Kunst an Bord:Van Gogh und der Mafioso

Unterwegs von Montreal nach New York lernen anspruchsvolle Passagiere, die Werke großer Meister mit neuen Augen zu sehen.

Von Evelyn Vogel

Van Gogh zieht immer. Das findet auch die distinguierte, ältere Dame aus Belgien, die zu dem Vortrag des renommierten Kunstexperten über den Maler leuchtender Sonnenblumenbilder und der "Sternennacht" gekommen ist. Ein wenig amüsiert ruht ihr Blick auf der Besucherschlange am Eingang. Schnell werden für die Wartenden noch ein paar Stühle heranschafft. Denn längst ist das mit bequemen Fauteuils ausgestattete Kino der MS Europa 2 voll besetzt. Und man kann vermuten, dass die Passagiere dieses Luxusliners es nicht gewohnt sind zu warten - oder gar behelfsmäßig platziert zu werden. Aber wenn jemand wie Axel Rüger, Direktor des Van Gogh Museums in Amsterdam, angekündigt ist, um über den berühmten Impressionisten zu sprechen, nimmt selbst ein Fünf-Sterne-Plus-Kreuzfahrer eine kleine Unbequemlichkeit in Kauf.

Kunst an Bord: Die Einfahrt in New York ist ein tolles Erlebnis - auch wenn am frühen Morgen ein eisiger Wind über die Reling pfeift. Eines der beliebtesten Fotomotive ist das One World Trade Center mit seinen 104 Stockwerken.

Die Einfahrt in New York ist ein tolles Erlebnis - auch wenn am frühen Morgen ein eisiger Wind über die Reling pfeift. Eines der beliebtesten Fotomotive ist das One World Trade Center mit seinen 104 Stockwerken.

(Foto: Hapag-Lloyd Cruises)

Die Reise mit der Europa 2 von Montreal über den Sankt-Lorenz-Strom entlang der kanadischen und US-amerikanischen Ostküste nach New York ist ausverkauft. Die 500 Passagiere kommen zumeist aus Deutschland und den Nachbarstaaten. Gut 100 sind zu Rügers Vortrag im Rahmen des neuen "art2sea"-Formats gekommen, mit dem die Reederei Hapag-Lloyd eine kunstinteressierte Klientel ansprechen will.

Fast so, wie in van Goghs Bildern erst nach der Begegnung mit den Impressionisten in Paris "das Licht anging", wie Rüger erzählt, geht einigen Zuhörern bei der geballten Ladung Kunstsachverstand ein Licht auf. Was famos mit der landschaftlichen Stimmung korrespondiert. Denn Ende September geht die Reise bei sommerlichen Temperaturen um die 23 Grad durch eine grüne Baumlandschaft. Auf dem Meer und den Seen glitzert die Sonne derart hell, dass man beständig an die lichtdurchfluteten Gemälde der Impressionisten erinnert wird. Die Farben des Indian-Summer muss man suchen. Das einzige Rot, das dagegen ständig sichtbar ist, ist das der gekochten Hummer. Die werden an Bord selbstverständlich perfekt ausgelöst auf Champagner-Schäumchen serviert. Im Unesco-Welterbe-Städtchen Lunenburg mit seinen schnuckeligen Gingerbread-Häuschen darf der Gast im einfachen Restaurant am Hafen mit umgebundenen Plastiklätzchen dem ganzen Tier selbst zu Leibe rücken. Woraufhin sich eine Frau mit fränkischem Akzent lautstark "zurück in die Zivilisation" (vulgo an Bord) wünscht. Im Hinterland der beschaulichen Provinz New Brunswick aber wird das Meerestier in einfachen Cafés als herrlich buttriges Sandwich mit einem Dreiviertelpfund ausgelöstem Hummerfleisch belegt serviert - welch ein Genuss!

Kunst an Bord: In Nova Scotia leuchtet der Turm bei Peggy's Cove den Seefahrern heim.

In Nova Scotia leuchtet der Turm bei Peggy's Cove den Seefahrern heim.

(Foto: Hapag-Lloyd Cruises)

Dass das Kunstangebot der Reise auf Anhieb so gut ankommt, überrascht sogar die Macher selbst, allen voran den Hamburger Kunsthändler Thole Rotermund. Er hat das "art2sea"-Programm gemeinsam mit Lisa Zeitz, der Chefredakteurin der Zeitschrift Weltkunst, für Hapag-Lloyd konzipiert. Im "Warm-up" an Bord mit Vorträgen und Gesprächsrunden über Museen, Kunstsammlungen und Auktionsrekorde sowie Sammler aus Leidenschaft und Kalkül stimmen Zeitz, Rotermund und Rüger die kunstinteressierten Passagiere auf die Museums- und Galeriebesuche an Land ein. Nicht alles ist so kunsthistorisch fundiert wie der Van-Gogh-Vortrag von Rüger. Aber Zeitz weiß voller Begeisterung Anekdotenhaftes über John F. Kennedys Sammelleidenschaft für Scrimshaws - auf Walzähnen eingravierte Zeichnungen - zu erzählen. Und Rotermund verpackt sein Wissen über die Klassische Moderne ebenfalls recht unterhaltsam und kommt mit seinem charmanten Lächeln bei den Herrschaften an Bord gut an.

Kunst an Bord: Die "Weltanschauer" von Ottmar Hörl suchen auf dem Achterdeck der MS Europa 2 noch nach Erleuchtung.

Die "Weltanschauer" von Ottmar Hörl suchen auf dem Achterdeck der MS Europa 2 noch nach Erleuchtung.

(Foto: Hapag-Lloyd Cruises)

Derart eingestimmt geht es dann in den USA an Land richtig zur Sache. Leider allzu schnell eilt man in Boston durch die mehrhundertjährige Kunstsammlung des Museum of Fine Arts. Recht anschaulich tauchen die Besucher hingegen in die Welt der Isabella Stewart Gardner ein, die Ende des 19. Jahrhunderts für ihre in Europa zusammengekaufte Kunstsammlung einen venezianischen Palazzo erbauen ließ. Und die Harvard-Art-Museen in Cambridge mit ihren fantastischen Schätzen europäischer Kunst sind mehr als beeindruckend. Wer von den älteren Semestern anschließend über den Campus der berühmten Universität nebenan schlendert, fühlt sich kurzzeitig wie ein richtiger Harvardianer.

Kunst an Bord: SZ-Karte

SZ-Karte

Dann naht New York und damit auch das Ende der Reise. Kaum einer will die Einfahrt in den Hafen verpassen. Die Passagiere eilen um sechs Uhr früh dick eingemummt auf Deck, um bei eisigem Wind Lady Liberty mit einem Selfie zu begrüßen. In der Kunstmetropole der westlichen Welt sperrt das Museum of Modern Art für die Europa-Gäste eine Stunde früher als üblich auf, und unter sachkundiger Führung einer MoMA-Expertin geht es zu den Höhepunkten der Sammlung. Als die Kreuzfahrer vor dem Original von van Goghs "Sternennacht" stehen, von dem sie an Bord schon so viel gehört haben, macht sich ehrfürchtiges Staunen breit. Das setzt sich am Nachmittag fort. Entlang der grünen High Line führen Zeitz und Rotermund zu einigen der renommiertesten Galerien für zeitgenössische Kunst, deren Ausstellungen durchaus musealen Standards standhalten können.

"Darf ich Sie malen?" - inmitten der illustren Gästeschar schwebt der Bordmaler auf Wolke sieben

Einige Gäste hatten sich doch noch mehr vom Kunstprogramm erwartet. Und ein Abstecher in ein kanadisches Museum wäre durchaus angebracht gewesen. Insgesamt aber ist das neue "art2sea"-Format ein wirklich interessantes Angebot. Die Galerie sowie die Sammlung an Bord sind nette Ergänzungen, wenn auch bei solchen Kreuzfahrtschiffen längst Standard. Auf der Europa 2 herrscht die zeitgenössische Kunst vor. Zu der Bordsammlung mit etwa 890 Werken - überwiegend Fotografien und Druckgrafiken sowie Zeichnungen, Skulpturen und wenige Gemälde - gehören auch Werke von bekannten Namen wie Gerhard Richter oder David Hockney. Sie sind in den öffentlichen Bereichen und in den Kabinen, die hier nur "Suiten" heißen, zu finden. Werke anderer Künstler, zum Beispiel die Schmetterlings-Varianten des britischen Pop-Art-Künstlers Damien Hirst, hängen nur in der teuersten Kabinenkategorie.

Inmitten der teils illustren Gästeschar schwebt der "Bordmaler" Volker Troche wie auf Wolke sieben. Mit dem Satz "Darf ich Sie malen?" wählt er seine Modelle aus. Wer ihn in seiner Enklave in der Bibliothek aufsucht, wo er mit einem buddha-gleichen Lächeln ruht, darf es nicht darauf anlegen, porträtiert zu werden. Denn Troche, der seine Bilder bei der Finissage am Ende der Reise verschenkt, ist kein Auftragsmaler, auch keiner, der auf den Touristen-Boulevards dieser Welt pinselt. Der ausgebildete Jurist ist Justiziar der Krupp-Stiftung in Essen. Eine Art "Ziehkind" des Industrie-Patriarchen Berthold Beitz. Als Bordmaler auf Zeit hat er sich einen Jugendtraum erfüllt. Und so nimmt man es ihm tatsächlich ab, wenn der 48-Jährige versichert, er sei "der glücklichste Mensch" an Bord.

Von Bord, und zwar verfrüht, eilt in New York der Van-Gogh-Experte Rüger. Zwei seiner Schätze, die vor Jahren aus dem Museum gestohlen wurden, sind bei einem Mafia-Boss in Italien aufgetaucht, und in Europa harrt man seiner sachkundigen Einschätzung. Zehn Tage früher, und die Nachricht wäre der Knaller an Bord gewesen. Denn wer hätte gedacht, dass van Gogh selbst bei einem Mafioso derart zieht.

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