Malta: Valletta:Der Fels in der Wandlung

In Maltas Hauptstadt Valletta verbinden sich Geschichte und Stein zu einem Bollwerk gegen schnelle Veränderung.

Jochen Temsch

Der alte Mann winkt seinen Besucher näher heran an eine Vitrine. Darin liegen kleine, klobige Holzstücke, in die Schnörkel geschnitzt sind, Buchstaben, Kreuze: Siegel des Johanniterordens und einflussreicher adliger Familien.

Valletta

In Valletta ändern sich die Zeiten nur langsam.

(Foto: Foto: Temsch)

"Stellen Sie sich vor", sagt der alte Mann, und er flüstert jetzt, "wie mächtig Sie gewesen wären, hätten Sie diese Siegel damals in Ihren Händen gehabt."

Dann macht er eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen, hier, in seinem Haus, dem Palazzo Casa Rocca Piccola in Valletta, in dem das grelle Sonnenlicht gedämpft durch schwere Vorhänge fällt, wo tiefe Teppiche und Hunderte von dunkel gerahmten Ölgemälden jeden Laut verschlucken.

Mehr als 400 Jahre lang sind von hier aus die Geschicke Maltas beeinflusst worden. Und wer etwas wissen will über die turbulente Vergangenheit des Landes, seine sich schnell verändernde Gegenwart und seine ungewisse Zukunft in Europa nach dem EU-Beitritt am 1. Mai, ist bei dem alten Mann und Besitzer des Casa Rocca Piccola richtig: bei Nicholas Marquis de Piro, Baron von Budach und Malteser Ritter, Mitglied des Johanniterordens, der als einer der wenigen der alteingesessenen Patriarchen seine Villentore auch für Touristen öffnet.

Malta, das ist Geschichte und Stein: marines Sediment, gebildet aus Myriaden abgestorbener Meeresorganismen, aus dem Meer aufgefaltet vor Millionen von Jahren.

Es gibt verschiedene Sorten - den unteren und den oberen Korallenkalk, die Blauen Tone, Grünsande und den weichen Globigerinenkalk, der in akkuraten Quadern aus dem Boden geschnitten wird, an der Luft schnell härtet und sich hervorragend zum Bauen eignet.

Importierte Souvenire

Seit Jahrhunderten nutzen die Malteser dieses Verfahren. Holz gibt es nicht genug. So steinig Malta ist, so unfruchtbar ist es auch. Selbst das am Flughafen feilgebotene Souvenir-Olivenöl wird aus Italien importiert.

Brutal umkämpft war die Insel dennoch seit jeher, wegen ihrer strategisch wichtigen Lage zwischen Europa und Nordafrika. Kriege und Intrigen waren die Folge, und kluge Männer wurden reich. Der Marquis de Piro hat Tausende Seiten Aufzeichnungen seiner Vorfahren erforschen lassen, und er sagt: "Vieles kam heraus, auf das unsere Familie sehr stolz sein darf. Es gibt aber auch Dinge, die bleiben besser unter uns."

Auf den ersten Blick verlieben kann sich der Reisende kaum in dieses Land. Denn der Stein ist wehrhaft felsenfest, nicht etwa zu einladend weichem Sand erodiert. Die wenigen Strände, die es gibt, liegen an den Hauptstraßen und sind zur Hochsaison hoffnungslos überfüllt, weil die "Beach"-Wegweiser in den Hotels nur zu betonierten Liegeflächen führen.

Malta ist flach und flächenmäßig kleiner als München und lässt sich in wenigen Stunden umrunden. Flüsse oder Seen gibt es nicht, alles Wasser versickert im Kalk. Darüber wuchern Agaven, Kakteen und Disteln.

Diese abweisende, steinerne Härte Maltas findet in der Hauptstadt ihren baulich faszinierenden Höhepunkt, ihre grandiose Vollendung durch den architektonischen Verweis auf ihren historischen Ursprung: die Türkenbelagerung.

Malta

Kleine Boote am Hafen erinnern an alte Zeiten.

(Foto: Foto: Temsch)

Von Mai bis September 1565 besetzte die gewaltige osmanische Flotte mit schätzungsweise 200 Schiffen und 35.000 Soldaten den großen Hafen. Die Johanniter unter Führung von Großmeister und Namensgeber Jean de la Valette geboten nur über ein Drittel dieser Kampfstärke, leisteten jedoch zähen Widerstand in bestialischen Schlachten.

Kanonen geladen mit Köpfen

Die Osmanen warfen gefangene Christen auf Kreuze genagelt ins Wasser und ließen sie zu den Verteidigungslinien treiben, die Malteser schossen mit Kanonen zurück, die mit abgeschlagenen Köpfen der Angreifer geladen waren.

Der Sieg über die Türken und die dadurch endgültig gefestigte Rolle Maltas als christliches Bollwerk Europas sind bis heute Teil der maltesischen Identität. Neuerdings können einheimische Patrioten sogar mit einem "1565" genannten Bier auf die Vergangenheit anstoßen.

Mit Geld aus europäischen Adelshäusern wurde der Kalkstein in Valletta zu einer Befestigungsanlage aufgetürmt, die als mächtigste der Welt zum Unesco-"Erbe der Menschheit" zählt.

Leicht erhöht auf einer schmalen Halbinsel zwischen zwei Naturhäfen gelegen, ist die Stadt eingeschlossen von einem ausgeklügelten System aus Meter dicken Mauern, Vorwerken, Bastionen, und Gräben, in dem sich ahnungslose Touristen heute noch leicht verlaufen.

Wehrhaftigkeit gegen Vereinnahmung

Die Häuserzeilen der vielen Kleinstädte, die übergangslos an Valletta herangewachsen sind, erschweren zusätzlich die Orientierung.

Die Wehrhaftigkeit gegenüber jeder Art von Vereinnahmung kommt auch von der historischen Erfahrung der Fremdherrschaft, vom Stolz auf die Unabhängigkeit nach zuletzt britischer Verwaltung, und sie erklärt vielleicht auch die nur zögerliche Bereitschaft der Bevölkerung zum EU-Beitritt beim Referendum im März vergangenen Jahres.

In Anspielung auf die Türken und die heftigen Bombardierungen durch deutsche und italienische Truppen im Zweiten Weltkrieg nannten EU-Gegner die Verhandlungen mit Brüssel die "Dritte Große Belagerung".

Ein Strand als Hundeklo

Dabei lässt sich die europäische Tradition Vallettas sogar am Stadtbild ablesen, etwa an den Herbergen der verschiedenen europäischen, "Zungen" genannten Landsmannschaften des Johanniterordens, oder an den speziellen Teilen der Befestigungsanlagen, die diese Landsmannschaften jeweils zu verteidigen hatten - auch wenn der deutsche Abschnitt am Marsamxett-Hafen im Nordwesten der Stadt heute vorrangig als Hundeklo genutzt zu werden scheint.

Die Straßen von Valletta sind, ähnlich wie in New York, im Schachbrettmuster am Reißbrett entworfen worden. Neun Straßen längs, zwölf Straßen quer, zum Teil mit steilem Gefälle - eine gerade, gut zu verteidigende Konstruktion.

Aber auch gut für den kühlenden Wind, der ungehindert vom Meer her durch die Stadt wehen kann; vorbei an Kalksteinfassaden, arabisch beeinflussten Holzerkern, prächtigen Barockkirchen und Palästen, die den einst herrschenden Prunk und Wohlstand bezeugen; vorbei an enttäuschend wenigen Straßencafés und Restaurants; durch die Old Bakery Street, in der Touristen angeblich immer wieder Geister von Rittern sehen, wie die Fremdenführer ganz im Ernst behaupten; durch die lebhafte Hauptstraße Republic Street bis zum Haus Nummer 74, der Casa Rocca Piccola.

Klein und schwach

Vor der Vitrine der Johanniter-Siegel steht der Marquis de Piro und denkt über die Zukunft nach: "Europa ist groß und stark - Malta ist klein und schwach", sagt er. "Europa wird uns Sicherheit geben. Und wir werden mehr zur kulturellen Vielfalt beitragen als unsere Größe ahnen lässt."

Malta

Blick auf Valletta

(Foto: Foto: Temsch)

Wie alle Malteser ist auch der Marquis stolz auf alles Großartige, das der kleine Fleck auf der Landkarte zu bieten hat. Die faszinierende Frühgeschichte gehört dazu, eine 4000 vor Christus allein auf Malta entstandene, aus nicht bekannten Gründen 1500 Jahre später wieder untergegangene Megalithkultur.

Noch heute sind ihre Spuren zu besichtigen: Reste von 40 Tempelanlagen auf Malta und der Nachbarinsel Gozo, in denen Priesterinnen Erdmuttergottheiten verehrten.

Gott ist eine Frau

Es sind rätselhafte Monumente einer Zeit, als Gott eine Frau war. Eine fruchtbar rundliche Frau, wie sich den kunstvoll gefertigten, neolithischen Stein-Skulpturen ansehen lässt, die im Nationalmuseum für Archäologie in Valletta ausgestellt sind.

Die Menschen wussten noch nichts vom Beitrag des Mannes am Zeugungsakt, schwangere Frauen galten als von überirdischen Mächten gesegnet. Diese Ur-Malteser - und vor allen Malteserinnen - brachten die älteste freistehende Kultarchitektur der Welt hervor, 2000 Jahre älter noch als Stonehenge oder die Pyramiden von Gizeh.

Die südenglische und die ägyptischen Anlagen kennt jedes Kind, aber wer hat zum Beispiel je von den Ggantija-Tempeln auf Gozo gehört, die in der Mythologie als Werk einer Gigantin gelten?

Über ihre Urahnen reden die Malteser mit Stolz und Trotz, weil sie finden, ihre kulturellen Wurzeln würden im Ausland zu wenig gewürdigt.

Männerdomäne

Dennoch wird der vom Marquis erwähnte kulturelle Beitrag Maltas zur Europäischen Union wohl kaum in einer Wiederbelebung des Matriarchats bestehen. Dazu ist das heutige Malta zu sehr männerdominiert.

Die Bevölkerung ist zu 93 Prozent römisch-katholisch, rein rechnerisch steht auf jedem Quadratkilometer eine Kirche. Scheidungen und Abtreibungen sind verboten.

Dafür ist ein ausschließlich von Männern praktizierter, traditioneller Volkssport erlaubt: die blutige Jagd auf Singvögel. An diesen Dingen ändert sich so schnell nichts, das hat die Maltesische Regierung mit der EU als Entgegenkommen beim Beitritt ausgehandelt.

Teufelszeichen zur Abwehr

Wie es sonst werden wird auf Malta, will niemand so genau voraussagen. Zurückhaltung ist ein typischer Charakterzug der Leute. Und sie sind abergläubisch. Der Marquis de Piro nennt ein Beispiel: Man denkt, es bringe Unglück, einer Mutter zu sagen, sie habe ein schönes Kind.

In diesem Fall machten die schockierten Frauen zur Abwehr eines Fluchs das Teufelszeichen mit zwei gestreckten Fingern. "Niemand würde jemals sagen, es gehe ihm gut", sagt der Marquis. Das klingt nicht zufällig hart wie Stein.

Aber wenn es dämmert über Valletta, gibt es auch weiche, zärtliche Seiten der Stadt zu entdecken. Zum Beispiel in den Upper Barracca Gardens, einem Park mit spektakulärem Ausblick auf den Großen Hafen.

Dort schmiegen sich Teenager-Pärchen auf verschwiegenen Bänken aneinander und küssen sich. Zu Hause dürfen sie das wahrscheinlich nicht. Hier aber erinnern sie daran, dass es Liebe auch hinter dicken Mauern gibt.

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Informationen:

Gesamtfläche Maltas: 316 Quadratkilometer

Einwohner: In Valletta leben 10.000 Menschen. Mit 22.000 Einwohnern die größte Stadt Maltas ist Birkirkara im Zentrum der Hauptinsel. 393.000 Menschen leben auf Malta.

Währung: Maltesische Lira (MTL); 1 Euro entspricht 0,41 MTL

Klima: Mediterran. Durchschnittstemperatur im Juli 26 Grad, im Janur 13 Grad

Küstenlänge: 253 Kilometer, die Nachbarinseln Gozo und Comino eingerechnet.

Höchster Berg: Der Ta'Dmejrek bei Dingli im Süden Maltas ist 253 Meter hoch.

Gäste aus dem Ausland (2002): 1,22 Millionen, jeder Fünfte kommt aus Deutschland

Telefonvorwahl: 00356

Deutsche Botschaft: Il-Piazzetta, Entrance B, Tower Road, Sliema SLM 16 Malta, Tel.: 00 356/21 33 65 31, 2133 6520, Fax: 21 34 12 71, E-Mail: germanembassy@kemmunet.net.mt

Weitere Auskünfte: Fremdenverkehrsamt Malta, Schillerstr. 30-40, 60313 Frankfurt, Tel.: 069/28 58 90, Fax: 28 54 79, www.visitmalta.com

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