Süddeutsche Zeitung

Urlaub zu Hause:"Abenteuer muss nicht immer groß sein"

Lesezeit: 4 min

Monika Imschloß weiß als Professorin für Multisensorik, wie man auch im Lockdown einen Urlaub daheim genießen kann. Mit allen Sinnen natürlich.

Von Katja Schnitzler

Ein Jahr zwischen Lockdown und Lockerungen, mit Home-Office und Homeschooling, und immer wieder dem Appell: Bitte zu Hause bleiben! Dabei ist vielen die Decke längst auf den Kopf gefallen, und man bräuchte dringend Abstand vom Alltag. Doch Reisen geht momentan fast nur in der Fantasie - immerhin. Monika Imschloß ist Professorin für Multisensorik und Marketing an der Leuphana-Universität Lüneburg und gibt Tipps, wie sich freie Tage auch zu Hause wie Urlaub anfühlen können.

SZ: Wie können wir daheim Urlaubsgefühle aufkommen lassen, wenn das Zuhause zugleich Büro, Klassenzimmer, Fitnessstudio und Quarantänequartier ist?

Monika Imschloß: Bei meinen Bekannten beobachte ich zwei Ansätze. Die einen sind vergangenheitsorientiert: Sie reaktivieren, was sie schon einmal erlebt haben, schauen sich Fotos aus dem Thailand-Urlaub an und kochen passend dazu. Die anderen orientieren sich nicht nur an Vergangenem, sondern fokussieren sich auf das, was sie gerne gemacht hätten, etwa nach Griechenland zu fliegen. Sie vertiefen sich in Reiseführer und Dokumentationen, spielen griechische Musik, essen Moussaka.

Aber beide Gruppen eint, dass sie die ferne Welt mit Sensorik heimholen, mit Klängen, über Kulinarik: Auditiv liegt landestypische Musik nah, man kann aber auch Naturgeräusche abspielen wie Grillenzirpen oder Meeresrauschen. Und andere Gerüche entstehen sowieso beim Kochen - oder zum Beispiel mit Duftkerzen. Man simuliert den Urlaub gewissermaßen mental, das heißt, man projiziert sich durch die sensorischen Reize in andere räumliche oder zeitliche Realitäten.

Sind dabei tatsächlich alle Sinne beteiligt?

Am schwersten ist es, haptische Sachen abzubilden. Und um den Liegestuhl in den Sandkasten zu stellen und die Füße darin zu vergraben, ist nicht die Jahreszeit. Allerdings können wir das Hotelgefühl nachempfinden: Da ist oft alles flauschig eingerichtet. Also drapieren wir alle Kissen der Wohnung im frisch bezogenen Bett und frühstücken dort. Oder man geht die Flucht aus dem Alltag mit absurderen Ideen an: Für den "Urlaub in Finnland" lassen wir die Wohnung runterkühlen, aber am "Sonnenschein-Wochenende" wird die Heizung voll aufgedreht, jede Lampe angeschaltet und nur gelbe Kleidung getragen. Oder man macht eine Zeitreise in die 1960er, mit passenden Kostümen und Rezepten. Für solche sensorischen Trips braucht es nur ein wenig Kreativität, hauptsächlich aber Spaß daran.

Und wenn diese Leichtigkeit im Lockdown abhandengekommen ist?

Kann man immer noch die Angebote nutzen, die da sind, und sich zum Beispiel ein Kulturwochenende in New York zusammenstellen, mit virtuellen Museumsbesuchen und Konzerten. Am einfachsten haben wir aber multisensorische Erlebnisse mit Ausflügen in die Natur, egal wie nah: der frische Wind, der Geruch des Waldes, die Haptik des Waldbodens. Draußen nehmen wir eher mit allen Sinnen wahr.

Drinnen kann man auch zu viel wahrnehmen, zum Beispiel, dass die Büroecke den Ferienmodus stört ...

Da braucht es ein wenig Urlaubsplanung: Wer Reisefilme am Laptop schauen will, stellt unbedingt das Mailprogramm aus - Post wird erst nach der Rückkehr beantwortet. Am besten ist es, wenn Notebook und auch Handy in der Schublade verschwinden. Und der Schreibtisch wird kurzzeitig umgewidmet, zum Beispiel mit einer Tischdecke, mit Blumen oder noch besser mit Kerzen. Überhaupt kann man beim Urlaub daheim viel mit Licht arbeiten, als Abwechslung zur Standardbeleuchtung.

Wer nicht allein "verreist", muss auch Partner oder die ganze Familie in Urlaubsstimmung bringen. Wie kann das gelingen?

Am besten beginnt der Urlaub mit dem Aufwachen - zu sagen, ab 16 Uhr sind wir alle entspannt, wird schwierig. Noch leichter fällt das Ankommen, wenn die Wohnung schon in der Nacht zuvor umdekoriert wird. Und dann gönnt man sich von Anfang an die kleinen Besonderheiten, etwa ein schönes Frühstück, vielleicht geliefert.

Doch mitten im Urlaub klingelt der Paketbote, oder der Mülleimer quillt über. Was tun, wenn der Alltag sich dazwischendrängt?

Gute Planung ist daheim ebenfalls wichtig, sonst gießen wir ja auch vor der Abreise die Blumen und leeren den Abfall. Wer aber von anderen aus der Stimmung gerissen wird und nicht mehr zurückfindet, sollte das möglichst gelassen und mit Humor nehmen. Sonst ist es ein enttäuschendes statt entspannendes Erlebnis.

Was erleichtert den Weg zurück ans virtuelle Reiseziel?

Multisensorische Verstärkung. Unser Gehirn speichert multimodal ab: Wird nicht nur ein Sinn angesprochen, sondern gibt es möglichst viele konsistente Sinneseindrücke - wie zum japanischen Essen passende Musik zu hören und am Boden auf Sitzkissen zu essen - wird das Erlebte stärker wahrgenommen und ist absorbierender. Der Mut zur Kreativität lohnt sich.

Also sind detailverliebte Urlaubsplaner im Vorteil?

Das hängt von persönlichen Vorlieben ab: Welches zentrale Bedürfnis erfüllt der Urlaub? Ist es Entspannung und endlich mal bedient zu werden, inszeniert man in allen Details Wellness daheim und bestellt ganze Menüs. Wer sich aber nach Abwechslung und Abenteuer sehnt, wird den Home-Spa-Tag vielleicht auch genießen, wäre aber mit ein bisschen mehr Action etwas glücklicher.

Leider ist die Zeit für Abenteuer denkbar ungünstig.

Ein Abenteuer muss nicht immer groß sein. Es reicht, Neues für sich zu entdecken oder sich selbst neu zu entdecken. Bauchtanz mit einem Youtube-Tutorial zu lernen, bringt genauso neue Erfahrungen, wie aus einem virtuellen Escape-Room auszubrechen. Oder man baut einen Parcours im Garten auf, oder fährt mit den Kindern Achterbahn mit Kartons und Video. Beim "realen" Backpacking geht es doch um Offenheit und darum, sich treiben zu lassen und die Umwelt dennoch mit größerer Achtsamkeit wahrzunehmen. Also sollten die Abenteuerlustigen am Urlaubstag zu Hause Raum für Entdeckungen schaffen: zwar das eigene Viertel durchstreifen, aber in der Rolle eines Spions oder Forschers. Dann sieht man die Heimat tatsächlich mit anderen Augen.

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