Der Mythos der Route 66 schien dahin: Vielspurige Highways ersetzten weite Strecken der schmalen Landstraße, einst blühende Ortschaften verkamen zu Geisterstädten. Doch der Asphalt-Traum von einst ist wieder wahr geworden. Eine Wiederentdeckung in Bildern. Von Daniela Dau Verschmutzt und verbeult hängt ein Route-66-Schild an einem Laternenmast in Chicago. Vom einstigen Mythos der ersten durchgehenden Straßenverbindung zwischen der Metropole am Michigansee und Los Angeles ist Ecke Jackson Boulevard und Michigan Avenue nicht viel übrig. Und das gilt auch für einen großen Teil der Strecke, die 1926 aus verschiedenen Teilstücken zusammengesetzt wurde und früher mal Amerikas "Mutterstraße" genannt wurde: Mehrspurige Fernstraßen (Interstates) haben die ursprünglich einfache Landstraße abgelöst, wenige Strecken blieben erhalten. Doch Zauber und Verklärung der 66 sind immer noch spürbar - für alle, die sich auf der Suche nach den Originalstücken auf eine Reise durch das Herzland der USA begeben.
"Go west!" Seit der Eroberung des Kontinents mit Planwagen und der Eisenbahn hat sich die Sehnsucht nach den Verheißungen des Westens tief in den amerikanischen Nationalcharakter eingebrannt. Doch die Karawane, die sich in den dreißiger Jahren auf der Route 66 in Bewegung setzte, hatte alles andere als romantische Beweggründe. Gateway Arch in St. Louis, Missouri
Verarmte Farmer und Landarbeiter, die nach jahrelanger Dürre im Mittleren Westen ihr Heil auf den Obstplantagen Kaliforniens suchten, tuckerten wochenlang über die knapp 4000 Kilometer lange Transkontinentale. Die alte 66 führte über eine zweispurige, enge, zum Teil sehr kurvenreiche Fahrbahn. Erst 1938 waren alle Staubpisten beseitigt und die Straße von einem Ende bis zum anderen geteert. Fahrzeuge aus diesen Zeiten ...
... stehen noch heute entlang der Strecke, wie hier vor dem Wigwam-Motel in Holbrook (Arizona). Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Straße die Phantasie der Amerikaner zu beflügeln. Dank des Autobooms wurde die 66 zur bevorzugten Route in den Urlaub (Attraktionen wie der Grand Canyon lagen nur unweit neben der Strecke) oder gleich in ein anderes Leben - Kalifornien zog noch immer all jene an, die einen Neuanfang wagen wollten. "Get your kicks on Route 66", 1946 im Original gesungen von Nat King Cole, wurde zur Hymne der Traumstraße.
Wer heute auf der Strecke unterwegs ist, will nicht mehr schnell ankommen. Der Weg ist das Ziel und die Möglichkeit, ein Amerika kennenzulernen, dass abseits der Mainstream-Touristenrouten liegt: Abgeschiedene Landschaften, verträumte Brücken und Menschen, die auf ihrem kleinen Fleckchen Erde noch immer ... Die Pryor Creek Bridge in der Nähe von Chelsea, Oklahoma
... den Mythos von Abenteuer und Freiheit pflegen, den kein Roadmovie treffender in Bilder gefasst hat als Easy Rider. Ein Teil des Films wurde auf der Route 66 gedreht, die Filmbauten sind in Bellemont (Arizona) zu besichtigen.
Mit dem Wandel der Route 66 entstand auch eine neue Form der Hotelerie, die schnelle Übernachtung gleich neben der Straße. Einige der Motels an der Route 66 erlangten Kultstatus, wegen ihrer exzentrischen Bauweise (siehe Wigwam-Hotel) und der aufwendigen Neonreklamen, mit denen sie auf sich aufmerksam machten. Das Munger Moss Motel in Lebanon, Missouri.
Viele der ehemals florierenden Übernachtungs- und Freizeitstätten entlang der Route sind inzwischen in die Jahre gekommen, doch einige leben immer noch gut von ihrer Lage an der Route 66. Die Bowlingbahn The 66 Bowl in Oklahoma City wurde erst 2010 geschlossen.
Das Blue Swallow Motel in Tucumcari (New Mexico) beherbergt seit 1939 Urlauber an der Strecke und wirbt mit Klimaanlagen, Fernsehen und dem historischen Wert.
Auf der Zeitreise können Touristen erkennen, was passiert, wenn ein Boom abflaut. Mit dem Ausbau des Interstate-Systems seit den fünfzigen Jahren wurden zahlreiche Ortschaften entlang der Strecke abgehängt - die mehrspurigen Highways machten das Reisen bequemer und schneller. Tankstellen, Restaurants und Motels hatten von den Pendlern und Urlaubern gelebt - heute zeugen ihre Ruinen vom Niedergang. Die Strecke steht schon seit Jahren auf der "Gefährdet"-Liste des National Trust for Historic Preservation in den USA. Das frühere Ludlow Cafe in Ludlow, Kalifornien.
Doch der Niedergang kann aufgehalten werden: Kleinstädte wie Seligman auf der bei Touristen beliebten Strecke zwischen dem Grand Canyon und dem Hoover Dam und Las Vegas haben es mit kräftigem Publicity-Aufwand geschafft, Touristen weg von den Schnellstraßen und zurück auf die "Historic Route 66" zu locken. Snackbars und Andenkenläden säumen wieder die Hauptstraße von Seligman, dazu eine beeindruckende Zahl alter Chevrolets, Cadillacs und Ford Dodge Trucks - im heißen Wüstenklima von Arizona setzen die Oldtimer keinen Rost an.
Privatleuten wie Angel Delgadillo ist es gelungen, dass die 66 wieder zurück ins nostalgische Bewusstsein von Amerikanern und Touristen gerückt ist. Der ehemalige Friseur, Jahrgang 1927, hat den Niedergang der Straße miterlebt: Angel's Barbershop war mit den Bärten und Haarschöpfen der Durchreisenden gut beschäftigt, bis die Route 66 durch die Interstate 40 ersetzt wurde. Um die Straße wiederzubeleben, gründete Angel die "Historic Route 66 Association of Arizona", die Aktionen und Werbekampagnen startete. Weitere folgten in den Nachbarstaaten. Bis heute sitzt der inzwischen 84-Jährige in seinem über und über mit Visitenkarten von Besuchern dekorierten Friseurladen und erzählt Geschichten aus der guten, alten Zeit.
Von Seligman aus zieht sich über Kingman der längste erhaltene Originalabschnitt der Straße hinauf in die Black Mountains nach Oatman und weiter bis nach Kalifornien. Hier fordern die vielen Haarnadelkurven volle Konzentration, bevor dann ....
... der eintönige Abschnitt durch die Mojave-Wüste in Kalifornien beginnt. Ein willkommener Stopp nach Meilen um Meilen schnurgerader Fahrt durch ödes Sandbraun ist das Bagdad Cafe in Newberry Springs, Drehort des Films Out of Rosenheim. Links hinten im Bild ist der Wohnwagen zu erkennen, in dem Jack Palance als Kunstmaler logierte und die aus Bayern geflüchtete Marianne Sägebrecht auf die Leinwand bannte.
Wenn die Wolkenkratzer von Downtown Los Angeles in Sicht kommen, ist die Reise fast vorbei. Der Endpunkt der Route 66 liegt in Santa Monica - wo genau, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Während die einen den Blick auf den Pazifik am Santa Monica Pier als das Sehnsuchtsziel von Route-66-Touristen auserkoren haben, streiten nüchternere Charaktere darüber, ob die Kreuzung Santa Monica Boulevard/Ocean Boulevard das wahre Ende ist oder nicht doch eine Meile weiter westlich die Kreuzung California Highway One und Lincoln Boulevard direkt oberhalb der Interstate 10. Wie auch immer: Ein schöner Schluss für die nostalgische Reise auf der 66 ist der Santa Monica Pier garantiert.
Die Route 66 durchquert acht Bundesstaaten und drei Zeitzonen auf ihrem knapp 4000 Kilometer langen Weg durch die USA von Chicago nach Los Angeles. Die ursprünglich erste zusammenhängende Landstraße quer durch den Kontinent ist nur noch auf Teilstücken befahrbar, die Interstate Highways 55, 44, 40, 15, 210 und 10 (von Ost nach West) haben die Streckenführung übernommen. Wer auf dem verbliebenen Original reisen will, findet Routenbeschreibungen und Kartenmaterial auf der Website Historic66.