Süddeutsche Zeitung

Overtourismus in Peru:Ein Fluchhafen für Machu Picchu

Die berühmte Inkastadt soll durch einen Airport erschlossen werden - dabei kommen schon jetzt doppelt so viele Besucher wie die Sehenswürdigkeit ertragen könnte.

Von Sebastian Schoepp

Die Bagger haben schon angefangen, tonnenweise wird die rote Erde abgeräumt. In Sichtweite der Lagune Puray, die malerisch in einem grünen Andental liegt, soll hier, wo einst die Inka-Herrscher auf 3800 Metern ihre Sommer verbrachten, ein internationaler Flughafen entstehen. Der Airport Chinchero soll Touristen aus aller Welt den Zugang zur bedeutendsten Sehenswürdigkeit Lateinamerikas erleichtern: der Inkastadt Machu Picchu, die unnachahmlich in einem Hochtal der Anden liegt und bisher nur etwas umständlich mit Zug und Bus zu erreichen war.

Was die Tourismusindustrie entzückt, ist für Archäologen und Naturschützer eine Katastrophe: Natalia Majluf, eine peruanische Kunsthistorikerin, die an der Cambridge University lehrt, hat deshalb eine Petition gestartet, in der sie Präsident Martín Vizcarra auffordert, das Projekt zu stoppen.

Die Aussichten auf Erfolg sind allerdings gering, denn Perus liberale Regierung versteht sich als Motor einer schwungvollen Wirtschaftsentwicklung, was dem Land am Pazifik seit Jahren hohe Wachstumsraten bringt, allerdings auch massive soziale und ökologische Umwälzungen, etwa in Bergbauregionen, was immer noch die wichtigste Einnahmequelle des Landes ist.

1,5 Millionen Besucher im Jahr - aus ökologischer Sicht viel zu viele

Nicht weit dahinter kommt der Tourismus, er ernährt nicht nur Hoteliers und Ticketverkäufer, sondern Heerscharen von Servicepersonal vom Träger bis zum Souvenirverkäufer. Machu Picchu stellt an Anziehungskraft alles in den Schatten. Die abgelegene, im 15. Jahrhundert erbaute Zitadelle, die 1911 von dem Forscher Hiram Bingham wiederentdeckt wurde, ist Pflichtprogramm auf der Standardroute des Lateinamerika-Massentourismus, der Jahr für Jahr wächst. Machu Picchu ist eine ähnliche Mega-Destination wie Angkor Wat in Kambodscha oder die Akropolis in Athen.

An die 1,5 Millionen Touristen kommen im Jahr nach Machu Picchu, das sind ungefähr doppelt so viele, wie die Unesco als verträglich für den ökologisch sensiblen Ort am Berührungspunkt zwischen Hochgebirge und tropischem Urwald festgelegt hat. In den vergangenen Jahren hat die peruanische Regierung nicht zuletzt auf Druck der Unesco viel getan, um die Besucherströme zu kanalisieren. Seit 2017 gilt, dass man Machu Picchu nur noch zu bestimmten Zeiten und mit lizenzierten Führern betreten darf, die Größe der Gruppen ist limitiert, sie dürfen nur ausgewiesene Wege benutzen. Auch wurde der Eintrittspreis erhöht: Wer den ganzen Tag zwischen Wolken und Tälern bleiben will, muss zwei Karten kaufen.

Die Regeln wurden probeweise auf zwei Jahre eingeführt, das heißt, 2019 werden sie überdacht. Nicht wenige Experten fürchten, dass durch den Flughafen wieder ein unkontrollierter Run auf die Stätte einsetzt.

Aber nicht nur um Machu Picchu wächst die Sorge, sondern auch um das Areal, auf dem der Airport gebaut wird. "Das ist eine kunstvoll erschaffene Landschaft mit Terrassen und Wegen, die noch die Inkas angelegt haben", sagte Kunsthistorikerin Majluf zum britischen Guardian. "Einen Flughafen dort zu bauen, würde den Ort zerstören." Besucher loben gerade die malerische Abgelegenheit und Zeitvergessenheit von Chinchero. Der Guardian zitiert Dorfbewohner, die Angst vor Lärm und Luftverschmutzung haben. Mark Rice, Autor des tourismuskritischen Buches "Making Machu Picchu", sagt: "Die atemberaubende Landschaft wird massiv belastet durch mehr als 40 000 Quadratmeter Landebahn, Terminals und Cargo-Bauten."

Touristen auch im hinterletzten Winkel der Erde

Chinchero soll vor allem den Airport des nahen Cusco entlasten, bisher ist die Stadt das Tor zu Machu Picchu und eine Party-Hochburg für Rucksacktouristen. Wer nach Cusco fliegen will, muss allerdings den Umweg über Lima nehmen. Der Flughafen der peruanischen Hauptstadt am Pazifik wurde unter Ägide der Frankfurter Flughafengesellschaft Fraport zum Drehkreuz für ganz Lateinamerika ausgebaut, stößt aber an Kapazitätsgrenzen.

Direktflüge nach Chinchero würden die Andenregion mit lateinamerikanischen Zentren wie Bogotá, Buenos Aires oder Panama verbinden und auch Miami anbinden, sagte Carlos Milla, Präsident der Tourismuskammer von Cusco, lokalen Medien. Über Brasilien erhofft man sich zudem Besucher aus dem Nahen Osten. Milla glaubt nicht an negative Folgen für die archäologische Stätte, eher könnten weniger bekannte Orte in der Umgebung aus dem Schatten Machu Picchus heraustreten. In der Tat lassen viele Touristen in ihrer Machu-Picchu-Fixiertheit das Heilige Tal der Inkas oder Stätten wie Pisac und Tipón links liegen.

In Perus größter Tageszeitung El Comercio schrieb der Analyst Enzo Defilippi, Ruinen wie Machu Picchu seien ausgereizt. Der Staat solle deshalb den Zutritt zu weniger bekannten Stätten fördern, nur 0,3 Prozent der 22 000 Ausgrabungen Perus seien zugänglich. Auch ihnen könnte also ein Touristen-Andrang blühen, wie er in den vergangenen Jahren auch die abgelegensten Orte der Welt erreicht hat, von balinesischen Vulkanen bis zu mittelalterlichen böhmischen Dörfern.

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SZ vom 20.05.2019/kaeb/cat
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