Kunst der Aborigines:Aus einer anderen Welt

Die Felszeichnungen der Aborigines im Arnhemland gehören zum ältesten Kulturerbe der Menschheit.

Thomas Thieringer

Am Mount Borradaile im Arnhemland, im nördlichsten Norden Australiens, ist die Natur im Aufbruch. In den Billabongs, wie die Aborigines die nach der Regenzeit überfluteten Gebiete nennen, brüten auf den Blättern der Seerosen farbenprächtige Vögel. Seeadler ziehen am wolkenlosen Himmel ihre Kreise, weiße Reiher stehen auf dem schwankenden Grün am Rande der Kanäle, die aus dem Wasserpflanzen-Teppich herausgefräst wurden.

Der Kahn mit fünf Passagieren steuert in eine kleine Bucht. Von hier geht es einen moorigen Hang hinauf an haushohen Felsen vorbei, die noch mit Zeichnungen der Ureinwohner geschmückt sind. Kleine Wasserpfützen schimmern golden, weil der feine Blütenstaub das flach einfallende Licht reflektiert. Im Schatten von Stechpalmen wird gerastet.

Die Touristen übernachten in einem Zeltlager im Schutzgebiet der Aborigines. Zwei gutgelaunte Ranger von Davidson's Arnhemland Safaris, einem auf die Kultur der Ureinwohner spezialisierten Safari-Veranstalter, kümmern sich um die Besucher.

Der eigentliche Boss aber heißt Charlie Mangulda. Er ist "Senior Repräsentant" der traditionellen Besitzer des Landes am Mount Borradaile und der einzige Aborigine, der während der kommenden Tage hier zu sehen ist.

Allerdings hält er sich schweigsam im Abseits, wirkt fast abweisend, als müsse er eine Distanz legen zwischen die Gegenwart und seine Geschichte: Es gibt für seine Leute eine Menge heiliger Plätze hier. Nirgends sonst in Australien finden sich so viele gut erhaltene Felszeichnungen.

Die Generation von Charlies Vater war die letzte, die in der Tradition der Dreamline-Kultur lebte: Sie malte noch ihre Geschichte auf den Fels. So waren über die Jahrtausende diese Chroniken "des Lebens und der Gesetze" der Ureinwohner Australiens entstanden.

Dann kam schleichend das Ende: Bis in die 1970er Jahre betrieben die neuen Australier eine Umerziehung der Aborigines. Das bedeutete, dass die Traditionen einer mehr als 50 000 Jahre durchgehend lebendigen Kultur ausgelöscht wurden. Ein Opfer im Namen des angeblichen Fortschritts. Denn unter vielen der heiligen Plätze lagern immense Bodenschätze. An die wollen die Neuaustralier dran, und so werden sie nun nach und nach abgebaut.

Aus einer anderen Welt

Erst Anfang November wurden in der Nähe der Stadt Dampier, ein paar Tausend Kilometer weiter südwestlich, mit staatlicher Genehmigung die ersten von etwa 200 Petroglyphen zerstört, um Platz für eine Industrieanlage zu schaffen.

Vor der Küste der Burrup-Halbinsel liegt eines der größten Erdgasfelder der Welt, das weiter ausgebeutet werden soll. Die Proteste von Umweltschützern und Aborigines gegen die Zerstörung des Kulturerbes verhallten ungehört.

Die Region um den Mount Borradaile wurde hingegen 1978 mit dem "Northern Territory's Aboriginal Sacred Sites Act" den Aborigines mit Einschränkungen wieder übereignet. Wegen der weltweit einzigartigen kulturellen Zeugnisse ist das Land attraktiv für Touristen, die deren Reservate allerdings nur mit Genehmigung der Ureinwohner betreten dürfen.

Charlie scheint darüber zu wachen, dass alles seine Ordnung hat. Er wartet am Rand einer unbefestigten, schmal in den Busch gelegten Landebahn auf die beiden Touristen, die in einer kleinen einmotorigen Maschine von Darwin eingeflogen werden.

Ein surreales Gemälde aus der Luft

Eine Stunde dauerte dieser Flug über eine Landschaft, die sich von oben wie ein surreales Gemälde ausnimmt: Das Grün der Bäume und das Gelb der Sümpfe werden von blau schillernden, mäandernden Wassern durchzogen; dazwischen leuchten unzählige Sandbänke, die nur aus der Höhe zum Baden verlocken - denn bei näherer Betrachtung sieht man die Krokodile, die sich dort aufwärmen.

Charlie also ist von Anfang an mit dabei. Das Käppi weit ins unbewegte Gesicht gezogen, barfüßig, in Shorts, nimmt er neben dem Fahrer des klapprigen Landcruiser Platz. Beim Essen setzt er sich abseits und schaut, in Gedanken versunken, vor sich hin.

Am nächsten Tag hockt er wieder vorn im Jeep und lässt die Bäume, die Termitenhügel, das hohe Gras wortlos an sich vorbei ziehen. Als der Wagen abgestellt werden muss, weil der Weg sumpfig wird, geht Charlie noch einige Schritte mit der Gruppe, bleibt dann zurück.

Lärmende Schwärme von Fledermäusen

Es ist noch früh am Morgen, die Luft angenehm frisch, ideal für einen zügigen Marsch. Zunächst geht es noch durch die liebliche Seerosenbuschlandschaft, dann über Stock und Stein, umgestürzte Papierrinden-Bäume und rostrote Felsbrocken, hinauf in gleißende Hitze und wieder hinab in muffige Felsgewölbe - aus denen lärmend Schwärme von Fledermäusen hervorbrechen.

Und plötzlich steht man vor diesen Galerien, die über und über mit roten, ockerfarbenen oder weißen Zeichen, Tieren, menschenähnlichen Gestalten und Händen bemalt sind, extrem abstrahierten Figuren, mal scharf konturiert, mal filigran durchleuchtet.

Aus einer anderen Welt

Sie erzählen Geschichten und Mythen - von der Erschaffung der Welt, der Dreamtime. Auch historische Ereignisse der jüngeren Zeit sind im Bild festgehalten, die Umrisse einer Barke oder einer Flinte, Zeugnisse der ersten Begegnungen mit den Europäern, die ihr Land in Besitz nahmen.

Diese Orte waren Kreuzpunkte auf den langen Wanderungen der Aborigines. Hier spielte sich in immer wiederkehrenden Zyklen ihr soziales Leben ab. Hier waren sie mit ihren Urahnen und der Schöpfungsgeschichte verbunden und dahin müssen sie zurück, wie das Bruce Chatwin in "Traumpfade" beschreibt: Sie werden wieder an die Stätte gebracht, "wohin man gehört": an die "Stätte der Empfängnis".

Gerippe und Schädel in Felsnischen

So finden sich heute noch Gerippe und Schädel aufgebahrt in den hohen Nischen der Felsen. Eigenartige Empfindungen stellen sich ein an diesen Orten: Staunen über die Kühnheit und somit die Schönheit der Kunst der Aborigines und wie sie darin die Geheimnisse dieses so anderen Leben bewahrten. Und Trauer, dass diese Kultur zerstört wurde, dass man letztlich allein schon durch seine Anwesenheit selbst Teil dieser Zerstörung ist.

Nach Stunden, auf dem Rückweg, trifft die Gruppe Charlie dort wieder, wo er zurückgeblieben war. Er sitzt in der Hocke, so als meditierte er. Von den Ankömmlingen nimmt er kaum Notiz, als wollte er sich schützen vor der Neugier der Touristen oder indiskreten Fragen.

Der Frage, ob er sich fotografieren ließe, stimmt Charlie mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfnicken zu: Er fügt sich den Anforderungen der neuen Zeit, in der nicht der eigenen Wahrnehmung vertraut, sondern nach der oberflächlichen Abbildung gesucht wird, um sich so das Exotische dauerhaft anzueignen.

Ein schmaler Grat zwischen zwei Welten

Aber er zeigt auch mit der Trauer, die sich in seinem Verhalten artikuliert, dass er - ein Wanderer auf dem schmalen Grat zwischen zwei Welten - Gefahr läuft, wie viele der Ureinwohner in den großen Städten, seine eigene Geschichte, seine Identität zu verlieren.

Und doch und gerade wohl deshalb: Diese Reise um die halbe Welt zur Spitze des kleinsten Kontinents, diese kurze Expedition am Cooper Creek rund um Mount Borradaile - den heiligen Berg der Aborigines, den kein Fremder betreten darf - ist voller Überraschungen und lang nachwirkender Erlebnisse. Und sei es nur das Bad in den Mulden eines glasklaren Bächleins, das unter den sengenden Sonnenstrahlen im stürzenden Lauf eine Felsplatte überwindet, der junge Dingo, der am frühen Morgen scheu aus der Ferne die Fremden beäugt, oder die Kahntour in das Blütenmeer des Billabong, um den blutrot aufflammenden Sonnenuntergang zu beobachten.

Auf der Fahrt in der Dämmerung durch die Mangroven zurück zum Lager schrecken lärmend Vögel auf. Ins schwarze Wasser gleiten Krokodile, deren Augen wie glühende Kohlen im Scheinwerferlicht aufleuchten und dann wieder erlöschen. Das Gekecker und Gehusche danach sagt: Es ist alles in Ordnung.

Informationen

Einreise: Das elektronische Einreisevisum wird beim Kauf des Flugtickets im Reisebüro erteilt.

Anreise: Hin- und Rückflug von München über London und Singapore mit Quantas nach Darwin ab ca. 1200 Euro. Von Darwin aus organisiert die Weiterreise Davidson's Arnhemland Safaris: www.arnhemland-safaris.com, E-Mail: info@arnhemland-safaris.com oder Fax: 00 61/889 45 09 19. Beim Weiterflug ab Darwin sind nur zehn Kilo Gepäck erlaubt. Leichte Wanderausrüstung und wasserdichte, feste Schuhe sind erforderlich.

Weitere Auskünfte: Australisches Fremdenverkehrsamt, Neue Mainzer Straße 22, 60311 Frankfurt, Tel.: 069/95 09 61 73, Internet: www.australia.com

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