Süddeutsche Zeitung

Mängel an deutschen Flughäfen:"Die meisten Unfälle passieren bei Start und Landung"

Die Vereinigung Cockpit veröffentlicht die Mängelliste 2014 für deutsche Airports. Pilot Martin Locher über fünf Flughäfen, die noch ein wenig sicherer werden sollten.

Von Felix Reek

Das Gesetz ist ihnen nicht genug: Die Pilotenvereinigung Cockpit fordert für Flughäfen oft höhere Sicherheitsvorkehrungen und prüft jährlich, ob Airports in Deutschland diese Standards erfüllen. Nun liegt die Flughafen-Mängelliste 2014 vor: Komplett ohne Mängel sind die Airports Berlin-Schönefeld, Düsseldorf, Leipzig/Halle, München und Stuttgart. Auch der Flughafen Bremen bekommt in diesem Jahr erstmals die Auszeichnung "fehlerfrei". Doch fünf Airports in Deutschland bergen zumindest aus Pilotensicht noch Sicherheitsrisiken. Ein Gespräch mit Martin Locher, stellvertretender Pressesprecher der VC und seit 14 Jahren Pilot.

SZ.de: Herr Locher, seit 1978 überprüft die Pilotenvereinigung Cockpit jährlich die deutschen Flughäfen. Wie sicher können sich Passagiere fühlen?

Martin Locher: Generell ist die Sicherheit an deutschen Flughäfen sehr gut. Allerdings sehen wir an vielen Flughäfen noch Luft nach oben. Wir sind der Meinung, dass das Sicherheitsniveau nicht nur auf gesetzlichen Anforderungen basieren darf, sondern eben auch aus Pilotensicht die höchstmögliche Sicherheit gewährleisten muss. Und das ist nicht an allen Flughäfen der Fall.

Nach welchen Kriterien bewerten Sie die Flughäfen?

Entscheidend für die Flugsicherheit sind hauptsächlich Faktoren, die mit den Start- und Landebahnen zu tun haben, weil die meisten Unfälle genau dort passieren. In unserem Forderungskatalog haben wir aufgeführt, wie sich Piloten einen sicheren Flughafen vorstellen. Dazu gehört zum Beispiel, dass zu jeder Runway ein Rollweg führen muss. Wenn das nicht so ist, muss das Flugzeug quasi auf der aktiven Start- und Landebahn ein Stück zurückrollen und dann umdrehen. Das ist aus unserer Sicht unfallträchtig.

Was könnte passieren?

Im schlimmsten Fall rollt ein Flieger auf dieser Bahn zum Start und in entgegengesetzter Richtung ist ein Flugzeug im Landeanflug. Dann könnten die beiden Flieger kollidieren, außer das landende Flugzeug schafft es noch, durchzustarten. Das sind aus unserer Sicht Bedingungen, die vollkommen inakzeptabel sind.

Ist das in Deutschland schon mal vorgekommen?

Es gibt ein Beispiel, ich glaube vor vier Jahren, in Zweibrücken: Auf dem kleinen Regionalairport musste ein anfliegender Airbus durchstarten, weil eine Militärmaschine gerade auf der Startbahn zurückgerollt ist.

Auch in diesem Jahr wurden von Cockpit wieder einige Sterne verliehen. Die gibt es bei Ihnen aber nicht für besonders gute Leistungen, sondern für Sicherheitsmängel. Ab wann muss ein Flughafen so einen Negativ-Stern hinnehmen?

Jedes Kriterium wird mit einer gewissen Punktzahl bewertet. Ist der Mangel schwerwiegend, gibt es vier Punkte, ist er weniger gefährlich, sind es zwei Punkte. Ab einer Gesamtpunktzahl von zwölf wird ein Stern vergeben. Fehlt aber wie gesagt der Taxiway, gibt es natürlich direkt zwölf Punkte.

Die Flughäfen Friedrichshafen, Lübeck, Memmingen, Weeze und Zweibrücken haben schlecht abgeschnitten. Woran liegt das?

Die größten Mängel bei den Sternflughäfen sind die fehlenden Rollwege zur Start- und Landebahn, das ist einfach wichtig. Und auch die RESA (Runway End Safety Area, Bereich hinter der Landebahn, der frei von Hindernissen und nach Gesetz 90 Meter lang sein muss) an vielen Flughäfen folgt nicht unserer Empfehlung von 240 Metern.

Wird Ihre Kritik denn angenommen? Vergleicht man die Ergebnisse aus diesem Jahr mit denen aus dem Vorjahr, haben immer noch dieselben Flughäfen Mängel.

Das ist richtig, aber man muss lobend erwähnen, dass wir beispielsweise mit Friedrichshafen gemeinsam daran arbeiten, dass der Stern wegkommt. Das wird aber wahrscheinlich noch zwei Jahre dauern. Genauso am Flughafen Memmingen, da sind wir in einem sehr guten, konstruktiven Dialog. Auch dort wird im nächsten Jahr einiges geschehen. Diese beiden Flughäfen sind sehr bemüht, den Stern loszuwerden.

Das heißt im Umkehrschluss, der Rest ist es nicht so sehr?

Ich kommentiere das jetzt mal nicht näher, aber das kann man daraus schließen. Erfreulich ist, dass beispielsweise der Flughafen Bremen dieses Jahr das erste Mal komplett mängelfrei ist. Das zeigt, dass der Dialog, den wir mit den Flughäfen pflegen, durchaus Abhilfe schaffen kann.

Wie schneiden denn die deutschen Flughäfen im internationalen Vergleich ab?

Man muss fairerweise sagen, wir haben in Deutschland schon einen hohen Sicherheitsstandard, auch im Vergleich zu Europa. Aber wir sagen ebenso: In Deutschland muss die Infrastruktur einfach deutlich besser als das Minimum und als in anderen Ländern sein.

Was machen die deutschen Flughäfen besser als der Rest?

Erfreulich in Deutschland ist, dass wir beispielsweise überall Instrumentenlandesysteme haben - unterschiedlicher Qualität zwar, aber das ist schon viel wert bei schlechter Sicht. An manchen anderen Flugplätzen in Europa gibt es diese Systeme gar nicht.

An welchem Flughafen fühlt man sich als Pilot eher unwohl?

Wenn man zum Beispiel Südgriechenland ansteuert, insbesondere die Airports auf den Inseln: Da ist sehr viel Verkehr, weil eben viele Urlauber hinwollen. Und dort finden wir teilweise Bedingungen vor, die man nicht gutheißen kann. Wenn man das mit dem Niveau in Deutschland vergleicht - das sind Welten. Unter diesen Voraussetzungen ist zum Beispiel Kreta bei schlechtem Wetter sehr anspruchsvoll. Aber auch Antalya, dort müssen Piloten mit dem dichten Flugverkehr und den nahen Bergen klarkommen. Im Vergleich zu Südeuropa ist das Fliegen in Deutschland schon komfortabel.

Hier finden Sie die Flughafen-Mängelliste 2014 der Vereinigung Cockpit im Überblick.

Diese Begriffe aus der Wertung bedeuten:

Keine vollständige RESA: Runway End Safety Area ist der Bereich hinter der Landebahn, der frei von Hindernissen sein muss. Das kann auch eine gemähte Wiese sein. Gesetzlich festgeschrieben sind mindestens 90 Meter, Cockpit fordert 240 Meter.

Teilweise ohne Runway Guard Lights: Diese orangefarbenen Blinklichter signalisieren dem Piloten den Beginn einer aktiven Start- und Landebahn.

Verkürzte Anflugbefeuerung: Lichter, die den Piloten zur Landebahn führen, sollten auf einer Länge von 900 Metern stehen, als wichtige Orientierung bei schlechtem Wetter. Doch vielfach deckt die Anflugbefeuerung nur 300 bis 400 Meter ab.

Teilweise ohne Touchdown Lowlights: Diese Beleuchtung hebt den Bereich hervor, in dem das Flugzeug aufsetzen muss, weil sonst die Landestrecke nicht mehr zum Abbremsen reicht.

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