Fremde auf engstem Raum, die teils stundenlang beieinanderhocken - das ergibt viele spannende Geschichten. Deshalb hatten wir Sie, unsere Leser, um Ihre Zug-Anekdoten gebeten. Wir freuen uns sehr darüber, welch unterhaltsame Episoden Sie uns zugeschickt haben. Eine Auswahl zu treffen, war wirklich nicht leicht - deshalb präsentieren wir Ihnen gleich zwei Teile der schönsten und merkwürdigsten Erlebnisse in der Bahn (hier finden Sie Teil zwei).
"Eine Lehrerin betritt mit ihrer Klasse den Waggon. Nach langem Hin und Her sitzen die Kinder endlich, aber es wird nicht ruhiger. Die Lehrerin ruft sie zur Ordnung: 'Seid leise, dann können die anderen Fahrgäste mit ihrem Handy telefonieren'." (Anonym)
"An einem Sonntag, nach einem hart durchzechten Wochenende in Münster, fahre ich mit dem Regionalexpress. Plötzlich steigen zwei dubiose Gestalten ein und setzen sich zu mir. Bodo und Willy, Willy sei gerade aus dem Knast gekommen. Er bittet mich, ihm seine Entlassungspapiere vorzulesen, er könne nicht lesen. Zum Dank bietet er mir einen Wodka an. Es ist neun Uhr morgens, ich lehne höflich ab - und bekomme trotzdem einen fast randvoll gefüllten Plastikbecher mit edlem Jelzin Vodka. Boris Jelzin muss noch Russland regiert haben, als Willy wegen "Brüchen" ins Gefängnis eingefahren war. Wohl deshalb scheint es an Willy spurlos vorbeigegangen zu sein, dass Rauchen in Zügen seit Ende der 90er nicht mehr erlaubt ist. Für Bodo hatte er auch eine riesige Zigarre am Kiosk besorgt. Die beiden plaudern herzlich über gemeinsame Einbrüche in alten Zeiten und schmieden neue Pläne für die Zukunft. 'In Hannover, da habe ich was ausgemacht, das wird lustig. Endlich frei. Prost! Noch ein Wodka, Junge?' 'Nein danke.' 'Ok, hier bitte.' Es ist mittlerweile 10.30 Uhr. Die Flasche ist genauso leer wie das total vernebelte Abteil. Bei einem Halt beobachte ich in der Ferne eine Schaffnerin, die mit Schutzweste und Helm bekleidete Polizeibeamte in den Zug lässt. Es ist wohl ein kurzer Tag in Freiheit für Willy und Bodo." (Felix)
"Uns gegenüber sitzt ein Mann mit einer engen Jeans. Meine zweijährige Tochter wackelt wie immer unsicher im Abteil auf und ab, um sich zu beschäftigen. Plötzlich läuft sie schnurgerade auf den Mann zu, fasst ihn in den Schritt und fragt ihn: 'Was ist das?' Der Mann ist so überrascht, dass er nur sagen kann: 'Weiß ich auch nicht...' Alle Männer im Wagen schlagen sofort die Beine übereinander oder legen Taschen und Bücher auf den Schoß. Und ich bin froh, als wir endlich aussteigen können." (Anonym)
Wenn Arnie sagt, bleib sitzen, dann bleibst du sitzen...
(Foto: dpa/dpaweb)"Auf der Fahrt mit dem Morgen-IC von Frankfurt nach Hamburg. Eine Schulklasse mit 12- bis 13-Jährigen sitzt im Großraumabteil. Alle paar Minuten gehen zwei tätowierte Mittzwanziger mit Zigaretten hinter dem Ohr Richtung Toilette. Da bleibt ein Tätowierter vor einem der Jungen stehen und brüllt ihn in Mannheimer Dialekt an, warum er ihn so anstarre, ob er Schläge wolle. Der arme Junge versinkt fast im Sitz. Sein eher schmächtiger Lehrer eilt zwar herbei, ist aber hilflos. Als das Ganze zu eskalieren droht, steht ein Mitreisender auf. Format knapp zwei Meter und Schultern wie Arnold Schwarzenegger. Er legt dem Schreihals die Hand auf die Schulter. Als der wütend herumfährt, hält er den Zeigefinger an die Lippen, macht 'Pssst!' und führt den Tätowierten an dessen Platz zurück. Für den Rest der Fahrt wiederholt sich folgendes Schauspiel: Der Schreihals klemmt sich eine Zigarette hinters Ohr, der Hüne schüttelt den Kopf und der Raucher steckt die Zigarette wieder weg. Wir anderen Reisenden amüsieren uns köstlich darüber - und sind sehr dankbar für diese Zivilcourage." (Anonym)
"Oberhausen-Sterkrade, zwei Malocher steigen zu. Einer entnimmt seiner Ledertasche eine Thermoskanne und sagt: 'Boah, die Kanne, seit fuffzehn Jahre mach' ich die jeden Morgen voll mit Kaffee un Schnaps, ich kann se nich mehr sehen, ich lass die jetz hier im Zuch stehen!' Darauf der andere: 'Bisse bekloppt, schenk se 'n Penner, der freut sich doch.'" (W. F.)
"In den 90ern, ein alter IC am Freitag kurz vor 18 Uhr von Köln heim Richtung Nürnberg. Der Zug ist proppenvoll, im ersten Wagen gleich nach der Lok ist noch ein Platz in einem 6er-Abteil. Uff. In Bonn steigen etliche Leute aus, in Koblenz auch, ab Mainz bin ich allein im Abteil. Ich mache mir eine Dose Bier auf. Kurz vor dem Frankfurter Flughafen fällt mir die leere Dose runter und rollt unter die Sitze. Ich knie mich hin, fasse darunter - und greife in etwas Weiches, Warmes. Erschrocken beuge ich mich tiefer und blicke in ein Gesicht. Der junge Mann sieht mich genauso erschrocken an, schält sich hervor, klopft sich verlegen Staub von seinen Klamotten und fragt 'Frankfurt? Nächste Frankfurt?' 'Nein', antworte ich perplex, 'nächste Flughafen, übernächste Frankfurt.' 'Gut', sagt er, öffnet die Abteiltür, schaut prüfend nach links und rechts und verschwindet in der Toilette. So voll wie der Zug war, muss er seit Hamburg unter den Sitzen gelegen haben. Blöd, wenn sie ihn jetzt kurz vor seinem Ziel wegen mir erwischen hätten." (Max M.)
"Ein Rentnerpaar mit Wanderschuhen und Outdoor-Jacken (natürlich in gleicher Farbe) kommt ins volle Abteil. 'Ist hier noch frei?' Sie zeigt mit ihrem ausgestreckten Finger auf einen 15-jährigen Schüler. 'Ähm.' Er schaut sich hilfesuchend um, alle schauen weg. Ich auch. 'Weiter vorne im Zug soll noch genügend Platz...', versucht es der Jugendliche. Die alte Frau macht ihren Rücken immer runder und gebrechlicher, ihr Mann atmet heiser pfeifend im Hintergrund. Der Schüler knickt ein. Er packt seine Sachen und schleicht davon, begleitet von einem heiseren und zitternden 'Danke' der alten Frau. Drei Sekunden später hat sie ihre Thermoskanne aus dem Rucksack geholt, füllt ihrem Mann den Tee in den Becher, während er die Wanderkarte Vorarlberg studiert. 'Den haben Sie ja sauber verarscht!', sage ich. Die Oma schaut mich mit gespielter Empörung an. 'Ich weiß gar nicht, was Sie meinen, ich habe ganz höflich gefragt. Immerhin ist es weit bis Bregenz.' 'Stimmt, da heißt es Energie sparen. Von Kiel bis Bregenz ist es nämlich ein ganzes Stück zu wandern.' Sie schaut mich fragend an. Ich zeige auf die Anzeige im Flur. 'Sie sitzen im falschen Zug. Viel Spaß an der Ostsee.' 200 Kilometer müssen sie warten, dann schleichen sie wirklich langsam aus dem Abteil." (Andy S.)