Krise in Neapel:Soldaten zum Schutz vor der Mafia

Verstärkt patroullieren Polizisten zum Schutz von Einwohnern und Touristen. Doch angesichts der jüngsten Mordtaten wird in der süditalienischen Mafiahochburg wieder einmal der Ruf nach der Armee laut.

Die erste Bluttat des jüngsten Wochenendes in Neapel ereignete sich am Freitag: Ein junger Mann überfiel einen Zigarettenhändler, ließ dessen Sohn niederknien und schob ihm einen Sieben-Millimeter-Revolver in den Mund. Da gab der Tabakhändler den tödlichen Schuss auf den Eindringling ab: "Ich musste doch meinen Jungen schützen!"

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(Foto: Foto: Reuters)

Ein paar Stunden später starb eine 45-jährige Frau, die Gangster streckten sie in einem Sportgeschäft nieder, im Juni waren ihre beiden Söhne getötet worden. "Abrechnung der Clans", heißt so etwas in Neapel.

Das dritte Verbrechen wird in Neapel "Mord aus Leidenschaft" genannt, es ereignete sich ausgerechnet in der Vorstadt Pozzuoli, wo Sophia Loren aufwuchs, und natürlich ging es um eine schöne Frau - eigenartig war diesmal allerdings, dass der Mörder erst 16 Jahre alt war.

Eigentlich ist die Mordwelle nicht wirklich ungewöhnlich, ein "blutiges Wochenende in Neapel" eben, wie das die italienischen Medien ansonsten lakonisch nennen. Doch diesmal geht ein Aufschrei durch das Land. "Inferno Neapel", titelt die Zeitung La Stampa aus dem fernen Turin, "tödliches Krebsgeschwür der Gewalt", meinen Kommentatoren. "Die Stadt ist wie der Irak", heizt ein Politiker der populistischen Lega Nord die aufgeheizte Stimmung an. "Statt dass wir die Demokratie exportieren, schaffen wir doch den Rechtsstaat bei uns zu Hause!"

Wieder einmal geht der Ruf nach der Armee um - können Soldaten die Stadt aus den Fängen der Gewalt und der Camorra retten?

Noch sind die Wunden des letzten "Mafiakrieges" nicht verheilt, erst gut ein Jahr ist es her, dass das große Morden endete. Über 100 Menschen starben damals, von Profi-Killern mitten auf den Straßen der Stadt umgebracht - und das nur, weil sich die Mafiaclans gegenseitig ins Gehege gekommen waren.

Bereits damals wurde die Polizei verstärkt, über 13.000 Polizisten, Carabinieri, Streifenbeamte und zivile Fahnder sind derzeit im Einsatz. Das sind drei Mal mehr als der harte Kern der Mafia-Gangster, wie Experten schätzen - doch genutzt hat diese "Überzahl" bisher auch nichts.

"Die Armee kann vielleicht ein paar Spaziergängern und Touristen ein Gefühl der Sicherheit geben", meint Staatsanwalt Giandomenico Lepore. Gegen die Allmacht des Verbrechens aber sei sie machtlos: Auf sage und schreibe 16 Milliarden Euro wird der "Jahresumsatz" der neapolitanischen Camorra geschätzt, was könnten da ein paar Hundert Soldaten schon ausmachen?

Bereits vier Mal seien Soldaten in den vergangenen zehn Jahren in Neapel eingerückt, durchgreifende Verbesserung hätten sie nicht gebracht. "Nur ein Dummkopf kann annehmen, dass die Armee solche Verbrechen wie in Pozzuoli verhindern könnte", meint auch der Präsident der Region Kampanien, Antonio Bassolino.

Erst kürzlich hatte der junge Italiener Roberto Saviano das ganze Ausmaß der Mafia in Neapel in aller Offenheit beschrieben. "Gomorra" heißt das Buch, eine Anspielung auf den biblischen Sündenpfuhl Sodom und Gomorrah, in dem der junge Mann beschreibt, wie sehr die "Paten" bereits zum Teil der Gesellschaft geworden sind, wie sehr sie "integriert" sind in Neapel. "90 Prozent ihres Alltags verbringen sie wie ganz normale Firmenchefs. Sie geben sich nach außen wie Gewinner.

Manche legen sich ein Image zu wie das ihrer Vorbilder im Fernsehen." Über die Hälfte der jungen Leute zwischen 25 und 29 Jahren in der Region sind arbeitslos, die Mafia gilt als der größte Arbeitgeber, da werden die Bosse selbst zu Vorbildern, meint Saviano. Für seine mutigen Worte muss der junge Mann jetzt bitter bezahlen: Er erhält Morddrohungen der Mafia, der Staat stellt ihm Bodyguards - "Sodom und Camorra" eben.

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