Küstenstraße:Auf der schottischen "Route 66"

In den Highlands will eine Küstenstraße dem berühmten amerikanischen Vorbild Konkurrenz machen. Zu Recht? Eine Testfahrt mit Hügeln, Schafen und geplatzten Reifen.

Von Steve Przybilla

Als der Wagenheber im Gras der Highlands versinkt, rümpft Tony die Nase. Man kann nur erahnen, was dem schottischen Pannenhelfer jetzt durch den Kopf geht. Diese Touristen! Können die nicht einfach mal geradeaus fahren? Oder besser noch: links? Stattdessen setzt der glatt rasierte Mittvierziger, der so gar nicht dem zotteligen Brave-heart-Klischee entspricht, den Wagenheber neu an. Er wechselt den kaputten Reifen, kassiert 144 Pfund, und verliert zum Abschied noch ein paar Worte zur Landschaft. "Diese Straße", sagt Tony, "ist wahrscheinlich die verlassenste in ganz Großbritannien. Da hat man schon Glück, wenn alle paar Stunden ein Auto vorbeikommt."

Es ist erst der zweite Tag in den Highlands, doch der Mietwagen hat schon ordentlich gelitten: Tank fast leer, Matsch von oben bis unten, und jetzt auch noch der zerfetzte Reifen. War vielleicht doch nicht die beste Idee, ausgerechnet in einem Corsa auf Abenteuerreise zu gehen. Denn genau das verspricht die North Coast Road 500 (NC500): einen legendären Roadtrip durch wilde Natur- und unberührte Pub-Landschaften. Die 500 Meilen (805 Kilometer) lange Strecke verläuft von Inverness bis in die hintersten Winkel der Highlands; ein Landstrich, der so weit ab vom Schuss ist, dass dort regelmäßig die Nordlichter zu sehen sind. Oder um es mit den Worten des Fremdenverkehrsamts zu sagen: Die North Coast 500 ist die schottische Antwort auf die Route 66.

Ausgeschildert ist die NC500 nicht - und weder Schafe noch Hirsche kann man nach dem Weg fragen

Die Route 66 war einer der ersten Highways, die die Vereinigten Staaten von Osten nach Westen durchquerten. Heute gilt die 1926 eröffnete Strecke als "Mutter aller Straßen". Am Wegesrand verkauft jede noch so kleine Tankstelle alles, was das Touristenherz begehrt: Postkarten, Schlüsselanhänger, Aufkleber, Straßenkarten. Es wimmelt von Touristen, Oldtimern und Harley-Davidsons. Die NC500 ist dagegen von Schafen bevölkert. Und von Hirschen. Und Hochlandrindern. Völlig unbekümmert stolzieren sie über den Asphalt, als starrten sie nur alle paar Wochen in einen Autoscheinwerfer.

Der südlichste Teil der Route verläuft durch beige-grüne Hügellandschaften, die an "Herr der Ringe" erinnern. Kein Radioempfang, kein Gegenverkehr, keine Zivilisation: Der Alltag ist auf dem Kontinent zurückgeblieben. Von einer Minute auf die andere bricht ein Regenschauer los, gefolgt von einer halben Stunde schönsten Sonnenscheins. Hinter der nächsten Kurve plötzlich Nebel. Danach, wieder ohne Vorwarnung: heftiger Hagel. Was die Schafe nicht stört, macht der NC500 mächtig zu schaffen. Zwar ist die Fahrbahn größtenteils gut erhalten; an den Seiten beginnt die schottische Antwort auf die Route 66 aber zu bröckeln. Einen Begrenzungsstreifen gibt's selten; wer nicht aufpasst, überfährt einen spitzen Stein - und macht schließlich Bekanntschaft mit Tony, dem schottischen Pannenhelfer.

Manche Pensionen haben sich schon auf den neuen Roadtrip-Tourismus eingestellt. An der Rezeption gibt es zwar noch keine Straßenkarten. Dafür hängt vor der Parkbucht eines umgebauten Bauernhofs ein großer Gartenschlauch: Nach einem Tag in den Highlands ist eine Dusche genau das Richtige für geschundene, matschige Mietwagen. Dass die Besucherzahlen tatsächlich steigen, bestätigt Lesley Crosfield (65), Betreiberin des Hotels "The Albannach" in Lochinver. "Früher kamen die Leute mit dem Wohnwagen zum Strand, um zu campen", erzählt Crosfield. "Heute wollen sie sich eher verwöhnen lassen." Vor allem Geschäftsleute aus dem Londoner Umkreis entschieden sich für einen Trip auf der NC500. "Da sitzt das Geld", sagt Crosfield und lacht. "Ich finde es toll, dass die Straße jetzt vermarktet wird. Sie war schon immer da, aber erst jetzt entwickelt sie sich zur Attraktion."

Glänzen durch britisches Understatement

Unterwegs ist der Streckenverlauf aber gar nicht so leicht zu finden. Wer nicht gerade eine Straßenkarte im Tourist Office abstaubt, muss sich auf sein Gefühl verlassen. Denn: Ausgeschildert ist die NC500 noch nicht. Die Werbekampagne hat sich bislang ausschließlich aufs Internet konzentriert - für mehr hat das Budget, das aus EU-Mitteln und privaten Spenden stammt, nicht gereicht. Im Laufe des Jahres sollen nun Straßenschilder und einige Souvenir-Artikel hinzukommen. Vielleicht ist das der größte Unterschied zur Route 66: Während die amerikanische Strecke ziemlich protzig daherkommt, glänzt die North Coast 500 durch britisches Understatement. So wie das Hotel und Restaurant "The Albannach": Es liegt in einem gemütlichen, jahrhundertealten Haus. Dass die Küche einen Michelin-Stern hat, sieht von außen niemand.

Der nächste Tag startet mit schlechtem Wetter. Agnes Oetting (24) und ihre Schwester Astrid (21) stehen mit durchweichten Rucksäcken am Straßenrand. Die beiden deutschen Studentinnen kommen von der Isle of Skye und wollen per Anhalter weiter nach Durness fahren, eine Kleinstadt an der schottischen Nordspitze. "Den ganzen Tag ist nur ein Auto vorbeigekommen", sagt Agnes und berichtet von Bushaltestellen, die nur alle paar Tage angefahren würden. "Es ist toll, dass man überall zelten darf", erzählt die Studentin. Nur das Wetter sei nicht das beste gewesen. "Tagsüber haben wir unser Zelt zum Trocknen am Lagerfeuer aufgehängt. Es wurde fast komplett trocken." Und die NC500? "Nie gehört", antworten beide.

Während sich die Tankanzeige allmählich dem roten Bereich nähert, offenbart sich eine weitere Gemeinsamkeit zur Route 66: Hüben wie drüben sind Tankstellen spärlich gesät. Selbst dann, wenn das nächste Dorf nur noch ein paar Meilen entfernt ist, kann die Fahrt locker eine Stunde dauern. Steinen ausweichen, Abzweigungen finden, Schafe von der Straße hupen - all das braucht eben seine Zeit.

Carol Hughes (56) und ihr Mann John (63) sind aus London angereist, um ihren 30. Hochzeitstag in den entschleunigten Highlands zu feiern: zunächst im Nachtzug bis Inverness, danach weiter im Land Rover, den sie auf einem Parkplatz stolz fotografieren. "Das ist wie Slow Food, nur auf der Straße", sagt Carol. Auf ihrem Tablet hat sie Fotos von zerklüfteten Felslandschaften, Burgruinen und der Motorhaube des Geländewagens gespeichert. Ehemann John, von Beruf Anwalt, ist ebenfalls entzückt: "Hier hat man endlich mal seine Ruhe. Hier gibt es keinen Massentourismus." Wobei ihn eine Sache dann doch stutzig macht: Im letzten Hotelzimmer habe gleich ein ganzer Stapel mit Autozeitschriften gelegen, erzählt John. Nur lesen konnte er sie nicht - die Magazine waren alle auf Deutsch.

Je nördlicher es geht, desto mehr wandelt sich die Landschaft. Aus Fels- und Grashügeln werden steile Klippen direkt am Strand. Im endlosen Grün leuchtet eine rote Telefonzelle, dahinter eine Schafsfarm und ein Briefkasten am Straßenrand, der laut Aushängetafel täglich geleert wird. Wenn man sie mit Amerika vergleichen will, dann wirkt die NC500 jetzt eher wie der Highway No. 1, jene bildgewaltige Küstenstraße, die in Kalifornien direkt am Pazifik verläuft. Doch warum überhaupt vergleichen? Es käme ja auch niemand auf die Idee, schottischen Whisky mit amerikanischer Plörre gleichzusetzen.

Immer noch hält sich der Verkehr in Grenzen. Auch auf den einspurigen Abschnitten verläuft die Tour sichtlich entspannt. Fast alle Fahrer winken beim Entgegenkommen, es wird rangiert und gewartet. Nur ein VW-Bus mit einem jungen Mann hinterm Steuer drängelt. Laut Nummernschild kommt er aus Frankfurt.

Hinweis der Redaktion

Ein Teil der im "Mobilen Leben" vorgestellten Produkte wurde der Redaktion von den Herstellern zu Testzwecken zur Verfügung gestellt und/oder auf Reisen präsentiert, zu denen Journalisten eingeladen wurden.

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