Kulturhauptstadt 2010: Pécs:Glanz auf der Baustelle

Auch wenn zu Jahresbeginn noch nicht alle Verschönerungsaktionen abgeschlossen sind: Pécs im Südwesten von Ungarn lässt alte Grandezza erahnen.

Auf dem Szechenyi-Platz der südungarischen Stadt Pécs (dt. Fünfkirchen) wird Tag und Nacht durchgearbeitet. Mit zischenden Handbrennern wärmen Bauarbeiter in der bitteren Kälte die Granitplatten vor, die dann andere Arbeiter zurechtschneiden und auf dem Platz verlegen.

Akkordtempo ist angesagt, denn bis zur Jahreswende muss der renovierte Platz im Herzen der Stadt fertig sein. Ab 1. Januar 2010 ist Pécs - zusammen mit Essen und Istanbul und als erste ungarische Stadt überhaupt - Europäische Kulturhauptstadt.

Nur das Zentrum ist bisher verschönert

Auch sonst brummt und dröhnt es in der ganzen Stadt vom umtriebigen Herumfuhrwerken der Bagger und Kräne. Denn so wie der große Tag naht, so ist klar, dass - von der Stadt-Verschönerung im Zentrum abgesehen - so gut wie nichts bis dahin fertig sein wird. In den Planungsjahren zuvor hatten bei den Verantwortlichen schiere Inkompetenz und Chaos geherrscht. Für die Verwaltung der 160.000- Seelen-Stadt hatte sich der Kulturhauptstadt-Auftrag als eine Schuhnummer zu groß erwiesen.

Drei Programmdirektoren wurden verschlissen, die Bauarbeiten viel zu spät begonnen. Jetzt erhebt man das Unfertige zur Tugend, das einst avantgardistische Schlagwort vom "Work in progress" (Werk im Entstehen) zum Arbeitsprinzip.

Ein spektakuläres Industriedenkmal: Zsolnay-Manufaktur

Dabei ist das, was irgendwann einmal entstehen wird, durchaus beachtenswert. So etwa die Rundum-Erneuerung des Viertels um die ehemalige Porzellanmanufaktur Zsolnay. "Als sich die Stadt um den Titel bewarb", erzählt der Projekt-Manager und Architekt Gabor Sztanics beim Gang über diese Baustelle, "arbeitete eine Gruppe von Kreativen, Architekten und Urbanisten ein Konzept aus. Der Grundgedanke: diese Stadt soll für ihre Bewohner wieder lebbar gemacht werden."

Die Zsolnay-Manufaktur ist ein ebenso spektakuläres wie - derzeit noch - verfallenes Industriedenkmal vom Ende des 19. Jahrhunderts.

Die Familie Zsolnay, deren Produkte für jeden Porzellanfreund ein Begriff sind, zelebrierte ihr aufstrebendes Bürgertum. Selbst die Fabrikschlote verzierte man mit kunstvollen Sockeln und Keramiken.

Ihre edlen Villen stellten die Fabrikherren mitten aufs Werksgelände, den Quell ihres Reichtums. Jetzt soll hier auf 3,5 Hektar ein neues Künstler- und Studentenviertel entstehen, mit einer eigenen Kunsthalle, Ausstellungsräumen, Ateliers, Wohnungen für Kunststudenten und Grünflächen.

Ausstrahlung nach Kroatien, Bosnien, Serbien und Rumänien

Eine neue Heimstätte wird hier auch eine der bedeutendsten Zsolnay-Privatsammlungen der Welt finden. Der ungarischstämmige amerikanische Zsolnay-Liebhaber Laszlo Gyugyi überlässt seine rund 600 Prachtstücke im Stil des Historizismus und der Art nouveau der Kulturhauptstadt.

"Wir wollen, dass Pécs zu einem interregionalen kulturellen Zentrum wird, mit Ausstrahlung nach Kroatien, Bosnien, Serbien und Rumänien", meint Programmdirektor Csaba Ruzsa. Starke Bindungen bestünden aber auch zu Deutschland, weil in der Stadt und in ihrer Umgebung noch tausende Angehörige der deutschen Volksgruppe leben.

Zur offiziellen Eröffnung am 10. Januar wird es auf dem Szechenyi-Platz einen großen Umzug mit 400 Schulkindern geben, angeführt von überlebensgroßen Puppen. Damit sollen die abwechslungsreiche Geschichte der Stadt und ihre vielfältige kulturelle Offenheit reflektiert werden.

EU finanziert Neuerfindung der Stadt

Der Kulturhauptstadt-Titel bedeutet aber insbesondere viel Geld, das zu 85 Prozent von der EU kommt. Zehn Prozent muss die Stadt aufbringen, fünf Prozent die Republik Ungarn. Für 125 Millionen Euro wird die Stadt um- und neugebaut, weitere 32 Millionen Euro wendet man für die Programme des Hauptstadtjahres auf. Nicht nur die Zsolnay-Manufaktur soll in neuem Glanz erstrahlen, sondern auch der barocke und Renaissance-Stadtkern.

Neu gebaut werden eine große Konzerthalle und eine zeitgemäße Bibliothek. Die Stadt ergreift das Glück beim Schopf, um sich neu zu erfinden, um sich zu europäisieren - wenn auch mit gehöriger Verspätung. Die Konzerthalle wird erst im Oktober 2010 fertig, das Zsolnay-Viertel gar erst am 1. Januar 2011, wenn die Lichter des Kulturhauptstadtjahres eben erst verloschen sein werden.

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