Kunsthandwerk:Zauber der Unikate

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Ein Mann und seine Maschine: In einem umgebauten Kuhstall auf Sylt nähen Christian Ostermann und seine ganze Familie Unikate aus Leder. (Foto: Simone Steinhardt)

Sie fertigen individuelle Lederwaren und machen feine Seifen. Wie kleine Inselmanufakturen der Massenproduktion trotzen.

Von Simone Steinhardt

Es liegt eine besondere Strahlkraft in diesen vier Buchstaben: Sylt. So verwundert es nicht, dass sich zahlreiche Produkte gerade damit schmücken. Mit der Insel hat allerdings so manches Erzeugnis wenig zu tun. Doch es gibt Ausnahmen: Einige Sylter schaffen mit kreativem Geist und viel Leidenschaft einzigartige Produkte.

Zum Beispiel Kirsten Deppe: Mit konzentriertem Blick, in der Hand einen Mixer, rührt sie in einer cremefarbenen Masse. Es duftet verlockend nach Rosen. Man könnte meinen, sie rühre in einem Kuchenteig. In der Tat wandert die flüssige Masse in eine Form und anschließend in den Ofen. Heraus kommt aber kein Kuchen, sondern Seife. Kirsten Deppe ist die einzige Seifensiederin der Insel. Wobei der Begriff "Seife sieden" irreführend ist: "Den Siedepunkt erreichen wir gar nicht", erklärt sie. Mit ihrer Seifenproduktion hat die gebürtige Sylterin eine Nische besetzt. Viele der Zutaten für ihre duftenden Pflanzenseifen sind ein Geschenk der Insel: Blüten der Kartoffel-Rose, besser bekannt als Sylter Heckenrose, Rapsblüten, Sylter Quellwasser und gereinigter Heilschlick aus dem Wattenmeer. "Seifen haben mich schon immer fasziniert, diese duftenden Stücke im Hotel und die Seifen meiner Oma", erzählt Deppe. Ein Beruf wird daraus zunächst aber nicht. Sie wird Hotelfachfrau und arbeitet für einen Tourismus-Service-Betrieb. Doch ihre Kreativität kann sie in diesem Job nicht ausleben. 2007 schließlich wagt die Morsumerin den Neustart und macht sich selbständig.

In Kreativkursen vermittelt sie Teilnehmern, wie man filzt und Schmuck herstellt. Doch die Passion für Seife bleibt. Deppe befasst sich mit der Herstellung, liest alles über Rohstoffe, Rezepturen und optimale Mischungsverhältnisse. Die ersten Versuche in Sachen Seifenproduktion wagt die Sylterin am heimischen Herd. "Zu Beginn landete vieles in der Mülltonne", erinnert sie sich. Doch ihr kreativer Ehrgeiz ist längst wachgekitzelt. Sie tüftelt akribisch: Welche Öle bewirken was? Wie reagieren die Inhaltsstoffe miteinander? "Ich habe ja anfangs nur nach Rezept gearbeitet, wollte aber unbedingt eigene Rezepturen herstellen." Die Leidenschaft für die handwerkliche, kreative Arbeit, die Freude über ein gelungenes Stück Seife treiben sie an. So sehr, dass der heimische Herd bald zu klein wird: Im Februar 2010 eröffnet Kirsten Deppe die erste und bislang einzige Seifen-Manufaktur auf Sylt.

Dort sind mittlerweile neun Seifen zu haben: zart nach Rosen, Lavendel oder Honig duftend, fein marmoriert, teils mit Sylter Austern oder Meersalz verfeinert. An neuen Rezepturen tüftelt die Seifensiederin schon mal sechs Monate, bis sie perfekt sind. Der Aufwand lohnt, findet sie. "Die Kunden kaufen ein authentisches Produkt, das mit Sylter Zutaten von einer Sylterin auf Sylt hergestellt wird. Das gefällt ihnen." Welche Inhaltsstoffe und Mengen schließlich in das Endprodukt münden, bleibt allerdings ihr Geheimnis. Denn der Erfolg hat auch schon Nachahmer auf den Plan gerufen. Denen will sie keine Gebrauchsanleitung geben. Dennoch geht sie mittlerweile entspannt mit den Versuchen um, ihre Seifen zu kopieren.

"Etwas herzustellen und die Kunden persönlich zu kennen, macht den Reiz dieser Arbeit aus."

Etwas weiter nördlich, in dem beschaulichen Ort Braderup, wird ebenfalls mit einem besonderen Rohstoff gearbeitet. Betritt man die rustikale Manufaktur mit dem blanken Holzboden und den niedrigen Decken, steigt einem sofort der Geruch nach Leder in die Nase. In einem umgebauten Kuhstall fertigt das Ehepaar Helga Behrens und Christian Ostermann Lederwaren. Der große Raum ist Werkstatt und Verkaufsraum zugleich: Im Eingangsbereich werden die Produkte präsentiert, im hinteren Teil wird gearbeitet. "Ich hatte ein paar abenteuerliche Erlebnisse in der Gastronomie, bevor ich anfing, mit Leder zu arbeiten", erzählt die gebürtige Sylterin. Im Jahr 1977 steigt Behrens in die Braderuper Ledermanufaktur ein, die damals noch ihrem Vorgänger gehörte. 1982 übernimmt sie die Werkstatt. "Etwas herzustellen und die Kunden persönlich zu kennen, das macht für mich den Reiz dieser Arbeit aus", erzählt sie. Zwei Jahre später steigt auch ihr Mann, ein gelernter Landwirt, in den Betrieb ein. Wie man Leder verarbeitet, bringt er sich selbst bei. "Ich habe Täschnern und einer Gewandmeisterin beim Arbeiten zugeschaut, mit der Erfahrung gelernt", sagt der gebürtige Münsteraner.

In der Braderuper Werkstatt entstehen Jacken, Westen, Hosen und Sandalen, aber auch Gürtel, Taschen und Portemonnaies. Jedes Teil ist ein Unikat. Das schätzen die Kunden. "Der Trend zur Individualität wächst", sagt Behrens. Bei der Arbeit lassen sie und ihr Mann sich gerne über die Schulter schauen - so kann auch der Kunde den Entstehungsprozess seines Produktes verfolgen. Das Ehepaar verarbeitet nur naturgegerbtes Leder von Gerbereien aus Deutschland und Nordschweden. Erfahrung und handwerkliches Geschick reichen für ihre Arbeit aber nicht aus, sagen Helga Behrens und Christian Ostermann. Fingerspitzengefühl und Respekt dürften nicht fehlen. "Schließlich hat das Material, mit dem wir arbeiten, einmal einen lebendigen Körper umschlossen." Ihre Leidenschaft für die Lederverarbeitung hat sich auch auf Sohn Willi übertragen: Der gelernte Tischler arbeitet mittlerweile ebenfalls in der Manufaktur mit. Vater und Sohn bilden zunehmend eine künstlerisch-handwerkliche Einheit, findet der Senior. Somit dürfte dieses Handwerk auch künftig auf Sylt weiterleben.

© SZ vom 17.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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