Süddeutsche Zeitung

New York:Wenn in Manhattan die rote Sonne im Teer versinkt

Das Phänomen "Manhattanhenge" ähnelt der Sonnwende im englischen Stonehenge: Die Abendsonne geht zweimal im Jahr genau in der Verlängerung der schnurgeraden Querstraßen von Manhattan unter und lässt alle Ost-West-Straßen auf der Halbinsel leuchten.

Katja Schnitzler

Das Phänomen "Manhattanhenge" ähnelt der Sonnwende am berühmten Steinkreis in England: Die Sonne geht zweimal im Jahr genau in der Verlängerung der schnurgeraden Querstraßen von Manhattan unter und lässt alle Ost-West-Straßen auf der Halbinsel leuchten. Von Katja Schnitzler Zweimal im Jahr zur Sonnwende treffen sich Esoteriker, Neuzeit-Druiden und Neugierige in Stonehenge und warten auf die Morgenröte. Der mystische Steinkreis nahe Salisbury im Süden Englands ist so angeordnet, dass die Sonne am Mittsommertag genau über dem "Fersenstein" aufgeht und die Strahlen ins Innere des hufeisenförmig angelegten Steinkreises fallen. War Stonehenge also eine frühere Kultstätte? Oder ein vorzeitliches Observatorium, errichtet vor mehr als 2000 Jahren? Wurde einem Sonnengott gehuldigt? Und werden sich in weiteren zwei Jahrtausenden Menschen dieselben Fragen stellen, wenn sie die Überreste Manhattans erforschen?

Das fragt sich zumindest Neil deGrasse Tyson, der entdeckte, dass auch auf der berühmten New Yorker Halbinsel zweimal im Jahr die Sonne genau in der Verlängerung der schnurgeraden Querstraßen und damit scheinbar zwischen den Wolkenkratzern untergeht ("Die Nacht ist in New York schließlich wichtiger als der Morgen").

Ihre Strahlen erleuchten die gesamte Länge der Ost-West-Straßen auf der Halbinsel. "Es kommt nicht oft vor, dass ein kosmisches Phänomen sich nur für uns ereignet. Es ist ein außergewöhnlicher New-York-Moment", erklärt der Direktor des Hayden Planetariums im Amerikanischen Museum für Naturgeschichte in einem Video auf Youtube. Werden sich die Generationen nach uns also fragen, ob die Straßen von Manhattan nach dem Sonnenstand ausgerichtet wurden?

Die Wahrheit ist: Das Phänomen ist dem Zufall geschuldet, auch in anderen Städten wäre dieses beeindruckende Schauspiel möglich - würden dort die Voraussetzungen stimmen. Die Sonne geht nicht immer am gleichen Punkt am Horizont auf oder unter, sondern "wandert" zwischen den Wendekreisen hin und her und bedingt so unsere Jahreszeiten. In jeder Stadt mit einem rechtwinkligen Straßennetz könnten Menschen also diesen beeindruckenden Anblick genießen, da an zwei Tagen im Jahr der rote Sonnenball genau auf der Blickachse mit den west-östlichen-Querstraßen verschwindet.

Aber nicht jede Metropole hat so malerisch rahmende Hochhäuser wie New York und nicht jede Stadt bietet am Ende der Querstraße freie Sicht gen Westen und auf den Horizont: Die Menschen in Manhattan blicken über den Hudson River bis nach New Jersey. Und die Straße, durch die die Strahlen fallen sollen, muss ganz gerade sein, die kleinste Biegung zerstört den Effekt.

Straßen dieser Art hat Manhattan genug: Neil deGrasse Tyson empfiehlt auf der Homepage des Hayden-Planetariums die 14., 23. und die 57. Straße, auf der 34. und auf der 42. Straße habe man mit dem Empire State Building und dem Chrysler-Hochhaus besonders schöne Motive. "Für den schönsten Effekt suchen Sie sich auf diesen Straßen einen Platz so weit östlich wie möglich, aber stellen Sie sicher, dass Sie von dort aus noch New Jersey sehen können."

Während am 12. Juli 2011 um 20:25 Uhr die runde Sonnenkugel in der Ferne scheinbar New Jersey berührte und dann hinter den Hochhäusern versank, verschmolz der Himmelskörper zur selben Zeit am Abend des 13. Juli genau auf der Blickachse der Querstraßen mit dem Horizont. "Der schönste Zeitpunkt für Fotos", schwärmt der Forscher und korrigiert gleich einen Irrtum: Während er selbst für das Phänomen den Begriff "Manhattanhenge" prägte, schrieb die New York Times von der "Manhattan Solstice" - doch handele es sich bei dem Anblick nicht um die Sonnwende, sondern nur um eine zufällige Konstellation, die eben auch nur zweimal im Jahr vorkomme. Aber schön anzusehen ist.

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