Süddeutsche Zeitung

Kroatien:Unschönes Ende

Nach der Reisewarnung mussten Tausende Urlauber stundenlang an der österreichischen Grenze warten. Und auch für den Tourismus in Kroatien sind die Folgen gravierend.

Von Felix Haselsteiner

Eigentlich, sagt Michaela Hohner, sei ihr Urlaub in Kroatien "wunderschön" gewesen. Auf einem Campingplatz in Funtana, einem kleinen Städtchen an der Küste Istriens, hatte Hohner sich mit ihrer großen Familie eingemietet. "Es war alles sehr gut organisiert", sagt Hohner: Die Liegen am Pool wurden desinfiziert, alle hätten sorgfältig Masken getragen und Abstand gehalten. Und, na ja, "beim Einkaufen ist es ein bisschen enger, da ist es ja in Deutschland auch nicht anders". Die ganze Familie habe versucht, sich "verantwortungsvoll zu verhalten" in Kroatien und sich alles in allem "sehr sicher" gefühlt beim Campen.

Der Grund, warum der Kroatien-Urlaub 2020 am Ende aber wohl in die Familiengeschichte eingehen wird, und warum er auch nur "eigentlich" wunderschön war, liegt an dem Drama, dass sich etwa 250 Fahrtkilometer nördlich von Funtana abgespielt hat. Auch die Hohners, mit zwei Autos unterwegs, hatte es in der Nacht von Samstag auf Sonntag auf der Rückreise erwischt: Wie viele Tausende Touristen waren sie in den Stau am Karawankentunnel geraten. Bis zu 15 Stunden hatten Autoreisende in einer langen Nacht an der slowenisch-österreichischen Grenze verbringen müssen, weil die Grenzbehörde in Kärnten eine Verordnung des österreichischen Gesundheitsministeriums so interpretiert hatte, dass sie lückenlos jedes Auto kontrollierten, das durch Österreich durch- oder nach Österreich einreisen wollte.

Was die Betroffenen erzählen, erinnert an vieles, aber nicht an eine Heimreise aus dem Urlaub in Kroatien: "Es war volles Chaos auf der Autobahn, man hat nicht schlafen können, es gab keine Informationen, keine Getränke, nichts", sagt Hohner, sie klingt dabei immer noch schockiert und will Antworten bekommen, wie es dazu kommen konnte, denn: "Die Erholung, die war natürlich futsch."

Auch Steven Elster und seine Freunde standen in der Nacht am Karawankentunnel, er berichtet davon, dass die Menschen nach der langen Wartezeit aggressiv wurden, und dass die Informationspolitik "eine Katastrophe" gewesen sei: "Es ging am Ende ganz sicher nicht mehr um die Gesundheit aller Beteiligten, um die es ja eigentlich gehen sollte."

Was die Geschichte von Familie Hohner und die von Elster verbindet, ist nicht nur, dass sie eine denkwürdig lange Nacht im Stau zu durchleiden hatten, sondern dass sie bis heute nicht verstehen, warum es überhaupt zu dieser verkorksten Heimreise kommen musste: "Wir haben uns sehr sicher gefühlt in Kroatien", sagt Frau Hohner, und so beurteilen das viele Kroatien-Urlauber. Elster etwa war mit einer Gruppe von Freunden erst in Punat auf der Halbinsel Krk zelten, dann mit einem gemieteten Boot auf den Kornaten unterwegs. Es war, wie bei den Hohners, ein "wunderschöner" Urlaub, sagt er. Erst mit den plötzlich verhängten Reisewarnungen aus Deutschland und Österreich habe sich die Lage ins Chaos gedreht.

Davon kann auch der Münchner Radioreporter Oliver Luxenburger berichten, der auf der Insel Rab seinen Urlaub verbrachte. Luxenburger sagt, er habe sich in Kroatien gut aufgehoben gefühlt: "Ich hatte nicht den Eindruck, dass es in Kroatien gefährlicher ist als bei uns." Dann jedoch erreichte ihn die Nachricht, dass auch sein Urlaubsort von der Reisewarnung betroffen war, die Deutschland am vergangenen Donnerstag verhängt hatte. Es folgte ein Telefonstress: "Wir haben in unserer Verzweiflung dann alle angerufen: Das italienische Konsulat in München, den ADAC, das Auswärtige Amt - bei keinem haben wir Informationen bekommen."

Die Informationspolitik der Behörden, egal ob in Deutschland, Österreich, Slowenien oder Kroatien ist einer der Hauptkritikpunkte der Touristen. In der durch die Verordnungen herbeigeführten chaotischen Situation habe niemand mehr Bescheid gewusst, am Ende mussten das vor allem die Betroffenen in den Ländern ausbaden, die sich nun in sozialen Netzwerken auch noch mit dem Vorwurf auseinandersetzen müssen, ja selbst daran schuld zu sein: "Wir haben uns immer informiert, waren vorsichtig und ja bei der Einreise auch in keinem Risikogebiet", entgegnet Michaela Hohner; auch damit spricht sie für viele Touristen.

Wie unübersichtlich die Zustände waren, mit denen sich Reisende zurechtfinden mussten, zeigen nicht nur die Staus an den Grenzübergängen, sondern auch Geschichten wie die, die Luxenburger erzählt: Er habe erst in Kroatien einen Test machen wollen, um weiterreisen zu können, aber von der Teststelle in Rijeka bis heute keine Antwort auf seine Anmeldung zum Verfahren bekommen. Nach seiner Rückkehr in München habe er dann wiederum bei keiner der drei Teststellen einen Termin bekommen. "Frühestens im September gäbe es Termine, hieß es da", sagt er.

Bei all den Geschichten über sich vorbildlich verhaltende Touristen, die an der Adria mit genauso viel Abstand ihren Urlaub verbracht hätten wie andere an Seen und Flüssen in Deutschland, bleibt die Frage, wo genau in Kroatien die Cluster waren, die letztendlich zu den Reisewarnungen führten. 8530 Fälle zählt Kroatien nach aktuellem Stand, zuletzt gab es am Dienstag 219 Neuinfektionen. Das Land an der Adriaküste hat zwar nur einen Bruchteil der Einwohner Deutschlands (rund vier Millionen), dennoch wirken die Zahlen im Vergleich zu den Neuinfektionen in Deutschland - 1278 neue Fälle am Dienstag - zumindest nicht deutlich alarmierender.

Vor allem nicht bei genauerer Betrachtung, wie Denis Ivosevic hervorhebt. Ivosevic ist Direktor des Tourismusverbandes in Istrien, wo die Corona-Zahlen im innerkroatischen Vergleich weiterhin am niedrigsten sind: "Der Süden des Landes ist wesentlich mehr betroffen als wir", sagt er - und lobt die deutschen Behörden, die ihre Reisewarnung nicht so generell ausgesprochen hätten wie etwa Österreich und Slowenien (die Warnung des Auswärtigen Amtes gilt aktuell für Gespanschaften Šibenik-Knin und Split-Dalmatien). "Dass Deutschland eine regionale Unterscheidung macht, ist sehr gut, die Zusammenarbeit ist gut - Österreichs Handeln war dagegen harsch und hatte signifikante Folgen", sagt er, es habe eine deutliche Abreisewelle gegeben.

Überhaupt habe man in Istrien die ganze Saison schon mit Falschinformationen vor allem aus Italien und Österreich zu tun, sagt Ivosevic. Zwei Ländern also, die selbst offen versuchen, ihre Bevölkerung zum Urlaub im eigenen Land zu motivieren: "Es ging darum, dass wir lügen würden und die Zahlen in Istrien in Wahrheit höher seien, dass die Wasserqualität schlecht sei, solche Themen", sagt Ivosevic. Dabei habe man in Istrien von Mai an vorbildlich gehandelt, alle Veranstaltungen in der Sommersaison abgesagt und Konzepte erarbeitet: "Wir haben viel investiert, um den Urlaub für alle Beteiligten sicher zu machen", sagt Ivosevic, der sich vor den Folgen der negativen Berichterstattung fürchtet: "Für die Saison 2021 mache ich mir Sorgen, wenn Leute sich dann nicht mehr wohlfühlen bei Urlaubsbuchungen in Kroatien."

Wenn also die Istrier nicht schuld sind, woher kommen dann die Infektionen in Kroatien? Josko Stella, Direktor des Tourismusverbandes in Dalmatien, in der Region des Landes also, vor der auch Deutschland seine Bürger warnte, gibt eine Antwort: "In Split gab es vielleicht drei von zehn Clubs, in denen Fehler passiert sind, in denen Menschen unvorsichtig waren", sagt er. Seine Region sei jedoch keine Partyhochburg, betont Stella im selben Satz, auch in Dalmatien seien schließlich alle Veranstaltungen abgesagt und die Regeln zuletzt verschärft worden. Tatsächlich dürfen Nachtclubs nicht mehr unbegrenzt lange offen haben, teilweise wurden sie komplett geschlossen. Innerhalb Kroatiens, das erzählen Kenner der Tourismusbranche, gilt eine gewisse Sorglosigkeit der Bewohner Dalmatiens im Umgang mit den Hygieneregeln dennoch als Auslöser der aktuellen Probleme.

Boris Duša vom Hotel Park in Split sieht die Schuld bei einigen wenigen: "Man hat immer ein paar Clubs, die die Regeln nicht befolgen, und dann hat das schwerwiegende Folgen für uns alle", sagt Duša, der in den vergangenen Tagen dreimal so viele Absagen wie Buchungen für den Rest der Saison verkraften musste. "Die Mehrheit" aber, so der Hotelchef, würde sich an die Regeln halten: "Ich sehe täglich, dass die, die Regeln nicht befolgen, die Ausnahme sind."

Waren es also wirklich ein paar unvorsichtige Clubs in Split, die den Anstieg der Infektionszahlen und in der Folge die Reisewarnungen auslösten? Eine Frage ohne gesicherte Antwort, mit Sicherheit feststellen lassen sich nur die Folgen für den kroatischen Tourismus, der etwa ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts ausmacht: Die Menschen, die damit ihr Geld verdienen, müssen nun hinnehmen, dass das Ende der Saison nicht mehr viel einbringen wird. Und die von Österreich ausgesprochene Reisewarnung könnte als Bumerang auf den dortigen Tourismus zurückkommen. Für Familie Hohner steht nach dem Drama vom Sonntag jedenfalls fest: Österreich wird sie so schnell nicht mehr sehen. "Den Skiurlaub haben wir storniert, da fahren wir definitiv nicht mehr hin."

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SZ vom 27.08.2020
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