Wenn die Costa Favolosa im Hafen von Marseille anlegt, kommt seit Mai ein kleiner Lieferwagen der Heilsarmee aufs Hafengelände. Dann wird eingeladen: Gemüse, Pasta, Lasagne, Fleisch, Fisch, Salat und Nachtisch: frisch zubereitete Gerichte, die nicht verzehrt wurden, aber auch nicht mehr an Bord serviert werden, weil die Menüs täglich wechseln. Jocelyne Bresson ist ehrenamtliche Leiterin der Heilsarmee in Marseille - sie freut sich über das Essen aus den Kühlräumen des Schiffs. "Wir sind hier im Quartier Bougainville, dem ärmsten Viertel der Stadt, jeden Tag kommen Hunderte Menschen zu uns, denen wir eine Mahlzeit mit drei Gängen servieren."
Mit dem Essen von den Costa-Schiffen könnten sie nun mehr Bedürftige versorgen als vorher. "Das Essen kommt sehr gut an bei unseren Klienten", sagt Bresson. Die Heilsarmee in Marseille ist Teil des Projekts "4GoodFood" - "Für gutes Essen" -, das die Reederei eingeführt hat. Seit 2017 beliefern Schiffe der Costa-Flotte nun schon Partner in den italienischen Mittelmeerhäfen mit Essen, das zu schade ist, weggeworfen zu werden. In Italien sind dies die Tafeln, in Marseille ist die Heilsarmee Empfängerin. Bislang wurden circa 70 000 Mahlzeiten gespendet. Ende November kommt Barcelona hinzu.
Aktuell arbeitet Costa daran, auch in der Karibik ein Netzwerk aufzubauen. Auch in deutschen Häfen würde Costa gern die Tafeln oder andere soziale Einrichtungen beliefern. Doch das deutsche Lebensmittelrecht erlaubt es nicht, zubereitete Speisen zu spenden.
Die Vorbereitungen zu "4GoodFood" begannen im Jahr 2014. "Costa als Unternehmen war bereit, etwas Neues im Lichte der Nachhaltigkeit zu beginnen", sagt Stefania Lallai, sie ist Direktorin für Nachhaltigkeit. Ziel des Projekts war es, an Bord regionale Menüs einzuführen, bis 2020 halb so viel Essen wie bislang wegzuwerfen und Nahrungsmittel an Bedürftige zu spenden, statt sie zu vernichten.
Damit will Costa die Agenda 2030 der Vereinten Nationen zehn Jahre früher umsetzen: Deren Ziel ist, dass weltweit nur noch halb so viel Essen verschwendet wird wie bislang. Natürlich ist es auch gut fürs Image, sich mit Nachhaltigkeit zu schmücken. Lallai betont, dass es nicht nur eine ethische, sondern auch eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit sei. Essen kostet Geld, und die Entsorgung des Essens kostet noch mal Geld.
Obst, Kräuter, Gemüse - die schöne Deko wird am Ende einfach weggeworfen
Auch andere Reedereien tun etwas gegen die Essensverschwendung. Aida verwendet wenig Fertigprodukte und Tui Cruises arbeitet mit der Organisation "United against Waste" zusammen, um Müll und Essensreste zu reduzieren.
Costa holte sich Rat bei den Gründern der Slow-Food-Bewegung. Eine ungewöhnliche Allianz. Hier eine private Nonprofit-Universität in den Hügeln des Piemont, mit 500 Studenten und ihren Dozenten, die eines eint: die Leidenschaft für gesundes Essen aus Zutaten von kleinen Erzeugern. Dort ein internationales Kreuzfahrtunternehmen mit einem Milliardenumsatz und 14 Schiffen, auf denen 54 Millionen Mahlzeiten pro Jahr zubereitet werden. "Ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass es meine Idee war, Pollenzo, also die Slow-Food-Leute, ins Boot zu holen", sagt Stefano Fontanesi, der kulinarische Direktor von Costa. Als oberster Küchenchef verantwortet er die Menüs für alle Schiffe, den Einkauf der Lebensmittel und Getränke.
In Pollenzo, dem Sitz der Universität, war man anfangs erschrocken: "Es war eine Herausforderung, in einem geschlossenen System, wie man es auf einem Kreuzfahrtschiff vorfindet, etwas ändern zu wollen", sagt Vizepräsident Silvio Barbero. "Doch wir akzeptierten, weil wir eine Chance sahen, etwas zu verändern."
Sie begannen mit der Speisekarte, modifizierten bislang 500 Rezepte und nahmen die Lieferanten unter die Lupe. Aber die Abläufe auf einem Kreuzfahrtschiff kann man ebenso wenig mal eben umsteuern wie einen Supertanker. Deshalb entschied man sich für einen Weg der kleinen Schritte. Die Costa Diadema war das Testschiff, auf dem 2017 das Pilotprojekt startete. Mit der Unterstützung von Winnow, einem britischen Software-Start-up, ging es zunächst an eine Bestandsaufnahme. Waagen und Tablets hielten Einzug in die Küchen. Alles musste gewogen und erfasst werden - von der Zubereitung bis zum Rücklauf vom Buffet und den Tellern der Gäste. Alle Abfallbehälter stehen nun auf Waagen, die wiederum verbunden sind mit Touchscreens. Für Dutzende Abfallarten gibt es Symbole. Per Fingertipp führen die Mitarbeiter akribisch Buch darüber, was und wie viel in die Tonne kommt.
Schon nach zwei Monaten war klar: Bei den Garnierungen gab es ein riesiges Einsparpotenzial; Obst, Kräuter, Gemüse - alles, das der Präsentation des Essens dient, wird danach weggeworfen. "Viele unserer Köche kommen aus armen Ländern. Ihnen mussten wir den Sinn dieser Arbeit nicht lange erklären, sie machen mit großer Begeisterung mit", sagt Fontanesi.
Klar sei aber auch, dass man einem Gast nicht mit dem erhobenen Zeigefinger den Spaß verderben könne, sagt Stefania Lallai. Stattdessen setzt man auf positive Kommunikation, um die Gäste zu sensibilisieren. In den Restaurants informieren Infotafeln unter dem Motto "Taste don't waste". Die Buffets sind nicht mehr überbordend, stattdessen portioniert nun zum Beispiel ein Mitarbeiter den Schinken auf einer Aufschnittmaschine und legt dem Gast seine Portion auf den Teller. Fast 90 Prozent der Passagiere reagierten positiv auf die Veränderungen, sagt Stefania Lallai.
Nur in der Küchenbrigade hätte eine uritalienische Frage fast zu einem Aufstand geführt. "Als sie sagten, wir müssten unseren Pizzateig ändern, habe ich gesagt: Basta!", sagt Fontanesi. Doch am Ende hat er sich überzeugen lassen. Die Pizza wird jetzt mit Sauerteig gemacht, statt mit Hefeteig; das ist bekömmlicher. "Unsere Pizza ist die beste", findet Fontanesi. "Und als Nächstes kommt die Focaccia dran."