Wandern im Himalaya:Auf dem Pfad des Schneeleoparden

Im indischen Ladakh kann man jetzt bei Dorfbewohnern übernachten und auf Wegen gehen, die eine Tierschutzorganisation angelegt hat. Sie will damit die letzten Großkatzen der Region retten.

Von Nana Ziesche

Es ist leise hier oben auf 3500 Metern. Die Gruppe hat sich hochgearbeitet, Schritt um Schritt, durch eine Wüste aus Gestein. Nur der Wind rauscht, keiner spricht. Plötzlich hört man Steine, die den Hang hinabrollen. Ein Schneeleopard? Endlich? Aber nein, es ist nur ein Fuchs. Und kaum hat man ihn erblickt, ist er auch schon zwischen den Felsen verschwunden.

Wir sind von Likir aufgebrochen und immer den Pfeilen nach gewandert. In Saspochey, einem kleinen Dorf in der Sham-Region, haben wir übernachtet. "Im Winter kommen viele Touristen zu uns", sagt Tsering Deskit, unsere Vermieterin, "sie wollen den Schneeleoparden sehen. Hier haben sie gute Chancen. Er kommt oft bis zum Dorf runter." Und da es nun den Pfad aus Pfeilen gibt, so hofft sie, "kommen sicher bald noch mehr Gäste".

Man geht stundenlang durch Geröll. Und dann tauchen plötzlich grüne Felder auf

Mitten im steinigen Hochgebirge von Ladakh im indischen Himalaja gibt es seit kurzer Zeit einen Weg, den eine Tierschutzorganisation angelegt hat - der Snow Leopard Conservancy India Trust. Die Routen folgen Pfaden, auf denen seit langer Zeit die Einheimischen gehen, wenn sie einander besuchen oder Handel treiben wollen und dann mit ihren Ziegen, Schafen und Kühen unterwegs sind. Die Pfade führen von Likir nach Saspochey und von dort über den Karangla-Pass nach Uley; sie wurden für die Touristen extra markiert. Der Panoramapfad krallt sich auf einer Höhe zwischen 3800 und 3920 Metern an die steilen Abhänge. Überall hat man eine Aussicht auf endlose Bergketten, mal gelb, mal ocker, mal grau. Stundenlang geht man durch Geröll, und dann, auf einmal, taucht Grün zwischen den Bergfalten auf, kleine Felder, auf denen Gerste wächst. Die Häuser des Dorfes scheinen an der Felswand zu kleben, die hinter den Feldern aufragt: Saspochey, das Tagesziel.

Wandern im Himalaya: SZ-Grafik

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Nubu Dolma, eine ladakhische Touristenführerin, hat uns hergeführt. Noch gibt es wenige Frauen, die Gäste begleiten. Aber auf dieser Strecke werden sie immer mehr. Denn das Besondere am Weg der Schneeleoparden ist, dass die Gäste, die ihn gehen, in den Häusern von Einheimischen übernachten, in sogenannten Homestays. "Dass wir nachts bei Familien sind, die unsere Familien kennen, ist sehr gut für uns", sagt Nubu Dolma. "Da wissen unsere Angehörigen uns in Sicherheit."

Den Frauen in den Dörfern bringt das "Himalayan Homestays"-Projekt neue Verdienstmöglichkeiten. Und das war auch die Idee, die die Tierschutzorganisation seit 2001 verfolgt. Der Schneeleopard gehört in Ladakh zu den gefährdeten Tierarten. Im Winter finden die Schneeleoparden zu wenig Nahrung in den entlegenen Gebieten, in denen sie den Sommer verbringen. Sie wandern hinab zu den Dörfern, reißen dort Kühe, Ziegen und Schafe. Die Bauern brauchen ihr Vieh - und töteten deshalb immer wieder Leoparden. Allerdings wurden die Großkatzen nicht einfach abgeschossen. Die Bauern sind Buddhisten, keiner will schlechtes Karma auf sich laden. Also wurden die Schneeleoparden in einer Grube gefangen und dann mit Steinen beworfen. Dadurch war nicht klar, wer den Tod des Tieres zu verantworten hatte.

Die Schneeleopardenschützer präsentierten den Dorfbewohnern ihre Idee: Wenn Touristen kommen würden, um Schneeleoparden zu sehen, und sich mit den Einnahmen die Verluste der gerissenen Tiere kompensieren ließen - würden sie dann die Leoparden am Leben lassen? Ja, würden sie, sagten die Dorfbewohner.

"Jemand hat gesagt, dass sie wertvoll sind"

Klingt nach einer Idee, mit der allen geholfen ist: den Schneeleoparden, den Dorfbewohnern - und den Touristen. "Viele Touristen äußerten den Wunsch, mehr vom Alltag in Ladakh mitzubekommen. Sie wollen die Häuser von innen sehen, ladakhische Gerichte kosten, am Leben teilnehmen", sagt Jigmet Dadul vom Snow Leopard Conservancy India Trust. Er hat das Projekt von Anfang an begleitet. Zunächst mussten dafür Häuser umgerüstet werden. Dorfbewohner, die mitmachen wollten, räumten eines ihrer Zimmer, das dann zum Gästezimmer ausgebaut wurde.

Die Trockentoiletten, die die Einheimischen benutzen, wurden leichter begehbar gemacht, die Besitzer eingewiesen in westliche Gepflogenheiten. Muss man ja erst einmal wissen, dass die Fremden Toilettenpapier benutzen, am besten gefiltertes Wasser trinken - und dass sie gern Privatsphäre haben. 2003 war das erste Dorf touristenfreundlich umgestaltet: Rumbak im Hemis-Nationalpark, ein Dorf mit neun Häusern. Alle Familien dort boten sich als Übernachtungsmöglichkeit an. Seitdem hat sich viel verändert in Rumbak.

Die Frauen, die für die Homestays verantwortlich sind, verdienen gutes Geld. Sie haben die Schaf- und Ziegenzucht aufgegeben und halten nur noch einige Kühe. Die Kinder aus Rumbak gehen jetzt in Privatschulen. Der Schneeleopard hat sich vermehrt, und im Winter sind zahlreiche Touristen mit großen Kameras auf der Pirsch, um das scheue Tier zu fotografieren.

Wie man nach der Uhrzeit lebt

In Saspochey sieht es noch anders aus. Jeden Morgen gehen die Hirten mit den Tieren in die umliegende Bergwelt, die Frauen beackern die Felder, und die Kinder gehen nach wie vor auf die Dorfschule. Tsering Deskit wohnt mit ihren drei Söhnen, deren Frauen und Kindern als Großfamilie zusammen. Sie begrüßt die Gäste freundlich: "Schaut einmal, wie sauber es bei uns ist!", sagt sie. "Das haben wir von den Leuten der Snow Leopard Conservancy gelernt." Und was noch? "Wie man nach der Uhrzeit lebt", sagt sie. "Wann wollt ihr denn euer Abendessen? Um 19.30 Uhr? Jetzt gibt es aber erst einmal einen Tee."

Den ganzen Abend über wird Tsering Deskit erzählen. Wie sie hierher verheiratet wurde. Wie sie zuerst arm waren, aber das Geld sich durch ihren Fleiß und das Zimmervermieten mehrte. Wie sie es mit Stolz erfüllt, wenn die Gäste Interesse an ihr und ihrem Leben haben. Wie die Arbeit jetzt weniger geworden ist, da sie auf mehreren Schultern lastet. Wie viel Glück sie mit ihrer Schwiegertochter Lobzang hat, weil die so viel verstehe von Sauberkeit und von der Bewirtung der Fremden. Lobzang stammt aus Uley. "Da wollt ihr morgen hin?", fragt Tsering Deskit. "Vielleicht übernachtet ihr im Haus ihrer Eltern?" Die Pfeile dahin hat Tsering Deskit selbst gemalt, gemeinsam mit den anderen und einem Anleiter aus Leh. Sie haben sich von ihrem Dorf aus vorgearbeitet, die Leute aus Uley kamen von der anderen Seite. Aber bevor die Gäste am nächsten Tag nach Uley starten, müssen sie den alten Lhakang anschauen, eine Gebetsstätte.

Nach einem Frühstück mit frischem Joghurt führt Tsering Deskit die Gruppe einen kurzen, steilen Weg hinauf. In einem kleinen Raum inmitten eines Gebäudes, das in Teilen schon verfallen ist, sitzen unter uralten Gemälden an die 30 hölzerne Buddhas. Sie sollen aus dem 12. Jahrhundert stammen und sind in Ladahk einzigartig. "Ich weiß nicht viel darüber", sagt Tsering Deskit, "jemand hat gesagt, dass sie wertvoll sind und wir sie schützen müssen. Wir beten und führen die Rituale aus."

Die Pfeile nach Uley führen in ein steiles, staubiges Nebental. Nach 300 Höhenmetern zweigen sie in einen Kessel ab. Die schroffen Bergspitzen ragen in den Himmel. Der weiche Untergrund macht das Gehen schwer. Man kämpft sich von Pfeil zu Pfeil voran. Manchmal ist so etwas wie ein Pfad zu erkennen, manchmal verlieren sich die Wege zwischen den von Ziegen und Schafen gebahnten Trampelpfaden. Es gehen offensichtlich wenige Leute diese Strecke. Hier müssen sich die Organisatoren noch etwas mehr Mühe geben: Ohne Pfeile ist niemand diese Wege gegangen; mit Pfeilen sind es jetzt eine Handvoll Touristen. Noch nicht genug, um die versprochenen Mehreinkünfte für die Dörfer Saspochey und Uley zu sichern.

Die Gäste kommen nun auch im Winter, wenn es die Leoparden in die Nähe der Dörfer zieht

Nach vier Stunden mit pfeifendem Atem, in denen die Muskeln hart geworden sind, ist der Karangla-Pass auf 4635 Metern erreicht. Der Blick ist gigantisch. Weit schweift er über die wilde, einsame Bergwelt und bleibt immer wieder an grünen Punkten hängen: den Feldern von 16 Dörfern, die man von hier aus entdecken kann. Unten im Tal liegen noch sieben verstreute Gehöfte, die zu Uley gehören. Hinunter geht es leichter. Man springt auf weichem Untergrund. Im Dorf führt ein Ladakher die Gruppe zu seinem Homestay. Es ist Tsetan, der Vater von Lobzang aus Saspochey.

"Im Sommer kommen sehr wenige Leute über den Pass", erzählt er. "Auch über die Straße aus Yangthang taucht kaum jemand in unserem kleinen Dorf auf. Nur im Winter, wenn der Schneeleopard sich den Häusern nähert, kommen mehr Gäste." Aber, so sagt er weiter: "Wir sind geduldig. Alles braucht seine Zeit. Die Gerste, bis sie reif wird. Und die Touristen, bis sie die Pfeile gefunden haben."

Informationen

Anreise: Ausgangspunkt fürs Trekking ist Leh. Ein Flug über Delhi kostet ab ca. 800 Euro.

Übernachten: Für die Nacht im Homestay zahlt man zwischen zehn und 15 Euro p. P., inkl. HP und Lunchpaket. Die Häuser befinden sich im Sham-Valley in Likir/Tarutse, Saspochey, Yangthang, Uley, Hemis Schukpachen und Ang. Es gibt neben dem klassischen Weg von Likir nach Ang und den im Text beschriebenen Etappen von Tarutse nach Uley weitere Varianten. Die Pfade sind gut zu finden, trotzdem empfiehlt sich ein Guide (ca. 20 Euro/Tag); weibliche Guides unter www.ladakhiwomenstravel.com.

Weitere Auskünfte: http://snowleopardconservancy.org/slc-india.

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