Süddeutsche Zeitung

Kühtai:Adel verpflichtet

Das Jagdschloss Kühtai hat neue Besitzer. Die wollen der kaiserlichen Tradition treu bleiben.

Von Dominik Prantl

Was für ein Schlüssel! Gut, vielleicht fällt das jetzt nur auf, weil moderne Hoteltüren heute Kartenschlitze statt Schlüssellöcher haben und der Zimmerschlüssel als Hotelrequisit damit fast so selten geworden ist wie Bettpfannen oder Öllampen. Aber dieser Schlüssel zu Zimmer Nummer acht liegt mit seinem grob geschätzten halben Kilogramm echt schwer in der Jackentasche. Dafür passt er wunderbar in ein gewaltiges, aus Eisen geschmiedetes Türschloss, das einem beim Öffnen ein wenig Schlossherren- oder wenigsten Kerkermeistergefühl vermittelt. Ach, Magnetkarte, was bis du für ein armseliges Ding!

Wer dann aus dem Zimmer tritt, nein: schreitet, blickt nicht in einen langweiligen Flur mit jeder Menge Türen wie sonst in Hotelkorridoren von Wladiwostok bis Sevilla. Er sieht eine Decke mit spätgotischem Kreuzgewölbe, am Boden hölzerne Truhen, und beim Schreiten knarzen die Holzdielen, dass man sich an die Worte des Hotelangestellten erinnert: "Die Fürstenzimmer könnten ein bisschen laut sein."

Der Hausherr, den jeder Graf Christian nennt, ist ein Ururenkel von Kaiser Franz Joseph I.

In einer Branche, in der die Charakterlosigkeit von Hotels heute weit über den bloßen Magnetkarten-Konformismus hinausreicht und sich in Personal, Optik und Böden frisst, ist das Jagdschloss in dem Tiroler Wintersportort Kühtai auf 2000 Metern auch nach dem jüngsten Besitzerwechsel ein Unikat. Und mag es gelegentlich noch knarzen, nicht allein vor den Zimmern, sondern auch im neu aufgestellten Service, blieb dem denkmalgeschützten und bisher nur im Winter geöffneten Hotel mit den 39 Zimmern zumindest im ersten Stock des Haupthauses die Aura des Adligen erhalten. Das gilt auch für den De-facto-Hausherren, der in Deutschland laut Protokoll weiterhin unter Seine Erlaucht Christian Graf zu Stolberg-Stolberg firmiert und dessen Ururgroßvater Franz Joseph I. nicht nur Jagdschlossbesitzer war, sondern auch Kaiser von Österreich. Seine Erlaucht sagt aber, dass ihn heroben eh nur jeder Graf Christian nennt.

Graf Christians Rolle besteht darin, der in solchen Hotels manchmal anstrengenden Förmlichkeit eine kameradschaftliche Note zu geben. Bei dem Gästespektrum ist das eine echte Leistung: Unternehmensberater, Manager, viele sonstige Alphatiere. Beim Abendessen ermahnt die Dame in fescher Trachtenjacke ihre Kinder auf Hochdeutsch, während der Herr daneben, gescheitelte Haare, auch jetzt im Urlaub immer daran arbeitet, einen ganz wichtigen Eindruck zu machen. Am anderen Nebentisch unterhalten sich Menschen unüberhörbar vor allem darüber, wie andere Menschen aussehen. Auf alles blicken der in die Jahre gekommene Franz Joseph aus seinem Bilderrahmen mit strengem Ausdruck und der agile Graf Christian mit einem Lächeln. Er kann mit wichtigen Kunstspediteuren ("Unser ältester Gast. 97 ist er!") genauso über Picasso parlieren, wie er mit Enddreißigern über Gott und die Welt plaudert. Wer mit ihm plaudert, stellt schnell fest, dass ihm das Gebäudeensemble im Oberinntaler Bauernhausstil mit den rot-weißen Fensterläden am Herzen liegt, obwohl es ihm gar nicht mehr gehört.

Als ihm vor einigen Jahren klar wurde, dass seine fünf in Hamburg sozialisierten Kinder nicht viel mit dem Hotelgewerbe und dem alten Anwesen auf knapp 2000 Metern anfangen können ("Sie haben einfach nicht den Stallgeruch"), hat er es deshalb auch nicht irgendeinem Interessenten anvertraut. Nicht den Chinesen, die das denkmalgeschützte Gebäude gerne für ihr Disneyland-Portfolio gehabt hätten. Nicht dem Russen, der unbedingt die nur wenige Meter vom Jagdschloss entfernte Hofkapelle mit auslösen wollte, obwohl dort auf dem Friedhof die Eltern des Grafen beerdigt liegen. Und auch nicht den Ukrainern, die deutlich mehr geboten hatten. Aber als Margit Gstadtner, die Frau des Tiroler Bauträgers Armin Ennemoser auf der Weihnachtsfeier 2015 im Jagdschloss - so erzählen es beide Seiten - zu später Stunde schwärmte: "Mei, Herr Graf, ham Sie's hier schön. Wenn Sie es mal hergeben, dann sagen Sie es uns", da sprach der Graf ganz lapidar: "Ja, ich geb's eh her."

Ennemoser und dessen Geschäftspartner Martin Baldauf wissen als neue Besitzer trotz aller Restaurierungsbestrebungen, dass etwas verloren gehen würde ohne den Vorgänger, der sich in feiner Selbstironie ein Buch über die Seitensprünge der Habsburger zulegte, um seine fünf Kinder von drei Ehefrauen zu er- und verklären. "Das war die Abmachung: Dass er uns erhalten bleibt", sagt Ennemoser. Man reißt ja auch nicht einfach die Holzvertäfelungen aus den Fürstenzimmern. Im Laufe der Jahre ist der Graf nämlich selbst ein Teil des Hotels geworden; er ist der gute Geist des Hauses oder auch der gute Hausgeist, so genau lässt sich das bei einem Gebäude mit Gewölben und Habsburger-Kaisern an der Wand nicht auseinanderhalten. Manch einer der Gäste kennt den 64-Jährigen noch aus jenen Zeiten, als der kleine Christian seinem Vater beim Melken der 30 Kühe half. Er legt Wert auf seine "bescheidene Erziehung" und dass zu dem Anwesen ja auch ein landwirtschaftlicher Betrieb gehört. "Im Sommer grasen hier die Pferde", sagt er mit einem Blick auf die Pisten hinterm Schlösschen.

Der Neue hat viele Pläne. Vielleicht wird das Hotel sogar im Sommer geöffnet

Bei aller Bescheidenheit fühlt er sich auch der Geschichte des Hauses verpflichtet. Sie beginnt für Chronisten um 1280, als der ganzjährig bewirtschaftete Schwaighof erstmals unter dem Namen Chutay im Grundsteuerbuch des Tiroler Grafen auftauchte. Der in Tirol noch heute halbgottgleich verehrte Kaiser Maximilian I. jagte hier im 15. Jahrhundert Gämsen und Murmeltiere; Erzherzog Leopold V. gab der im Grundbuch sei jeher als Schutzhaus aufgeführten Herberge 1625 ihre heutige Form. Das luxuriöseste der sieben historischen Doppelzimmer trägt noch immer seinen Namen, Suite Leopold, auch wenn die alten Kachelöfen schon vor einiger Zeit schmalen Badezimmern weichen mussten. 1893 schließlich übernahm Kaiser Franz Joseph das Jagdschloss, reichte es weiter an die Lieblingstochter Marie Valerie, die es wiederum ihrer Tochter Hedwig 1917 zur Hochzeit mit Bernhard zu Stolberg-Stolberg schenkte. So kam es in Besitz des deutschen Adelsgeschlechts.

Auch der Graf weiß, dass mit den Eigentümern aus Innsbruck eine neue Zeitrechnung beginnt. Es ist ja nämlich so: Wenn man durch die Fürstenzimmer oder den Gang des ersten Stocks schreitet, dann mag man die Vergangenheit betreten. Wer aber aus den Fenstern blickt, sieht die Gegenwart. Pisten und Lifte, ein Igluhotel sowie eine gewaltige Sprungschanze, auf der sich neuerdings einmal pro Jahr die britische Halbprominenz telegen hinabstürzt. Oberhalb des so ländlich wirkenden Jagdschlosses verteilen sich die Sünden der vergangenen 50 Jahre, ein Touristendorf mit Hotels ohne Charme und Geschichte.

Auch Armin Ennemoser will mehr als nur die Geschichte verwalten. Terrasse und Keller sind bereits erneuert, die alte Bar ist mit Hilfe des Architekten Armin Kathan einer geräumigen und gelungenen Lounge gewichen, der Ausbau des noch spärlichen Saunabereichs soll folgen. Ennemoser blickt aber auch über das Schloss hinaus. Er möchte Kühtai als Ferienort vorantreiben, spricht vom "Entwicklungspotenzial zwischen Jagdschloss und Dorfstadl". Er meint damit jenes Land, das er beim Kauf mit erworben hat und wozu die alte Post gehört. Sie soll schon im Sommer ein Chalet für junge Skifahrer und Boarder werden, "mit dem Playground vor der Nase". Und überhaupt sei das Kühtai einer der "besten Skitourenspots der Ostalpen". Vielleicht wird das Hotel langfristig sogar im Sommer geöffnet.

Graf Christian ist nur recht, dass sein Nachfolger so denkt, nur ist ihm ein Wunsch schon wichtig: "Auf dem Friedhof der Kapelle will ich auch einmal beerdigt werden."

Jagdschloss Innsbruck-Kühtai, Preis im DZ mit HP ab 195 Euro pro Person, im Fürstenzimmer 225 Euro, gültig ab drei Übernachtungen, geöffnet bis 30. April, Tel.: 00 43/52 39/52 01, www.jagdschloss-innsbruck-kühtai.at

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SZ vom 23.03.2017
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