Kunstprojekt Ingold Airlines:"Man kann im Kopf eine Reise starten"

Der Kunstprofessor Res Ingold betreibt seit 25 Jahren eine Fluggesellschaft, die es eigentlich gar nicht gibt. Ein Gespräch über Langeweile im Urlaub, polizistentaugliche Kunst und Reisen in der Fantasie.

Lisa Sonnabend

Der Schweizer Res Ingold, Kunstprofessor an der Akademie der Bildenden Künste in München, betreibt seit 1982 eine Fluggesellschaft - nicht als Wirtschaftsunternehmen, sondern als Kunstprojekt. Ingold Airlines ist eine Luftnummer, die gebuchten Reisen finden nur im Kopf der Passagiere statt.

Res Ingold

"Man kann eine Wahnsinnsurlaubsreise improvisieren": Res Ingold

(Foto: Foto: oh)

sueddeutsche.de: Wann sind Sie das letzte Mal geflogen?

Res Ingold: Ich weiß gar nicht mehr genau. Es war nach Helsinki oder Rom, ich bin immer viel unterwegs wegen meiner Ausstellungen. So richtig Urlaub mache ich dagegen fast nie, ich langweile mich dann immer. Andere Leute möchten in den Ferien entspannen, das ist schon auch in Ordnung. Für mich bedeutet Urlaub aber Entdecken und Abenteuer, so gesehen bin ich ständig im Urlaub. Egal wo ich bin, ich bin immer neugierig und versuche hinter die Kulissen zu schauen. Manchmal bin ich sogar richtig frech vor lauter Neugier.

sueddeutsche.de: Aber wenn Sie nicht so gerne in Urlaub fliegen, warum haben Sie dann ausgerechnet eine Airline gegründet?

Ingold: Ich dachte Anfang der Achtziger, man muss in der Kunst etwas anders machen. Nicht mehr ein Porträt eines Menschen schaffen oder eine schlichte Landschaftsdarstellung - interessanter fand ich die komplexe Darstellung eines Zusammenhangs. Zuerst dachte ich daran, eine Bank zu gründen, weil ich damals nie Geld hatte. Aber dann fand ich das mit dem Fliegen interessanter. Jeder hat schließlich schon vom Fliegen geträumt, jeder hat Sehnsüchte.

sueddeutsche.de: Wie ging es los mit Ingold Airlines?

Ingold: 1982 habe ich auf einer Ausstellung in Berlin-Kreuzberg, wo damals politisch viel los war, auf einem Hausdach einen Helikopter-Landeplatz gestaltet. Dann kam die Polizei und hat ihn wieder abgebaut. Ich hatte den Landeplatz so gut gebaut, dass selbst die Polizei dachte, es wäre echt. Ich erkannte, ich muss unbedingt dranbleiben an dem Projekt. Am Anfang wusste ich aber noch nicht, wo es hinführt. Zunächst gab es die Idee, dass man von Ausstellung zu Ausstellung einen roten Faden weiterspinnt. Mit der Zeit hat sich daraus ein komplexes Thema mit einer Strategie und einer Geschichte entwickelt. Ingold Airlines ist mittlerweile eine Aktiengesellschaft und wir haben schon viele Flüge vermittelt.

sueddeutsche.de: Was ist bei Ingold Airlines anders als bei anderen Fluglinien?

Ingold: Fast alles. Wir bilden im Prinzip eine ideale Fluggesellschaft ab. In der heutigen Gesellschaft ist alles billig und schnell. Der Idealpassagier einer konventionellen Fluggesellschaft passt ins Konzept der Airline und zahlt gut Geld, dann ist das in Ordnung. Das kommt dann den wirtschaftlichen Entwicklungen entgegen, aber es geht zu Lasten der individuellen Genussfähigkeit. Ingold Airlines war nie eine Billigfluggesellschaft und wollte es auch nie werden. Bei uns stehen die Träume und die Wünsche der Passagiere im Zentrum. Wie suchen die ideale Servicekombination für jeden individuellen Fall. Ingold Airlines möchte die Idee verbreiten, dass man seine kurz bemessene Lebenszeit möglichst optimal nutzen sollte. Will ich mich mit tausend anderen wie in einer Sardinendose zusammengepfercht an einen Strand liegen? Oder bin ich es mir wert, ganz andere höchst individuelle Ziele zu finden und die Zeit optimal zu genießen?

sueddeutsche.de: Wie kann man bei Ihnen eine Reise buchen?

Ingold: Man kann sich über unsere Internetseite einen Flug zusammenstellen. Dazu muss man nur ein paar persönliche Fragen zu seinen Reisevorlieben beantworten. Dann bekommt man ein Angebot, wie der Flug oder die Reise aussehen könnte. Manchen reicht das dann schon als Initialzündung und der Kunde erarbeitet seinen Reisewunsch selbstständig weiter.

sueddeutsche.de: Und dann geht's zum Flughafen...

Ingold: Nein, die Reise findet im Kopf statt. Es geht uns darum, die Fantasie der Teilnehmer zu aktivieren. Es sind Initialreisen, die die Passagiere motivieren sollen, selber aktiv zu werden. Man kann im Kopf eine Reise starten. Oder vor der Haustüre zum Beispiel. Wenn man sich darauf einlässt, kann man eine Wahnsinnsurlaubsreise improvisieren und hat am Ende ein Erlebnis, das sonst niemand gemacht hat. Aber man kann bei Ingold Airlines auch Objekte kaufen, Leuchtkasten, Installationen, Merchandising-Artikel oder Grafiken. Wer sich auf das Spiel einlässt, kann an dem Projekt partizipieren, indem er Aktien kauft, einen privaten Landeplatz bauen lässt oder sich eine Lounge einrichtet.

sueddeutsche.de: Richtige Reisen finden nie statt?

Ingold: Wenn jemand wirklich will und die Kohle hat, dann chartern wir für diesen Kunden eine Maschine mit einer entsprechenden Innenausstattung, stellen ihm seine Lieblingsstewardessen zur Verfügung und dann geht's los. Vorgekommen ist dies aber noch nie. Die Leute bekommen meist irgendwann kalte Füße, ich will sie ja auch nicht übers Ohr hauen. Ich möchte, dass der Reisegedanke 'Was mache ich mit meiner Zeit?' vom Kunden wahrgenommen wird. Die Partizipation und die Fantasie der Teilnehmer ist das wichtige. Die Idee von Ingold Airlines kann man besonders gut auf Ausstellungen nachempfinden. In zwei Wochen zeige ich in der Schweiz, was Leute so alles im Flugzeug vergessen. Danach geht es weiter zu einer Ausstellung nach Italien. So ist das eben, wenn man eine Airline hat. Ständig unterwegs, ständig neue Destinations.

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