Kultur:In die Kiste

Seit der Eröffnung der Elbphilharmonie 2017 geben namhafte Musiker dem neuen Symbolbau der Stadt den Vorrang. Jetzt aber zeigt sich: Für manche Musik ist die Laeiszhalle besser geeignet.

Von Till Briegleb

Die Elphi war ihr Schicksal. Als im Juni 2003 in der Laeiszhalle der Projektentwickler Alexander Gérard zusammen mit dem Architekten Pierre de Meuron die Idee eines neuen Konzerthauses präsentierte, schien die Zukunft des Verkündungsortes besiegelt zu sein. Die pseudobarocke Musikhalle am Rand der Hamburger Innenstadt, in deren Saal E der Schweizer Stararchitekt den Bürgern eine eigene "Sydney-Oper" versprach, würde nach der Fertigstellung des optimistischen Plans wieder zweite Adresse sein.

Das war das Millionengeschenk des Reeders Carl Heinrich Laeisz an die Musikfreunde der Stadt bereits in seiner ersten Lebensphase. 1908 eröffnet, stand das Haus lange im Schatten des Conventgartens, jenes etablierten Konzert- und Unterhaltungsensembles mit Biergarten in direkter Nachbarschaft. Bis dieser 1943 im Bombenkrieg abbrannte - während die Laeiszhalle unversehrt blieb -, stand des Reeders vergoldetes Schmuckkästchen im niederen Rang der Gunst. Und nun wiederholt sich diese Geschichte.

Zwar diente mangels Auftrittsalternativen nach dem Krieg die Musikhalle lange als Allzweckort. Der große Saal, eine klassische Schuhschachtel mit zwei Rängen, festen Samtsitzen und gläserner Decke, sah neben erwachsener Begeisterung bei Maria Callas, Plácido Domingo und Vladimir Horowitz auch regelmäßig hysterische Ausbrüche bei Konzerten mit The Sweet, The Sparks und den Bay City Rollers. Aber als sich für die Popmusikszene in den Achtzigern bessere Orte etablierten, entwickelte sich die Musikhalle für fast 40 Jahre tatsächlich zur ersten Klassikadresse im Norden und zu einem ungestörten Reservat für die seriöse Kultiviertheit bewegungslosen Musikgenusses.

Kultur: Liederabende, Kammermusik und Klavierkonzerte hält der Intendant Christoph Lieben-Seutter in der Laeiszhalle (hier der Kleine Saal) für besser aufgehoben als im stets ausverkauften neuen Haus.

Liederabende, Kammermusik und Klavierkonzerte hält der Intendant Christoph Lieben-Seutter in der Laeiszhalle (hier der Kleine Saal) für besser aufgehoben als im stets ausverkauften neuen Haus.

(Foto: Thies Raetzke)

Seit der Eröffnung der großen Welle in der Hafencity im Januar 2017 streben namhafte Musiker nun aber alle zuerst in den neuen Symbolbau der Stadt. Trotzdem ist Christoph Lieben-Seutter, der als Intendant neben der Elbphilharmonie auch der Laeiszhalle vorsteht, um die Wiege der Elbphi nicht bange. Obwohl in der ersten Saison mit der Glamourkonkurrenz im Hafen nur noch 320 000 statt 390 000 Besucher in die Laeiszhalle gegangen sind (man hatte mit Schlimmerem gerechnet), und trotz des nicht geplanten kompletten Umzugs von zwei der drei Hamburger Orchester in die neue Pracht, prophezeit Lieben-Seutter der Verschmähten eine glänzende Zukunft: "Wenn der erste Run vorbei ist, wird sich schnell herausstellen, dass bestimmte Themen in der Laeiszhalle einfach besser aufgehoben sind."

Tatsächlich nähern sich die Zeiten, in denen Menschen Konzertkarten egal wofür kaufen, nur um einmal in dem Konzertsaal von Herzog & de Meuron gewesen zu sein, langsam dem Ende. "Die meistgefragte Veranstaltung ist nicht mehr 20-fach überbucht, sonder nur mehr achtmal. Und Veranstaltungen mit zeitgenössischen Komponisten brauchen schon mal drei Monate, bis sie ausverkauft sind." Aber nicht das Nachlassen der Anfangsbegeisterung nährt Lieben-Seutters Optimismus, dass Besucher zurück in die Schuhschachtel streben werden. Tatsächlich ist der tolle neue Große Saal nicht für jede Musikform gleichermaßen geeignet.

Schon heute "legen wir auch den größten Stars nahe, wenn sie für einen Liederabend kommen, in die Laeiszhalle zu gehen", sagt Lieben-Seutter. Denn in der Weinbergarchitektur der Elbphilharmonie mit der Bühne im Zentrum des Trichters sitzt immer ein großer Teil des Publikums hinter und weit über dem Sänger. Eine Gesangsstimme ist aber viel zielgerichteter als ein Instrument, und das führt dann dazu, dass "selbst größte Gesangsstars nur die ersten zehn Reihen des Parketts vor sich erreichen", so Lieben-Seutter. Deswegen würden alle "Frontalformate" sowie Klavierkonzerte und Kammermusikabende längerfristig in der Laeiszhalle bessere Bedingungen finden. Nicht zuletzt deswegen, weil das Haus im 110. Jahr seines Bestehens endlich eine Generalsanierung erfahren soll. Für die Saalorgel etwa übernimmt der Hausherr schon länger keine Gewähr mehr.

Laeiszhalle Hamburg

    Laeiszhalle Hamburg © Maxim Schulz

Die Laeiszhalle von außen.

(Foto: Maxim Schulz)

Aktuell liest sich das Programm des kleinen Klassik-Geschwisters aber wieder mehr wie in den Siebzigern. Neben Konzerten des verbliebenen Hausorchesters, der Hamburger Symphoniker unter ihrem Dirigent Sylvain Cambreling, und diversen Abenden mit Klavierkonzerten oder Alter Musik treten hier gereifte Schlagerstars wie Mary Roos und Nana Mouskouri auf, berühmte Barden der Alternativbewegung wie Konstantin Wecker und Angelo Branduardi. Oder "MTV unplugged" mietet den Saal für Biffy Clyro. Das verwandelt den schmucken Raum zwar nicht wieder in die opulente Schreikiste für Rock- und Teenie-Bands. Aber so lange noch nicht alle elphisatt sind, wird die Laeiszhalle vor allem vermietet. Deswegen gilt hier eine gnädigere Qualitätskontrolle als in der Elbphilharmonie, wo 90 Prozent der Veranstalteranfragen abgelehnt werden.

Lieben-Seutter aber ist sich sicher, dass dieses Tuttifrutti einer strategischeren Ausrichtung auf große Klassikkonzerte weichen wird, wenn alle prominenten Musiker nach dem Rausch des neuen Hauses wieder den Realismus des richtigen Formats entdecken. Und darum sieht der Intendant das Schicksal der Laeiszhalle eher im goldenen Licht: "Ihre Zeit wird wieder kommen!"

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: