London-Heathrow:Ein Alien auf dem Flughafen

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Der Schriftsteller Alain de Botton verbrachte eine Woche auf dem Airport London-Heathrow. Er traf wütende Passagiere und belesene Prostituierte.

A. Menden

Die Eröffnung des fünften Terminals am Flughafen Heathrow im März vergangenen Jahres hätte nur dann schlechter verlaufen können, wenn er eingestürzt wäre: tonnenweise verlorenes Gepäck, überfordertes Bodenpersonal, Passagiere, die auf dem Hallenboden übernachten mussten - es war ein PR-Desaster für die Betreiberfirma BAA.

Und obwohl sich der Betrieb inzwischen normalisiert hat, beschädigte der Fehlstart den Ruf des Terminals derart, dass BAA seitdem überaus bemüht ist, sein Image zu verbessern, mit teilweise ungewöhnlichen Methoden.

Im August 2009 wurde daher der schweizerisch-britische Autor Alain de Botton als writer in residence für Terminal 5 verpflichtet. An einem Schreibtisch mitten in der Schalterhalle sitzend, schrieb de Botton eine Woche lang seine Flughafen-Impressionen nieder, notierte Gespräche mit Reisenden und Angestellten. Ein ungemütlicher Schreibort, sollte man meinen.

Doch der Schöngeist de Botton entdeckte gleich den architektonischen Liebreiz, der ihn umgab. Die Metallstreben etwa, die das 18.000 Tonnen schwere Dach des Gebäudes tragen, sind nach Meinung des Autors "ausgestattet mit jener Unterkategorie der Schönheit, die wir Eleganz nennen könnten".

Das Ergebnis dieser Flugschreibertätigkeit liegt nun auf Englisch vor, als schmales Bändchen mit dem Titel "A Week at the Airport" (im April erscheint das Buch dann auf Deutsch bei S. Fischer). Und gleich der erste Satz belegt, dass Alain de Botton weiß, was er seinem Auftraggeber schuldig ist: "Obwohl Pünktlichkeit im Zentrum dessen steht, was wir gemeinhin unter einer guten Reise verstehen, habe ich mich oft nach einer Verspätung meines Flugzeugs gesehnt - auf dass ich gezwungen sein möge, ein wenig mehr Zeit am Flughafen zu verbringen." Was sowohl den gespreizten Stil als auch die ostentative Zuneigung des Autors zu Terminal 5 angeht, ist damit der Ton gesetzt.

Alain de Botton, Verfasser von "Die Kunst des Reisens" und "Glück und Architektur", ist ein Routinier der Poetisierung des Banalen. Es überrascht also nicht, dass er das Tagesmenü des Airport-Hotels, in dem er untergebracht ist, schmunzelnd mit einem Haiku vergleicht oder dass ihn ein Kosmetikgeschäft im Duty-Free-Bereich zu einer Vanitas-Betrachtung inspiriert, die im Zitat einer Bach-Kantate gipfelt.

Überhaupt fühlt Botton sich allenthalben an Bemerkungen irgendeines großen Geistes erinnert: Der Wutausbruch eines Passagiers, der seinen Flug verpasst hat, gemahnt ihn an Senecas Abhandlung "Über die Wut"; das Verhalten vor Sicherheitskontrollen an die Theorien zu ödipalen Schuldkomplexen im Werk der Psychoanalytikerin Melanie Klein.

Zu besonderem Assoziationseifer animiert ihn der Besuch der luxuriösen "Concorde Room"-Lounge. Während er das Hohelied der sich hier tummelnden First-Class-Passagiere singt ("eine Elite, die ihren Wohlstand vermittelst Intelligenz und Stehvermögen erreicht hatte"), beschwört er Adam Smith und Walter Benjamin.

All diese Bildungshuberei überzieht de Botton mit einem hauchdünnen Firnis aus Ironie. Doch wirklicher Zug kommt in sein Büchlein nur da, wo er von Begegnungen berichtet: vom Ehepaar, dass sich auf eine letzte Reise nach Bali macht, nachdem die Frau von einem inoperablen Hirntumor erfahren hat.

Von den zwei jungen Damen, die sich als die ranghöchsten Sicherheitsleute des gesamten Terminals herausstellen. Oder von der polnischen Literaturstudentin, die in seinem Hotel als hochbezahltes Callgirl arbeitet.

Seine Notizbücher hätten sich gefüllt mit "Anekdoten über Verlust, Begehren und Erwartung, Schnappschüssen der Seelen von Reisenden auf dem Weg in die Luft", behauptet de Botton. Doch statt diesen Reichtum vor dem Leser auszubreiten, ergeht er sich lieber im Spintisieren über das Fernweh und die diskrete Macht des britischen Zolls sowie im Lobpreis des Gepäckverladesystems.

"Originelle Ideen", sind laut Alain de Botton, "wie scheue Tiere": "Manchmal müssen wir in die andere Richtung schauen - zu einer belebten Straße oder einem Terminal - bevor sie aus ihrem Bau rennen."

Nach diesem Buch zu urteilen blieben besagte Tierchen während de Bottons sommerlichem Heathrow-Aufenthalt in der kühlen Höhle.

Alain de Botton: A Week at the Airport. A Heathrow Diary. Profile Books, London 2009.

© SZ vom 17.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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