Landstrom:Schiff am Stecker

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Seit 2014 kein Anschluss: Der Landstromstecker der Costa Diadema. (Foto: Frank Behling)

In Kiel wird dieses Jahr Deutschlands größte Landstromanlage in Betrieb gehen. Anderswo geht die Entwicklung weiter zäh voran.

Von Frank Behling

Wenn Kiels Hafenchef Dirk Claus auf sein neuestes Projekt angesprochen wird, dann leuchten seine Augen. Der Seehafen Kiel wird in diesem Sommer die größte Landstromanlage Deutschlands, vielleicht sogar Europas in Betrieb nehmen. Dann sollen erstmals in einem europäischen Hafen zwei Kreuzfahrtschiffe und eine Fähre gleichzeitig mit Ökostrom aus Wind- oder Sonnenenergie versorgt werden. Allerdings hat es Jahre gedauert, bis es so weit war. "Das war ein hartes Stück Arbeit", bilanziert Dirk Claus. Gut drei Jahre Planung stecken in dem Projekt, das 13,5 Millionen Euro kostet. Rund 110 Tonnen Technik sind erforderlich, damit in Kiel demnächst 16 Megawatt elektrischer Energie für Schiffe geliefert werden können. Fast 8000 Tonnen Kohlendioxid sollen eingespart werden. Das sind die Eckwerte.

Der Weg dahin ist komplex. Mit Siemens hat sich der Seehafen deshalb einen Partner gesucht, der so ziemlich alles an eine Steckdose bringen kann, was irgendwie elektrische Energie leitet. Was ist aber so kompliziert an einer Anbindung eines Seeschiffs an ein Landnetz? "Wir haben an Land andere Spannungen und Frequenzen als bei den meisten Schiffen der Welt", sagt Lars Kläschen von der Firma Siemens. Auf Seeschiffen wird weltweit meist ein Bordnetz mit einer Mittelspannung von elf Kilovolt und einer Frequenz von 60 Hertz erzeugt. Das deutsche Landnetz liefert aber zehn Kilovolt und 50 Hertz in der Mittelspannung.

Kleine Unterschiede mit großer Wirkung. Die neue Kieler Anlage braucht deshalb vier Gießharztransformatoren, vier luftisolierte Mittelspannungs-Schaltanlagen sowie einen Frequenzumrichter für 16 Megawatt. Der größte Klotz ist ein 30 Tonnen schwerer Ausgangstransformator aus dem Siemenswerk in Kirchheim/Teck in Baden-Württemberg. "Mit dieser Installation können erstmals durch eine Landstromanlage zwei Schiffe parallel mit der notwendigen 60-Hertz-Bordfrequenz versorgt werden", sagt Axel Mohr, Vertriebsleiter bei der zuständigen Siemens-Sparte Smart Infrastructure. Hauptaufgabe ist eine unterbrechungsfreie Stromversorgung der Schiffe, so verlangen es die Sicherheitsvorschriften. Passiert das nicht, springen sofort wieder die Dieselmotoren an und beliefern alle Netze an Bord mit Strom.

Vorbilder dafür gibt es reichlich. 2001 wurde der erste Landstromanschluss für Kreuzfahrer in Juneau (Alaska) eingeweiht. Seattle (2005), Los Angeles (2006), Vancouver (2009), San Francisco (2011) und New York (2015) folgten. 2016 kamen Hamburg und Montreal hinzu.

In Europa ist Landstrom heute nur für Schiffe der Nato einheitlich installiert - in allen Nato-Stützpunkten vom Nordkap bis Sizilien. Kiel gehört auch dazu. In Skandinavien gibt es Landstrom für Fähren in Stockholm, Trelleborg, Göteborg und Oslo. Bei den Ostsee-Fähren ist es auch etwas einfacher, da sie in der Ostsee ohnehin meist mit einem 10kv/50Hertz Netz ausgestattet sind. Deshalb sind die Investitionen hier niedriger. In Kiel hat der Anschluss für die Norwegenfähren der Color Line 2019 lediglich 1,5 Millionen Euro gekostet, während die Anlage für die Kreuzfahrer fast das Zehnfache kostet.

Und die Schiffe? "Wir sind seit der Schiffsauslieferung 2014 mit einer Anlage für die Annahme von Landstrom ausgerüstet", sagt Giovanni Ragusa, Elektroingenieur auf der Costa Diadema. Schon seit 2011 lässt Costa alle Schiffe mit Landstromanlagen in Dienst stellen. Bei der Schwester-Reederei Aida in Rostock wurden sogar seit 2007 alle Neubauten mit der Technik ausgerüstet - obwohl es keine Anlagen in Europa gab.

"Wir brauchen im Hafen für unser Bordnetz nur etwa 5,6 bis 5,8 Megawatt Leistung", rechnet der Italiener Giovanni Ragusa vor. Dank eines effizienten Energie-Management-Systems sind das weniger als zehn Prozent der Leistung seiner sechs Dieselgeneratoren an Bord. Aber auch das ist in Europa kein Grund für den Bau von derartigen Anlagen.

"Wir haben auch noch keinen Hafen angelaufen, der einen Anschluss für uns hat", sagt Ragusa. Im nächsten Jahr ändert sich das: Dann wird die Costa Diadema in Kiel am 4. Juni erwartet. Für die Nutzung der Anlage in Kiel hat sich Costa-Chef Michael Thamm bereits 2018 mit einem Rahmenvertrag mit der Stadt Kiel und dem Land Schleswig-Holstein bereit erklärt.

Ein weiterer Grund dafür, weshalb gerade deutsche Häfen sich bislang mit Landstrom schwertaten, war der Strompreis. "Landstrom muss auch zumindest zum Teil wirtschaftlich vertretbar sein", sagte Trond Kleivdal, Vorstand der norwegischen Color Line. Während die Color Line in Norwegen bereits seit 2012 Landstrom bezieht, hat sie in Kiel lange mit der Zusage der Nutzung gezögert. Der Grund: In Norwegen kostet Strom nur ein Drittel von dem, was er in Deutschland kostet. Deshalb braucht es in Deutschland erst ein Gesetz, das der Schifffahrt in diesem Sommer eine Absenkung der EEG-Umlage auf 20 Prozent ermöglicht. Dennoch leuchten beim Kieler Hafenchef die Augen bei der Frage nach der Amortisierung der Investitionen für die Anlagen nicht mehr. "Das lässt sich schwer sagen. Es geht hier aber zunächst um die Umwelt", kommt als knappe Antwort.

Die Stromkosten sind auch der Grund, weshalb selbst in der Heimat von Umweltaktivistin Greta Thunberg das Landstrom-Thema für Kreuzfahrer auf Eis liegt. Im Jahr 2020 wird für Stockholm zwar ein Rekord mit 290 Kreuzfahrtschiffen und 660 000 Passagieren erwartet. Beim Landstrom konzentriere man sich aber zunächst auf die Fähren und die Anlagen im Hafen, heißt es bei der Hafengesellschaft.

© SZ vom 20.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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