Los Angeles und San Diego:Ein Fall für zwei

Los Angeles ist wichtig und berühmt, San Diego ist nett und kompakt - in welcher Stadt lebt es sich besser?

Von Klaus Raab

Joe hat Hollywood verlassen, als er merkte, dass er es hier nicht finden würde, das Leben, nach dem er gesucht hatte. Er hatte den berühmten Traum geträumt, von der Hollywood-Karriere, dem in L.A. viele nachhängen, während sie in einem kleinen Lokal auf dem Sunset Strip Coca Cola servieren.

Los Angeles

Downtown Los Angeles.

(Foto: Foto: Reuters)

Joe wusste immer, dass er gute Drehbücher schreiben kann. Nur stand er mit diesem Wissen sehr alleine da. Deshalb gab er auf, als er die ersten Bücher abgeliefert hatte: anspruchslose Auftragsarbeiten für billige Filme, die dann noch nicht einmal gedreht wurden.

Doch, wenn man ihn darum bittet, erzählt Joe heute eine neue Geschichte. Eine, von der er gar nicht will, dass sie verfilmt wird. Es ist die Geschichte, die er, ohne den geringsten Anflug von Pathos in der Stimme, die Wahrheit nennt. Und wenn es schon nicht die einzige Wahrheit ist, dann doch zumindest seine persönliche.

In Joes Geschichte geht es um zwei Städte. Die Stadt der Engel, das ist die böse in seiner Geschichte: Los Angeles. Joe setzt Los Angeles und Hollywood der Einfachheit halber gleich. Für Joe ist alles Hollywood in L.A. Die andere Stadt, von der Joe meint, ihre Einwohner seien dem Boden näher, ist San Diego, seine gute Stadt. In San Diego, sagt Joe, könne man Gelassenheit lernen.

Denn San Diego ist die Stadt Kaliforniens, in der sozusagen die Hollywoodisierung fehlgeschlagen ist. In der man an vielen Ecken findet, was in Los Angeles fehlt: ein latent unamerikanische Flair.

Gewiss liegt das auch an den geographischen Verhältnissen: Nur 32 Kilometer sind es von einer Welt - San Diego, USA - in die andere: Tijuana, Mexiko. Wer in San Diego lebt, kann die Welten mit den städtischen Verkehrsmitteln wechseln.

Großer böser Bruder

Los Angeles war immer wichtig und berühmt, und San Diego war immer das Millionendorf irgendwo in der Nähe. Das, in dem so viele Nobelpreisträger wohnen. San Diego ist kompakt, ist nett, strahlt savoir vivre aus. Und an vielen Stellen ist es richtig hübsch, vor allem die Küste entlang bis nach La Jolla im Norden.

Aufs Hip-Sein kann man verzichten in San Diego. "Los Angeles will ja ohnehin die besten Clubs haben", sagt ein Student an der Horton Plaza, dem Stadtzentrum unweit des Hafens. Deshalb sei kategorisch ausgeschlossen, dass San Diego das auch will.

Die Menschen hier nennen L.A., 200 Kilometer nördlich gelegen, sogar den "big bad brother", den großen, bösen Bruder. Wobei sich "groß" auf Fläche und Einwohnerzahl bezieht. Denn älter ist San Diego. Junipero Serra errichtete hier 1769 am Presidio Hill die Missionsstation San Diego de Alcala, zu deren Füßen heute in der mexikanisch inspirierten Old Town die pittoresken Reste der hispanischen Vergangenheit stehen.

Los Angeles wurde dagegen durch spanische Siedler erst 1781 gegründet und "Nuestra Señora la Reina de Los Angeles del Rio de Porciuncula" genannt. Doch die Altershierarchie ist ungültig, seit 1892 in Downtown L.A. Öl entdeckt wurde - und, vor allem, seit Hollywood 1910 seine Karriere als Filmmetropole begann.

"Die Hälfte aller Verrückten lebt in einem Umkreis von 50 Meilen um Los Angeles", urteilte einst US-Präsident Harry Truman. Allein 250000 von ihnen arbeiten für die Filmbranche.

Eine Suche nach dem, was L.A. ausmacht, ist daher immer auch eine Auseinandersetzung mit den Schauplätzen ihrer Arbeit. Jede zweite Ecke scheint bekannt zu sein, aus "Pretty Woman", "Terminator" oder "Independence Day".

Los Angeles und San Diego: Das Seaworld in San Diego ist fast genauso bekannt wie Disneyland in Los Angeles.

Das Seaworld in San Diego ist fast genauso bekannt wie Disneyland in Los Angeles.

(Foto: Foto: dpa)

An 10.000 Tagen pro Jahr würden hier Filmaufnahmen gemacht, heißt es in einem Prospekt; die Drehtage in den Studios nicht eingerechnet. Und schon diese Zahl belegt, dass hier andere Maßstäbe angelegt werden als im Rest der Welt. 10.000 Tage - so viele hat ein Jahr nirgendwo sonst.

Zurück in San Diego, ein Zeitungskiosk in Downtown. "L.A.", sagt der Verkäufer, "ist ein Fake. San Diego dagegen ist echt." Wer etwas auf sich halte hier, könne Los Angeles nicht ausstehen.

Dabei fühlte sich San Diego dank des Hotels Del Coronado selbst einmal wie Hollywood. Billy Wilder drehte hier 1958 "Manche mögen's heiß". Weil der Film im Jahr 1929 spielt und das große viktorianische Hotel mit dem roten Pfefferkuchendach der einzige Ort gewesen sei, so Wilder, "der sich in 30 Jahren nicht verändert hat".

Marilyn Monroe, die Sugar Kane spielte, bekam während der Dreharbeiten Besuch von ihrem Mann, dem Schriftsteller Arthur Miller, der von der Ostküste angereist war, um ein paar schöne Tage in San Diego zu verbringen.

Hätte man in Hollywood gedreht, Miller wäre nicht gekommen. Mit Los Angeles hatte er ein persönliches Problem. Er mochte es einfach nicht. Los Angeles für abstoßend zu erklären, scheint ein Anliegen vieler Autoren zu sein, berühmter wie Arthur Miller, und weniger berühmter wie Joe.

Als Bertolt Brecht einmal über die Hölle nachdachte, meinte er, sie müsse wohl Los Angeles gleichen: "hier kommt man sich vor wie franz von assisi im aquarium, wie lenin im prater (oder oktoberfest), eine chrysantheme im bergwerk oder eine wurst im treibhaus", schrieb Brecht über seine Exilzeit in der Stadt.

An anderer Stelle berichtete er 1941 über "Schimmernde Fahrzeuge, in denen / Rosige Leute, von nirgendwoher kommend, nirgendwohin / Fahren".

Heute erzählt man sich Geschichten wie jene, dass viele Menschen im Auto wohnen würden, weil sie ohnehin den halben Tag darin zubringen müssten vor lauter Verkehrschaos.

Was stimmt an all den Gruselmärchen über den Verkehr in L.A., ist gelegentliche Zähflüssigkeit auf den 29 Freeways. Die Situation hat sich gebessert in den vergangenen zehn Jahren. Der Smog ist weniger geworden. U-Bahnen - wenn auch sehr wenige Linien, die von noch weniger Menschen benutzt werden - wurden fertig gestellt.

Ein Verkehrsproblem anderer Art hat San Diego zu lösen: Die Killerwale in "Sea World" sollen Nachwuchs zeugen. Aber sie wollen nicht so recht. Die Show der Killerwale ist ein Publikumsmagnet in Sea World. Dressierte Riesentiere schlagen brav ihre Salti, schütteln den Kopf, nicken und winken mit der Schwanzflosse.

Es ist ein bisschen wie in einem Disney-Film: Die Tiere nehmen menschliche Züge an. Wie in Disneyland? "Nein", sagt Joe, "mit Disneyland hat Sea World nichts zu tun". Disneyland ist in Los Angeles. Und Los Angeles kann Joe nun mal nicht ausstehen.

San Diego, Balboa Park, ein fast 600 Hektar großer Stadtpark nördlich des Stadtzentrums mit vielen Museen, Teichen und dem Zoo. Kate Sessions, eine Dame aus gesellschaftlich anerkannten Kreisen, regte 1889 an, einen Park anzulegen, der den Vergleich mit dem New Yorker Central Park nicht zu scheuen brauche. Braucht er auch nicht. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass der Central Park weltweit bekannt ist.

San Diego ist die sechstgrößte Stadt der USA. Aber trotzdem nur das sympathische Millionendorf.

Mexiko ist nah

Es ist Mittag und heiß im Balboa Park. An eine Straßenlaterne gelehnt hält ein Mann, Sombrero auf dem Kopf, Siesta. Mexiko ist nah. Manchmal sogar in Augennähe. Eine Frau, die sich Jana Banana nennt, steht auf der Straße und macht große Seifenblasen. Und weil sie das in San Diego tut, bleiben, wenn die Blasen platzen, auf dem Boden ganz sachliche Seifenflecken.

Nur in Los Angeles müsste jede geplatzte Blase als Symbol für den vernichteten Traum von der großen Karriere herhalten.

Das ist der eine Grund, warum Joe San Diego bevorzugt: weil hier höchstens Seifenblasen platzen; Träume nicht. Ein anderer Grund ist natürlich, dass er in San Diego heute als Director of National Public Relations arbeitet. Im Prinzip also Werbung für San Diego macht.

Und überhaupt. Es ist ja Ehrensache unter Schreibern, San Diego zu bevorzugen. Wie Joe verließ auch Raymond Chandler Hollywood einst verbittert. "Verloren und geschlagen und voller Leere" sei L.A., meinte er.

33 Jahre hatte Chandler es in Los Angeles ausgehalten und viele seiner Krimis in Beverly Hills, Bel Air oder Hollywood spielen lassen. Dann zog er nach La Jolla bei San Diego. Hier, schrieb er, sei es gut. "Für ältere Menschen und ihre Eltern."

Informationen

Anreise: Continental fliegt von Frankfurt über Newark nach Los Angeles und San Diego für 519 Euro hin und zurück, Reservierungen derzeit unter Tel.: 01803/212610

Übernachtung: In Los Angeles in der Wilshire Royale Howard Johnson Plaza, 2619 Wilshire Blvd., LA, CA 90057 (Tel.: 001/213/3875311, www.hojola. com), in San Diego im Hotel Del Coronado, 1500 Orange Avenue, Coronado, CA 92118 (Tel.: 001/619/4356611, www.hoteldel.com).

Weitere Auskünfte: www.visitcalifornia.com, www.sandiego.com, www. lacvb.com

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