Süddeutsche Zeitung

Städtereise-Serie "Bild einer Stadt":Wie tickt eigentlich ... London?

Warum darf man über Charles, aber nicht über das Essen schimpfen? Und wie spielen sich Urlauber beim Kneipen-Quiz in die Herzen der Pub-Besucher? Tipps zu London in der SZ-Korrespondenten-Serie.

Von Cathrin Kahlweit

Eine Stadt zu bereisen, bedeutet nicht nur Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Sondern einen Blick in ihre Seele zu werfen - und dabei schöne Orte kennenzulernen, die auch Einheimische lieben. Wir haben unsere SZ-Kollegen in nahen und fernen Metropolen gebeten, "ihre" Stadt anhand eines Fragebogens zu präsentieren. Diesmal erklärt Cathrin Kahlweit, weshalb Londoner Fremde zwar "lovely" finden, sie aber nicht so schnell in ihr Leben lassen - und warum man nachts zum "Market" gehen sollte.

Was ist das Besondere an London?

London ist nicht Großbritannien, London ist eine Welt für sich. Es ist eine Stadt der Extreme: megareich und sehr arm, hyperaktiv und retro zugleich. Fast nirgendwo auf der Welt wird so viel Geld - eigenes und fremdes, gestohlenes und geerbtes - gemacht, umgesetzt und ausgegeben wie hier. Die Geldmaschine in der City pumpt Tag und Nacht Milliarden rund um den Globus, und Oligarchen pumpen wiederum täglich Millionen in die Immobilien der Stadt. Wer sich keine Tickets für eine Show in Soho, keine Wohnung in Maida Vale, keine Zehnerkarte für Hot Yoga in Primrose Hill leisten kann, der lebt in jeder Beziehung am Limit: finanziell und räumlich. Die Mieten sind absurd, die Chancen immer noch nach Klassen und Rassen verteilt. Der Stolz auf die Geschichte, das Empire, das Commonwealth ist omnipräsent.

Wer nicht mitmachen will und nicht dazugehört, der geht - oder zieht sich in Nischen zurück. Von diesen Nischen lebt die Hauptstadt: An den Rändern, in den Siedlungen, fern des Zentrums ist London kleinbürgerlich, liebevoll, brav, innovativ, phantasievoll. Wundervoll.

Wie ticken die Einwohner?

Die Londoner sind nicht sonderlich neugierig auf fremde Menschen oder Kulturen, davon haben sie selbst genug. Sie sind nett und höflich, benennen auch Unbekannte mit Kosenamen, finden alles wonderful und lovely. Aber die Freundlichkeit ist keine Einladung ins eigene Leben, denn das ist voll, laut und anstrengend genug. Wer in dieser Stadt überleben will, muss viel leisten, lange Wege fahren, muss fit, ehrgeizig und effizient sein. Die meisten Londoner leben nach der Devise: hart arbeiten und hart feiern. Das Leben ist zu kurz für halbe Sachen.

Wie kommt man mit ihnen in Kontakt?

Die Londoner sind, wie die meisten Briten, Traditionalisten - und Naturfreunde. Deshalb gibt es auch in der Stadt Spaziergänge für Birdwatcher, bei denen man über Vögel und das Leben schwatzen kann. Auf kommunalen Grünflächen wird gemeinsam gegartelt, in Parks zusammen Unkraut gejätet. Wer sich nicht verausgaben will, stellt sich einfach nach 17 Uhr, bevor die meisten Angestellten ihren langen Heimweg in ihre Siedlungen im Großraum von London antreten, auf den Bürgersteig vor ein Pub. Dort findet, zwischen Job und TV-Dinner, das wahre Leben statt.

Und wenn es kalt wird, geht man in die Kneipe hinein, spielt Darts oder nimmt am Kneipen-Quiz teil: Dabei darf jeder mitmachen, der zum Beispiel zwei Pfund zusätzlich zum Bier zahlt. Ein Pub-Mitarbeiter stellt etwa 20 Fragen, bei den Antworten dürfen die Gäste auch zusammenarbeiten, aber nicht telefonieren - und der Sieger gewinnt den ganzen Einsatz. Wer miträtselt, dem öffnen sich die Herzen.

Wohin gehen die Einheimischen ...

  • zum Frühstücken: am liebsten in Delis, wo es glutenfreies Brot, frische Bagel, Avocado Dip und Eier im Glas gibt - ein Hipsterfrühstück also, so wie im Belsize Village in Roni's Bagel Bakery.
  • zum Mittagessen: Besonders populär sind Fressmeilen wie der Borough Market neben der London Bridge, wo es Garküchen aus aller Welt mit Spezialitäten für alle Welt gibt, frisch und köstlich, bunt und exotisch.
  • am Feierabend: Londoner bummeln gern rund um die Marylebone High Street mit ihren schicken Bistros und kleinen Restaurants. Und essen dann zu Abend im Ivy Cafe Marylebone. Oder machen, wenn es warm genug ist, ein Picknick auf dem Parliament Hill im Park Hampstead Heath.
  • in der Nacht: Später geht man wieder an einen Market, aber diesmal nicht zum Essen, sondern zum Trinken. Dafür eignet sich der Shepherd Market in Mayfair, wo es viele In-Kneipen auf wenigen Quadratmetern gibt.

Was finden die Menschen in London gar nicht komisch?

Die Londoner sind prinzipiell sehr tolerant. Aber sie streiten und diskutieren auch gern. Was sie nicht mögen, sind Menschen, die keine Meinung haben - oder ihre Position schlecht vortragen. Und Leute, die keinen Humor haben. Ihre Toleranz endet bei Kritik an der Queen (gegen Charles darf man wiederum durchaus etwas haben) und bei Beschwerden über lauwarme Heizungen, zugige Fenster, leckende Wasserleitungen, gammelige Teppiche, dreckige Küchen, schlechtes Essen, kalte Wohnungen. Dass der Standard unter aller Kanone ist, wissen sie nämlich selbst.

Wofür werden sie den Urlauber aus Deutschland lieben?

Die Londoner können, obwohl die Stadt so international ist, keine Fremdsprachen. Es wird also selbstverständlich erwartet, dass man Englisch spricht. Gutes Englisch, gute Manieren, nicht vordrängeln und keine Kritik am Brexit (London hat dagegen gestimmt, muss aber nun damit leben. Das nervt.) Deutsche, die keine Moralpredigten halten, nicht über den Zweiten Weltkrieg sprechen und die Windsors lieben, kommen hier sehr gut zurecht.

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