Süddeutsche Zeitung

Kreuzfahrt:Reedereien müssen etwas gegen Overtourismus tun

Kreuzfahrt-Tourismus presst Tausende Urlauber für kürzeste Zeit in Städte und erstickt dort das Alltagsleben. Das darf Veranstaltern nicht mehr egal sein.

Kommentar von Katja Schnitzler

Die neue Aida Nova sticht in See, und das so schadstoffarm wie kein anderes Kreuzfahrtschiff - wobei auch der Antrieb mit Flüssiggas den ein oder anderen Haken hat. Trotzdem: Eigentlich könnten sich die etwa 6000 Urlauber auf der Aida Nova nun mit gutem Gewissen zurücklehnen, oder? Leider nicht, denn das Grundproblem der Kreuzfahrten löst auch der umweltfreundlichste Antrieb nicht: Sobald die Schiffe anlegen, werden sie zu einem Problem.

Dann verlässt nicht nur ein Urlauber seinen Liegestuhl und möchte vor allem Stadt und weniger Land und Leute kennenlernen, denn das ist in der Kürze der Zeit gar nicht möglich. Mit ihm gehen im schlimmsten Fall 5999 andere Touristen von Bord. Sie überschwemmen die Innenstadt, haben Zeit für ein paar Selfies und vielleicht einige Souvenirs made in Asia, dann müssen sie wieder zurück.

Wofür sie keine Zeit haben: Wirklich den Ort zu entdecken, an dem das Schiff vor Anker gegangen ist, und dabei Geld in Geschäften und in der Gastronomie zu lassen. Nicht nur geschlafen wird an Bord, sondern auch all-inclusive gegessen.

Hohe See statt Städte anschauen?

Das treibt inzwischen nicht mehr nur die Bewohner von Venedig oder Dubrovnik zur Verzweiflung, die sich mit Verboten wehren. Auch Bürger von Orten, die von Flusskreuzfahrern heimgesucht werden, beschweren sich sowohl über die dicke Luft als auch über einen Verlust an Lebensqualität.

Doch wäre es eine Lösung, mit abgasarmen Schiffen nur noch über das Meer zu schippern und gar nicht mehr anzulegen? Einige Kreuzfahrten laufen ja genauso schon ab. An Bord der Schiffe wird so viel Unterhaltungsprogramm geboten, dass es den Passagieren nicht langweilig wird. Außer sie wussten vorher nicht, dass Club-Urlaub auf See bei ihnen einen verschärften Lagerkoller auslöst. Doch die meisten erfreuen sich an Pools, Kletterwänden, Rutschen, Bars, Joggingstrecken (rings um den Schornstein) und Gokart-Bahnen.

Doch die meisten Kreuzfahrten lassen sich nur über die Städte verkaufen, die angesteuert werden: Hier ist der Vorteil nicht (nur) das Bordprogramm, sondern dass man spannende Ziele entspannt erreicht, ohne ständig seine Koffer packen zu müssen. Doch damit diese Bequemlichkeit nicht auf Kosten der besuchten Städte geht, müssten nicht allein dort Strategien gegen Overtourismus entwickelt werden, sondern auch in den Chefetagen der Reedereien.

Die Schiffe dürften nicht nur dorthin fahren, wo alle anderen auch schon sind, sondern müssten unbekanntere Orte ins Programm aufnehmen - die dann bei längeren Liegezeiten entdeckt werden können, auch im Hinterland. Überhaupt sollte das Ausflugsprogramm entzerrt werden, weg von den Must-see-Sehenswürdigkeiten hin zu alternativen Touren etwa durch Künstlerviertel. Museen könnten mit eigens für die Schiffspassagiere angebotenen Führungen unterstützt werden und Essen-Coupons der Touristen dürften lokale Gastronomen bei den Reedereien einreichen.

Nur wenn Veranstalter bei kreativen Lösungen für Overtourismus eng mit den Verantwortlichen in den Städten zusammenarbeiten, würden alle von den Kreuzfahrten profitieren - auch Urlauber, die wirklich etwas sehen möchten von Zielen, die weitaus mehr verdient haben als nur ein schnelles Konsumieren.

Passagiere, denen das zu anstrengend ist, bleiben eben auf dem Schiff. In der Stadt wird sie niemand vermissen.

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