Kundenbeirat der Deutschen Bahn:"Wer hat sich den Blödsinn einfallen lassen?"

Passagier wartet am Bahnhof Celle

Nicht nur meckern, sondern Lösungen vorschlagen: Mit dem Kundenbeirat hat sich die Deutsche Bahn ihre schärfsten Kritiker ins Haus geholt - die Passagiere.

(Foto: dpa)

In zehn Jahren hat der Kundenbeirat bei der Deutschen Bahn den anderen Passagieren schon einiges erspart. Zum Beispiel zu enge Sitzreihen - und dass Rollstuhlfahrer zwischen Fahrrädern und Toiletten landeten.

Von Daniela Kuhr, Bremen

Der Brief, der vor wenigen Monaten im Beschwerde-Center der Bahn einging, war ganz kurz. Er sei am 25. Februar um 9.24 Uhr mit dem ICE von Berlin nach Hamburg gefahren, schreibt der Absender und gibt seine Bahncard-Nummer an. Als er seinen reservierten Platz in der ersten Klasse einnehmen wollte, hatte er feststellen müssen, dass der Wagen nicht zugänglich war. Der einzige andere Erste-Klasse-Wagen aber sei "durch eine russische Reisegruppe restlos besetzt" gewesen. Punkt. Mehr schrieb der Zuggast nicht.

Weder beschimpfte er die Bahn, noch machte er ihr Vorwürfe. Auch deutete er nicht einmal ansatzweise an, welche Reaktion er nun erwartet. Will er sein Geld zurück? Eine Erklärung? Einen Gutschein?

"Eine Erklärung will dieser Kunde ganz sicher nicht", sagt Alexander von Bülow. "Für mich ist das eindeutig ein Schreiben von einem Profi für Profis. Der denkt sich: Ich kenne mich aus, ihr kennt euch aus, da muss ich nicht lange drumherum reden. Lasst euch was einfallen, wie ihr das wiedergutmacht." Bülow, 58, ist selbständiger Wirtschaftspsychologe aus Hannover. Beruflich hat er mit der Bahn überhaupt nichts zu tun.

Und doch sitzt er an diesem sonnigen Maitag in einem abgedunkelten Seminarraum in der Nähe des Bremer Hauptbahnhofs - und berät acht Mitarbeiter des Staatskonzerns, wie sie besser auf Kundenbeschwerden reagieren können.

Bülow macht das nicht allein, sondern gemeinsam mit zwei Männern und zwei Frauen. Keiner von ihnen wird für die drei Stunden Arbeit bezahlt, sie alle haben sich für den Workshop entweder Urlaub genommen oder wenden einen Teil ihrer Freizeit auf. Wieso? Weil es ihnen Spaß macht. Und weil sie sich dafür beworben haben.

Alle fünf sind Mitglieder des Kundenbeirats der Deutschen Bahn (siehe Kasten), einem 30-köpfigen Gremium, das öffentlich so gut wie nie in Erscheinung tritt - das aber schon oft dazu beigetragen hat, den Service der Bahn zu verbessern. Beispielsweise sind die Fahrkartenautomaten dank dem Kundenbeirat leichter bedienbar geworden.

Etwas mehr Abstand, bitte

Auch haben die Mitglieder angeregt, die Ansagen im Zug zu straffen. Sie halfen, das Fahrgastrechte-Formular zu vereinfachen. Und als sie vor zwei Jahren als erste Testpersonen ein originalgetreues Modell der für 2017 eingeplanten ICx-Züge betreten durften, haben sie großen Ärger verhindert: Die Sitzreihen waren ihnen viel zu eng, sodass die Bahn sich entschied, den Abstand wieder zu vergrößern.

"Wir haben schon viele wertvolle Hinweise vom Kundenbeirat bekommen", sagt Ulrich Homburg. Der Personenverkehrsvorstand der Deutschen Bahn ist eigens nach Bremen gereist, um an der Feier zum zehnjährigen Jubiläum des Gremiums teilzunehmen - genau wie Hans-Joachim Wöbbeking, 64, ehemaliger Sprecher des Kundenbeirats und Mitglied der ersten Stunde. Er wird von Homburg sofort persönlich begrüßt.

"Herr Wöbbeking hat verhindert, dass wir bei unseren neuen doppelstöckigen Fernzügen, die wir hoffentlich in zwei Jahren einsetzen können, die Rollstuhlfahrer vor den Kopf stoßen." Wöbbeking sitzt selbst im Rollstuhl. Als die Beiräte vor einiger Zeit ein Modell der Doppelstockzüge besichtigten, stellte er fest, dass die Plätze für Rollstuhlfahrer zwischen den Fahrradabstell-Plätzen und den Toiletten eingeplant waren.

"Wer hat sich denn den Blödsinn einfallen lassen?", sagte er verärgert. Man könne Rollstuhlfahrer doch nicht wie Sperrgepäck behandeln. Die Bahn ordnete sofort an, das zu ändern.

"Wofür brauchen Sie eigentlich Ronald Pofalla?"

Zweimal im Jahr trifft sich der Kundenbeirat zu einer turnusmäßigen Sitzung. Homburg nimmt fasst immer teil, häufig auch Bahn-Chef Rüdiger Grube. Die Beiräte nutzen die Treffen, um alles zu kritisieren, was sie stört, und alle Fragen zu stellen, die sie bewegen.

So fragt eine Biologin, was die Bahn sich eigentlich davon verspreche, den früheren Kanzleramtsminister Ronald Pofalla in den Vorstand zu holen. Homburg zögert keine Sekunde: Zwar könne er zu der Personalie selbst nichts sagen, denn die Berufung von Vorstandsmitgliedern sei allein Sache des Aufsichtsrats. Doch sei es dringend nötig, im Vorstand jemanden zu haben, der sich um politische Kontakte kümmere, denn immer wieder würden Gesetze - vor allem auf europäischer Ebene - geplant mit enormen Auswirkungen auf die Bahn und ihre Beschäftigten.

"Wir brauchen da also jemanden, der weiß, wie die Politik tickt, und in der Lage ist, relativ schnell Zugang zu wichtigen Akteuren zu bekommen, damit wir unsere Bedenken wenigstens mal formulieren dürfen." Die Antwort scheint der Frau zu genügen.

"Ich habe durchaus das Gefühl, dass wir hier ernst genommen werden", sagt ein anderer Beirat später. "Wenn das nicht der Fall wäre, würden wir nicht mitmachen." Schließlich haben die Beiräte nichts davon. Außer einer Aufwandsentschädigung bekommen sie nichts. "Geld ist sicher nicht der Grund, warum wir uns engagieren", sagt Christine Kohls, Sprecherin des Kundenbeirats.

Sie habe sich vielmehr beworben, weil sie oft Bahn fahre und sich dabei auch mal ärgere. "Ich möchte dazu beitragen, dass die Bahn kundenfreundlicher wird." Dank der Arbeit beim Kundenbeirat habe sie so viele Einblicke bekommen, dass sie inzwischen sogar Verständnis für gewisse Probleme habe. Kohls lacht. "Wobei wir natürlich aufpassen müssen, nicht zu viel Verständnis zu entwickeln. Dem normalen Kunden ist es ja auch egal, warum etwas nicht funktioniert."

So findet sie etwa, dass die Bahn einen kostenlosen und umkomplizierten Internetzugang für alle Netze anbieten sollte. "Das ist doch heute eigentlich überall Standard." Auch kann sie nicht verstehen, dass Familien mit kleinen Kindern bei einer Reservierung Plätze im Ruhebereich zugewiesen bekommen. "Da fühlt sich keiner wohl, weder die anderen Fahrgäste noch die Familie."

6890 Euro für schnelle Lösungen

Zusätzlich zu den zwei Treffen des Gesamtbeirats finden pro Jahr noch mehrere Verbesserungs-Workshops jeweils zu konkreten Themen statt. An diesen nehmen immer nur einige wenige Beiräte teil sowie mehrere Mitarbeiter der Bahn. Das erleichtert einen intensiven Austausch - wie etwa bei dem Workshop zu den Kundenbeschwerden, der am Tag nach der Jubiläumsfeier in Bremen stattfindet.

Wenn einem Fahrgast das passiert, was dem Schreiber des Beschwerdebriefs passiert ist, nämlich dass er in einem Zug trotz Reservierung keinen Platz gefunden hat, dann antwortete die Bahn bislang meist damit, dass sie die Reservierungskosten erstattet und in einem Standardbrief erklärt, wie sie sich bemüht, das Platzangebot an die Nachfrage anzupassen, etwa durch Fahrgastzählungen. "Ach, das sind alles Erklärungen, die will dieser spezielle Kunde gar nicht wissen", sagt Beiratsmitglied von Bülow.

Seine vier Mitstreiter geben ihm recht, denn aus der Nummer der angegebenen Bahncard geht hervor, dass es sich um eine Bahncard-100 für die erste Klasse handelt. Das heißt: Der Mann hat 6890 Euro dafür gezahlt, ein ganzes Jahr lang, wann immer er möchte, ohne Ticket einfach in den Zug steigen zu können, und zwar in die erste Klasse. "Der will sein Geld für die Reservierung zurück und einen Gutschein fürs Bord-Bistro als kleine Wiedergutmachung. Mehr nicht."

Anruf in der Nacht

Die Mitarbeiter der Bahn, die an dem Workshop teilnehmen, schreiben alle Anregungen mit, auch wenn erkennbar ist, dass sie nicht jeden Vorschlag sofort gut oder praktikabel finden. "Ich glaube, dass der Vorstand den Kundenbeirat auch braucht, um beim mittleren Management etwas zu bewegen", sagt ein Beiratsmitglied namens Ralph. Denn nicht immer sei das mittlere Management begeistert, wenn sich etwas ändern solle. "Dank uns kann der Vorstand aber sagen: Schaut her, wir müssen etwas ändern, das hat der Kundenbeirat klar signalisiert."

Seinen Nachnamen möchte Ralph lieber nicht in der Zeitung lesen. Wie viele andere auch hat er die Sorge, dass er sonst von Fahrgästen für eine weitere Beschwerdestelle gehalten wird.

Dem früheren Beiratssprecher Wöbbeking ist das mal passiert. Kurz nachdem sein Name in einer Zeitung aufgetaucht war, erhielt er nachts einen Anruf. Ein Zug war auf einem Regionalbahnhof gestrandet und konnte aus technischen Gründen nicht weiterfahren. "Der Anrufer bat mich, dafür zu sorgen, dass die Bahnhofstoilette aufgeschlossen wird."

Wie der Zufall es wollte, gelang das Wöbbeking sogar. Doch großen Wert legen die Beiratsmitglieder auf solche Anrufe nicht.

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