Süddeutsche Zeitung

Kreuzfahrtschiffe in Venedig:Schlammschleudern

Es klang wie eine gute Nachricht, als Anfang August beschlossen wurde, dass große Kreuzfahrtschiffe bald nicht mehr mitten durch das historische Zentrum Venedigs fahren dürfen. Doch gewonnen hat die Lagunenstadt dadurch womöglich wenig.

Von Thomas Steinfeld, Venedig

Als eine Kommission der italienischen Regierung Anfang August beschloss, dass ab November dieses Jahres keine großen Kreuzfahrtschiffe mehr mitten durch das historische Zentrum Venedigs, am Markusplatz vorbei und durch den Canale della Giudecca fahren dürfen, klang die Entscheidung zunächst wie eine gute Nachricht. Es mag aber sein, dass die damit verbundene Genugtuung vor allem etwas mit Ästhetik zu tun hatte: In Zukunft wird es die monströse Darbietung nicht mehr geben, dass ein eiserner Koloss moderner Technik, so groß wie eine ganze Stadt, sich seinen Weg quer durch das filigrane Gewirr einer über tausend Jahre alten Stadt bahnt, so dass sich an deren anderem Ende jeweils bis zu viertausend Passagiere in die alten Gassen ergießen können - fast zwei Millionen Besucher kommen in jedem Jahr auf diese Weise in die Stadt.

Gewonnen hat Venedig dadurch womöglich wenig: Denn dieselben Schiffe sollen nun durch den Canale Contorta, am südlichen und westlichen Rand der Lagune vorbei, von hinten an den Passagierhafen der Altstadt geführt werden. Zu diesem Zweck muss eine Fahrrinne, die heute höchstens drei Meter tief und dreißig Meter breit ist, auf das Vier- bis Siebenfache vergrößert werden. Die Folgen, die ein solcher Eingriff für das komplizierte ökologische System der Lagune haben wird, sind bekannt: Der in den späten Sechzigerjahren gegrabene Canale dei Petroli, über den die Öltanker die Raffinerien von Marghera erreichen, trägt, seit es ihn gibt, wesentlich dazu bei, den Sand und den Schlamm der Lagune ins offene Meer zu tragen. Er sorgt darüber hinaus dafür, dass die Häufigkeit und die Stärke der Hochwasser zunehmen. Das Fortbestehen der Lagune demgegenüber ist nun aber davon abhängig, dass Ebbe und Flut sie nur mit erheblich reduzierten Amplituden erreichen und dass sich darin allenfalls schwache Wellen bilden - und beides hat mit Wassertiefen zu tun. Setzt sich der Abfluss der Sedimente über eine zu lange Zeit fort, verwandelt sich die Lagune in eine Meeresbucht.

Ohnehin ist umstritten, welchen Nutzen die über tausend Kreuzfahrtschiffe, die Venedig in jedem Jahr anlaufen, überhaupt haben: Unbestritten sind lediglich die Einnahmen der Hafengesellschaft, während die Passagiere selbst, die sich meistens nur wenige Stunden in der Stadt aufhalten und dabei allenfalls Geld für ein Souvenir ausgeben, deutlich weniger zur Ökonomie der Stadt beitragen. Auf 260 Millionen Euro und mehrere Tausend Arbeitsplätze beziffert die Hafengesellschaft die durch die Kreuzfahrtschiffe pro Jahr generierten Einnahmen, und in dieser Argumentation wurde sie bislang von der Stadtregierung unterstützt (die nun allerdings wegen Korruption suspendiert ist).

Unterdessen erklären die Denkmalschützer von "Italia Nostra", die Schäden an der historischen und ökologischen Substanz seien weit größer. Darüber hinaus monieren sie, es gebe gar keine unabhängigen Gutachten zum Bestand und zu den Folgen eines solchen Eingriffs in die Lagune - alles, was bisher vorliege, sei entweder unter Einfluss der Hafengesellschaft entstanden oder allenfalls vorwissenschaftlich.

Die Entscheidung vom August wird im November rechtskräftig werden. Bis dahin setzen "Italia Nostra" und die Bürgerinitiativen, die sich schon gegen die Gegenwart der "grandi navi" in der Altstadt gewehrt hatten, ihren Widerstand mit neuem Ziel fort: kein Ausbau des Canale Contorta.

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SZ vom 23.08.2014/ihe
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