Kolumne „Hin und weg“:Werft statt Weltreise

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Die „Odyssey“ in der Werft in Belfast. Wann die Reise beginnen wird, ist unklar. (Foto: Peter Morrison/AP)

Das Kreuzfahrtschiff „Odyssey“ sollte längst auf einer dreijährigen Reise sein. Doch es liegt seit Monaten in Belfast fest. Unerschütterliche Passagiere sind trotzdem an Bord.

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Was eine Reederei dazu bringt, ein Schiff Odyssey zu nennen, bleibt rätselhaft. Schließlich steht der Name synonymhaft für Irrfahrt. Satte zehn Jahre kreuzte Odysseus einst durchs östliche Mittelmeer, um von Troja in seine Heimat Ithaka zurückzukehren. Meistens ahnungslos, wo er sich gerade befand. Auch mit den beschränkten Mitteln der Antike und unter Berücksichtigung der Hinterfotzigkeit olympischer Götter ist das keine nautische Glanztat.

Mutmaßlich hat die Reederei Villa Vie Residences darauf spekuliert, dass der neue Name dieses schon älteren Schiffs Passagiere anlockt mit der Verheißung einer odysseischen, also schier endlosen Kreuzfahrt. Und darauf, dass dabei der Aspekt des Irrlichterns in den Hintergrund tritt. Nicht zehn, aber doch dreieinhalb Jahre an Bord – 1301 Tage, um genau zu sein –, währenddessen 147 Länder und 425 Destinationen anlaufen, darunter hundert tropische Inseln: Wer die komplette Kreuzfahrt mitmacht, wird außer in der Antarktis sowie in der Nordwest- und Nordostpassage so gut wie überall gewesen sein, wo man mit einem Hochsee-Kreuzfahrtschiff hingelangt. Einschließlich der Gewässer, in denen sich Odysseus so hoffnungslos verfahren hatte.

Zudem ist es der Odyssey sehr konsequent gelungen, den Eindruck einer Irrfahrt zu vermeiden. Im Mai sollte die maritime Grand Tour beginnen, seither wussten die Passagiere in jedem Augenblick verlässlich, wo sie waren: in Belfast. Das Schiff hat bis heute nicht abgelegt, notwendige Reparatur- und Modernisierungsarbeiten verzögern das Auslaufen. Irgendwann gab es einen neuen Fahrplan, demnach hätte es Ende Juli losgehen sollen. Über Island und Skandinavien wäre die Odyssey nach Süden geschippert, entlang der europäischen Westküste. Aktuell würde sie vor Madeira ankern, um von dort aus den Atlantik zu überqueren, mit Kurs Karibik.

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Alles hinfällig. Vielleicht geht es noch im September los, eher jedoch nicht. Das Kuriose ist, dass trotzdem Passagiere an Bord sind. Nachts müssen sie das Schiff verlassen, sie sind in Hotels untergebracht. Tagsüber aber gibt es das gewöhnliche Kreuzfahrt-Programm: viele Mahlzeiten, dazwischen chillen am Pool, Filme schauen, Quiz-Spiele. Besonders lustig: Für die Passagiere werden Ausflüge organisiert. Ausflug meint, so berichtet ein Ehepaar, dass die beiden bereits auf den Kanarischen Inseln waren und eine Kreuzfahrt (!) zu den norwegischen Fjorden unternommen haben. Ein anderes Paar versichert, es hätte inzwischen in wirklich jedem Pub von Belfast ein Guinness getrunken.

Was soll man sagen: Je herbstlicher es wird, desto verlockender erscheint dieses Festsitzen in Belfast. Klar, die irische ist keine südpazifische Insel, aber das milde Golfstrom-Klima ist erträglich, das Bier definitiv besser als auf Samoa. Bräche die Odyssey demnächst auf, näherte man sich indessen bei Kälte und Dunkelheit dem Polarkreis, anschließend wäre man während der Hurrikan-Saison in der Karibik.

Dann lieber in Belfast bleiben, demnächst beginnt dort das International Arts Festival, im November geben UB 40 und Soul II Soul ein gemeinsames Konzert, und mittwochs findet stets ein Ukulele Jam statt. Außerdem ringt die Kreuzfahrtindustrie sehr darum, nachhaltiger zu werden: Die Odyssey liefert gerade den Masterplan.

Stefan Fischer zieht eine Pub-Tour durch Belfast jeder Kreuzfahrt vor. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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