Trinkgeld auf der Kreuzfahrt:Ärger um die Zwangszahlung

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Viele hilfreiche Geister werden von Passagieren gar nicht gesehen - ist dann Trinkgeld nur für den Kellner fair? Und wird eine Pflichtabgabe gerecht aufgeteilt?

(Foto: Sheila Jellison/Unsplash)

Vom Bordkonto abgebucht oder auf den Reisepreis aufgeschlagen: Das Thema Trinkgeld bringt Kreuzfahrturlauber in Wallung. Doch schon früher wurden Gäste gedrängt, Personal zu bezahlen - sogar im Privathaus.

Von Franz Neumeier

In manchen Kulturen gilt das Geben von Trinkgeld als schwere Beleidigung - zum Beispiel auf den touristisch wenig erschlossenen Marquesas-Inseln in Französisch-Polynesien, aber auch abseits der touristischen Zentren in Japan und China. Fast im gesamten Rest der Welt ist das anders. Besonders heiß diskutiert wird aber die Trinkgeldpraxis auf Kreuzfahrten. Viele internationale Reedereien setzen ihre Passagiere unter moralischen Druck, über den bereits bezahlten Reisepreis hinaus relativ hohe Summen an Trinkgeldern zu geben: für Kellner, Stewards und Mitarbeiter im Hintergrund, die man nie auch nur zu Gesicht bekommt.

Die Beträge variieren je nach Reederei von vier Euro bis 15 Dollar pro Tag und Passagier, in Suiten noch mehr. Bei einer einwöchigen Reise kommen für zwei Personen zusätzliche Kosten von bis zu 210 Euro zusammen. Überraschend kommt das freilich nicht, denn Kataloge und Reisebüros informieren darüber. Dennoch reagieren viele Passagiere empfindlich, wenn auf diese Weise über ihr Geld verfügt wird.

Reedereien argumentieren, dass Trinkgelder zu besserem Service motivierten. Passagiere kontern: Motivation der Mitarbeiter sei nicht Aufgabe der Gäste, sondern der Reederei. Erfahrene Kreuzfahrtgäste nehmen es dagegen meist gelassen, kalkulieren den Trinkgeldbetrag in ihr Reisebudget mit ein und lassen sich davon die Urlaubsstimmung nicht verderben.

Reedereien mit größerem Marktanteil in Deutschland vermeiden den Konflikt größtenteils und rechnen das Trinkgeld gleich in den Reisepreis ein: Aida, Tui Cruises, Costa, Celestyal Cruises und Hurtigruten auf der norwegischen Postschiffroute verfahren so. International ist das Trinkgeld bei Luxusreedereien häufig im Reisepreis inklusive (siehe unten stehende Grafik). Der Rest der Branche jedoch erwartet von seinen Kunden Trinkgeld. In der Marketingsprache heißt das dann beispielsweise: "die exzellente Servicequalität anerkennen und honorieren". Bei den meisten Reedereien steigen die Trinkgeldbeträge stetig an - allein in den vergangenen fünf Jahren um bis zu 25 Prozent. Da liegt der Verdacht nahe, Trinkgeld sei in Wirklichkeit eine versteckte Preiserhöhung.

Besonders ärgerlich finden viele Passagiere die gängige Praxis, das Bordkonto automatisch und ungefragt mit festen Trinkgeldbeträgen zu belasten. Viele halten diese Gebühren für Abzocke und wollen nicht für Service bezahlen, der mit dem Reisepreis eigentlich längst beglichen ist. Sie würden lieber persönliche Trinkgelder für besonders guten Service geben, statt in ein wenig transparentes Pauschalsystem einzuzahlen. Der eine oder andere schützt solche Argumente aber auch nur vor, um Geld zu sparen.

Zwingend verlangt werden darf das Trinkgeld nach einem BGH-Urteil vom Mai 2015 nicht mehr. Das oft kritisierte, automatische Belasten des Bordkontos ist dagegen zulässig, solange der Passagier es ohne weiteres stornieren lassen kann. Der moralische Druck bleibt jedoch, denn das Trinkgeld ist oft ein wichtiger Teil der Einkünfte der Crewmitglieder, und die haben auf die Trinkgeldpolitik ihres Arbeitgebers keinen Einfluss.

Nicht betroffen von dem BGH-Urteil sind Servicegebühren, die vor allem internationale Reedereien auf Getränke erheben. Und da langen etliche Kreuzfahrtanbieter kräftig zu. Auf die Getränkepreise, die in der Barkarte angegeben sind, kommen nämlich noch einmal zwischen sieben und 20 Prozent drauf. Spitzenreiter sind dabei Celebrity Cruises und NCL. Die Option, dieses zwangsweise Trinkgeld zu streichen, hat der Gast nicht - auch nicht, wenn der Service wirklich schlecht sein sollte.

Wer nun aber denkt, Trinkgeld sei neu oder gar eine Erfindung der Kreuzfahrtreedereien, irrt. "Zwangstrinkgeld" hat Tradition. Schon 1882 beschrieb der Göttinger Rechtsprofessor Rudolf von Jhering das Trinkgeld in einem viel beachteten Aufsatz als "Unsitte" und "Unfug". Zwangstrinkgeld gab es damals beispielsweise bei Pferdekutschern, die zusätzlich zum Fahrpreis auch ein vorab festgelegtes Trinkgeld verlangten. Jhering stellte dazu fest: "Juristisch ist es ein Widerspruch in sich, (dies) in seiner gegenwärtigen Gestalt noch als Trinkgeld zu bezeichnen."

Auch sonst gab es Ende des 19. Jahrhunderts bereits gewisse Parallelen zur modernen Kreuzfahrt: Wo Kellner viel Trinkgeld bekamen, senkten Wirte deren Grundgehalt deutlich ab - schließlich verdienten die Kellner ja ganz offenkundig bereits über die Trinkgelder genug, war deren Auffassung. Besonders störte den Juristen damals, wie ungleich Trinkgelder verteilt würden: Gestehe man Kellnern ein Trinkgeld zu, dann müsse der Koch ebenfalls eines erhalten, da man seinen Anteil an einem guten Essen noch viel mehr schätze als die Leistung des Kellners.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Trinkgelder zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA als "unamerikanisch", sogar als "illegal und demokratiefeindlich" kritisiert wurden, während Amerika heute als Mutterland des großzügigen Trinkgelds gilt.

Die Geschichte des Trinkgelds reicht aber noch weiter zurück. Im England des 16. Jahrhunderts mussten Gäste, die zum Dinner oder über Nacht blieben, fast zwangsläufig Trinkgeld an die Diener des Hauses zahlen, deren Service sie in Anspruch nahmen. Schon damals gab es Diskussionen, ob nicht der Hausherr seine Diener besser bezahlen sollte, statt seine Gäste damit zu belasten. Dieses Trinkgeldwesen nahm so überhand und schwappte auch nach Amerika hinüber, dass sich viele zweimal überlegen mussten, ob sie sich solche Besuche bei Freunden überhaupt noch leisten konnten.

Um 1900 wurden in den USA die Stimmen immer lauter, die ein Verbot von Trinkgeld beispielsweise für kellnernde College-Studentinnen forderten, weil es herabwürdigend sei. Die Journalistin Elizabeth Banks schrieb, kellnernde Studentinnen sollten aus Selbstrespekt keine Trinkgelder annehmen. Trinkgeld und Unterwürfigkeit gingen Hand in Hand.

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