Kulturhauptstadt-Titel:Eine kleine Familie

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Kaunas in Litauen ist Europäische Kulturhauptstadt 2022 - neben Esch-sur-Alzette in Luxemburg und Novi Sad in Serbien. (Foto: Martynas Plepys/dpa)

Bei der Vergabe der Kulturhauptstadt-Auszeichnung steht der Verdacht im Raum, dass sich Klüngel und Kumpanei ausgebreitet haben.

Von Uwe Ritzer

Galway in Irland und Rijeka in Kroatien waren 2020/2021 "Kulturhauptstadt Europas". In diesem Jahr dürfen sich neben Esch-sur-Alzette in Luxemburg und den angrenzenden Gemeinden die Orte Kaunas in Litauen und Novi Sad in Serbien mit dem Titel schmücken. Ob eine Kommune die Auszeichnung zurecht trägt, ist die eine Frage. Kritikwürdig ist in jedem Fall, dass der Wettbewerb aufgeblasen ist. Allein die Vorbereitungen und die anschließenden Bewerbungsverfahren dauern Jahre und verschlingen zig Millionen Euro. Kleine Kommunen sind damit alleine überfordert. Und genau das ist das Einfallstor für eine überschaubare Gruppe an Kulturmanagern, die, einem Wanderzirkus gleich, von Bewerberstadt zu Bewerberstadt über den Kontinent tingeln und ihre Dienste anbieten. Ein ziemlich lukratives Geschäftsmodell, bei dem der Verdacht im Raum steht, dass sich hier Klüngelei und Kumpanei ausgebreitet haben.

Die EU richtet den Wettbewerb zwar formal aus, kümmert sich aber nicht wirklich darum. Und die Mitgliedsstaaten interessieren sich nur dann dafür, wenn sie turnusgemäß an der Reihe sind und eine ihrer Kommunen gekürt werden soll. Um die Details kümmern sich andere, vermeintliche Experten, die als Juroren, Berater oder in anderen Kulturmanagement-Funktionen auftreten, wobei die Rollen und Funktionen ständig wechseln. So ist ein internationales Friends-and-Family-Netzwerk entstanden, das sich des Wettbewerbs bemächtigt hat. Nicht selten drängen sie Kulturschaffende in den jeweiligen Kulturhauptstädten zur Seite, obwohl es doch heißt, eine European Capital of Culture (ECoC) wachse von unten, von der Basis her. Ein Beispiel dafür liefert die rumänische Stadt Timișoara, eigentlich Europäische Kulturhauptstadt 2021, pandemiebedingt aber erst 2023.

Wer ECoC wird, bestimmt letztlich eine kleine Jury. Aber auffallend ist, dass 18 der 22 für die Jahre 2015 bis 2022 gekürten europäischen Kulturhauptstädte bei ihren jeweiligen Bewerbungen entweder vom Liverpooler Neil Peterson mit seiner Firma Inside Track, oder von Mattijs Maussen unterstützt wurden, der von Brüssel und Prag aus arbeitet. Experten wie sie, oder auch der in Marseille lebende, deutsche Hochschullehrer Ulrich Fuchs sind omnipräsent und kennen sich in den Kulissen des Wettbewerbes aus. Sie wissen, was Juroren hören und in den Bewerbungsbüchern lesen wollen, die jede Bewerberstadt erstellen muss. Eine Kommune, die glaubt, ohne eine dieser Personen im Wettbewerb eine Chance zu haben, hat kaum eine Chance - das zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre.

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