Süddeutsche Zeitung

USA:Verliebt in L.A.

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Los Angeles spielt in vielen Kinofilmen und Popsongs die Hauptrolle - doch Touristen sind oft von der Stadt enttäuscht. Wo sie wirklich großartig ist, weiß unser Autor.

Von Jürgen Schmieder

Natürlich muss ein Wochenende auf dem Sunset Boulevard so beginnen, im offenen Ford Mustang Cabriolet und mit lauter Musik. Quentin Tarantino schlägt in seinem Film "Once Upon a Time in Hollywood" vor, einfach das Radio anzuschalten, weil dann "Hush" von Deep Purple läuft, "Choo Choo Train" von den Box Tops oder "Ramblin' Gamblin' Man" von Bob Seger. Das kann sein, das beste Lied auf dieser wunderbaren Straße, die man entweder bei Sonnenuntergang oder gegen Mitternacht befahren muss, ist allerdings "Angela Surf City" von den Walkmen - zu erleben im herrlich durchgeknallten Film "Seven Psychopaths", wenn Woody Harrelson im offenen Cabrio durch Los Angeles heizt.

Die Metropole an der Westküste wird immer wieder mal liebkost von Filmemachern, gerade von Tarantino oder davor von Damien Chazelle in "La La Land". Es sind jedoch meist Hommagen an das "Old Hollywood", an die vermeintlich glamourösen Zeiten, die in diesen Filmen zwischen fünf und 50 Jahren zurückliegen. Wenn Touristen heute nach Los Angeles kommen, sind sie oft enttäuscht, weil sie der Reiseführer zum Walk of Fame (ein Gehsteig mit Sternen darauf), zum Hollywood-Zeichen (Buchstaben auf einem Berg) oder zum Ort der Oscarverleihung (ein Einkaufszentrum für Touristen) schickt.

Sie bemerken, dass man zur Playboy-Villa noch nicht einmal hinfahren kann und dass die Stars nicht andauernd vor ihren Villen hocken und Besuchern zuwinken. Sie steigen dann ins Taxi, regen sich bei der Heimfahrt ins Hotel über den Verkehr und die Abendessenpreise im Ocean Prime neben dem Rodeo Drive auf, und dann erzählen sie den Leuten daheim, dass dieses Los Angeles eine ziemlich unattraktive Stadt ist - was die Einwohner übrigens gar nicht so schlimm finden, weil dann weniger motzende deutsche Touristen in die Stadt kommen. Die Angelenos nämlich mögen ihre Stadt genau so, wie sie ist.

Besucher sollten sich lieber an Filmen und Liedern orientieren, deretwegen sie gekommen sind. Es gibt Leute, die suchen nach dem Topf voller Gold am Ende des Regenbogens, und es gibt solche, denen ist der Regenbogen wichtiger. Los Angeles ist eine Stadt für Regenbogen-Menschen, weil es für die meisten den Topf am Ende nicht geben wird. Und ist eigentlich mal jemandem aufgefallen, wie viel die Protagonisten in Filmen über Los Angeles im Auto sitzen und irgendwo rumfahren? Wichtiger als Ankommen ist das Unterwegssein, man muss diese Stadt im wahrsten Sinne des Wortes erfahren - jede Ausfahrt führt in eine völlig neue Welt.

Beginnen muss das Wochenende auf dem Sunset Boulevard.

Die Metropole an der Westküste ist keine Stadt für Nachtschwärmer. Hier ein Bild von Downtown.

Der MacArthur Park ist ein Ort zum Flanieren: einmal um den See gehen und Schwäne füttern. Allerdings lieber nur tagsüber, nach Sonnenuntergang stehen hier Drogendealer.

Die Route 66 führt quer durch Los Angeles und endet schließlich an den Pier von Santa Monica.

Der Santa Monica Beach ist ein Treffpunkt für Familien: Straßenmusiker sitzen am Strand, das Riesenrad dreht sich gemütlich, die Achterbahn ist wild.

Also: Cabrio leihen, zu "Angela Surf City" über den Sunset Boulevard cruisen, am Rodeo Drive links abbiegen, rauf in die Hollywood Hills, zu "Bring a Little Lovin" von Los Bravos über den Mulholland Drive nach Sherman Oaks zum mexikanischen Restaurant Casa Vega.

Brad Pitt und Leonardo DiCaprio zechen dort im Tarantino-Film (an Tisch C 6 übrigens). Im wahren Leben kommen fast jeden Abend Hollywoodstars, weil sie im minimal beleuchteten Restaurant kaum erkannt werden.

Sie trinken Margaritas (Tipp: Pineapple Basil) und essen ein fantastisches Rib-Eye-Steak, und es kann schon passieren, dass das ganze Lokal mit Tequila anstößt, wenn die Gipsy Kings im Lied "Hotel California" auf Mexikanisch mitteilen, dass man nie wieder fortkommt aus Kalifornien.

Nach dem Abendessen geht es zurück auf den Mulholland Drive für diesen einzigartigen Blick aufs Griffith Observatory. Danach, es mag nach Klischee klingen, aber das Troubadour auf dem Santa Monica Boulevard ist noch immer eine der grandiosesten Musikkneipen der Welt. Es gibt Flaschenbier und Whiskey für sechs Dollar, auf der Bühne spielen Bands, die man irgendwoher kennt oder kennen sollte, niemand steht mit gezücktem Handy herum und filmt die Bands oder - noch schlimmer - sich selbst. Wer headbangt oder von der Bühne hechtet, der kann kein Smartphone halten.

Mitternachtssnack? Spaghetti Bolognese oder Ossobuco im Rainbow Bar & Grill, zu dem man vom Troubadour aus zu Fuß gelangt. Ja, das Danes, so sagen Einheimische noch immer dazu, ist jenes Lokal, in dem "November Rain" von Guns n' Roses spielt, in dem sich Marilyn Monroe und Joe DiMaggio kennengelernt haben und in dem Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister beinahe jeden Tag am Videopoker-Automaten am Ende der Bar gezockt hat. Die wilden Zeiten mögen vorbei sein, es gibt dennoch kaum besseres italienisches Essen in der Stadt - und kaum bessere Livemusik.

Die Metropole an der Westküste ist keine Stadt für Nachtschwärmer, deshalb singt Nate Ruess im Song "Why Am I the One", dass sein Leben so öde sei wie eine Nacht in Los Angeles. Wer nach zwei Uhr morgens unterwegs sein will, der möge New York besuchen - diese Stadt, die einem vorgaukelt, dass sie nie schlafe und deshalb oftmals so wirkt wie einer, der sich irgendwie wach halten muss. Los Angeles ist ein Ort für tagsüber, und diese Tage beginnen mit Sonnenaufgang, am besten im Little Dom's in Los Feliz - es gibt dort unfassbar gute Pfannkuchen mit Ricotta und frischen Blaubeeren.

Von dort aus gelangt man nach kurzer Fahrt - alles unter 30 Minuten ist eine kurze Fahrt in L. A. - um den wunderbaren Silver Lake und durch Echo Park zu dieser Brücke, über die die Red Hot Chili Peppers in "Under the Bridge" singen. Der MacArthur Park galt lange Zeit als "Champs-Élysées von Los Angeles", die Leute flanierten um den See mit Fontäne und fütterten Schwäne. Das kann man heute auch noch tun, jedoch nur tagsüber - nach Sonnenuntergang verticken die Mitglieder diverser Gangs jene Sachen, die sich Leute in den Körper pumpen, wenn sie danach einsam unter dieser Brücke liegen und ihre Liebste vergessen wollen.

Lieber rüber über die 6th Street, am besten zu "Gin & Juice" von Snoop Dogg, zu diesem Restaurant, in dem Julia Roberts in "Pretty Woman" die schlüpfrigen kleinen Scheißerchen durch den Raum schleudert, in dem Brad Pitt und Angelina Jolie in "Mr. & Mrs. Smith" Tango tanzen und das auch in "Once Upon a Time in Hollywood" zu sehen ist. Es sieht im Cicada noch immer so aus wie in einem edlen Speakeasy der 1920er-Jahre, aufgrund eines Umbaus gibt es indes den "Pretty Woman"-Tisch nicht mehr. Wer möglichst nahe sitzen will, der wähle den Tisch rechts unter dem Kronleuchter in der Nähe des Eingangs.

Von dort aus, es ist nun Zeit für "I Love L. A." von Randy Newman, muss es zum Magic Castle in Hollywood gehen. Es ist das Chateau der Academy of Magical Arts, der seit jeher Promis wie Orson Welles, Johnny Carson und Neil Patrick Harris angehörten und angehören, die dort regelmäßig in einem der verschachtelten Räume auftritt. Es gilt nach wie vor als einer der exklusivsten Orte in Los Angeles, der Dresscode ist so streng wie bei der Oscarverleihung, es dürfen drinnen keine Fotos gemacht werden. Wer nicht weiß, wie er hineinkommt, der hat dort nichts verloren. Kleiner Tipp: Es hilft, einen Zauberer zu kennen.

Man sollte das Wochenende am Strand ausklingen lassen, am besten in der wichtigsten Kneipe des West Coast Jazz. Im Lighthouse Café in Hermosa Beach - man gelangt von L. A. aus über den Pacific Coast Highway und mit Musik des fantastischen Jazz-Radiosenders KKJZ dorthin - haben Miles Davis, Gerry Mulligan und Chet Baker gespielt, und im Film "La La Land" erklärt der Pianist Sebastian seiner Angebeteten dort, was Jazz sein kann. Jeden Samstag und Sonntag gibt es Bloody Marys für fünf Dollar und Livejazz, und es kann schon mal passieren, dass sich die 94 Jahre alte Gloria Cadena zu einem setzt und über Jazz plaudert. Ihr Ehemann Ozzie, der im Jahr 2008 verstorbene Jazzproduzent, hat fast 40 Jahre lang die Künstler fürs Lighthouse ausgewählt.

Es ist mittlerweile Sonntagnachmittag, der Besucher sollte nun keine Termine und leicht einen sitzen haben. Er könnte nun etwas total Verrücktes tun, die drei Frauen der Pop-Rock-Band Haim machen es im Lied "Summer Girl" und dem Video von Regisseur Paul Thomas Anderson vor: Sie lassen das Auto stehen, so wie es schon Kate Micucci im Lied "Walking in Los Angeles" getan hat. Sie haben kein Ziel, keinen Auftrag und vor allem: keinen Stress. Sie laufen durch die Straßen von Los Angeles, sie finden das Leben und diese Stadt ganz gut so, wie sie ist - und wenn sie ein bisschen Glück haben, dann sehen sie einen Regenbogen über dem Pazifischen Ozean.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2019
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