Lawinengefahr im Tiefschnee:Auf ganzes Risiko

Zwei Lawinenunglücke in Bayern

Bleiben ein unberechnenbares Risiko: Lawinen.

(Foto: dpa)

Verrückte Sprünge, Wedeln im Tiefschnee, Schussfahrt ins Tal: Für Fahrten abseits der Piste sind viele Snowboarder und Freerider technisch gut gerüstet - doch Lawinen bleiben ein unberechenbares Risiko.

Von Heiner Effern

Waghalsige Sprünge, enge Rinnen im Tiefschnee, unberührte Hänge, über die ein Skifahrer mit hoher Geschwindigkeit ins Tal schießt. In hippen Bars sind solche Filme oft zu sehen, auch in Sporthäusern laufen sie gerne. Die Lust, selbst so einen Rausch auszuleben, verspüren immer mehr Wintersportler. "Das Freeriden ist auch durch die Filme zu einem Hype geworden", sagt Stefan Winter vom Deutschen Alpenverein (DAV). Doch gerade durch Clips im Internet und neue Technik wie Handy-Apps steige auch die Tendenz, die Gefahr durch Lawinen oder Abstürze zu unterschätzen. "Es gab noch nie so viele Informationen wie jetzt. Das kann auch dazu führen, dass die Selbsteinschätzung unterbewusst nicht mehr so zuverlässig ist."

Fast jede Route können Tourengeher mittlerweile im Internet klicken, so auch die Gebiete für Freerider, die mit dem Lift nach oben und dann ins ungesicherte Gelände fahren, sind detailliert beschrieben. Den Lawinenbericht und das Wetter bekommt man unterwegs aktualisiert aufs Handy. Apps ermöglichen sogar, die Neigung eines Hanges zu bestimmen, die viel über die Lawinengefahr aussagen kann. Und nun gibt es bereits eine Handvoll Anbieter, die mit einem Programm das Handy zu einem Lawinenverschütteten-Suchgerät (LVS) machen wollen. Davor warnt allerdings der DAV ausdrücklich: "Handys sind nicht kompatibel zu den LVS-Geräten. Sie bieten oft nur eingeschränkte Basisfunktionen, die möglicherweise nicht helfen." Außerdem sei unklar, wie der Akku und die Sendeleistung bei Nässe, Kälte und möglicherweise bei einer großen Schneemasse über dem Verschütteten reagierten.

Die Bergwacht Bayern sieht die Entwicklung mit Notfall-Apps noch ganz am Anfang. "Viele bieten welche an. Alles ist noch neu, es gibt noch wenig Erfahrungen", sagt Ausbildungschef Herbert Streibel. Gleichwohl sieht er die Bereitschaft vieler Tourengeher und auch der meist jüngeren Freerider, sich mit den Gefahren am Berg zu beschäftigen. Seit 30 Jahren gibt er Lawinenkurse: "Es kommen zunehmend Junge und Snowboarder." Auch die richtige Notfall-Ausrüstung mit LVS, Sonde und Schaufel hätten die meisten dabei.

Problematisch seien mehr die Skifahrer, die spontan von der Piste ins freie Gelände hinausfahren. "Die sind oft ohne unterwegs." Gefährdet seien zudem die "Spurmarder", die ohne Kenntnis von Route und Lawinengefahr den Spuren anderer Skifahrer ins Gelände folgten. In Bayern, wo die Skigebiete relativ niedrig liegen, droht beim Abgang einer Lawine nicht nur Erstickungsgefahr, sondern auch Verletzungsrisiko durch das Aufschlagen auf Bäume. Grundsätzlich sei aber festzustellen, dass - obwohl die Zahlen der Fahrten im freien Gelände zunehmen -, die Unfallzahlen seit Jahren in etwa konstant blieben.

Auch der Alpenverein sieht den Grund für die relativ moderaten Unfallzahlen in einem gestiegenen Bewusstsein, insbesondere für die Lawinengefahr. "Es gibt kaum ein Feld, das so intensiv untersucht wird." Es gebe mittlerweile sogar Skigebiete in den Alpen, die ein Testfeld zur Praxis der Verschüttetensuche anbieten.

Das Skigebiet Bad Gastein im Salzburger Land wirbt zum Beispiel mit solch einem Angebot. Das Internet trage ebenfalls zu mehr Sicherheit bei, wenn es richtig genutzt werde. Viel Wissen über Lawinen vermittelt etwa das Schweizer Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos (www.slf.ch). Und auch Hersteller von Sicherheitsausrüstungen wie zum Beispiel Orthovox würden auf ihren Homepages zunehmend zur Aufklärung beitragen, sagt DAV-Experte Winter. "Die bemühen sich neben der Produktion zunehmend um Prävention, das finden wir gut."

Nicht zu unterschätzen sei aber die Sogwirkung der spektakulären Filme im Internet. "Da kommt meist nicht rüber, dass dahinter eine gezielte, tagelange Vorbereitung von Profis steckt", sagt Winter. Besonders gefährlich sei die Sucht, immer wieder eine neue Spur in den unberührten Schnee zu legen. "Gerade die Freerider, die im Gegensatz zu den Tourengehern viele Abfahrten am Tag machen, erhöhen so das Risiko." Das Tückische an Lawinen sei, dass man nie wisse, wie nah man bei einer Genussabfahrt am Tod vorbeigeschrammt sei, sagt Winter. "Eine halbe Lawine gibt es nicht, entweder es knallt und geht ab, oder halt nicht."

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