Krise in der Reisebranche:Kürzer, näher, günstiger

Der Londoner Zukunftsforscher Rohit Talwar schätzt die Lage der Tourismusbranche als ernst, aber nicht hoffnungslos ein.

Hans Gasser

Rohit Talwar ist Chef der Londoner Unternehmensberatung Fast Future. Seine Firma ist spezialisiert auf die Erforschung zukünftiger Szenarien für die Reise- und Tourismusindustrie. Auf dem ITB-Kongress spricht er über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Tourismuswirtschaft. Er erklärt, wie weitreichend diese sein werden und welche Strategien es für Veranstalter und Kunden dagegen gibt.

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(Foto: SZ-Grafik: Michael Mainka)

SZ: Haben Sie die Krise vorhergesehen?

Talwar: Ja, und das war auch nicht besonders schwierig. Schon 2006 haben wir Szenarien eines Zusammenbruchs für unsere Kunden entwickelt. Wir dachten, es würde etwas früher passieren, aber wir haben die Intensität der Krise unterschätzt. Einige Kunden haben auch reagiert auf unsere Warnungen, zum Beispiel haben sie schon zuvor die Preise für ihre Hauptkunden stark gesenkt und etwa denjenigen Nachlässe gewährt, die sich verpflichtet haben, ihre Meetings in den nächsten drei Jahren bei ihnen abzuhalten.

SZ: Wie ist die Stimmung in der Reisebranche?

Talwar: Grundsätzlich regiert die Nervosität. Aber es hängt ein bisschen von Land und Märkten ab. In den USA werden viele Flugstrecken geschlossen, das Tagungs- und Geschäftsreisegeschäft ist ziemlich stark eingebrochen. Urlaubsreisen im Inland hingegen verkaufen sich relativ gut. Auch in Europa beginnt man viel kürzer und in weniger entfernte Gegenden zu reisen. In Großbritannien registrieren wir große Nachfrage nach Urlaub im eigenen Land, und der Markt für Caravaning läuft sehr gut. Im verwöhnten Dubai liegt die Hotelauslastung nur noch bei 50 Prozent, oft sogar darunter.

SZ: Wie stark werden die Auswirkungen der Krise auf den Tourismus sein?

Talwar: Wir sagen unseren Kunden, zu denen auch viele Hotels gehören: Rechnet damit, dass euer Umsatz in der ersten Hälfte 2009 um 20 Prozent unter dem des vergangenen Jahres liegt. In der zweiten Jahreshälfte erwarten wir eine gewisse Erholung. Aber Ende 2010 rechnen wir mit einer neuerlichen Delle bei der Nachfrage - zu groß sind die strukturellen Probleme im Bankensektor.

Wir rechnen bis Ende 2009 mit dem Verschwinden von 30 bis 50 Fluggesellschaften, speziell kleinerer Billigfluglinien. Es wird zu großen Zusammenschlüssen in der Reiseindustrie kommen.

SZ: Welcher Unterschied besteht zwischen einer Tourismuskrise, die von Epidemien oder Terror ausgelöst wird, und jener, die von einer Rezession ausgeht?

Talwar: Die Fundamente der Wirtschaft werden bei den normalen Krisen nicht berührt, doch eine Wirtschaftskrise berührt alle Sektoren. Viele Leute werden nervös, stecken sich gegenseitig an. Gerade die Reiseindustrie, die in den vergangenen Jahren hohe Umsätze verbuchte, muss sich mehr anstrengen. Man muss kreativer sein als bisher, seine Stammkunden umwerben. Hotels werden Unternehmen gute und günstige Möglichkeiten bieten müssen, ihre Tagungen dort abzuhalten. Statt auf große Events und Firmen zu hoffen, wird man sich etwa an die Rentner wenden müssen, eine Gruppe, die relativ krisenresistent ist.

Lesen Sie weiter, welche Länder von der Krise profitieren könnten.

Kürzer, näher, günstiger

SZ: Sie raten Unternehmen, durch Umweltschutz Kosten zu sparen - aber zurzeit ordnen Politiker etwa den Klimaschutz wieder der Wirtschaft nach.

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(Foto: SZ-Grafik: Michael Mainka)

Talwar: Viele Politiker denken und handeln zu kurzsichtig. Es geht ja nicht nur darum, aus der Krise zu kommen, sondern langfristig unsere Wirtschaft zu erneuern. Investitionen in die Entwicklung spritsparender Flugzeuge oder alternativer Antriebe werden neue Jobs schaffen und weit über die Bewältigung der jetzigen Probleme hinausreichen.

Für Hotels ist der Umweltschutz eine vortreffliche Möglichkeit, Kosten zu sparen. Weniger Energie und weniger Müll bedeutet weniger Kosten. Hier sind die Hoteliers gefordert, auf ihr Personal, auch auf ihre Gäste zu hören. Aber auch die Hoteleigner müssen langfristiger denken, als immer nur bis zur Auslastung der Zimmer für die nächste Saison. Investitionen etwa in Solaranlagen lohnen sich vielleicht erst nach 15 Jahren, aber sie lohnen sich.

SZ: Wie wird der durchschnittliche Tourist auf die Krise reagieren?

Talwar: In unseren Umfragen äußern die Leute, dass sie längeren Urlaub, exotischere Ziele sowie gleichbleibende Gehälter erwarten. Aber die Wirklichkeit wird anders aussehen. Die Leute werden noch kürzer verreisen als bisher schon. Sie werden eher in einem näheren Umkreis ihrer Heimat den Urlaub verbringen.

Es wird eine Entwicklung weg von riesigen, unpersönlichen Resorts geben, hin zu einem authentischeren, unverwechselbareren Urlaub. Süd- und Ostasien werden einen ziemlichen Niedergang des Tourismus erleben, wenn man an Pakistan, Indien oder Sri Lanka denkt - alles Länder, in denen sich Anschläge und Krisen häufen und die deshalb von Reisenden gemieden werden.

SZ: Welche Urlaubsländer könnten von der Krise profitieren?

Talwar: Der Nahe Osten könnte profitieren, Ost- und Zentraleuropa, auch die ländliche, natürliche Seite der Vereinigten Staaten sowie ganz bestimmt Zentral- und Südamerika.

SZ: In diesem Jahr gehen zehn neue Kreuzfahrtschiffe in Betrieb - ein Zukunftsmarkt?

Talwar: Als die Schiffe vor Jahren bestellt wurden, lief das Geschäft gut. Nun gibt es eine große Überkapazität, die Nachfrage wird wegbrechen. Nur wenn es den Reedern gelingt, wirklich sehr günstige und besondere Kreuzfahrten anzubieten, haben sie eine Chance.

Die Endstation der Geschichten-Reise führt in die Villa Sorgenfrei in Radebeul bei Dresden.

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