane Mahuta hat Bäume und Vögel geschaffen, dann erst die Menschen." Damit ist die Hierarchie doch klar. Und mehr noch: "Für einen Maori sind Bäume wie Ältere des Stammes."

Reiseinformationen

Unterkunft: Eden Villa in Auckland, 170 Euro, www.edenvilla.co.nz. Hokianga Haven, 130 Euro, www.hokiangahaven.com. Wellington City B&B, 86 Euro, www.wellingtoncityaccommodation.co.nz. Morepork Riverside Lodge, Paihia, 100 Euro, www.moreporklodge.co.nz. Springwaters Lodge, Lake Rotorua, 130 Euro www.springwaterslodge.co.nz

Touren: Whispering Trails: Walks, Jagen und Fischen mit Joe Wynyard, www.whisperingtrails.co.nz. Te Urewera Treks mit Hinewai McManus, auch Übernachtung im Bushcamp, www.teureweratreks.co.nz

Hundert Bücher werden ins Maori übersetzt, darunter auch die "Harry Potter"-Reihe

Werden die Maori denn respektiert? Man ist inzwischen tatsächlich auf dem Weg zu einer multikulturellen Gesellschaft. Journalisten lassen Maori-Ausdrücke einfließen. Sich mit "Kia Ora" zu grüßen, ist angesagt. Es gibt Studiengänge, die komplett auf Maori absolviert werden können, und gerade hat die Präsidentin beschlossen, dass auf Staatskosten hundert populäre Bücher ins Maori übersetzt werden - darunter auch Harry Potter. "Früher wurde das Wissen der Ureinwohner als Hexerei bezeichnet", sagt Hinewai. "Wie Indigene denken und fühlen, ist heute populärer, auch wegen der Situation, in der die Welt steckt." Ohnehin sei vieles davon wissenschaftlich bestätigt worden. Etwa dass die Bäume miteinander kommunizieren. "Auch um die halbe Welt." Wie könnte man sich so ein Gespräch zwischen einer deutschen Buche und einem neuseeländischen Kauri vorstellen? Tane Mahuta würde sich vielleicht darüber amüsieren, wie sich die Besucher für ein Selfie mit ihm verrenken. Und die Buche würde sich beklagen, dass sich noch nie jemand für sie die Füße abgetreten hat. Und wahrscheinlich würde sie es auch vor den neuseeländischen Wissenschaftlern erfahren, wenn der Gott des Waldes an Kauri Dieback erkrankt.

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