Süddeutsche Zeitung

Schweden:Schnell durch die Schären

Keine Masken, keine Tests: Auch bei Kurz-Kreuzfahrten geht Schweden seinen eigenen Weg. Bisher erfolgreich.

Von Hans Gasser

Gibt es etwas Schlimmeres als eine Kreuzfahrt? Es gibt nichts Schöneres als eine Kreuzfahrt. Zwischen diesen beiden Überzeugungen liegt nur eine Nacht auf der Ostsee. Beim Einsteigen in Härnösand, Mittelschweden, schüttet es wie aus Kübeln. An Deck zu gehen, daran ist nicht zu denken. Und im riesigen Schiff, der Silja Symphony: das übliche Konsumangebot aus Restaurants, Spielautomaten, Shopping Mall und Alleinunterhaltern - das alles auf gewöhnungsbedürftig gemusterten Teppichböden. Und zusammen mit 1400 Schweden, die genau das zu suchen scheinen. Das Schiff fasst eigentlich 2800 Passagiere, wegen Corona fährt man aber nur mit der Hälfte.

Ansonsten merkt man hier von der Pandemie kaum etwas, denn auch bei den Kreuzfahrten geht Schweden seinen eigenen Weg. Kein einziger der Passagiere und auch der Crew trägt eine Maske. Ist nicht vorgeschrieben, wird auch nicht empfohlen. "Wir orientieren uns an den Empfehlungen und Regeln der schwedischen Behörden", sagt Erika Janson, Sprecherin der estnischen Tallink Silja Reederei. Und die sehen weder Tests für Passagiere, Fiebermessen noch Maskentragen vor. Stattdessen gibt es verlängerte Ein- und Ausstiegszeiten, Abstandsregeln, Handdesinfektion. Immer wieder werden die Passagiere per Bordlautsprecher daran erinnert.

Und es scheint zu funktionieren: Die Silja Symphony fährt schon den ganzen Sommer an der schwedischen Küste entlang, anfangs nach Gotland und jetzt schon seit sechs Wochen von Stockholm durch die Schären nach Härnösand und zurück.

Bisher sei kein einziger Corona-Fall auf dem Schiff bekannt geworden, sagt Kapitän Ola Bengtsson, während er anderntags bei strahlendem Sonnenschein über die Brücke führt. Warum das so ist, das führt er auf die Abstands- und Hygieneregeln zurück, räumt aber auch ein, dass die Passage nur von Freitagnachmittag bis Sonntagnachmittag dauert. So kurz, dass Passagiere schon wieder ausgestiegen sind, bevor sie sich mit irgendwelchen Symptomen an die Crew wenden können. Diese wird auch nur bei Symptomen getestet.

Trotz fehlender Maskenpflicht und andauerndem Offenhalten von Schulen, Restaurants und Grenzen liegen die Infektionsraten in Schweden seit Anfang Juli relativ niedrig, auch wenn sie jetzt wieder, wie überall, etwas ansteigen. Die Schweden halten sich an die Empfehlungen der Behörden, auch sie haben den Urlaub großteils in der Heimat verbracht. Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen sind verboten, da mutet es seltsam an, dass Schifffahrten mit 1400 Menschen erlaubt sind. Die Symphony pflügt gerade durch den einzigartigen Schären-Archipel nördlich von Stockholm, der Blick geht wie von einem fahrenden Aussichtsturm in 35 Metern Höhe auf sonnenbeschienene Inseln mit herbstlich gefärbten Bäumen und bunten Ferienhäusern darauf. Die Passagiere halten die Gesichter in die Sonne, es ist Ende September so warm, dass man im Hemd in der Sonne an Deck stehen kann. So lässt sich eine Kurzkreuzfahrt durchaus genießen: Frischluft, Abstand, Aussicht. Der Kapitän weist auf ein rotes Haus auf der Insel Furusund hin: "Hier hat Astrid Lindgren viele ihrer Bücher geschrieben." Für Bengtsson ist der neue Kurs eine "schöne Abwechslung", wie er gesteht. Denn jahrelang sei er mit diesem Schiff die Route Stockholm-Helsinki gefahren. "Sodass ich meinen Kollegen gefragt habe: Meinst du, wir werden jemals woanders fahren?"

Aber dann kam Corona, und die Finnen sperrten ihre Grenzen für die eigenwilligen Schweden zu, es musste eine Alternative her. Die 16 Kreuzfahrten nach Gotland waren ausverkauft, und auch jene nach Härnösand sind so populär, dass sie noch bis Ende Oktober stattfinden. (Die Fähren im Internet: tallinksilja.de)

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Quelle:
SZ vom 01.10.2020
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