Baalbek in Libanon:Mehr als ein Hotel

Palmyra hotel old sign with missing letters, Beqaa Governorate, Baalbek, Lebanon...

Ein paar Buchstaben fehlen am Palmyra Hotel.

(Foto: Corbis News/Getty Images)

Das "Palmyra" im libanesisch-syrischen Grenzgebiet hat eine lange Geschichte. Hier schlafen aber nur Menschen, die sich nachts nicht fürchten.

Von Erik Wegerhoff

Palmyra hotel old sign with missing letters, Beqaa Governorate, Baalbek, Lebanon...

1874 eröffnete das "Palmyra" in Baalbek und machte damit die Tempel des Ortes dem Tourismus zugänglich.

(Foto: Getty Images)

Frontière syrienne steht auf dem Schild quer über der Straße, darüber dasselbe in arabischen Lettern. Syrische Grenze. Drei Pfeile weisen geradeaus. Doch das Sammeltaxi bleibt in Libanon, biegt links ab, lässt das Neonhell der Falafelverkäufer und Baklava-Cafés hinter sich und rauscht kilometerlang geradeaus durch die nachtschwarze Ebene.

Irgendwann kommt ein Checkpoint der libanesischen Armee. Neben einem mit den Nationalfarben Rot und Weiß und einer grünen Zeder geschmückten Verhau steht ein Soldat und schaut gelangweilt ins Wageninnere. Dann wird es wieder dunkel. Eine Viertelstunde später ist man in Baalbek.

Baalbek, das sind die größten und besterhaltenen Tempel der römischen Antike: eine Kraftdemonstration der neuen Machthaber aus Italien in einem Kulturraum, dessen Überlegenheit die Römer offenbar mit Übergröße zu übertrumpfen hofften, indem sie ein ziemlich unbedeutendes früheres Heiligtum unter einem Jupiter- und einem Bacchustempel begruben.

LE LIBAN EN MAISON D'HOTES

Heute finden nur wenige Liebhaber den Weg ins Hotel. Besitzerin Rima el-Husseini hält es trotzdem geöffnet.

(Foto: Martin/Le Figaro Magazine/laif)

Einst lag Baalbek im Zentrum, jetzt muss es sich mit dem Rand begnügen

Baalbek, das ist auch eine Kleinstadt in der Bekaa-Ebene, weitab der Küste hinter den schneebedeckten Höhen des Libanongebirges gelegen und am Fuß der Berge, deren Gipfel die Grenze zu Syrien markieren. Sie verläuft keine zehn Kilometer Luftlinie entfernt. Lag das antike Baalbek im Zentrum der Zivilisation, liegt das heutige an deren Peripherie.

Nachts ist es kalt in der Stadt, die mehr als 1000 Meter hoch liegt und menschenleer ist. "Man kann die Leere spüren", sagt Rima el-Husseini - und scheint sie doch zu füllen: mit ihrer Energie, einer beinahe ununterbrochenen Wortkaskade, und der Wärme, die sie ausstrahlt. Sie hätte man hier nicht erwartet.

Das Bestehende zu bewahren schließt Design nicht aus

"I'm an uptown girl from Beirut!", sagt sie lachend, ein verwöhntes Mädchen aus der libanesischen Hauptstadt, deren Lage am Meer ihrer politischen Orientierung nach Westen entspricht. Ihr Mann Ali hingegen ist aus Baalbek. Und der sei der Grund, weshalb sie jetzt hier sitze: als Eigentümerin und Direktorin des Hotels Palmyra, das er in den 1980er-Jahren gekauft hat.

Genauer gesagt sitzt sie in einem Sessel der Beiruter Designer Bokja, einem altertümlichen Ohrensessel, zum zeitgenössischen Designerstück avanciert durch einen collagierten Bezug, der von barocken Rankenmustern über Kamelhaar bis hin zu einem Stück tarnfarbener Militäruniform reicht. Der Sessel sagt ebenso viel darüber aus, wie sie sich ihr Hotel am Rand der Zivilisation vorstellt, wie die Eigentümerin in ihren Worten. Das Bestehende bewahren, und es doch aktualisieren.

Palmyra hotel lobby, Beqaa Governorate, Baalbek, Lebanon...

Die Lobby des "Palmyra"-Hotels in Baalbek.

(Foto: Corbis News/Getty Images)

1874 eröffnete das Palmyra und machte damit die Tempel, damals noch halb versunken in Schuttablagerungen der Jahrhunderte, dem frühen Tourismus zugänglich. El-Husseini und ihre Equipe sind sehr stolz darauf, dass die Türen des Hotels seitdem nicht einen Tag geschlossen waren.

1898 kam Wilhelm II. hier unter, dessen imperialistischer Orientpolitik die Ausgrabung der antiken Bauten zu verdanken ist; in den 1960er-Jahren Charles de Gaulle und Jean Cocteau, dessen Zeichnungen in der Lobby des Hotels hängen, zusammen mit signierten Porträts anderer Künstler und Sänger, die hier vor allem während des Sommerfestivals vor dem libanesischen Bürgerkrieg logierten, von Herbert von Karajan bis Nina Simone.

Baalbek in Libanon: Das Hotel beschäftigt auch Mitarbeiter wie Ahmed Kassab weiter, der dort seit den 1950er-Jahren als Portier arbeitet.

Das Hotel beschäftigt auch Mitarbeiter wie Ahmed Kassab weiter, der dort seit den 1950er-Jahren als Portier arbeitet.

(Foto: mauritius images/Ruby/Alamy)

Doch das Hotel heute offen zu halten, auch im Winter, wenn manchmal Schnee auf die Tempel fällt und es eiskalt wird auf den langen Fluren aus dem 19. Jahrhundert, ist kein leichtes Unterfangen, noch dazu in Zeiten, in denen es jenseits der Grenze nicht ruhig wird.

Der Sonnenuntergang ist grandios, aber dann geht man besser rein

Abblätternder Putz und Wasserflecken zeugen davon. "Die Wände nicht zu berühren", sei ihr ein unbedingtes Anliegen, so el-Husseini, die Authentizität zu bewahren und die Seele dieses Ortes, des Hotels, das sie immer wieder als Einheit bezeichnet mit den Tempeln gegenüber. Und dabei die Preise so niedrig zu halten, dass ein rares Publikum aus Begeisterten sich die Übernachtung leisten kann.

Gerade mal fünfundfünfzig Dollar kostet das Einzelzimmer. Und was für eines. Zwei Aquarelle hängen an der Wand, unterschrieben "Hommage à Bacchus", eines hängt verkehrtherum. Im Bad steht eine Wanne auf Löwentatzen. Die von einem fragilen Eisenstab umgebene Marmorablage unter dem Spiegel, die Art-déco-Fliesen und die zerbrechlichen Holzfenster wären anderswo längst ausgetauscht worden. Nicht hier.

Keine surrende Minibar, kein Fernseher. Stattdessen gibt es den Sonnenaufgang als Zeremonie, der man im Pyjama beiwohnen kann. Den Vorhang zur Seite gezogen, die Kissenrolle, wie sie mittlerweile selbst in französischen Provinzhotels Seltenheitswert hat, in den Rücken geschoben. Die antiken Mauern liegen da im fahlen Morgenlicht. Dann plötzlich fallen die ersten orangen Strahlen auf die Berge jenseits der Ebene, lassen aus dem zuvor noch nachtblau überzogenen Weiß des Schnees ein Relief werden, und schließlich leuchtet der Horizont.

Scharf zeichnen sich die sechs Säulen des Jupitertempels davor ab, eine zum Symbol des Landes avancierte Silhouette, die nur mit der omnipräsenten Zeder konkurriert. Dann trifft die Morgensonne auf die antiken Mauern, warm leuchtet der gelbliche Stein auf, das Morgenlicht lässt körperhaft werden, was zuvor Schattenriss war, macht aus dem Bild einen Bau.

Zum Frühstück aber sollte man sich seine Jacke anziehen, denn unten im Saal ist die Heizung kalt. Stattdessen knistert ein Feuer im Kamin, in dessen Strahlungsweite sich die wenigen Gäste scharen: fast ausschließlich alleinreisende Männer, die hier geschäftlich zu tun haben. Wie um diese vor der Erstarrung zu bewahren, ist das Buffet am andern Ende des vollkommen überdimensionierten Saals aufgebaut.

View on the ruins from the Palmyra hotel, Beqaa Governorate, Baalbek, Lebanon

Abendstimmung: Vom Hotel aus sieht man die Ruinen der römischen Tempel.

(Foto: Eric Lafforgue/Getty)

Ahmed Kassab, Ende siebzig und seit den 1950er-Jahren als Portier und Faktotum im Palmyra, sorgt mit der ihm eigenen Geschwindigkeit dafür, dass die hausgemachte Feigenmarmelade mit Sesam, das Kürbiskompott sowie Joghurt und Oliven nicht ausgehen. "Er ist die Seele des Hotels", sagt el-Husseini lächelnd und seufzend. Zusammen mit Abu Ali, der seit 1968 dabei ist, und Ghassan Karaa, mit dreißig Berufsjahren einer der jüngeren Mitarbeiter.

Die Direktorin weiß um den Wert ihrer Mannschaft, die das Haus am Leben hält und die Gäste mit Geschichten über ihre prominenten Vorgänger bei Laune. Zugleich würde sie gerne etwas verjüngen. Auch Frauen anstellen im Hotel beispielsweise. Doch es ist nahezu unmöglich, Personal zu finden für so ein entlegenes Kuriosum.

Dass wenige Liebhaber den Weg ins Hotel finden, mag nicht zuletzt an den Nächten in Baalbek liegen, die ziemlich anders sein können als die Tage, an denen die Tempel in der Sonne strahlen. Dabei beginnen sie fantastisch.

Maschinengewehrsalven sind kein gutes Schlaflied

Zum Sonnenuntergang lässt man sich einen Arak kommen auf die "mystérieuses terrasses de Baalbeck" - eine Formulierung Jean Cocteaus auf einem in der Lobby aufgehängten Schreiben, die besser auf das Hotel passt als auf die Tempel gegenüber. Während es dämmert, ruft der Muezzin; von der Straße klingt das stete Hupen der Taxis hinauf. Doch wenn es dunkel wird, sollte man drinnen bleiben. Irgendwann geht es los, aus den Hügeln: tack-tack-tack. Die zehn Kilometer bis zur Grenze sind nicht sehr viel für Geschosse.

Palmyra hat heute einen anderen Klang als zu der Zeit, als das Hotel eröffnete und die antike Stätte in Syrien dem Publikum des Hotels als klassisches Pendant zu Baalbek galt. Maschinengewehrsalven sind kein gutes Schlaflied für Touristen.

Die Gegend war und ist ein rechtsfreier Raum, in dem der Staat nie viel zu sagen hatte, erklärt el-Husseini. Die Leere, die sie anspricht, sie ist vor allem eine politische.

Schon immer hätten Stammesstrukturen die Gegend bestimmt, ganz unabhängig vom libanesischen Bürgerkrieg in den Siebziger- und Achtzigerjahren und dem Krieg in Syrien heute. Für ihre Einschätzung, dass das mit der realen Sicherheitslage für Reisende nichts zu tun habe, muss man freilich libanesische Verhältnisse gewohnt sein - und darf kein überempfindlicher Europäer sein.

Dass das Hotel Palmyra dennoch offen bleibt, ist der stoischen Ausgeglichenheit des Personals zu verdanken. Und einer Eigentümerin, die ihr Hotel selbst als "ein unglaubliches Unternehmen" bezeichnet und nicht aufs Geld schaut. Das verdient sie als Anwältin und als Universitätsdozentin, die bezeichnenderweise Konfliktlösung unterrichtet, in Beirut. Das Palmyra aber sei ihr Lebensinhalt.

Und wie von dem Hotel schwärmt sie von ihrem aus Baalbek stammenden Schwiegervater Hussein el-Husseini, ehemaliger libanesischer Parlamentspräsident, der sich in den Siebzigerjahren gegen den aufziehenden Konflikt wandte und Ende der Achtzigerjahre federführend war beim Friedensabkommen, das den Bürgerkrieg schließlich beendete. "Libanon ist mehr als ein Land, er ist eine Botschaft", zitiert sie ihn.

Das Interieur der Hotels aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg nicht anzurühren, ja sogar das Personal aus dieser Zeit noch zu beschäftigen, bedeutet, so scheint durch, dass die Ambition mit dem Hotel dieselbe ist, nur in kleinerem Maßstab. Das Palmyra ist mehr als ein Hotel, es ist eine Botschaft.

Reiseinformationen

Anreise: Der einzige internationale Flughafen in Libanon ist Beirut. Von der Cola-Kreuzung in der Stadtmitte fahren Sammeltaxis für etwa fünf Euro in zwei bis drei Stunden nach Baalbek. Komfortabler und schneller geht es mit eigenem Taxi für etwa 100 Euro.

Übernachtung: Hotel Palmyra, Baalbek, EZ ca. 50 Euro, DZ ca. 78 Euro. Tel. 00961 / 837 02 30, rimabaalbeck@yahoo.com. Das Hotel hat keine Website.

Weitere Auskünfte: Der Tempelbezirk (mit Jupiter-, Bacchus- und Venustempel) liegt unmittelbar neben dem heutigen Baalbek und ist täglich geöffnet. Im Juli findet im Ort ein Musikfestival statt, www.baalbeck.org.lb; zum Land: www.mot.gov.lb

Reisewarnung: Das Auswärtige Amt warnt zurzeit vor Reisen in die Bekaa-Ebene nördlich der Stadt Baalbek. Von Reisen in die übrige Bekaa-Ebene wird dringend abgeraten.

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