Lesergeschichten aus dem Zug:"Junge, willste noch nen Wodka?"

Lesergeschichten aus dem Zug: Ruhe! Man versteht ja sein eigenes Schimpfwort nicht bei diesem Gelächter.

Ruhe! Man versteht ja sein eigenes Schimpfwort nicht bei diesem Gelächter.

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Typen, die ihre Entlassung aus dem Gefängnis feiern. Coole Muskelschränke, die kleine Jungs beschützen. Und blinde Passagiere unter dem Sitz. Begegnungen der seltsamen Art in der Bahn.

Fremde auf engstem Raum, die teils stundenlang beieinanderhocken - das ergibt viele spannende Geschichten. Deshalb hatten wir Sie, unsere Leser, um Ihre Zug-Anekdoten gebeten. Wir freuen uns sehr darüber, welch unterhaltsame Episoden Sie uns zugeschickt haben. Eine Auswahl zu treffen, war wirklich nicht leicht - deshalb präsentieren wir Ihnen gleich zwei Teile der schönsten und merkwürdigsten Erlebnisse in der Bahn (hier finden Sie Teil zwei).

"Eine Lehrerin betritt mit ihrer Klasse den Waggon. Nach langem Hin und Her sitzen die Kinder endlich, aber es wird nicht ruhiger. Die Lehrerin ruft sie zur Ordnung: 'Seid leise, dann können die anderen Fahrgäste mit ihrem Handy telefonieren'." (Anonym)

"An einem Sonntag, nach einem hart durchzechten Wochenende in Münster, fahre ich mit dem Regionalexpress. Plötzlich steigen zwei dubiose Gestalten ein und setzen sich zu mir. Bodo und Willy, Willy sei gerade aus dem Knast gekommen. Er bittet mich, ihm seine Entlassungspapiere vorzulesen, er könne nicht lesen. Zum Dank bietet er mir einen Wodka an. Es ist neun Uhr morgens, ich lehne höflich ab - und bekomme trotzdem einen fast randvoll gefüllten Plastikbecher mit edlem Jelzin Vodka. Boris Jelzin muss noch Russland regiert haben, als Willy wegen "Brüchen" ins Gefängnis eingefahren war. Wohl deshalb scheint es an Willy spurlos vorbeigegangen zu sein, dass Rauchen in Zügen seit Ende der 90er nicht mehr erlaubt ist. Für Bodo hatte er auch eine riesige Zigarre am Kiosk besorgt. Die beiden plaudern herzlich über gemeinsame Einbrüche in alten Zeiten und schmieden neue Pläne für die Zukunft. 'In Hannover, da habe ich was ausgemacht, das wird lustig. Endlich frei. Prost! Noch ein Wodka, Junge?' 'Nein danke.' 'Ok, hier bitte.' Es ist mittlerweile 10.30 Uhr. Die Flasche ist genauso leer wie das total vernebelte Abteil. Bei einem Halt beobachte ich in der Ferne eine Schaffnerin, die mit Schutzweste und Helm bekleidete Polizeibeamte in den Zug lässt. Es ist wohl ein kurzer Tag in Freiheit für Willy und Bodo." (Felix)

"Uns gegenüber sitzt ein Mann mit einer engen Jeans. Meine zweijährige Tochter wackelt wie immer unsicher im Abteil auf und ab, um sich zu beschäftigen. Plötzlich läuft sie schnurgerade auf den Mann zu, fasst ihn in den Schritt und fragt ihn: 'Was ist das?' Der Mann ist so überrascht, dass er nur sagen kann: 'Weiß ich auch nicht...' Alle Männer im Wagen schlagen sofort die Beine übereinander oder legen Taschen und Bücher auf den Schoß. Und ich bin froh, als wir endlich aussteigen können." (Anonym)

Schwarzenegger über Oscar-Absage an Stuntleute enttäuscht

Wenn Arnie sagt, bleib sitzen, dann bleibst du sitzen...

(Foto: dpa/dpaweb)

"Auf der Fahrt mit dem Morgen-IC von Frankfurt nach Hamburg. Eine Schulklasse mit 12- bis 13-Jährigen sitzt im Großraumabteil. Alle paar Minuten gehen zwei tätowierte Mittzwanziger mit Zigaretten hinter dem Ohr Richtung Toilette. Da bleibt ein Tätowierter vor einem der Jungen stehen und brüllt ihn in Mannheimer Dialekt an, warum er ihn so anstarre, ob er Schläge wolle. Der arme Junge versinkt fast im Sitz. Sein eher schmächtiger Lehrer eilt zwar herbei, ist aber hilflos. Als das Ganze zu eskalieren droht, steht ein Mitreisender auf. Format knapp zwei Meter und Schultern wie Arnold Schwarzenegger. Er legt dem Schreihals die Hand auf die Schulter. Als der wütend herumfährt, hält er den Zeigefinger an die Lippen, macht 'Pssst!' und führt den Tätowierten an dessen Platz zurück. Für den Rest der Fahrt wiederholt sich folgendes Schauspiel: Der Schreihals klemmt sich eine Zigarette hinters Ohr, der Hüne schüttelt den Kopf und der Raucher steckt die Zigarette wieder weg. Wir anderen Reisenden amüsieren uns köstlich darüber - und sind sehr dankbar für diese Zivilcourage." (Anonym)

"Oberhausen-Sterkrade, zwei Malocher steigen zu. Einer entnimmt seiner Ledertasche eine Thermoskanne und sagt: 'Boah, die Kanne, seit fuffzehn Jahre mach' ich die jeden Morgen voll mit Kaffee un Schnaps, ich kann se nich mehr sehen, ich lass die jetz hier im Zuch stehen!' Darauf der andere: 'Bisse bekloppt, schenk se 'n Penner, der freut sich doch.'" (W. F.)

"In den 90ern, ein alter IC am Freitag kurz vor 18 Uhr von Köln heim Richtung Nürnberg. Der Zug ist proppenvoll, im ersten Wagen gleich nach der Lok ist noch ein Platz in einem 6er-Abteil. Uff. In Bonn steigen etliche Leute aus, in Koblenz auch, ab Mainz bin ich allein im Abteil. Ich mache mir eine Dose Bier auf. Kurz vor dem Frankfurter Flughafen fällt mir die leere Dose runter und rollt unter die Sitze. Ich knie mich hin, fasse darunter - und greife in etwas Weiches, Warmes. Erschrocken beuge ich mich tiefer und blicke in ein Gesicht. Der junge Mann sieht mich genauso erschrocken an, schält sich hervor, klopft sich verlegen Staub von seinen Klamotten und fragt 'Frankfurt? Nächste Frankfurt?' 'Nein', antworte ich perplex, 'nächste Flughafen, übernächste Frankfurt.' 'Gut', sagt er, öffnet die Abteiltür, schaut prüfend nach links und rechts und verschwindet in der Toilette. So voll wie der Zug war, muss er seit Hamburg unter den Sitzen gelegen haben. Blöd, wenn sie ihn jetzt kurz vor seinem Ziel wegen mir erwischen hätten." (Max M.)

"Ein Rentnerpaar mit Wanderschuhen und Outdoor-Jacken (natürlich in gleicher Farbe) kommt ins volle Abteil. 'Ist hier noch frei?' Sie zeigt mit ihrem ausgestreckten Finger auf einen 15-jährigen Schüler. 'Ähm.' Er schaut sich hilfesuchend um, alle schauen weg. Ich auch. 'Weiter vorne im Zug soll noch genügend Platz...', versucht es der Jugendliche. Die alte Frau macht ihren Rücken immer runder und gebrechlicher, ihr Mann atmet heiser pfeifend im Hintergrund. Der Schüler knickt ein. Er packt seine Sachen und schleicht davon, begleitet von einem heiseren und zitternden 'Danke' der alten Frau. Drei Sekunden später hat sie ihre Thermoskanne aus dem Rucksack geholt, füllt ihrem Mann den Tee in den Becher, während er die Wanderkarte Vorarlberg studiert. 'Den haben Sie ja sauber verarscht!', sage ich. Die Oma schaut mich mit gespielter Empörung an. 'Ich weiß gar nicht, was Sie meinen, ich habe ganz höflich gefragt. Immerhin ist es weit bis Bregenz.' 'Stimmt, da heißt es Energie sparen. Von Kiel bis Bregenz ist es nämlich ein ganzes Stück zu wandern.' Sie schaut mich fragend an. Ich zeige auf die Anzeige im Flur. 'Sie sitzen im falschen Zug. Viel Spaß an der Ostsee.' 200 Kilometer müssen sie warten, dann schleichen sie wirklich langsam aus dem Abteil." (Andy S.)

Schein-Heilige im Zug

"In der Mitte eines Großraumwagens im Regionalexpress. Ich will mit meinen Kindern Karten spielen, aber wir müssen uns bald auf etwas anderes konzentrieren: Am Wagenende hat eine Frau eine Gesprächspartnerin gefunden, eine geduldig zuhörende ältere Dame. Die Frau erzählt ihr nahezu die gesamte Lebensgeschichte. Sehr gläubig sei sie und ihr höchstes Ziel, in ein Kloster aufgenommen zu werden. Sie lasse dabei nichts unversucht, was sich aber nicht mit einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit vertrage. Daher sei sie zeitweilig ihrem Bruder auf der Tasche gelegen, bis der sie wieder rausgeworfen habe. Als sie endlich ein Aufnahmegespräch in einem Kloster hatte, habe sie die niederschmetternde Botschaft bekommen, sie sei in ihrem Glauben 'noch nicht genügend gefestigt'. Daher habe sie sich 150 Flaschen geweihtes Wasser aus Lourdes kommen lassen - um darin zu baden. Half auch nichts. Mittlerweile hört nicht nur der ganze Wagen zu, am anderen Ende wird fleißig kommentiert. Als die verhinderte Nonne über einen Bandscheibenvorfall klagt, ist klar: 'Das kommt vom vielen Beten!' Wir bedauern fast, aussteigen zu müssen. Aber dabei können wir noch sehen, wer uns eine Stunde lang unterhalten hat: Die Frau sitzt mit einem zum Himmel gerichteten Blick da wie ein Heiligenbild." (Markus H.)

Gemünder gestaltet Euromünzen für San Marino

Wirklich heilig: Marinus.

(Foto: dpa)

"IC von Darmstadt nach München. Ich genehmige mir ein Feierabendbier im Bordbistro, das gut besucht ist. An einem Nebentisch sitzt ein älteres Paar, das sich am Laptop eine Oper ansieht - mit Ton, aber ohne Kopfhörer. Ich sehe sie nur vorwurfsvoll kopfschüttelnd an. Zehn Minuten später erklingt AC/DC hinter mir, in gefühlt doppelter Lautstärke, was dann doch sehr störend ist. Auf meine fassungslose Frage in die Runde, ob denn jetzt alle durchdrehen würden, kommt die entrüstete Antwort vom AC/DC-Hörer: 'Aber die haben doch angefangen!'" (Erwin B.)

"Von Berlin nach Hamburg, ich bin auf dem Weg zur Wohnungsauflösung meines Patenonkels. Nach einer Viertelstunde im Zug fällt mir auf, dass ich mein Portemonnaie mit allen wichtigen Papieren vergessen habe. Meine Mutter erklärt mir am Telefon, dass ich in Hamburg schwarz weiterfahren müsse, weil mich niemand abholen könne. Eine ältere Dame bekommt das Gespräch mit und drückt mir fünf Euro in die Hand mit den Worten 'Wir fahren gerade in den Urlaub, du brauchst nicht schwarzzufahren'." (Valentin)

"Gestern im Wortlaut mitgeschrieben in der S-Bahn: Oma: 'Du, wieviel hat die Kürbissuppe gekostet?' Opa: '4,50.' Oma: 'Da kann man nichts sagen.' Opa: 'Nein, da kann man nichts sagen.' Oma: 'Und dann auch noch mit dem Brot.' Opa: 'Ja, das Brot war lecker.' Oma: 'Da kann man nichts sagen.' Opa: 'Nein, da kann man wirklich nichts sagen.' Oma: 'Und es war eine ordentliche Portion.' Opa: 'Ja. Für 4,50. Kann man nichts sagen.' Oma: 'Ja.' ... Pause ... Opa: 'Kann man sich merken fürs nächste Mal.' Oma: 'Ach, ob es in unserm Alter noch ein nächstes Mal gibt?' (Sie kichert) Opa: 'Wo denkst du hin!' (kichert auch) ... Pause ... Oma: 'Aber ich hätte gedacht, mindestens 7 Euro für die Suppe.' Opa: 'Nein, 4,50. Da kann man nichts sagen.' Oma: 'Nein, wirklich nicht.'" (Stefanie)

"Eine Lektion in Sachen Höflichkeit in einem ICE von Hannover über Hamburg nach Kiel: Im Großraumabteil sitzt ein jüngerer Mann am Fenster, der Platz neben ihm ist frei. Eine Dame mit Trolley und Mantel fragt den Mann, ob es ihn störe, wenn sie ihren Mantel an den Haken vor ihm hängen würde. Der Mann antwortete knapp: "Ja." Sie fragt erstaunt nach: "Das würde Sie stören?" Antwort: "Ja, das stört mich!" Die Dame dankt für die Antwort, ergänzt "sehr freundlich", wickelt kopfschüttelnd den Mantel zusammen, legt ihn ins Fach und setzt sich. Dann zieht sie lächelnd den Trolley eng an sich und versperrt so den Spalt zwischen ihrem Sitz und der Lehne des Vordermanns. Mit geschlossenen Augen döst sie während der Fahrt. Bei der Einfahrt in Hamburg wird der Mann nervös. Das steigert sich, als der Zug hält und die Türen aufgehen. Noch immer hält die Dame die Augen geschlossen. Schließlich muss er sie ansprechen, um an ihr vorbei aussteigen zu können. Langsam und betont umständlich schiebt die Dame Beine und Trolley zur Seite und sagt gut hörbar: 'Das stört mich jetzt natürlich auch.' Mit knallrotem Gesicht und wie von Teufeln gehetzt sprintet der junge Mann an ihr vorbei und schafft es gerade noch aus dem Zug. Die Dame grinst noch bis Kiel." (M. D.)

"Großraumwagen im IC. Auf der anderen Gangseite sitzen zwei Jungs, etwa neun und zwölf Jahre alt, und führen sich Klingeltöne ihrer Handys vor. Alle nervt es, niemand sagt etwas. Ich ermahne die Jungs - keine Reaktion außer ungläubigem, verpeiltem Staunen. Ich frage, wo ihre Eltern sitzen. Sie deuten zum Ende des Waggons. Ich mache mich auf den Weg zu den Eltern und auf das Problem aufmerksam. Darauf die Mutter schnippisch: 'Tja, das ist jetzt Ihr Problem!' Wie ich darauf reagiert habe, erspare ich jetzt den Lesern... aber danach war Ruhe." (Anonym)

"Auf einer Fahrt in der Regionalbahn von Magdeburg nach Erfurt sitzt mir gegenüber eine Frau mit ihrer etwa neun Jahre alten Tochter auf dem Schoß. Plötzlich hört man klar und deutlich, wie die Kleine einen Pups loslässt. Doch anstatt beschämt zu sein, ruft sie ganz laut: 'Aber Mutti!'" (Mario)

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